694: Der Vorwurf jüdischer Kollaboration in den Akten des 17. Konzils von Toledo: Unterschied zwischen den Versionen

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Dieses Vorgehen gegen die Juden ist zunächst in den weiteren Rahmen der westgotischen Religionspolitik gegenüber Andersgläubigen seit dem Konfessionswechsel von 589 einzuordnen. Ab diesem Zeitpunkt lassen sich zwar nicht die ersten, durchaus aber verschärfte Maßnahmen zur Entprivilegierung oder sogar Zwangskonversion von Juden nachweisen. Sie finden sowohl in der königlichen Gesetzgebung als auch in den Akten der toletanischen Reichskonzilien ihren Niederschlag.<ref name="ftn3">Görres, Rekared und das Judentum, S. 293; Ziegler, ''Church and State'', S. 189; Schäferdiek, ''Kirche'', S. 231; Thompson, ''Goths in Spain'', S. 112</ref> Ein besonders intensives Vorgehen gegen Juden ist dabei unter den Herrschern Sisebut (regn. 612-620), Chintila (regn. 636-640), Chindasuinth (regn. 641-652), Reccesvinth (regn. 649-672), Ervigius (regn. 680-87) und schließlich Egica (regn. 687-701) festzustellen. Unterstützt wurden diese von Bischofsentscheidungen auf mehreren Konzilien, so Toledo III (589), IV (633), V (638), IX (655), X (656), XII (681) und XVII (694).<ref name="ftn4">Zu den einzelnen Maßnahmen, vgl. König, ''Bekehrungsmotive'', S. 407-413; Dumezil, ''Racines chrétiennes'', S. 120-130.</ref>  
Dieses Vorgehen gegen die Juden ist zunächst in den weiteren Rahmen der westgotischen Religionspolitik gegenüber Andersgläubigen seit dem Konfessionswechsel von 589 einzuordnen. Ab diesem Zeitpunkt lassen sich zwar nicht die ersten, durchaus aber verschärfte Maßnahmen zur Entprivilegierung oder sogar Zwangskonversion von Juden nachweisen. Sie finden sowohl in der königlichen Gesetzgebung als auch in den Akten der toletanischen Reichskonzilien ihren Niederschlag.<ref name="ftn3">Görres, Rekared und das Judentum, S. 293; Ziegler, ''Church and State'', S. 189; Schäferdiek, ''Kirche'', S. 231; Thompson, ''Goths in Spain'', S. 112</ref> Ein besonders intensives Vorgehen gegen Juden ist dabei unter den Herrschern Sisebut (regn. 612-620), Chintila (regn. 636-640), Chindasuinth (regn. 641-652), Reccesvinth (regn. 649-672), Ervigius (regn. 680-87) und schließlich Egica (regn. 687-701) festzustellen. Unterstützt wurden diese von Bischofsentscheidungen auf mehreren Konzilien, so Toledo III (589), IV (633), V (638), IX (655), X (656), XII (681) und XVII (694).<ref name="ftn4">Zu den einzelnen Maßnahmen, vgl. König, ''Bekehrungsmotive'', S. 407-413; Dumezil, ''Racines chrétiennes'', S. 120-130.</ref>  


In der Forschung umstritten ist, welche Aussagen die formulierten Bestimmungen über die tatsächliche Situation der Juden im Westgotenreich erlauben. Zum einen ist nicht deutlich, wie hoch man die Anzahl der westgotischen Juden ansetzen muss: Handelte es sich um eine kleine Minderheit oder um was Aloysius Ziegler als “a powerful, aggressive body, propounding their doctrines, eager to proselytize” bezeichnet hat, von dem sich Christen möglicherweise bedroht fühlten.<ref name="ftn5">Ziegler, ''Church and State'', S. 197.</ref> Zum anderen deuten zahlreiche Wiederholungen der gleichen Bestimmungen, aber auch Hinweise auf ihre Nichteinhaltung sogar durch Kleriker in jedem Fall darauf hin, dass eine Diskrepanz zwischen den gesetzlichen Bestimmungen und ihrer Umsetzung bestand. Dies hat manche Forscher zu der Behauptung geführt, die getroffenen Maßnahmen hätten bei der christlichen Bevölkerung des Westgotenreiches nicht unbedingt Gefallen gefunden.<ref name="ftn5">Thompson, ''Goths in Spain'', S. 316.</ref> Dennoch ist sicher nicht von der Hand zu weisen, dass man mit Raúl González-Salinero von einer durch die alleinige Existenz dieser Bestimmungen gegebenen “atmosphere of social aggression and hate towards the Jews” sprechen kann.<ref name="ftn6">González-Salinero, Catholic Anti-Judaism, S. 125.</ref> Antijüdische Maßnahmen wurden zwar auch im Merowingerreich unter König Dagobert (regn. 623/629-639) oder in Byzanz unter Kaiser Herakleios (regn. 610-641) angeordnet. Die westgotischen Bestimmungen finden aber in ihrer Systematik und Härte weder im lateinischen Westen noch im Byzanz des 7. und 8. Jahrhunderts ein Gegenstück.<ref name="ftn7">Thompson, ''Goths in Spain'', S. 316.</ref> Paul David King ist wahrscheinlich zuzustimmen, dass die westgotischen Eliten nach dem Konfessionswechsel von 589 ''regnum'' und ''ecclesia'' weitgehend miteinander identifizierten, so dass man den Antijudaismus ab diesem Zeitpunkt als eine systemische Komponente westgotischer Herrschaftsordnung bezeichnen kann.<ref name="ftn8">King, ''Law and Society'', S. 130-144, bes. S. 132.</ref>
In der Forschung umstritten ist, welche Aussagen die formulierten Bestimmungen über die tatsächliche Situation der Juden im Westgotenreich erlauben. Zum einen ist nicht deutlich, wie hoch man die Anzahl der westgotischen Juden ansetzen muss: Handelte es sich um eine kleine Minderheit oder um was Aloysius Ziegler als “a powerful, aggressive body, propounding their doctrines, eager to proselytize” bezeichnet hat, von dem sich Christen möglicherweise bedroht fühlten.<ref>Ziegler, ''Church and State'', S. 197.</ref> Zum anderen deuten zahlreiche Wiederholungen der gleichen Bestimmungen, aber auch Hinweise auf ihre Nichteinhaltung sogar durch Kleriker in jedem Fall darauf hin, dass eine Diskrepanz zwischen den gesetzlichen Bestimmungen und ihrer Umsetzung bestand. Dies hat manche Forscher zu der Behauptung geführt, die getroffenen Maßnahmen hätten bei der christlichen Bevölkerung des Westgotenreiches nicht unbedingt Gefallen gefunden.<ref name="ftn5">Thompson, ''Goths in Spain'', S. 316.</ref> Dennoch ist sicher nicht von der Hand zu weisen, dass man mit Raúl González-Salinero von einer durch die alleinige Existenz dieser Bestimmungen gegebenen “atmosphere of social aggression and hate towards the Jews” sprechen kann.<ref name="ftn6">González-Salinero, Catholic Anti-Judaism, S. 125.</ref> Antijüdische Maßnahmen wurden zwar auch im Merowingerreich unter König Dagobert (regn. 623/629-639) oder in Byzanz unter Kaiser Herakleios (regn. 610-641) angeordnet. Die westgotischen Bestimmungen finden aber in ihrer Systematik und Härte weder im lateinischen Westen noch im Byzanz des 7. und 8. Jahrhunderts ein Gegenstück.<ref name="ftn7">Thompson, ''Goths in Spain'', S. 316.</ref> Paul David King ist wahrscheinlich zuzustimmen, dass die westgotischen Eliten nach dem Konfessionswechsel von 589 ''regnum'' und ''ecclesia'' weitgehend miteinander identifizierten, so dass man den Antijudaismus ab diesem Zeitpunkt als eine systemische Komponente westgotischer Herrschaftsordnung bezeichnen kann.<ref name="ftn8">King, ''Law and Society'', S. 130-144, bes. S. 132.</ref>


Auf dem 17. Konzil von Toledo wurde den Juden des Reiches konkret vorgeworfen, unter Nachahmung ihrer Glaubensgenossen in anderen Teilen der mediterranen christlichen Welt und in Kooperation mit anderen jüdischen Gruppen jenseits des Meeres (''in transmarinis partibus''), ihre Beherrscher stürzen zu wollen. Angesichts der Tatsache, dass um 74/694 in Nordafrika mit Ḥassān b. al-Nuʿmān ein neuer muslimischer Statthalter eingesetzt wurde, der mit Hilfe großer Truppenstärke in den nächsten zehn Jahren im Bereich des heutigen Tunesien den letzten berberischen und byzantinischen Widerstand gegen die muslimische Herrschaftsübernahme eliminierte, war eine Bedrohung des Westgotenreiches aus Übersee um 694 durchaus gegeben oder zumindest in naher Zukunft erwartbar: Schließlich schuf Ḥassān b. al-Nuʿmān dadurch die Voraussetzungen für eine muslimische Etablierung an der Meerenge von Gibraltar unter dem Statthalter Mūsā b. Nuṣayr, einem der späteren Eroberer der Iberischen Halbinsel (''al-Andalus'').<ref name="ftn9">Dhanūn Ṭāhā, ''Muslim Conquest'', S. 69-76.</ref> Unklar ist allerdings, was die westgotische Elite 694 von den Vorgängen in Nordafrika wusste, ob sie also einen Zusammenhang zwischen der muslimischen Expansion und ihrer antijüdischen Politik sah. Dass schon König Wamba (regn. 672-680) einen muslimischen Flottenangriff abgewehrt haben soll, wie die ''Chronik Alfons' III.'' aus dem 9. Jh. berichtet, ist in der Forschung umstritten.<ref name="ftn10">Chronique d’Alphonse III, ed. Yves Bonnaz, ''Chroniques asturiennes (fin IX<sup>e</sup> siècle)'', Paris: Éditions CNRS, 1987, cap. 1,3, S. 33. Vgl. Riess, ''Narbonne'', S. 190.</ref>
Auf dem 17. Konzil von Toledo wurde den Juden des Reiches konkret vorgeworfen, unter Nachahmung ihrer Glaubensgenossen in anderen Teilen der mediterranen christlichen Welt und in Kooperation mit anderen jüdischen Gruppen jenseits des Meeres (''in transmarinis partibus''), ihre Beherrscher stürzen zu wollen. Angesichts der Tatsache, dass um 74/694 in Nordafrika mit Ḥassān b. al-Nuʿmān ein neuer muslimischer Statthalter eingesetzt wurde, der mit Hilfe großer Truppenstärke in den nächsten zehn Jahren im Bereich des heutigen Tunesien den letzten berberischen und byzantinischen Widerstand gegen die muslimische Herrschaftsübernahme eliminierte, war eine Bedrohung des Westgotenreiches aus Übersee um 694 durchaus gegeben oder zumindest in naher Zukunft erwartbar: Schließlich schuf Ḥassān b. al-Nuʿmān dadurch die Voraussetzungen für eine muslimische Etablierung an der Meerenge von Gibraltar unter dem Statthalter Mūsā b. Nuṣayr, einem der späteren Eroberer der Iberischen Halbinsel (''al-Andalus'').<ref name="ftn9">Dhanūn Ṭāhā, ''Muslim Conquest'', S. 69-76.</ref> Unklar ist allerdings, was die westgotische Elite 694 von den Vorgängen in Nordafrika wusste, ob sie also einen Zusammenhang zwischen der muslimischen Expansion und ihrer antijüdischen Politik sah. Dass schon König Wamba (regn. 672-680) einen muslimischen Flottenangriff abgewehrt haben soll, wie die ''Chronik Alfons' III.'' aus dem 9. Jh. berichtet, ist in der Forschung umstritten.<ref name="ftn10">Chronique d’Alphonse III, ed. Yves Bonnaz, ''Chroniques asturiennes (fin IX<sup>e</sup> siècle)'', Paris: Éditions CNRS, 1987, cap. 1,3, S. 33. Vgl. Riess, ''Narbonne'', S. 190.</ref>
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