1270: Ibn Ḫaldūn über das Vorspiel zum tunesischen Kreuzzug Ludwigs IX.: Unterschied zwischen den Versionen

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Korrektur Recueil des historiens des Gaules et de la France 20
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Das Kapitel selbst beginnt mit einem kurzen historischen Aufriss, der das Vordringen der hier als Franken bezeichneten lateinischen Christen seit dem 11. Jahrhundert in den Mittelmeerraum nachvollzieht. Ibn Ḫaldūn geht in diesem Rahmen etwas spezifischer auf die Kreuzzüge ein und kommt zunächst auf die Erfolge der Ayyubiden zu sprechen. Es sind wohl diese allgemeineren Ausführungen zum Aufstieg der Franken und zu den Kreuzzügen der Ayyubidenzeit, die Ibn Ḫaldūn nach eigener Aussage dem Werk des 630/1233 verstorbenen irakischen Historiographen Ibn al-Aṯīr entnommen hat. Dies kann nicht mehr für seine Angaben zum ägyptischen und tunesischen Kreuzzug Ludwigs IX. gelten, da diese ja nach dem Tod Ibn al-Aṯīrs stattfanden. Dem oben zitierten Exzerpt folgt eine Beschreibung des Kreuzzugsverlaufs in Tunis. Dieses enthält u. a. Spekulationen über die Gründe für Ludwigs Ableben sowie Ausführungen zum Abschluss eines Friedensvertrages. Diese Beschreibungen basieren, so Ibn Ḫaldūn, teilweise auf den Ausführungen seines Großvaters.<ref>Ibn Ḫaldūn, ''Tārīḫ'', ed. Zakkār and Shaḥāda, Bd. 6, S. 426: „ḥadaṯanī abī ʿan abīhi raḥamahumā Allāh qāla (…).“</ref>
Das Kapitel selbst beginnt mit einem kurzen historischen Aufriss, der das Vordringen der hier als Franken bezeichneten lateinischen Christen seit dem 11. Jahrhundert in den Mittelmeerraum nachvollzieht. Ibn Ḫaldūn geht in diesem Rahmen etwas spezifischer auf die Kreuzzüge ein und kommt zunächst auf die Erfolge der Ayyubiden zu sprechen. Es sind wohl diese allgemeineren Ausführungen zum Aufstieg der Franken und zu den Kreuzzügen der Ayyubidenzeit, die Ibn Ḫaldūn nach eigener Aussage dem Werk des 630/1233 verstorbenen irakischen Historiographen Ibn al-Aṯīr entnommen hat. Dies kann nicht mehr für seine Angaben zum ägyptischen und tunesischen Kreuzzug Ludwigs IX. gelten, da diese ja nach dem Tod Ibn al-Aṯīrs stattfanden. Dem oben zitierten Exzerpt folgt eine Beschreibung des Kreuzzugsverlaufs in Tunis. Dieses enthält u. a. Spekulationen über die Gründe für Ludwigs Ableben sowie Ausführungen zum Abschluss eines Friedensvertrages. Diese Beschreibungen basieren, so Ibn Ḫaldūn, teilweise auf den Ausführungen seines Großvaters.<ref>Ibn Ḫaldūn, ''Tārīḫ'', ed. Zakkār and Shaḥāda, Bd. 6, S. 426: „ḥadaṯanī abī ʿan abīhi raḥamahumā Allāh qāla (…).“</ref>


Angaben zu den Vorbedingungen für Ludwigs Kreuzzug nach Tunis ebenso wie zu deren Verlauf finden natürlich auch in anderen Quellen Niederschlag. Auf arabischer Seite nimmt Ibn Ḫaldūns Bericht aufgrund seiner, durch die Augenzeugenschaft seines Großvaters gegebenen zeitlichen und geographischen Nähe, aber auch wegen seiner Ausführlichkeit einen besonderen Platz ein.<ref>Bei der Darstellung des al-Maqrīzī (gest. 845/1442), ''al-Sulūk li-maʿrifat duwal al-mulūk'', ed. Muḥammad ʿAbd al-Qādir ʿAtạ̄, 8 Bde., Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmiyya, 1997, Bd. 1, AH 648, S. 460-462, scheint es sich weitestgehend um eine verkürzte Version Ibn Ḫaldūns zu handeln, die derselben Chronologie folgt, den Versuch erwähnt, Ludwig IX. mit 80.000 Goldstücken vom Kreuzzug abzubringen, aber z. B. den Konflikt zwischen den Händlern und al-Lulyānī nicht erwähnt. Die Episode wird hier mit einem tunesischen Gedicht an den schon toten Ludwig IX. beendet, in dem Tunis als „Schwester Ägyptens“ bezeichnet wird. Origineller ist al-Yūnīnī (gest. 726/1326), ''Ḏayl mirʾāt al-zamān'', sine editore, 3 Bde., Hyderabad: Osmania Oriental Publications Bureau, 1954, 1955, 1960, Bd. 2, AH 669, S. 454-455, der Zusatzinformationen zur Identität der Händler und ihrem Konflikt mit den hafsidischen Behörden liefert.</ref> Auf lateinischer Seite liefern Lebensbeschreibungen Ludwigs IX. sowie zahlreiche historiographische Werke weitere Informationen. Hierzu zählen die Lebensbeschreibung Ludwigs IX. durch Geoffrey de Beaulieu (gest. um 1274)<ref>Godefridus de Bello loco, ''Vita Ludovici noni'', ed. Joseph Naudet, ‎Pierre-Claude-François Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20), Paris: Imprimerie royale, 1840, S. 1-26, hier: S. 21-22; Übersetzung: ''The Sanctity of Louis IX: Early Lives of Saint Louis by Geoffrey of Beaulieu and William of Chartres'', übers. Larry F, Field, comm. Marianne Cecilia Gaposchkin, Sean L. Field, Ithaca: Cornell University Press, 2014, cap. 40-42, S. 116-119.</ref>, die – bezüglich der hier relevanten Stellen – fast gleichlautenden ''Gesta Sancti Ludovici ''des Wilhelm von Nangis (gest. ca. 1300)<ref>Guillelmus de Nangiaco, ''Gesta sanctae memoriae Ludovici regis Franciae'', ed. Joseph Naudet, ‎Pierre-Claude-François Daunou (Recueil des Historiens des Croisades 20) , Paris: Imprimerie royale, 1840, S. 309-461, hier: S. 446-447. </ref>, ferner die ''Chronique de Primat'' (gest. nach 1277) in der französischen Übersetzung des Jean Vignay (gest. nach 1340)<ref>''Chronique de Primat traduite par Jean Vignay'', ed. Natalis de Wailly, Leopold Victor Delisle (Recueil des historiens des Gaules et de la France 23), Paris: H. Welter, 1894, S. 1-105, hier: cap. 24, S. 39, cap. 28, S. 44.</ref>, die sizilische Chronik des Saba Malaspina (gest. 1297)<ref>Saba Malaspina, ''Chronica sive Liber gestorum regum Siciliae'', ed. W. Koller, A. Nitschke (MGH SS 35), Hannover: Hahn, 1999, S. 89-375, hier: lib. V, cap. 1, S. 228-29; engl. übers. Lower, ''The Tunis Crusade of 1270'', S. 144; ital. übers. ''Cronisti e scrittori sincroni della dominazione normanna nel Regno di Puglia e Sicilia'', ed. Guiseppe del Re, Neapel: Stamperia dell’Iride, 1868, S. 201-408, hier: S. 293-294.</ref> sowie eine Fortsetzung der Chronik des Matthaeus Paris (gest. 1259).<ref>Matthaeus Paris, ''Historia major. Juxta exemplar Londinense 1640, verbatim recusa; et cum Rogeri Wendoveri, Willielmi Rishangeri, authorisque majori minorique historiis, chronicisque mss, in Bibliotheca regia, collegii Corporis Christi Cantabrigiae, Cottoniáque, fidelitèr collata. Huic editioni accesserunt, duorum offarum merciorum regum; & viginti trium abbatum S. Albani vitae. Una cum libro additamentorum'', ed. William Wats, London: A. Mearne, 1684, a. 1270-1271, S. 882-83. Übersetzung: Matthew Paris, ''English History. From the Year 1235 to 1273'', übers. J. A. Giles, Bd. 3, London: Henry Bohn, 1854, a. 1270, S. 374-75, 377.</ref> Bedeutend angereichert wird diese Dokumentation auch durch Registereinträge der angevinischen Kanzlei in Sizilien<ref>Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 156-157, 382-383.</ref> sowie den am 5. Rabīʿ II 669 / 21. November 1270 abgeschlossenen Friedensvertrag mit Tunis in seiner arabischen Version<ref>Mas Latrie, ''Traité de paix'', S. 93-96, liefert die französische Übersetzung aus Silvestre de Sacy, Mémoire sur le traité, S. 461-467 (franz. Übersetzung), S. 469-471 (arabisches Original).</ref>, dem möglicherweise eine einige Tage früher ausgestellte, aber verlorene lateinische bzw. französische Version vorausgegangen war.<ref>Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 93, FN 1.</ref>
Angaben zu den Vorbedingungen für Ludwigs Kreuzzug nach Tunis ebenso wie zu deren Verlauf finden natürlich auch in anderen Quellen Niederschlag. Auf arabischer Seite nimmt Ibn Ḫaldūns Bericht aufgrund seiner, durch die Augenzeugenschaft seines Großvaters gegebenen zeitlichen und geographischen Nähe, aber auch wegen seiner Ausführlichkeit einen besonderen Platz ein.<ref>Bei der Darstellung des al-Maqrīzī (gest. 845/1442), ''al-Sulūk li-maʿrifat duwal al-mulūk'', ed. Muḥammad ʿAbd al-Qādir ʿAtạ̄, 8 Bde., Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmiyya, 1997, Bd. 1, AH 648, S. 460-462, scheint es sich weitestgehend um eine verkürzte Version Ibn Ḫaldūns zu handeln, die derselben Chronologie folgt, den Versuch erwähnt, Ludwig IX. mit 80.000 Goldstücken vom Kreuzzug abzubringen, aber z. B. den Konflikt zwischen den Händlern und al-Lulyānī nicht erwähnt. Die Episode wird hier mit einem tunesischen Gedicht an den schon toten Ludwig IX. beendet, in dem Tunis als „Schwester Ägyptens“ bezeichnet wird. Origineller ist al-Yūnīnī (gest. 726/1326), ''Ḏayl mirʾāt al-zamān'', sine editore, 3 Bde., Hyderabad: Osmania Oriental Publications Bureau, 1954, 1955, 1960, Bd. 2, AH 669, S. 454-455, der Zusatzinformationen zur Identität der Händler und ihrem Konflikt mit den hafsidischen Behörden liefert.</ref> Auf lateinischer Seite liefern Lebensbeschreibungen Ludwigs IX. sowie zahlreiche historiographische Werke weitere Informationen. Hierzu zählen die Lebensbeschreibung Ludwigs IX. durch Geoffrey de Beaulieu (gest. um 1274)<ref>Godefridus de Bello loco, ''Vita Ludovici noni'', ed. Joseph Naudet, ‎Pierre-Claude-François Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20), Paris: Imprimerie royale, 1840, S. 1-26, hier: S. 21-22; Übersetzung: ''The Sanctity of Louis IX: Early Lives of Saint Louis by Geoffrey of Beaulieu and William of Chartres'', übers. Larry F, Field, comm. Marianne Cecilia Gaposchkin, Sean L. Field, Ithaca: Cornell University Press, 2014, cap. 40-42, S. 116-119.</ref>, die – bezüglich der hier relevanten Stellen – fast gleichlautenden ''Gesta Sancti Ludovici ''des Wilhelm von Nangis (gest. ca. 1300)<ref>Guillelmus de Nangiaco, ''Gesta sanctae memoriae Ludovici regis Franciae'', ed. Joseph Naudet, ‎Pierre-Claude-François Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20) , Paris: Imprimerie royale, 1840, S. 309-461, hier: S. 446-447. </ref>, ferner die ''Chronique de Primat'' (gest. nach 1277) in der französischen Übersetzung des Jean Vignay (gest. nach 1340)<ref>''Chronique de Primat traduite par Jean Vignay'', ed. Natalis de Wailly, Leopold Victor Delisle (Recueil des historiens des Gaules et de la France 23), Paris: H. Welter, 1894, S. 1-105, hier: cap. 24, S. 39, cap. 28, S. 44.</ref>, die sizilische Chronik des Saba Malaspina (gest. 1297)<ref>Saba Malaspina, ''Chronica sive Liber gestorum regum Siciliae'', ed. W. Koller, A. Nitschke (MGH SS 35), Hannover: Hahn, 1999, S. 89-375, hier: lib. V, cap. 1, S. 228-29; engl. übers. Lower, ''The Tunis Crusade of 1270'', S. 144; ital. übers. ''Cronisti e scrittori sincroni della dominazione normanna nel Regno di Puglia e Sicilia'', ed. Guiseppe del Re, Neapel: Stamperia dell’Iride, 1868, S. 201-408, hier: S. 293-294.</ref> sowie eine Fortsetzung der Chronik des Matthaeus Paris (gest. 1259).<ref>Matthaeus Paris, ''Historia major. Juxta exemplar Londinense 1640, verbatim recusa; et cum Rogeri Wendoveri, Willielmi Rishangeri, authorisque majori minorique historiis, chronicisque mss, in Bibliotheca regia, collegii Corporis Christi Cantabrigiae, Cottoniáque, fidelitèr collata. Huic editioni accesserunt, duorum offarum merciorum regum; & viginti trium abbatum S. Albani vitae. Una cum libro additamentorum'', ed. William Wats, London: A. Mearne, 1684, a. 1270-1271, S. 882-83. Übersetzung: Matthew Paris, ''English History. From the Year 1235 to 1273'', übers. J. A. Giles, Bd. 3, London: Henry Bohn, 1854, a. 1270, S. 374-75, 377.</ref> Bedeutend angereichert wird diese Dokumentation auch durch Registereinträge der angevinischen Kanzlei in Sizilien<ref>Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 156-157, 382-383.</ref> sowie den am 5. Rabīʿ II 669 / 21. November 1270 abgeschlossenen Friedensvertrag mit Tunis in seiner arabischen Version<ref>Mas Latrie, ''Traité de paix'', S. 93-96, liefert die französische Übersetzung aus Silvestre de Sacy, Mémoire sur le traité, S. 461-467 (franz. Übersetzung), S. 469-471 (arabisches Original).</ref>, dem möglicherweise eine einige Tage früher ausgestellte, aber verlorene lateinische bzw. französische Version vorausgegangen war.<ref>Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 93, FN 1.</ref>


Ibn Ḫaldūns Schilderung der Ereignisse unterscheidet sich deutlich von dieser christlichen Berichterstattung, da er Ludwig IX. und das Kreuzzugsunternehmen verständlicherweise als negativ und zudem als ungerechtfertigt darstellt. Obwohl die christlichen Quellen dem Kreuzzugsprojekt grundsätzlich positiver gegenüberstehen, wird dennoch deutlich, dass sie durchaus auch Kritik am König und seinen Plänen enthalten können.
Ibn Ḫaldūns Schilderung der Ereignisse unterscheidet sich deutlich von dieser christlichen Berichterstattung, da er Ludwig IX. und das Kreuzzugsunternehmen verständlicherweise als negativ und zudem als ungerechtfertigt darstellt. Obwohl die christlichen Quellen dem Kreuzzugsprojekt grundsätzlich positiver gegenüberstehen, wird dennoch deutlich, dass sie durchaus auch Kritik am König und seinen Plänen enthalten können.
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Teile der in der Fortsetzung der Chronik des Matthaeus Paris gemachten Angaben werden durch die erhaltene arabische Version des Friedensvertrages bestätigt. Dieser verpflichtet die hafsidische Seite zum schon aus früheren Verträgen bekannten Schutz christlicher Händler und ihrer Einrichtungen im Hafsidenreich (§ 4, 7) im Gegenzug für entsprechenden Schutz von europäisch-christlicher Seite (§ 1-3). Er gestattet den Bau von Kirchen und Klöstern an zugewiesenen Plätzen, erlaubt darin die freie Predigt (§ 6) und ordnet die Freilassung christlicher Gefangener an (§ 8). Er verpflichtet die christlichen Truppen zum Abzug (§ 10), den Hafsidenfürsten zu einer Zahlung von 210.000 Unzen Gold (§ 12), einer Rückzahlung des ausstehenden Tributs der letzten fünf Jahre sowie zu einer jährlichen Tributzahlung in der doppelten Höhe dessen, was vormals an Friedrich II. gezahlt wurde (§ 20). Inwieweit diese Effekte des Kreuzzuges als Motivationen zur Durchführung der Kampagne nach Tunis interpretiert werden können, sei zunächst dahingestellt.<ref>Silvestre de Sacy, Mémoire sur le traité, S. 461-467 (franz. Übersetzung), S. 469-471 (arabisches Original). Einteilung in Paragraphen bei Mas Latrie, ''Traité de paix'', S. 93-96.</ref>  
Teile der in der Fortsetzung der Chronik des Matthaeus Paris gemachten Angaben werden durch die erhaltene arabische Version des Friedensvertrages bestätigt. Dieser verpflichtet die hafsidische Seite zum schon aus früheren Verträgen bekannten Schutz christlicher Händler und ihrer Einrichtungen im Hafsidenreich (§ 4, 7) im Gegenzug für entsprechenden Schutz von europäisch-christlicher Seite (§ 1-3). Er gestattet den Bau von Kirchen und Klöstern an zugewiesenen Plätzen, erlaubt darin die freie Predigt (§ 6) und ordnet die Freilassung christlicher Gefangener an (§ 8). Er verpflichtet die christlichen Truppen zum Abzug (§ 10), den Hafsidenfürsten zu einer Zahlung von 210.000 Unzen Gold (§ 12), einer Rückzahlung des ausstehenden Tributs der letzten fünf Jahre sowie zu einer jährlichen Tributzahlung in der doppelten Höhe dessen, was vormals an Friedrich II. gezahlt wurde (§ 20). Inwieweit diese Effekte des Kreuzzuges als Motivationen zur Durchführung der Kampagne nach Tunis interpretiert werden können, sei zunächst dahingestellt.<ref>Silvestre de Sacy, Mémoire sur le traité, S. 461-467 (franz. Übersetzung), S. 469-471 (arabisches Original). Einteilung in Paragraphen bei Mas Latrie, ''Traité de paix'', S. 93-96.</ref>  


Aus dieser Gegenüberstellung wird deutlich, dass Ibn Ḫaldūns Darstellung ein ganzes Bündel an Faktoren zur Seite gestellt werden muss, die den Kreuzzug nach Tunis lenkten. Auffällig ist, dass die christliche Historiographie, anders als Ibn Ḫaldūn, nichts zu dem internen Konflikt zwischen dem Hafsidensultan und seinem Funktionär al-Lulyānī noch zu Spannungen zwischen europäisch-christlichen Händlern und dem Hafsidensultan sagen. In ihrer Darstellung spielen Gefühle Ludwigs, Hoffnungen auf Konversion und v. a. auf Beute, strategische Überlegungen zur Wiedergewinnung des Heiligen Landes sowie ein intriganter Bruder eine entscheidende Rolle. Die Bedeutung Karls I. von Anjou wird durch die diplomatische Dokumentation bestätigt, in der die geforderten Tributzahlungen einen hohen Stellenwert haben. Dass der Friedensvertrag von 1270 den europäischen Christen in Tunis größere Rechte als vorher gesichert habe, ist mit Blick auf frühere Verträge zu verneinen. Das bei Wilhelm von Nangis und der Fortsetzung des Matthaeus Paris erwähnte Recht der freien Konversion zum Christentum wird im noch erhaltenen arabischen Vertragstext nicht genannt.<ref>Matthaeus Paris, ''Historia major'', ed. William Wats, a. 1270-1271, S. 882-83; Matthew Paris, ''English History'', übers. Giles, Bd. III, a. 1270, S. 374-75, 377; Guillelmus de Nangiaco, ''Chronicon'', ed. Joseph Naudet, ‎Pierre-Claude-François Daunou (Recueil des Historiens des Croisades 20), Paris: Imprimerie royale, 1840, S. 543-582, hier: a. 1270, S. 563. </ref> Zur Stärkung europäisch-christlicher Rechte im Hafsidenreich wäre also kein Kreuzzug notwendig gewesen.
Aus dieser Gegenüberstellung wird deutlich, dass Ibn Ḫaldūns Darstellung ein ganzes Bündel an Faktoren zur Seite gestellt werden muss, die den Kreuzzug nach Tunis lenkten. Auffällig ist, dass die christliche Historiographie, anders als Ibn Ḫaldūn, nichts zu dem internen Konflikt zwischen dem Hafsidensultan und seinem Funktionär al-Lulyānī noch zu Spannungen zwischen europäisch-christlichen Händlern und dem Hafsidensultan sagen. In ihrer Darstellung spielen Gefühle Ludwigs, Hoffnungen auf Konversion und v. a. auf Beute, strategische Überlegungen zur Wiedergewinnung des Heiligen Landes sowie ein intriganter Bruder eine entscheidende Rolle. Die Bedeutung Karls I. von Anjou wird durch die diplomatische Dokumentation bestätigt, in der die geforderten Tributzahlungen einen hohen Stellenwert haben. Dass der Friedensvertrag von 1270 den europäischen Christen in Tunis größere Rechte als vorher gesichert habe, ist mit Blick auf frühere Verträge zu verneinen. Das bei Wilhelm von Nangis und der Fortsetzung des Matthaeus Paris erwähnte Recht der freien Konversion zum Christentum wird im noch erhaltenen arabischen Vertragstext nicht genannt.<ref>Matthaeus Paris, ''Historia major'', ed. William Wats, a. 1270-1271, S. 882-83; Matthew Paris, ''English History'', übers. Giles, Bd. III, a. 1270, S. 374-75, 377; Guillelmus de Nangiaco, ''Chronicon'', ed. Joseph Naudet, ‎Pierre-Claude-François Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20), Paris: Imprimerie royale, 1840, S. 543-582, hier: a. 1270, S. 563. </ref> Zur Stärkung europäisch-christlicher Rechte im Hafsidenreich wäre also kein Kreuzzug notwendig gewesen.


Auch in einem anderen wichtigen Punkt, nämlich in seiner Darstellung der dem Kreuzzug vorausgehenden diplomatischen Kommunikation zwischen dem Hafsidensultan und dem französischen König, unterscheidet sich der Bericht Ibn Ḫaldūns von demjenigen der christlichen Quellen. Geoffrey de Beaulieu und, gleichlautend, Wilhelm von Nangis erwähnen zwar auch Verhandlungen, allerdings sind diese ganz anderer Natur.
Auch in einem anderen wichtigen Punkt, nämlich in seiner Darstellung der dem Kreuzzug vorausgehenden diplomatischen Kommunikation zwischen dem Hafsidensultan und dem französischen König, unterscheidet sich der Bericht Ibn Ḫaldūns von demjenigen der christlichen Quellen. Geoffrey de Beaulieu und, gleichlautend, Wilhelm von Nangis erwähnen zwar auch Verhandlungen, allerdings sind diese ganz anderer Natur.
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Ibn Ḫaldūn zufolge schickt der Hafsidenherrscher erst dann einen Gesandten zu Ludwig IX., als er von dessen Kreuzzugsvorbereitungen hört. Ziel der Gesandtschaft ist es, den König notfalls durch Geldzahlungen von seinen Plänen abzubringen. Der König erweist sich in diesem Zusammenhang als gerissener Lügner, der erst das Geld einsteckt, dann aber an seinen Plänen festhält und so tut, als habe er nie Zahlungen erhalten. Den Bruch seines Versprechens, nie mehr muslimisch geführte Länder anzugreifen, entschuldigt er auf eine Art und Weise, „wie man das hinsichtlich ihres Fehlverhaltens schon gehört hat“ (''bi-mā yusmaʿ ʿanhum min al-muḫālafāt''). Das von den Gesandten erlittene Unrecht wird in Ibn Ḫaldūns Narrativ letztlich durch das Gedicht des ägyptischen Gesandten gerächt, der Ludwig IX. an seine vergangene Schmach erinnert, damit aber auch nichts erreicht.
Ibn Ḫaldūn zufolge schickt der Hafsidenherrscher erst dann einen Gesandten zu Ludwig IX., als er von dessen Kreuzzugsvorbereitungen hört. Ziel der Gesandtschaft ist es, den König notfalls durch Geldzahlungen von seinen Plänen abzubringen. Der König erweist sich in diesem Zusammenhang als gerissener Lügner, der erst das Geld einsteckt, dann aber an seinen Plänen festhält und so tut, als habe er nie Zahlungen erhalten. Den Bruch seines Versprechens, nie mehr muslimisch geführte Länder anzugreifen, entschuldigt er auf eine Art und Weise, „wie man das hinsichtlich ihres Fehlverhaltens schon gehört hat“ (''bi-mā yusmaʿ ʿanhum min al-muḫālafāt''). Das von den Gesandten erlittene Unrecht wird in Ibn Ḫaldūns Narrativ letztlich durch das Gedicht des ägyptischen Gesandten gerächt, der Ludwig IX. an seine vergangene Schmach erinnert, damit aber auch nichts erreicht.


Keine der christlichen Quellen enthält eine vergleichbare Situation. Geoffroy de Beaulieu und Wilhelm von Nangis berichten zwar von vielen Gesandten, die Ludwig IX. vom Herrscher von Tunis empfangen und auch an diesen geschickt habe (''multos nuncios receperat a rege Tunicii, et similiter Rex noster plures nuncios remiserat ad eumdem''). Zu einer Konfrontation kommt es hier jedoch nie. Vielmehr scheint die Kommunikation so vertrauensvoll, dass der König den Eindruck gewinnt (''dabatur etenim sibi a fide dignis intelligi''), der Hafsidenherrscher könnte tatsächlich gewillt sein, zum Christentum zu konvertieren. Beiden Autoren zufolge sollen die Gesandten des Hafsidenherrschers bei einem ihrer Besuche sogar der Taufe eines bekannten Juden in der Kirche des hl. Dionysios beigewohnt haben. In diesem Kontext soll der König die Gesandten zu sich gerufen und ihnen gegenüber in allerkatholischster Weise (''verbum plane catholicum perfectione fidei et charitatis'') behauptet haben, er würde liebend gerne den Rest seines Lebens in einem sarazenischen Gefängnis verbringen, wenn sich der Hafsidenherrscher nur bekehren würde.<ref>Godefridus de Bello loco, ''Vita Ludovici noni'', ed. Naudet, ‎Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20), S. 21-22; Guillelmus de Nangiaco, ''Gesta sanctae memoriae Ludovici regis Franciae'', ed. Naudet, Daunou (Recueil des Historiens des Croisades 20), S. 446-447.</ref> Es ist davon auszugehen, dass dieses Narrativ von den Autoren konstruiert wurde, einerseits um den Kreuzzug zu legitimieren, andererseits um Ludwigs IX. Frömmigkeit und Hingabe an die Rettung des Heiligen Landes hervorzuheben. Hierfür spricht, dass die Vita Geoffroys de Beaulieu im Rahmen der bald nach Ludwigs IX. Tod einsetzenden Diskussion zu seiner Heiligsprechung (1272-1297) als erstes „Beweisdokument“ diente und damit den Grundstein des Kanonisationsprozesses darstellte.<ref>Carolus-Barré, ''Procès de canonisation'', S. 29</ref>  
Keine der christlichen Quellen enthält eine vergleichbare Situation. Geoffroy de Beaulieu und Wilhelm von Nangis berichten zwar von vielen Gesandten, die Ludwig IX. vom Herrscher von Tunis empfangen und auch an diesen geschickt habe (''multos nuncios receperat a rege Tunicii, et similiter Rex noster plures nuncios remiserat ad eumdem''). Zu einer Konfrontation kommt es hier jedoch nie. Vielmehr scheint die Kommunikation so vertrauensvoll, dass der König den Eindruck gewinnt (''dabatur etenim sibi a fide dignis intelligi''), der Hafsidenherrscher könnte tatsächlich gewillt sein, zum Christentum zu konvertieren. Beiden Autoren zufolge sollen die Gesandten des Hafsidenherrschers bei einem ihrer Besuche sogar der Taufe eines bekannten Juden in der Kirche des hl. Dionysios beigewohnt haben. In diesem Kontext soll der König die Gesandten zu sich gerufen und ihnen gegenüber in allerkatholischster Weise (''verbum plane catholicum perfectione fidei et charitatis'') behauptet haben, er würde liebend gerne den Rest seines Lebens in einem sarazenischen Gefängnis verbringen, wenn sich der Hafsidenherrscher nur bekehren würde.<ref>Godefridus de Bello loco, ''Vita Ludovici noni'', ed. Naudet, ‎Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20), S. 21-22; Guillelmus de Nangiaco, ''Gesta sanctae memoriae Ludovici regis Franciae'', ed. Naudet, Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20), S. 446-447.</ref> Es ist davon auszugehen, dass dieses Narrativ von den Autoren konstruiert wurde, einerseits um den Kreuzzug zu legitimieren, andererseits um Ludwigs IX. Frömmigkeit und Hingabe an die Rettung des Heiligen Landes hervorzuheben. Hierfür spricht, dass die Vita Geoffroys de Beaulieu im Rahmen der bald nach Ludwigs IX. Tod einsetzenden Diskussion zu seiner Heiligsprechung (1272-1297) als erstes „Beweisdokument“ diente und damit den Grundstein des Kanonisationsprozesses darstellte.<ref>Carolus-Barré, ''Procès de canonisation'', S. 29</ref>  


Anhand einer Gegenüberstellung muslimischer und christlicher Darstellungen des Vorspiels zum Kreuzzug von Tunis lässt sich damit hervorragend herausarbeiten, wie hier unterschiedliche Kenntnisse und Wissenshorizonte ins Spiel gebracht, jeweils andere Kontexte erkannt, verschiedene Emotionen ausgelebt und auch ganz sicher unterschiedliche Agenden verfolgt wurden. Die verschiedenen, teilweise widersprüchlichen Darstellungen der mit diesem Kreuzzug verbundenen wirtschaftlichen, politischen, aber auch persönlichen Beziehungen machen deutlich, wie eng die nördlichen und südlichen Ufer des westlichen Mittelmeerraums Ende des 13. Jahrhunderts miteinander verflochten waren. Ibn Ḫaldūns Bericht ist deswegen von Bedeutung, weil er uns eine faktenreiche aber auch emotionalisierte Perspektive auf das Kreuzzugsgeschehen und seinen Vorlauf gibt. Anders als die christliche Historiographie liefert er uns einen Anhaltspunkt dafür, dass neben den Kreuzzugsidealen Ludwigs IX. und den Machenschaften Karls I. von Anjou vielleicht auch interne Spannungen zwischen europäisch-christlichen Händlern und lokalen Funktionären im Hafsidenreich dazu beitrugen, den Kreuzzug auszulösen. Anders als christliche Quellen, die Ludwig IX., wie Saba Malaspina, sogar in einer Opfersituation gegenüber seinem Bruder sehen können, zeichnet Ibn Ḫaldūn den französischen König als listigen und raffgierigen Tyrannen. Dieser hat das ihm von Seiten der Muslime erwiesene Vertrauen nicht nur tief enttäuscht, sondern sich letztlich auch gegenüber seinen christlichen Glaubensgenossen nicht als verantwortungsvoller König erwiesen. Im von Ibn Ḫaldūn zitierten Gedicht des ägyptischen Hofdichters Abū Maṭrūḥ bzw. Ibn Maṭrūḥ zeigt sich, dass nach muslimischer Auffassung Jesus nicht auf Seiten der Kreuzfahrer stand. Mit Verweis auf die vielen toten Christen, die Ludwig IX. zu verantworten habe, spricht ja der Dichter: „Möge Gott Dich an dieselbe Stelle schicken wie sie, / vielleicht hat dann Jesus Ruhe vor euch (''alhamaka llāh ilā miṯlihi / laʿalla ʿĪsā minkum yastarīḥ'')!“|6=Ibn Ḫaldūn, ''Tārīḫ'', ed. Suhayl Zakkār und Ḫalīl Šaḥāda, 8 Bde., Beirut: Dār al-fikr, 2000-01, Bd. 6, S. 425-426.
Anhand einer Gegenüberstellung muslimischer und christlicher Darstellungen des Vorspiels zum Kreuzzug von Tunis lässt sich damit hervorragend herausarbeiten, wie hier unterschiedliche Kenntnisse und Wissenshorizonte ins Spiel gebracht, jeweils andere Kontexte erkannt, verschiedene Emotionen ausgelebt und auch ganz sicher unterschiedliche Agenden verfolgt wurden. Die verschiedenen, teilweise widersprüchlichen Darstellungen der mit diesem Kreuzzug verbundenen wirtschaftlichen, politischen, aber auch persönlichen Beziehungen machen deutlich, wie eng die nördlichen und südlichen Ufer des westlichen Mittelmeerraums Ende des 13. Jahrhunderts miteinander verflochten waren. Ibn Ḫaldūns Bericht ist deswegen von Bedeutung, weil er uns eine faktenreiche aber auch emotionalisierte Perspektive auf das Kreuzzugsgeschehen und seinen Vorlauf gibt. Anders als die christliche Historiographie liefert er uns einen Anhaltspunkt dafür, dass neben den Kreuzzugsidealen Ludwigs IX. und den Machenschaften Karls I. von Anjou vielleicht auch interne Spannungen zwischen europäisch-christlichen Händlern und lokalen Funktionären im Hafsidenreich dazu beitrugen, den Kreuzzug auszulösen. Anders als christliche Quellen, die Ludwig IX., wie Saba Malaspina, sogar in einer Opfersituation gegenüber seinem Bruder sehen können, zeichnet Ibn Ḫaldūn den französischen König als listigen und raffgierigen Tyrannen. Dieser hat das ihm von Seiten der Muslime erwiesene Vertrauen nicht nur tief enttäuscht, sondern sich letztlich auch gegenüber seinen christlichen Glaubensgenossen nicht als verantwortungsvoller König erwiesen. Im von Ibn Ḫaldūn zitierten Gedicht des ägyptischen Hofdichters Abū Maṭrūḥ bzw. Ibn Maṭrūḥ zeigt sich, dass nach muslimischer Auffassung Jesus nicht auf Seiten der Kreuzfahrer stand. Mit Verweis auf die vielen toten Christen, die Ludwig IX. zu verantworten habe, spricht ja der Dichter: „Möge Gott Dich an dieselbe Stelle schicken wie sie, / vielleicht hat dann Jesus Ruhe vor euch (''alhamaka llāh ilā miṯlihi / laʿalla ʿĪsā minkum yastarīḥ'')!“|6=Ibn Ḫaldūn, ''Tārīḫ'', ed. Suhayl Zakkār und Ḫalīl Šaḥāda, 8 Bde., Beirut: Dār al-fikr, 2000-01, Bd. 6, S. 425-426.
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