815: Eine Constitutio Ludwigs des Frommen zu angesiedelten Hispani im Frankenreich: Unterschied zwischen den Versionen

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{{Kapitel LAT-DE TAB-10|Daniel G. König|''Constitutio de Hispanis in Francorum regnum profugus prima'' (1. Jan. 815), ed. Alfred Boretius (MGH Leges, Capitularia regum Francorum 1), Hannover: Hahn, 1883, n. 132, S. 261-263, übers. Daniel G. König.|5=== Autor/in & Werk  ==
{{Kapitel LAT-DE TAB-10|Daniel G. König|''Constitutio de Hispanis in Francorum regnum profugus prima'' (1. Jan. 815), ed. Alfred Boretius (MGH Leges, Capitularia regum Francorum 1), Hannover: Hahn, 1883, n. 132, S. 261-263, übers. Daniel G. König.|5=== Autor/in & Werk  ==
Als Autor der hier zitierten ''Constitutio'' gilt Ludwig der Fromme. Von seinem Vater Karl dem Großen war er 781 in noch unmündigem Alter zum König von Aquitanien ernannt worden. Nachdem er 791 mündig geworden war, kümmerte sich Ludwig um die Ausgestaltung der kirchlichen Organisation der Region sowie um die Sicherung und den territorialen Ausbau der Gebiete, die sein Vater im spanischen Feldzug von 778 erworben hatte. In diesem Rahmen eroberte er u. a. Barcelona (801) und Tortosa (811).<ref name="ftn1">Boshof, ''Ludwig der Fromme, ''S. 19-82. </ref> Infolge des Todes seiner Brüder wurde er im September 813 zum Mitkaiser erhoben und trat dann nach dem Tod Karls des Großen (814) die volle Herrschaft an. Im Austausch der väterlichen Berater wird deutlich, dass Ludwig von Anfang an ein neues Regierungsprogramm anvisierte, das in der Formel einer ''Renovatio imperii Francorum'' gefasst wurde. Vor diesem Hintergrund ist zu erklären, dass er 817 relativ schnell eine umfassende Nachfolgeregelung in der so genannten ''Ordinatio imperii'' traf. Diese zielte auf eine Erhaltung der Reichseinheit ab, deren Fortbestehen sie durch eine hierarchisierte Aufteilung des Reiches unter seinen Söhnen gewährleisten sollte.<ref name="ftn2">Boshof, ''Ludwig der Fromme'', S. 129-135.</ref> Dabei wurde die Einheit des Reiches (''unitas imperii'')'' ''als Korrelat zur Einheit der Kirche (''unitas ecclesiae'') verstanden. Der starke christliche Einschlag der Herrschaft Ludwigs des Frommen äußert sich u. a. in der mit Benedikt von Aniane durchgeführten Klosterreform<ref name="ftn3">Boshof, ''Ludwig der Fromme'', S. 39-49.</ref> oder auch im Beginn der Dänenmission.<ref name="ftn4">Leppin, ''Geschichte, ''S. 168-170.</ref> Ab der Entscheidung im Jahre 829, seinem in einer weiteren Ehe geborenen Sohn Karl („dem Kahlen“) ein Erbteil entgegen den Bestimmungen der 817 erlassenen ''Ordinatio imperii'' zu sichern, stürzte das Reich in einen auch mit militärischen Mitteln ausgetragenen Konflikt, der wechselnde Allianzen zwischen dem Vater und seinen Söhnen hervorbrachte und letztlich bis zu Ludwigs Tod 840 anhielt.<ref name="ftn5">Boshof, ''Ludwig der Fromme'', S. 178-254;'' ''Fleckenstein, Ludwig, Sp. 2171-2172.</ref>  
[§1] Als Autor der hier zitierten ''Constitutio'' gilt Ludwig der Fromme. Von seinem Vater Karl dem Großen war er 781 in noch unmündigem Alter zum König von Aquitanien ernannt worden. Nachdem er 791 mündig geworden war, kümmerte sich Ludwig um die Ausgestaltung der kirchlichen Organisation der Region sowie um die Sicherung und den territorialen Ausbau der Gebiete, die sein Vater im spanischen Feldzug von 778 erworben hatte. In diesem Rahmen eroberte er u. a. Barcelona (801) und Tortosa (811).<ref name="ftn1">Boshof, ''Ludwig der Fromme, ''S. 19-82. </ref> Infolge des Todes seiner Brüder wurde er im September 813 zum Mitkaiser erhoben und trat dann nach dem Tod Karls des Großen (814) die volle Herrschaft an. Im Austausch der väterlichen Berater wird deutlich, dass Ludwig von Anfang an ein neues Regierungsprogramm anvisierte, das in der Formel einer ''Renovatio imperii Francorum'' gefasst wurde. Vor diesem Hintergrund ist zu erklären, dass er 817 relativ schnell eine umfassende Nachfolgeregelung in der so genannten ''Ordinatio imperii'' traf. Diese zielte auf eine Erhaltung der Reichseinheit ab, deren Fortbestehen sie durch eine hierarchisierte Aufteilung des Reiches unter seinen Söhnen gewährleisten sollte.<ref name="ftn2">Boshof, ''Ludwig der Fromme'', S. 129-135.</ref> Dabei wurde die Einheit des Reiches (''unitas imperii'')'' ''als Korrelat zur Einheit der Kirche (''unitas ecclesiae'') verstanden. Der starke christliche Einschlag der Herrschaft Ludwigs des Frommen äußert sich u. a. in der mit Benedikt von Aniane durchgeführten Klosterreform<ref name="ftn3">Boshof, ''Ludwig der Fromme'', S. 39-49.</ref> oder auch im Beginn der Dänenmission.<ref name="ftn4">Leppin, ''Geschichte, ''S. 168-170.</ref> Ab der Entscheidung im Jahre 829, seinem in einer weiteren Ehe geborenen Sohn Karl („dem Kahlen“) ein Erbteil entgegen den Bestimmungen der 817 erlassenen ''Ordinatio imperii'' zu sichern, stürzte das Reich in einen auch mit militärischen Mitteln ausgetragenen Konflikt, der wechselnde Allianzen zwischen dem Vater und seinen Söhnen hervorbrachte und letztlich bis zu Ludwigs Tod 840 anhielt.<ref name="ftn5">Boshof, ''Ludwig der Fromme'', S. 178-254;'' ''Fleckenstein, Ludwig, Sp. 2171-2172.</ref>  
 
Die hier zitierte ''Constitutio'' erließ Ludwig ein Jahr nach Herrschaftsbeginn, in einer Zeit also, in der er noch hehre Pläne der imperialen Sicherung und des Ausbaus hegte, was sich auch in diesem Dokument niederschlägt. Es folgte 816 noch eine zweite ''Constitutio'', dann aber wandte sich Ludwig erst einmal anderen Dingen zu. Ab der Geburt seines Sohnes Karls des Kahlen im Jahre 823 war Ludwig immer stärker in den erwähnten Konflikt mit seinen Söhnen involviert, so dass er letztlich kaum mehr fähig war, sich um die Belange des Reiches insgesamt und damit auch um die Situation des Südwestens zu kümmern.


[§2] Die hier zitierte ''Constitutio'' erließ Ludwig ein Jahr nach Herrschaftsbeginn, in einer Zeit also, in der er noch hehre Pläne der imperialen Sicherung und des Ausbaus hegte, was sich auch in diesem Dokument niederschlägt. Es folgte 816 noch eine zweite ''Constitutio'', dann aber wandte sich Ludwig erst einmal anderen Dingen zu. Ab der Geburt seines Sohnes Karls des Kahlen im Jahre 823 war Ludwig immer stärker in den erwähnten Konflikt mit seinen Söhnen involviert, so dass er letztlich kaum mehr fähig war, sich um die Belange des Reiches insgesamt und damit auch um die Situation des Südwestens zu kümmern.


== Inhalt & Quellenkontext  ==
== Inhalt & Quellenkontext  ==
Die von Ludwig dem Frommen am 1. Januar 815 erlassene ''Constitutio de Hispanis prima''<ref name="ftn6">''Constitutio de Hispanis in Francorum regnum profugus prima'' (1. Jan. 815), ed. Alfred Boretius (MGH Leges, Capitularia regum Francorum 1), Hannover: Hahn, 1883, n. 132, S. 261-263.</ref>'' ''ist an alle Getreuen (''fideles'') der Kirche und des Königs in den Regionen Aquitanien, Septimanien, Provence und Hispanien gerichtet. Die Narratio berichtet über Menschen aus Spanien, die der Unterdrückung durch die dem Christentum feindlichen Sarazenen (''iniquam oppressionem et crudelissimum iugum, quod eorum cervicibus inimicissima Christianitati gens Sarracenorum imposuit'') entflohen sind und sich in Septimanien und in den Teilen Spaniens niedergelassen haben, die von den Markgrafen (''a nostribus marchionibus'') wüst (''in solitudinem'') gelassen worden waren.
[§3] Die von Ludwig dem Frommen am 1. Januar 815 erlassene ''Constitutio de Hispanis prima''<ref name="ftn6">''Constitutio de Hispanis in Francorum regnum profugus prima'' (1. Jan. 815), ed. Alfred Boretius (MGH Leges, Capitularia regum Francorum 1), Hannover: Hahn, 1883, n. 132, S. 261-263.</ref>'' ''ist an alle Getreuen (''fideles'') der Kirche und des Königs in den Regionen Aquitanien, Septimanien, Provence und Hispanien gerichtet. Die Narratio berichtet über Menschen aus Spanien, die der Unterdrückung durch die dem Christentum feindlichen Sarazenen (''iniquam oppressionem et crudelissimum iugum, quod eorum cervicibus inimicissima Christianitati gens Sarracenorum imposuit'') entflohen sind und sich in Septimanien und in den Teilen Spaniens niedergelassen haben, die von den Markgrafen (''a nostribus marchionibus'') wüst (''in solitudinem'') gelassen worden waren.  
 
(§1) Diesen Menschen, die sich aus freiem Willen dem Kaiser unterworfen haben, wird kaiserlicher Schutz (''protectio'', ''defensio'') und Freiheit (''libertas'') garantiert. Im Gegenzug werden diese Menschen auch in die Pflicht des Kaisers genommen: Sie sollen unter ihrem eigenen Grafen (''comes'') Spionage- und Wachdienste leisten und außerdem die kaiserlichen Boten (''missi'') mit Nahrung und Pferden versorgen. Abgesehen von diesen gegenüber dem Kaiser einzuhaltenden Pflichten dürfen weder vom lokalen ''comes'' noch von seinen Untergebenen (''iuniores, ministeriales'') weitere Forderungen an sie gestellt werden. (§2) Das Dokument dient auch der Regelung der Gerichtsbarkeit in dieser Region. In Fällen der Strafgerichtsbarkeit werden alle aufgefordert, vor dem für die Gerichtsbarkeit zuständigen ''comes'' zu erscheinen. Kleinere Probleme dagegen dürfen die ''Hispani'' unter sich selbst ausmachen (''inter se mutuo definire non prohibeantur''). (§3) Ferner werden einige Details geklärt: Sollte z. B. ein Landnehmer weitere Leute von irgendwoher (''undecunque venientes'') holen und sie auf dem appropriierten Land ansiedeln, so habe er über diese in kleineren Dingen Gerichtsbarkeit. (§4) Auch bleibe ihm das Land später erhalten, falls die zur Bearbeitung geholten Leute wieder gehen sollten. (§5) Den vor ungerechter Herrschaft geflohenen (''de iniquorum potestate fugiendo'') Siedlern wird zwar erlaubt, dem zuständigen ''comes'' Geschenke zu machen, diese dürften aber nicht zu einer Abgabe verkommen, da sie nur zu den anfangs geschilderten Leistungen verpflichtet seien. (§6) Sie können sich nach gewohnter Art in eine Vasallen-Beziehung mit dem ''comes'' begeben (''in vassaticum […] commendent''), durch die sie ein ''beneficium'' erhalten und damit auch zu Gegenleistungen verpflichtet sind. (§7) Damit die aufgelisteten Rechte und Pflichten allen Hispani bekannt sind, befiehlt Ludwig der Fromme drei Kopien der ''Constitutio'' in den Städten zu hinterlegen, von denen bekannt sei, dass sie von ''Hispani'' bewohnt würden (''in unaquaque civitate ubi praedicti Hispani habitare noscuntur''). Eine Kopie solle an den Bischof der Stadt, eine an den zuständigen ''comes'', eine an die ''Hispani'' selbst gehen, eine schließlich im königlichen Archiv (''in archivo palatii nostri'') aufbewahrt werden.  


Aus den Einzelbestimmungen geht hervor, dass die ''Constitutio'' eine grundsätzliche Regelung der Besitz- und Rechtsverhältnisse der Hinzugezogenen beabsichtigte. Das Dokument zielt darauf ab, die Rechte der ''Hispani'' vor möglichen Angriffen zu schützen, u. a. durch das explizite Verbot, sie'' ''in irgendeine Form von Abhängigkeitsverhältnis zu den lokalen Herrschaftseliten zu drängen. Die Maßnahme, drei Exemplare der ''Constitutio'' an jedem zentralen Ort sowie bei den jeweils betroffenen Akteuren zu hinterlegen, sollte allen Beteiligten eine unabhängige Konsultation der kaiserlichen Rechtslage erlauben. Als Gegenleistung für den in diesem Dokument ausgesprochenen kaiserlichen Schutz werden die ''Hispani'' zu mehreren Dienstleistungen verpflichtet, die sie lediglich gegenüber dem Kaiser und seinen Vertretern zu leisten haben und die in ihrer militärischen Dimension auf die Sicherung der Grenzzone zum muslimischen Spanien abzielen.
[§4] (§1) Diesen Menschen, die sich aus freiem Willen dem Kaiser unterworfen haben, wird kaiserlicher Schutz (''protectio'', ''defensio'') und Freiheit (''libertas'') garantiert. Im Gegenzug werden diese Menschen auch in die Pflicht des Kaisers genommen: Sie sollen unter ihrem eigenen Grafen (''comes'') Spionage- und Wachdienste leisten und außerdem die kaiserlichen Boten (''missi'') mit Nahrung und Pferden versorgen. Abgesehen von diesen gegenüber dem Kaiser einzuhaltenden Pflichten dürfen weder vom lokalen ''comes'' noch von seinen Untergebenen (''iuniores, ministeriales'') weitere Forderungen an sie gestellt werden. (§2) Das Dokument dient auch der Regelung der Gerichtsbarkeit in dieser Region. In Fällen der Strafgerichtsbarkeit werden alle aufgefordert, vor dem für die Gerichtsbarkeit zuständigen ''comes'' zu erscheinen. Kleinere Probleme dagegen dürfen die ''Hispani'' unter sich selbst ausmachen (''inter se mutuo definire non prohibeantur''). (§3) Ferner werden einige Details geklärt: Sollte z. B. ein Landnehmer weitere Leute von irgendwoher (''undecunque venientes'') holen und sie auf dem appropriierten Land ansiedeln, so habe er über diese in kleineren Dingen Gerichtsbarkeit. (§4) Auch bleibe ihm das Land später erhalten, falls die zur Bearbeitung geholten Leute wieder gehen sollten. (§5) Den vor ungerechter Herrschaft geflohenen (''de iniquorum potestate fugiendo'') Siedlern wird zwar erlaubt, dem zuständigen ''comes'' Geschenke zu machen, diese dürften aber nicht zu einer Abgabe verkommen, da sie nur zu den anfangs geschilderten Leistungen verpflichtet seien. (§6) Sie können sich nach gewohnter Art in eine Vasallen-Beziehung mit dem ''comes'' begeben (''in vassaticum […] commendent''), durch die sie ein ''beneficium'' erhalten und damit auch zu Gegenleistungen verpflichtet sind. (§7) Damit die aufgelisteten Rechte und Pflichten allen Hispani bekannt sind, befiehlt Ludwig der Fromme drei Kopien der ''Constitutio'' in den Städten zu hinterlegen, von denen bekannt sei, dass sie von ''Hispani'' bewohnt würden (''in unaquaque civitate ubi praedicti Hispani habitare noscuntur''). Eine Kopie solle an den Bischof der Stadt, eine an den zuständigen ''comes'', eine an die ''Hispani'' selbst gehen, eine schließlich im königlichen Archiv (''in archivo palatii nostri'') aufbewahrt werden.  


Die 815 erlassene ''Constitutio prima ''ist als Nachfolgedokument des von Karl dem Großen erlassenen ''Praeceptum pro Hispanis'' vom 2. April 812 zu sehen und stellt auch nicht das letzte karolingische Dokument zu hispanischen Immigranten dar. Das ''Praeceptum'' Karls des Großen von 812 reagierte auf eine Beschwerde hispanischer Immigranten, die sich etwa in den 780ern, also kurz nach dem spanischen Feldzug Karls des Großen von 778, im Südwesten des Frankenreichs niedergelassen hatten. Das ''Praeceptum'' verfolgte das Ziel, die von den lokalen Eliten in Frage gestellten Rechte dieser Immigranten zu sichern. Ihnen war damals gestattet worden, im Rahmen einer so genannten ''aprisio'' Brachland in Besitz zu nehmen, zu bebauen und nach kontinuierlicher dreißigjähriger Bearbeitung in ihren Eigenbesitz zu überführen.<ref name="ftn7">Vgl. <span style="background-color:#00ff00;">812: Eine Anweisung Karls des Großen bezüglich immigrierter </span><span style="background-color:#00ff00;">''Hispani</span>.''</ref> Bei Ludwigs ''Constitutio de Hispanis prima'' vom 1. Januar 815 handelt es sich um ein viel allgemeineres Dokument. Dieses war nicht Ergebnis einer Beschwerde beim Kaiser, sondern baute auf der vorangegangenen Regelung Karls des Großen auf, indem sie die Verhältnisse in der Grenzzone zum muslimischen al-Andalus und seinem fränkisch dominierten Hinterland nachhaltig zu regeln beabsichtigte.  
[§5] Aus den Einzelbestimmungen geht hervor, dass die ''Constitutio'' eine grundsätzliche Regelung der Besitz- und Rechtsverhältnisse der Hinzugezogenen beabsichtigte. Das Dokument zielt darauf ab, die Rechte der ''Hispani'' vor möglichen Angriffen zu schützen, u. a. durch das explizite Verbot, sie'' ''in irgendeine Form von Abhängigkeitsverhältnis zu den lokalen Herrschaftseliten zu drängen. Die Maßnahme, drei Exemplare der ''Constitutio'' an jedem zentralen Ort sowie bei den jeweils betroffenen Akteuren zu hinterlegen, sollte allen Beteiligten eine unabhängige Konsultation der kaiserlichen Rechtslage erlauben. Als Gegenleistung für den in diesem Dokument ausgesprochenen kaiserlichen Schutz werden die ''Hispani'' zu mehreren Dienstleistungen verpflichtet, die sie lediglich gegenüber dem Kaiser und seinen Vertretern zu leisten haben und die in ihrer militärischen Dimension auf die Sicherung der Grenzzone zum muslimischen Spanien abzielen.


In der etwa ein Jahr später, am 16. Februar 816 erlassenen ''Constitutio de Hispanis secunda'' reagierte Ludwig der Fromme, wie schon Karl der Große 812, auf eine Beschwerde (''querimonium''). Im Zentrum stehen wieder ''Hispani'', die sich der Macht der Sarazenen entzogen (''de potestate Sarracenorum se subtraxerunt'') und sich sowohl zu Ludwigs als auch zu seines Vaters Zeiten der fränkischen Herrschaft unterstellt hatten (''ad nostram seu genitoris nostri fidem se contulerunt''). In diesem Dokument erinnert Ludwig an die Regeln, die er 815 zum Verhalten der ''Hispani'' selbst und zum Verhalten ihnen gegenüber aufgestellt hatte und erwähnt, dass es von Seiten der ''Hispani'' zu einer Beschwerde in zwei Punkten gekommen war: Das eine Problem stellten eingewanderte mächtige Personen (''maiores et potentiores'') dar, die sich von Karl dem Großen oder Ludwig ein ''praeceptum'' zur Bearbeitung von Land geholt hatten, nun aber ihre Hilfskräfte – also andere, schwächere Eingewanderte (''minores et infirmiores'') – nach der Bearbeitung entweder vom Land vertrieben (''ab eisdem locis depellere'') oder aber in eine Art Knechtschaft herabgedrückt hätten (''sibi ad servitium subiicere''). Das andere Problem seien Eingewanderte, die sich in Abhängigkeit von lokalen Herren (''ad comites sive vassos nostros''<nowiki>; </nowiki>''vassos comitum'') begeben hätten und, nachdem sie das Brachland kultiviert hatten, von Letzteren verjagt worden seien (''eos inde expellere''). In beiden Fällen waren die günstigen Ansiedlungskonditionen, die Ludwig 815 bestätigt bzw. gewährt hatte, also nicht mehr erfüllt. Zur Restabilisierung ergriff Ludwig folgende Maßnahmen: Er bestätigte die schon gegebenen Verordnungen. All denjenigen, die Brachland (''loca deserta'') besetzt und kultiviert hatten, garantierte er das jeweilige Land als vererbbaren Eigenbesitz (''quicquid de inculto excoluerunt, absque ullius inquietudine possideant, tam ipsi quam illorum posteritas''). Denjenigen, die sich unter bestimmten Bedingungen zur Bearbeitung von Land in den Dienst eines lokalen Herren gestellt hatten, bestätigte er, dass sie und ihre Nachkommen unter den vereinbarten Konditionen auf diesem Boden bleiben dürften (''se commendaverunt et ab eis terras ad habitandum acceperunt, sub quali convenientia atque conditione acceperunt, tali eas in futurum et ipsi possideant et suae posteritati derelinquant)''. Abschließend befahl Ludwig eine Mehrfachkopie des Dokuments in Narbonne, Carcassonne, Roussillon, Barcelona, Girona, Béziers sowie im königlichen Palastarchiv zu hinterlegen.<ref name="ftn8">''Constitutio Hludowici de Hispanis secunda'' (10. Feb. 816), ed. Alfred Boretius (MGH Leges, Capitularia regum Francorum 1), n. 133, Hannover: Hahn, 1883, S. 263-264.</ref>
[§6] Die 815 erlassene ''Constitutio prima ''ist als Nachfolgedokument des von Karl dem Großen erlassenen ''Praeceptum pro Hispanis'' vom 2. April 812 zu sehen und stellt auch nicht das letzte karolingische Dokument zu hispanischen Immigranten dar. Das ''Praeceptum'' Karls des Großen von 812 reagierte auf eine Beschwerde hispanischer Immigranten, die sich etwa in den 780ern, also kurz nach dem spanischen Feldzug Karls des Großen von 778, im Südwesten des Frankenreichs niedergelassen hatten. Das ''Praeceptum'' verfolgte das Ziel, die von den lokalen Eliten in Frage gestellten Rechte dieser Immigranten zu sichern. Ihnen war damals gestattet worden, im Rahmen einer so genannten ''aprisio'' Brachland in Besitz zu nehmen, zu bebauen und nach kontinuierlicher dreißigjähriger Bearbeitung in ihren Eigenbesitz zu überführen.<ref name="ftn7">Vgl. [[812: Eine Anweisung Karls des Großen bezüglich immigrierter Hispani]]</ref> Bei Ludwigs ''Constitutio de Hispanis prima'' vom 1. Januar 815 handelt es sich um ein viel allgemeineres Dokument. Dieses war nicht Ergebnis einer Beschwerde beim Kaiser, sondern baute auf der vorangegangenen Regelung Karls des Großen auf, indem sie die Verhältnisse in der Grenzzone zum muslimischen al-Andalus und seinem fränkisch dominierten Hinterland nachhaltig zu regeln beabsichtigte.  


Ein ''Praeceptum'', das sich nur in einigen zusätzlichen Konzessionen von der umfassenden Regelung der ''Constitutio'' von 815 unterscheidet, wurde dann nochmals 844 von Ludwigs Sohn Karl dem Kahlen erlassen.<ref name="ftn9">''Praeceptum pro Hispanis'' (11. Juni 844), ed. Alfred Boretius (MGH Leges, Capitularia regum Francorum 2), n. 256, Hannover: Hahn, 1897, S. 258-260.</ref> Als eine Regelung, die der Stabilität und dem Wohlstand dienen soll (''ad diuturnam prosperamque regni'' […] ''stabilitatem''), ist es wiederum an die Getreuen (''fideles'') von Kirche und König in Aquitanien, Septimanien und der ''Hispania'' gerichtet, hat aber dennoch einen lokaleren Fokus. Konkret geht es hier nämlich um als Goten und ''Hispani'' definierte Siedler, die die Stadt Barcelona, die Festung Tarrasa und die Grafschaft Barcelona bewohnen und „deren Vorfahren sich dem grausamen Joch der dem christlichen Namen allerfeindlichsten Sarazenen entzogen haben“ (''quorum progenitores crudelissimum iugum inimicissimae christiani nominis gentis Sarracenorum evitantes''<nowiki>; </nowiki>''ab eorumdem Sarracenorum potestate se subtrahentes''). Vor den Sarazenen, die hier als große Feinde des christlichen Namens bezeichnet werden, hätten sie Zuflucht bei Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen gesucht (''ad eos fecere confugium''), von denen ihnen damals die Ansiedlung gestattet und Hilfe zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse gewährt worden sei. Im Dokument geht es einerseits darum, ihre Immunität von den lokalen Autoritäten zu sichern, andererseits darum, sie zu militärischen Diensten in der Region heranzuziehen.  
[§7] In der etwa ein Jahr später, am 16. Februar 816 erlassenen ''Constitutio de Hispanis secunda'' reagierte Ludwig der Fromme, wie schon Karl der Große 812, auf eine Beschwerde (''querimonium''). Im Zentrum stehen wieder ''Hispani'', die sich der Macht der Sarazenen entzogen (''de potestate Sarracenorum se subtraxerunt'') und sich sowohl zu Ludwigs als auch zu seines Vaters Zeiten der fränkischen Herrschaft unterstellt hatten (''ad nostram seu genitoris nostri fidem se contulerunt''). In diesem Dokument erinnert Ludwig an die Regeln, die er 815 zum Verhalten der ''Hispani'' selbst und zum Verhalten ihnen gegenüber aufgestellt hatte und erwähnt, dass es von Seiten der ''Hispani'' zu einer Beschwerde in zwei Punkten gekommen war: Das eine Problem stellten eingewanderte mächtige Personen (''maiores et potentiores'') dar, die sich von Karl dem Großen oder Ludwig ein ''praeceptum'' zur Bearbeitung von Land geholt hatten, nun aber ihre Hilfskräfte – also andere, schwächere Eingewanderte (''minores et infirmiores'') – nach der Bearbeitung entweder vom Land vertrieben (''ab eisdem locis depellere'') oder aber in eine Art Knechtschaft herabgedrückt hätten (''sibi ad servitium subiicere''). Das andere Problem seien Eingewanderte, die sich in Abhängigkeit von lokalen Herren (''ad comites sive vassos nostros''; ''vassos comitum'') begeben hätten und, nachdem sie das Brachland kultiviert hatten, von Letzteren verjagt worden seien (''eos inde expellere''). In beiden Fällen waren die günstigen Ansiedlungskonditionen, die Ludwig 815 bestätigt bzw. gewährt hatte, also nicht mehr erfüllt. Zur Restabilisierung ergriff Ludwig folgende Maßnahmen: Er bestätigte die schon gegebenen Verordnungen. All denjenigen, die Brachland (''loca deserta'') besetzt und kultiviert hatten, garantierte er das jeweilige Land als vererbbaren Eigenbesitz (''quicquid de inculto excoluerunt, absque ullius inquietudine possideant, tam ipsi quam illorum posteritas''). Denjenigen, die sich unter bestimmten Bedingungen zur Bearbeitung von Land in den Dienst eines lokalen Herren gestellt hatten, bestätigte er, dass sie und ihre Nachkommen unter den vereinbarten Konditionen auf diesem Boden bleiben dürften (''se commendaverunt et ab eis terras ad habitandum acceperunt, sub quali convenientia atque conditione acceperunt, tali eas in futurum et ipsi possideant et suae posteritati derelinquant)''. Abschließend befahl Ludwig eine Mehrfachkopie des Dokuments in Narbonne, Carcassonne, Roussillon, Barcelona, Girona, Béziers sowie im königlichen Palastarchiv zu hinterlegen.<ref name="ftn8">''Constitutio Hludowici de Hispanis secunda'' (10. Feb. 816), ed. Alfred Boretius (MGH Leges, Capitularia regum Francorum 1), n. 133, Hannover: Hahn, 1883, S. 263-264.</ref>


(§1) Zunächst wird die schon von Ludwig dem Frommen gegebene Anordnung wiederholt, welche militärischen Pflichten und Königsdienste diese Leute zu erfüllen hätten, mit dem Zusatz, dass die von ihnen für Königsboten (''missi'') gestellten Pferde nach fränkischem Recht ersetzt werden sollten, falls man schlecht mit ihnen umgegangen sei. (§2) Nochmals deutlicher wird garantiert, dass sie keinerlei zusätzlichen Dienste oder Abgaben zu leisten hätten, weder in Form des Zehnts an die Kirche, noch an den ''comes'' noch seine Helfer (''iuniores, ministeriales''). (§3) Noch deutlicher als vorher wird ihnen – außer in den drei Hauptfällen der Strafgerichtsbarkeit, nämlich Mord, Raub bzw. Entführung (''rapto'') und Brandstiftung – Rechtsautonomie vom ''comes'' und seinen Rechtshelfern (''nec ipsi nec eorum homines a quolibet comite aut ministro iudiciaraiae potestatis ullo modo iudicentur aut distringantur'') nach eigenem Recht (''secundum eorum legem'') gewährt. (§§4-6) Hierauf folgen die schon von Ludwig gegebenen Bestätigungen für Leute, die sich als Rekrutierer oder Rekruten der Kultivierungsarbeit gewidmet haben. Diejenigen, die sich anderen unterstellt haben, bekommen die Freiheit bestätigt zu gehen, wann sie wollen. Diejenigen, die diese Leute zur Kultivierung angeworben haben, bekommen eine Garantie auf den zurückbleibenden Besitz. Nochmals wird bestätigt, dass diejenigen, die (in eigener Regie) Wüstung in Kulturland verwandelt haben, einen Besitzanspruch auf dieses Land haben, das allerdings mit den üblichen Königsdiensten innerhalb der jeweiligen Grafschaft verbunden ist. (§7) Deutlicher als vorher wird geregelt, dass die Eigentümer dieser Ländereien diese verkaufen, austauschen und, im Falle fehlenden Nachwuchses, auch nach dem Erbrecht ihres Gesetzes (''iuxta legem eorum'') an andere Verwandte geben dürfen, ohne dass dabei allerdings die mit diesen Länderein einhergehende Verpflichtung zum Königsdienst verloren gehe. (§8) Neu sind detailliertere Bestimmungen, die den Schutz der Grenzverläufe dieser Ländereien, die freie Entscheidung über deren Nutzung als Wald-, Acker- oder Weideland, ferner auch das Recht zur Veränderung von Wasserläufen betreffen. (§9-10) Nochmals wird wiederholt, dass Geschenke an den ''comes'' nicht zu einer regelmäßigen Abgabe verkommen dürfen und dass das Eintreten in ein vasallitisches Verhältnis grundsätzlich allen freisteht.
[§8] Ein ''Praeceptum'', das sich nur in einigen zusätzlichen Konzessionen von der umfassenden Regelung der ''Constitutio'' von 815 unterscheidet, wurde dann nochmals 844 von Ludwigs Sohn Karl dem Kahlen erlassen.<ref name="ftn9">''Praeceptum pro Hispanis'' (11. Juni 844), ed. Alfred Boretius (MGH Leges, Capitularia regum Francorum 2), n. 256, Hannover: Hahn, 1897, S. 258-260.</ref> Als eine Regelung, die der Stabilität und dem Wohlstand dienen soll (''ad diuturnam prosperamque regni'' […] ''stabilitatem''), ist es wiederum an die Getreuen (''fideles'') von Kirche und König in Aquitanien, Septimanien und der ''Hispania'' gerichtet, hat aber dennoch einen lokaleren Fokus. Konkret geht es hier nämlich um als Goten und ''Hispani'' definierte Siedler, die die Stadt Barcelona, die Festung Tarrasa und die Grafschaft Barcelona bewohnen und „deren Vorfahren sich dem grausamen Joch der dem christlichen Namen allerfeindlichsten Sarazenen entzogen haben“ (''quorum progenitores crudelissimum iugum inimicissimae christiani nominis gentis Sarracenorum evitantes''; ''ab eorumdem Sarracenorum potestate se subtrahentes''). Vor den Sarazenen, die hier als große Feinde des christlichen Namens bezeichnet werden, hätten sie Zuflucht bei Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen gesucht (''ad eos fecere confugium''), von denen ihnen damals die Ansiedlung gestattet und Hilfe zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse gewährt worden sei. Im Dokument geht es einerseits darum, ihre Immunität von den lokalen Autoritäten zu sichern, andererseits darum, sie zu militärischen Diensten in der Region heranzuziehen.  


[§9] (§1) Zunächst wird die schon von Ludwig dem Frommen gegebene Anordnung wiederholt, welche militärischen Pflichten und Königsdienste diese Leute zu erfüllen hätten, mit dem Zusatz, dass die von ihnen für Königsboten (''missi'') gestellten Pferde nach fränkischem Recht ersetzt werden sollten, falls man schlecht mit ihnen umgegangen sei. (§2) Nochmals deutlicher wird garantiert, dass sie keinerlei zusätzlichen Dienste oder Abgaben zu leisten hätten, weder in Form des Zehnts an die Kirche, noch an den ''comes'' noch seine Helfer (''iuniores, ministeriales''). (§3) Noch deutlicher als vorher wird ihnen – außer in den drei Hauptfällen der Strafgerichtsbarkeit, nämlich Mord, Raub bzw. Entführung (''rapto'') und Brandstiftung – Rechtsautonomie vom ''comes'' und seinen Rechtshelfern (''nec ipsi nec eorum homines a quolibet comite aut ministro iudiciaraiae potestatis ullo modo iudicentur aut distringantur'') nach eigenem Recht (''secundum eorum legem'') gewährt. (§§4-6) Hierauf folgen die schon von Ludwig gegebenen Bestätigungen für Leute, die sich als Rekrutierer oder Rekruten der Kultivierungsarbeit gewidmet haben. Diejenigen, die sich anderen unterstellt haben, bekommen die Freiheit bestätigt zu gehen, wann sie wollen. Diejenigen, die diese Leute zur Kultivierung angeworben haben, bekommen eine Garantie auf den zurückbleibenden Besitz. Nochmals wird bestätigt, dass diejenigen, die (in eigener Regie) Wüstung in Kulturland verwandelt haben, einen Besitzanspruch auf dieses Land haben, das allerdings mit den üblichen Königsdiensten innerhalb der jeweiligen Grafschaft verbunden ist. (§7) Deutlicher als vorher wird geregelt, dass die Eigentümer dieser Ländereien diese verkaufen, austauschen und, im Falle fehlenden Nachwuchses, auch nach dem Erbrecht ihres Gesetzes (''iuxta legem eorum'') an andere Verwandte geben dürfen, ohne dass dabei allerdings die mit diesen Länderein einhergehende Verpflichtung zum Königsdienst verloren gehe. (§8) Neu sind detailliertere Bestimmungen, die den Schutz der Grenzverläufe dieser Ländereien, die freie Entscheidung über deren Nutzung als Wald-, Acker- oder Weideland, ferner auch das Recht zur Veränderung von Wasserläufen betreffen. (§9-10) Nochmals wird wiederholt, dass Geschenke an den ''comes'' nicht zu einer regelmäßigen Abgabe verkommen dürfen und dass das Eintreten in ein vasallitisches Verhältnis grundsätzlich allen freisteht.


== Kontextualisierung, Analyse, Interpretation  ==
== Kontextualisierung, Analyse, Interpretation  ==
Die hier behandelte Serie an Dokumenten kann in eine längere Beziehungsgeschichte der karolingischen Dynastie zu den diesseits und jenseits der Pyrennäen liegenden Gebieten im Südwesten des Frankenreiches eingeordnet werden. Ende des 7. Jahrhunderts, als der Aufstieg der karolingischen Dynastie noch nicht unbedingt absehbar war, standen Septimanien und die Iberische Halbinsel noch unter westgotischer Herrschaft. Die Herzöge von Aquitanien traten nun zunehmend als selbständige Herrscher auf, deren Herrschaftsgebiet sich vor den 720ern bis Poitiers, Bourges und Clermont ausdehnte. Die Anerkennung ihrer Eigenständigkeit schlug sich 718 darin nieder, dass der Herzog Eudo vom fränkischen Merowingerkönig Chilperich II. und dessen Hausmeier Raganfred als ''princeps ''anerkannt, die Einwohner der Region bis 768 in fränkischen Quellen als ''Romani'' bezeichnet wurden.<ref name="ftn10">Claude, Aquitanien, Sp. 829-830.</ref> Mit dem Beginn muslimischer Razzien in diese Gegenden änderte sich die politische Lage allerdings grundlegend. Eudo gelang es zwar, 721 eine muslimische Razzia vor Toulouse zurückzuschlagen, geriet aber so stark in Bedrängnis, dass er sich schließlich der Hilfe des zunehmend autarken karolingischen Hausmeiers Karl Martell bedienen musste.<ref name="ftn11">Vgl. [https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-de/index.php/731:_Die_Chronica_muzarabica_zur_Ehe_des_Berbers_Munnuz_mit_der_Tochter_von_Eudo,_dux_von_Aquitanien 731: Die Chronica muzarabica zur Ehe des Berbers Munnuz mit der Tochter von Eudo, dux von Aquitanien].</ref> Nach der so genannten Schlacht von Tours und Poitiers begannen von karolingischer Seite Versuche, Aquitanien dem Frankenreich zu unterwerfen. Dabei spielte u. a. die Rückeroberung Narbonnes unter Pippin III. (759) eine nicht unbeträchtliche Rolle.<ref name="ftn12">Vgl. [720-759: Das Chronicon Anianense zu Beginn und Ende muslimischer Herrschaft über Septimanien].</ref> Aquitanien wurde unter seinen Herzögen Hunald (regn. 735-745) und Waifar (regn. 745-768) von den Franken systematisch verwüstet und schließlich 768 ins Frankenreich eingegliedert. Um die fränkische Herrschaft zu sichern, wurden zunächst fränkische Bischöfe, Äbte, Grafen und sonstige Getreue in Aquitanien angesiedelt, dann die Erzbistümer Bourges und Bordeaux etabliert, schließlich 781 von Karl dem Großen ein eigenes Unterkönigreich, das ''regnum Aquitaniae'', eingerichtet, dessen erster König Ludwig der Fromme war. Karls Feldzug nach Spanien von 778 hatte ferner zur Folge, dass nicht nur Septimanien, sondern auch die seit dem Feldzug in der ''Hispania'' erworbenen Gebiete um Barcelona, Tortosa etc. mit Aquitanien vereinigt wurden. Sie unterstanden nach Ludwigs Übernahme des Kaiseramtes seinem Sohn Pippin I. von Aquitanien (regn. 814-838). Nachdem der Westen des Frankenreiches 843 im Vertrag von Verdun unter die Herrschaft von Ludwigs Sohn Karl dem Kahlen kam, wurde die Region zum Zankapfel zwischen Letzterem und seinem Neffen, dem Unterkönig Pippin II. von Aquitanien (regn. 838-852/864). Die Region versank zunächst in Chaos und entzog sich dann zunehmend der Herrschaft des westfränkischen Königs.<ref name="ftn13">Claude, Aquitanien, Sp. 829-830.</ref>
[§10] Die hier behandelte Serie an Dokumenten kann in eine längere Beziehungsgeschichte der karolingischen Dynastie zu den diesseits und jenseits der Pyrennäen liegenden Gebieten im Südwesten des Frankenreiches eingeordnet werden. Ende des 7. Jahrhunderts, als der Aufstieg der karolingischen Dynastie noch nicht unbedingt absehbar war, standen Septimanien und die Iberische Halbinsel noch unter westgotischer Herrschaft. Die Herzöge von Aquitanien traten nun zunehmend als selbständige Herrscher auf, deren Herrschaftsgebiet sich vor den 720ern bis Poitiers, Bourges und Clermont ausdehnte. Die Anerkennung ihrer Eigenständigkeit schlug sich 718 darin nieder, dass der Herzog Eudo vom fränkischen Merowingerkönig Chilperich II. und dessen Hausmeier Raganfred als ''princeps ''anerkannt, die Einwohner der Region bis 768 in fränkischen Quellen als ''Romani'' bezeichnet wurden.<ref name="ftn10">Claude, Aquitanien, Sp. 829-830.</ref> Mit dem Beginn muslimischer Razzien in diese Gegenden änderte sich die politische Lage allerdings grundlegend. Eudo gelang es zwar, 721 eine muslimische Razzia vor Toulouse zurückzuschlagen, geriet aber so stark in Bedrängnis, dass er sich schließlich der Hilfe des zunehmend autarken karolingischen Hausmeiers Karl Martell bedienen musste.<ref name="ftn11">Vgl. [https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-de/index.php/731:_Die_Chronica_muzarabica_zur_Ehe_des_Berbers_Munnuz_mit_der_Tochter_von_Eudo,_dux_von_Aquitanien 731: Die Chronica muzarabica zur Ehe des Berbers Munnuz mit der Tochter von Eudo, dux von Aquitanien].</ref> Nach der so genannten Schlacht von Tours und Poitiers begannen von karolingischer Seite Versuche, Aquitanien dem Frankenreich zu unterwerfen. Dabei spielte u. a. die Rückeroberung Narbonnes unter Pippin III. (759) eine nicht unbeträchtliche Rolle.<ref name="ftn12">Vgl. [720-759: Das Chronicon Anianense zu Beginn und Ende muslimischer Herrschaft über Septimanien].</ref> Aquitanien wurde unter seinen Herzögen Hunald (regn. 735-745) und Waifar (regn. 745-768) von den Franken systematisch verwüstet und schließlich 768 ins Frankenreich eingegliedert. Um die fränkische Herrschaft zu sichern, wurden zunächst fränkische Bischöfe, Äbte, Grafen und sonstige Getreue in Aquitanien angesiedelt, dann die Erzbistümer Bourges und Bordeaux etabliert, schließlich 781 von Karl dem Großen ein eigenes Unterkönigreich, das ''regnum Aquitaniae'', eingerichtet, dessen erster König Ludwig der Fromme war. Karls Feldzug nach Spanien von 778 hatte ferner zur Folge, dass nicht nur Septimanien, sondern auch die seit dem Feldzug in der ''Hispania'' erworbenen Gebiete um Barcelona, Tortosa etc. mit Aquitanien vereinigt wurden. Sie unterstanden nach Ludwigs Übernahme des Kaiseramtes seinem Sohn Pippin I. von Aquitanien (regn. 814-838). Nachdem der Westen des Frankenreiches 843 im Vertrag von Verdun unter die Herrschaft von Ludwigs Sohn Karl dem Kahlen kam, wurde die Region zum Zankapfel zwischen Letzterem und seinem Neffen, dem Unterkönig Pippin II. von Aquitanien (regn. 838-852/864). Die Region versank zunächst in Chaos und entzog sich dann zunehmend der Herrschaft des westfränkischen Königs.<ref name="ftn13">Claude, Aquitanien, Sp. 829-830.</ref>


Wenn Karl der Große, Ludwig der Fromme und schließlich Karl der Kahle versuchten, die oben beschriebenen Regelungen für ''Hispani ''zu treffen, so sind diese in den weiteren Rahmen karolingischer Bemühungen einzuordnen, direkte Königsherrschaft über ein Gebiet auszuüben, das noch nicht unter fester königlicher bzw. kaiserlicher Kontrolle stand und sich seit Karls Spanienfeldzug von 778 zudem in Expansion befand. Dies erklärt, warum in allen hier behandelten karolingischen Dokumenten die rechtliche Immunität der unter direktem Königsschutz stehenden hispanischen Siedler eine so zentrale Rolle einnimmt. Das Eintreten für diese Siedler ist als wiederholte Demonstration königlicher Macht zugunsten einer Gruppe zu sehen, die dem König – anders als der lokale Adel – direkt Loyalität schuldeten.
[§11] Wenn Karl der Große, Ludwig der Fromme und schließlich Karl der Kahle versuchten, die oben beschriebenen Regelungen für ''Hispani ''zu treffen, so sind diese in den weiteren Rahmen karolingischer Bemühungen einzuordnen, direkte Königsherrschaft über ein Gebiet auszuüben, das noch nicht unter fester königlicher bzw. kaiserlicher Kontrolle stand und sich seit Karls Spanienfeldzug von 778 zudem in Expansion befand. Dies erklärt, warum in allen hier behandelten karolingischen Dokumenten die rechtliche Immunität der unter direktem Königsschutz stehenden hispanischen Siedler eine so zentrale Rolle einnimmt. Das Eintreten für diese Siedler ist als wiederholte Demonstration königlicher Macht zugunsten einer Gruppe zu sehen, die dem König – anders als der lokale Adel – direkt Loyalität schuldeten.


Nicht weniger wichtig ist, dass die Bemühungen der hier behandelten karolingischen Könige in den Prozess der Entstehung einer fränkisch-andalusischen Grenzzone einzuordnen sind, deren Anfänge, Entwicklung und Funktionieren Philippe Sénac schon ausführlich untersucht hat.<ref name="ftn14">Sénac, ''Les Carolingiens et al-Andalus''.</ref> Vielleicht ging es schon Karl dem Großen in seinem ''Praeceptum'' von 812 nicht nur um ein Vorgehen gegen die Ausbeutung, Unterdrückung und gar Vertreibung angesiedelter Immigranten, sondern um den Schutz und Erhalt einer Strukturmaßnahme, die er zur Etablierung einer gesicherten Grenzzone nach seinem spanischen Feldzug 778 initiiert hatte. Hierfür spräche auch, dass er in Aquitanien 781 ein eigenes Unterkönigtum einrichtete.<ref name="ftn15">Vgl. [812: Eine Anweisung Karls des Großen bezüglich immigrierter ''Hispani'']. </ref> Bei den von Ludwig dem Frommen 815 und 816 erlassenen zwei ''Constitutiones'' handelt es sich dann sehr deutlich um ein Gesamtprogramm der Strukturierung dieser fränkisch-andalusischen Grenz- und Expansionszone. Ludwig, der ja als Unterkönig von Aquitanien viel mit dieser Region zu tun gehabt hatte, setzte mit dieser Gesamtregelung des Rechtsstatus von Einwanderern nochmals klare Anreize, um das nach der Eroberung Barcelonas 801 gewachsene karolingische Grenzgebiet stärker zu besiedeln.  
[§12] Nicht weniger wichtig ist, dass die Bemühungen der hier behandelten karolingischen Könige in den Prozess der Entstehung einer fränkisch-andalusischen Grenzzone einzuordnen sind, deren Anfänge, Entwicklung und Funktionieren Philippe Sénac schon ausführlich untersucht hat.<ref name="ftn14">Sénac, ''Les Carolingiens et al-Andalus''.</ref> Vielleicht ging es schon Karl dem Großen in seinem ''Praeceptum'' von 812 nicht nur um ein Vorgehen gegen die Ausbeutung, Unterdrückung und gar Vertreibung angesiedelter Immigranten, sondern um den Schutz und Erhalt einer Strukturmaßnahme, die er zur Etablierung einer gesicherten Grenzzone nach seinem spanischen Feldzug 778 initiiert hatte. Hierfür spräche auch, dass er in Aquitanien 781 ein eigenes Unterkönigtum einrichtete.<ref name="ftn15">Vgl. [[812: Eine Anweisung Karls des Großen bezüglich immigrierter Hispani]]. </ref> Bei den von Ludwig dem Frommen 815 und 816 erlassenen zwei ''Constitutiones'' handelt es sich dann sehr deutlich um ein Gesamtprogramm der Strukturierung dieser fränkisch-andalusischen Grenz- und Expansionszone. Ludwig, der ja als Unterkönig von Aquitanien viel mit dieser Region zu tun gehabt hatte, setzte mit dieser Gesamtregelung des Rechtsstatus von Einwanderern nochmals klare Anreize, um das nach der Eroberung Barcelonas 801 gewachsene karolingische Grenzgebiet stärker zu besiedeln.  


In Ludwigs ''Constitutiones'' werden die angesiedelten Immigranten sehr viel konkreter zu Siedlern mit einer ausdrücklichen Verpflichtung zu Königsdienst, Wehrdienst und Spionage. Sie sollten also anscheinend als Bollwerk gegenüber dem umayyadischen al-Andalus genutzt werden, zu dem die Beziehungen mittlerweile etwas schlechter waren: Aus al-Andalus kamen, anders als noch unter Karl dem Großen, keine Dissidenten mehr ins Frankenreich. Ferner hatte Ludwig der Fromme 815 den von Karl mit al-Ḥakam I. (regn. 180-206/796-822) ausgehandelten Frieden gebrochen, weil er, so die ''Annales Regni Francorum'', den Franken als “nachteilig” galt.<ref name="ftn16">''Annales Regni Francorum / Annales qui dicuntur Einhardi'', ed. Georg Heinrich Pertz und Friedrich Kurze (MGH SS rer. Germ. in us. schol. 6), Hannover: Hahn, 1895, a. 815, S. 143: „Pax, quae cum Abulaz rege Sarracenorum facta et per triennium servata erat, velut inutilis rupta et contra eum iterum bellum susceptum est.“</ref> Hieran konnte wohl auch eine 816 an Ludwigs Hof geschickte umayyadische Gesandtschaft nichts ändern.<ref name="ftn17">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze (MGH SS rer. Germ. in us. schol. 6), a. 816, S. 144: „Ibi commoratus legatos Abodritorum et de Hispania legatos Abdirahman filii Abulaz regis ad se missos suscepit.“; ibid., a. 817, S. 145: „Legati Abdirahman, filii Abulaz regis Sarracenorum, de Caesaraugusta missi pacis petendae gratia venerunt, et Compendio ab imperatore auditi Aquasgrani eum praecedere iussi sunt. (…) Legati etiam Abdirahman, cum tribus mensibus detenti essent et iam de reditu desperare coepissent, remissi sunt.“</ref> Folglich erhielt Ludwig der Fromme auch in arabisch-islamischen Quellen, u. a. beim wichtigsten Chronisten des umayyadischen al-Andalus, Ibn Ḥayyān (gest. 469/1076), eine schlechte Presse als Friedensbrecher und Aggressor.<ref name="ftn18">Ibn Ḥayyān, ''Al-Sufr al-ṯānī min kitāb al-muqtabis'' [II-1], ed. Maḥmūd Makkī, Riyad: Markaz al-malik Fayṣal li-l-buḥūṯ wa-l-dirāsāt al-islāmiyya, 2003, fol. 100a, S. 130: „fa-lam yaṭul amr hāḏā as-salm baynahumā ḥatta halaka aṭ-ṭāġiya Qārluh sanna iḥdā wa-tisaʿīn wa-mi’a āḫiruhā, wa-waliya makānahu ibnuhu Luḏwīq b. Qārluh, fa-intaqaḍa as-salm al-maḏkūr, wa-waqadat ḥarb al-Firanǧa.“ „Dieser Frieden zwischen den beiden hielt allerdings nicht lange, nämlich nur bis der Tyrann Qārluh am Ende des Jahres 191/806 [''sic''] starb. Seinen Platz an der Herrschaft nahm sein Sohn Luḏwīq b. Qārluh ein. Dieser beendete den erwähnten Vertrag, so dass wieder Krieg mit dem Frankenreich ausbrach.“ Übersetzung von Daniel G. König. Vgl. König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 193.</ref> Ludwigs auf 830 datierter Brief an die Christen von Mérida könnte in diesem Zusammenhang als Zeugnis für den anhaltenden Wunsch dieses Kaisers gesehen werden, weitere Gebiete auf der Iberischen Halbinsel zu unterwerfen. Schließlich enthält dieser Brief ein Angebot, die Christen von Mérida gegen den umayyadischen ''amīr'' ʿAbd al-Raḥmān II. zu unterstützen, ferner eine Einladung an sie, sich doch in der spanischen Mark, also dem auch in den ''Constitutiones'' behandelten Gebiet, unter sehr guten Konditionen und weitestgehender Tributfreiheit anzusiedeln.<ref name="ftn19">Ludovicus I. imperator Emeritanos, in: Einhartus, ''Epistola 12'', ed. Karl Hampe (MGH Epp. 5: Epistolae Karolini aevi 3), Berlin: Weidmann, 1899, S. 116: „Nam certos vos facimus, quod, si ab illo vos avertere et ad nos convertere volueritis, antiqua libertate vestra plenissime et sine ulla diminutione vobis uti [concedimus] et absque censu vel tributo inmunes vos esse permittimus et non aliam legem, nisi qua ipsi vivere volueritis, vos tenere iubemus, nec aliter erga vos agere volumus, nisi ut vos amicos et socios in defensione regni nostri honorifice habeamus.“</ref> Interessant an diesem Brief ist dabei, dass Ludwig die Herrschaft unter den Emiren al-Ḥakam I. und ʿAbd al-Raḥmān nicht immer als schlecht beschreibt, sondern nur betont, dass Letztere durch eine Steuererhöhung die christlichen Einwohner von Mérida „aus Freunden zu Widersachern, aus Willfährigen zu Gegnern und Aufsässigen“ gemacht hätten.<ref name="ftn20">Ludovicus I. imperator Emeritanos, in: Einhartus, ''Epistola 12'', ed. Karl Hampe (MGH Epp. 5: Epistolae Karolini aevi 3), Berlin: Weidmann, 1899, S. 115: „Sicut et patrem eius Abolaz fecisse conperimus, qui iniustis superpositionibus censum, cuius debitores non eratis, sibi vos solvere cogebat et propter hoc de amicis inimicos et de obedientibus sibi contrarios atque inobedientes effecerat“. Vgl. König, Charlemagne’s ‚Jihād‘ Revisited, S. 24-25.</ref> Man kann sich also fragen, ob an dem Hof des Kaisers mit dem Beinamen „der Fromme“ nicht auch gezielt ein christlich-muslimischer Religionsgegensatz aufgebaut wurde, der sich auch in anderen Quellen aus Ludwigs Umfeld finden lässt: Sein Hofpoet Ermoldus Nigellus hatte z. B. durchaus schon die Gottes- und Christusferne der Sarazenen angeprangert und als Legitimation für das militärische Vorgehen gegen sie dargestellt.<ref name="ftn21">Ermoldus Nigellus, ''Carmen in honorem Ludovici Pii'', ed. Ernst Dümmler (MGH Poetae latini carolini aevi 2), Berlin: Weidmann, 1884, v. 281, S. 13: „Si gens ita deum coleret, Christoque placeret, / Baptismique foret unguine tincta sacri, / Pax firmanda esset nobis, pax atque tenenda, / Coniugi ut possit relligione deo. / Nunc vero execranda manet, nostramque salutem / Respuit, et sequitur daemonis imperia. / Idcirco hanc nobis pietas miserata tonantis / Servitii famulam reddere namque valet“; siehe Kedar, ''Crusade and Mission'', S. 7. Vgl. hierzu allerdings auch Bade, Vorstellungen, S. 89-119, bes. S. 100-103.</ref>
[§13] In Ludwigs ''Constitutiones'' werden die angesiedelten Immigranten sehr viel konkreter zu Siedlern mit einer ausdrücklichen Verpflichtung zu Königsdienst, Wehrdienst und Spionage. Sie sollten also anscheinend als Bollwerk gegenüber dem umayyadischen al-Andalus genutzt werden, zu dem die Beziehungen mittlerweile etwas schlechter waren: Aus al-Andalus kamen, anders als noch unter Karl dem Großen, keine Dissidenten mehr ins Frankenreich. Ferner hatte Ludwig der Fromme 815 den von Karl mit al-Ḥakam I. (regn. 180-206/796-822) ausgehandelten Frieden gebrochen, weil er, so die ''Annales Regni Francorum'', den Franken als “nachteilig” galt.<ref name="ftn16">''Annales Regni Francorum / Annales qui dicuntur Einhardi'', ed. Georg Heinrich Pertz und Friedrich Kurze (MGH SS rer. Germ. in us. schol. 6), Hannover: Hahn, 1895, a. 815, S. 143: „Pax, quae cum Abulaz rege Sarracenorum facta et per triennium servata erat, velut inutilis rupta et contra eum iterum bellum susceptum est.“</ref> Hieran konnte wohl auch eine 816 an Ludwigs Hof geschickte umayyadische Gesandtschaft nichts ändern.<ref name="ftn17">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze (MGH SS rer. Germ. in us. schol. 6), a. 816, S. 144: „Ibi commoratus legatos Abodritorum et de Hispania legatos Abdirahman filii Abulaz regis ad se missos suscepit.“; ibid., a. 817, S. 145: „Legati Abdirahman, filii Abulaz regis Sarracenorum, de Caesaraugusta missi pacis petendae gratia venerunt, et Compendio ab imperatore auditi Aquasgrani eum praecedere iussi sunt. (…) Legati etiam Abdirahman, cum tribus mensibus detenti essent et iam de reditu desperare coepissent, remissi sunt.“</ref> Folglich erhielt Ludwig der Fromme auch in arabisch-islamischen Quellen, u. a. beim wichtigsten Chronisten des umayyadischen al-Andalus, Ibn Ḥayyān (gest. 469/1076), eine schlechte Presse als Friedensbrecher und Aggressor.<ref name="ftn18">Ibn Ḥayyān, ''Al-Sufr al-ṯānī min kitāb al-muqtabis'' [II-1], ed. Maḥmūd Makkī, Riyad: Markaz al-malik Fayṣal li-l-buḥūṯ wa-l-dirāsāt al-islāmiyya, 2003, fol. 100a, S. 130: „fa-lam yaṭul amr hāḏā as-salm baynahumā ḥatta halaka aṭ-ṭāġiya Qārluh sanna iḥdā wa-tisaʿīn wa-mi’a āḫiruhā, wa-waliya makānahu ibnuhu Luḏwīq b. Qārluh, fa-intaqaḍa as-salm al-maḏkūr, wa-waqadat ḥarb al-Firanǧa.“ „Dieser Frieden zwischen den beiden hielt allerdings nicht lange, nämlich nur bis der Tyrann Qārluh am Ende des Jahres 191/806 [''sic''] starb. Seinen Platz an der Herrschaft nahm sein Sohn Luḏwīq b. Qārluh ein. Dieser beendete den erwähnten Vertrag, so dass wieder Krieg mit dem Frankenreich ausbrach.“ Übersetzung von Daniel G. König. Vgl. König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 193.</ref> Ludwigs auf 830 datierter Brief an die Christen von Mérida könnte in diesem Zusammenhang als Zeugnis für den anhaltenden Wunsch dieses Kaisers gesehen werden, weitere Gebiete auf der Iberischen Halbinsel zu unterwerfen. Schließlich enthält dieser Brief ein Angebot, die Christen von Mérida gegen den umayyadischen ''amīr'' ʿAbd al-Raḥmān II. zu unterstützen, ferner eine Einladung an sie, sich doch in der spanischen Mark, also dem auch in den ''Constitutiones'' behandelten Gebiet, unter sehr guten Konditionen und weitestgehender Tributfreiheit anzusiedeln.<ref name="ftn19">Ludovicus I. imperator Emeritanos, in: Einhartus, ''Epistola 12'', ed. Karl Hampe (MGH Epp. 5: Epistolae Karolini aevi 3), Berlin: Weidmann, 1899, S. 116: „Nam certos vos facimus, quod, si ab illo vos avertere et ad nos convertere volueritis, antiqua libertate vestra plenissime et sine ulla diminutione vobis uti [concedimus] et absque censu vel tributo inmunes vos esse permittimus et non aliam legem, nisi qua ipsi vivere volueritis, vos tenere iubemus, nec aliter erga vos agere volumus, nisi ut vos amicos et socios in defensione regni nostri honorifice habeamus.“</ref> Interessant an diesem Brief ist dabei, dass Ludwig die Herrschaft unter den Emiren al-Ḥakam I. und ʿAbd al-Raḥmān nicht immer als schlecht beschreibt, sondern nur betont, dass Letztere durch eine Steuererhöhung die christlichen Einwohner von Mérida „aus Freunden zu Widersachern, aus Willfährigen zu Gegnern und Aufsässigen“ gemacht hätten.<ref name="ftn20">Ludovicus I. imperator Emeritanos, in: Einhartus, ''Epistola 12'', ed. Karl Hampe (MGH Epp. 5: Epistolae Karolini aevi 3), Berlin: Weidmann, 1899, S. 115: „Sicut et patrem eius Abolaz fecisse conperimus, qui iniustis superpositionibus censum, cuius debitores non eratis, sibi vos solvere cogebat et propter hoc de amicis inimicos et de obedientibus sibi contrarios atque inobedientes effecerat“. Vgl. König, Charlemagne’s ‚Jihād‘ Revisited, S. 24-25.</ref> Man kann sich also fragen, ob an dem Hof des Kaisers mit dem Beinamen „der Fromme“ nicht auch gezielt ein christlich-muslimischer Religionsgegensatz aufgebaut wurde, der sich auch in anderen Quellen aus Ludwigs Umfeld finden lässt: Sein Hofpoet Ermoldus Nigellus hatte z. B. durchaus schon die Gottes- und Christusferne der Sarazenen angeprangert und als Legitimation für das militärische Vorgehen gegen sie dargestellt.<ref name="ftn21">Ermoldus Nigellus, ''Carmen in honorem Ludovici Pii'', ed. Ernst Dümmler (MGH Poetae latini carolini aevi 2), Berlin: Weidmann, 1884, v. 281, S. 13: „Si gens ita deum coleret, Christoque placeret, / Baptismique foret unguine tincta sacri, / Pax firmanda esset nobis, pax atque tenenda, / Coniugi ut possit relligione deo. / Nunc vero execranda manet, nostramque salutem / Respuit, et sequitur daemonis imperia. / Idcirco hanc nobis pietas miserata tonantis / Servitii famulam reddere namque valet“; siehe Kedar, ''Crusade and Mission'', S. 7. Vgl. hierzu allerdings auch Bade, Vorstellungen, S. 89-119, bes. S. 100-103.</ref>


Somit lässt sich behaupten, dass sich während der Herrschaftsperiode dreier Karolingerherrscher eine immer klarer werdende Grenze zwischen umayyadischem al-Andalus und fränkischem (West-)Reich herausbildete: Die chaotischen Zustände in der Herrschaftsperiode Karls des Großen hatten Menschen animiert, sich aus der umkämpften Grenzzone in sicherere Gebiete zu begeben. Diese sollten nun zu Zeiten Ludwigs des Frommen als Bollwerk gegen, vielleicht gar als Sprungbrett in das umayyadische al-Andalus ausgebaut und mit Hilfe von Steueranreizen stärker besiedelt und damit auch gesichert werden. Dieser Ausbau ging gleichzeitig mit einer stärkeren ideologischen Abgrenzung einher, die sich in mehreren Quellen, u. a. auch in Ludwigs ''Constitutiones ''von 815 und 816, niederschlägt: Hier wie auch anderswo wird ein Kontrast zwischen Freiheit unter fränkisch-christlicher und Unterdrückung unter dem Joch sarazenischer Herrschaft aufgebaut. Karl der Kahle, der trotz mehrfachen Gesandtenaustauschs mit den Umayyaden<ref name="ftn22">Sénac, ''Les Carolingiens et al-Andalus'', S. 107-109. Unter Karl dem Kahlen fand allerdings 841 auch nochmals eine letzte, die Pyrenäen kreuzende muslimische Razzia in die Umgebung von Narbonne statt, vgl. ibid., S. 101-105. Zur arabisch-islamischen Dokumentation Karls des Kahlen vgl. König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 193-194, 196-197, 241, 254.</ref> diese Abgrenzungsrhetorik in seinem ''Praeceptum'' von 844 bedenkenlos übernahm, scheint gar nicht mehr viel mit Immigration zu tun gehabt zu haben, sondern versicherte sich unter wörtlicher Wiederverwendung vieler Floskeln aus der ''Constitutio prima'' Ludwigs der Loyalität einer rechtlich und wirtschaftlich relativ autonomen Bevölkerungsgruppe, die an der Grenze zum umayyadischen al-Andalus in und um Barcelona lebte und damit zum Nucleus des zukünftigen Kataloniens werden sollte.<ref name="ftn23">Zur Gesamtentwicklung der diplomatischen Beziehungen zwischen dem umayyadischen al-Andalus und dem bzw. den Frankenreich(en), siehe Sénac, ''Les Carolingiens et al-Andalus''. Zur den Anfängen Kataloniens siehe Zimmermann, Datation; Zimmermann, Origines.</ref>|6=''Constitutio de Hispanis in Francorum regnum profugus prima'' (1. Jan. 815), ed. Alfredus Boretius (MGH Leges, Capitularia regum Francorum 1), Hannover: Hahn, 1883, n. 132, S. 261-263.
[§14] Somit lässt sich behaupten, dass sich während der Herrschaftsperiode dreier Karolingerherrscher eine immer klarer werdende Grenze zwischen umayyadischem al-Andalus und fränkischem (West-)Reich herausbildete: Die chaotischen Zustände in der Herrschaftsperiode Karls des Großen hatten Menschen animiert, sich aus der umkämpften Grenzzone in sicherere Gebiete zu begeben. Diese sollten nun zu Zeiten Ludwigs des Frommen als Bollwerk gegen, vielleicht gar als Sprungbrett in das umayyadische al-Andalus ausgebaut und mit Hilfe von Steueranreizen stärker besiedelt und damit auch gesichert werden. Dieser Ausbau ging gleichzeitig mit einer stärkeren ideologischen Abgrenzung einher, die sich in mehreren Quellen, u. a. auch in Ludwigs ''Constitutiones ''von 815 und 816, niederschlägt: Hier wie auch anderswo wird ein Kontrast zwischen Freiheit unter fränkisch-christlicher und Unterdrückung unter dem Joch sarazenischer Herrschaft aufgebaut. Karl der Kahle, der trotz mehrfachen Gesandtenaustauschs mit den Umayyaden<ref name="ftn22">Sénac, ''Les Carolingiens et al-Andalus'', S. 107-109. Unter Karl dem Kahlen fand allerdings 841 auch nochmals eine letzte, die Pyrenäen kreuzende muslimische Razzia in die Umgebung von Narbonne statt, vgl. ibid., S. 101-105. Zur arabisch-islamischen Dokumentation Karls des Kahlen vgl. König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 193-194, 196-197, 241, 254.</ref> diese Abgrenzungsrhetorik in seinem ''Praeceptum'' von 844 bedenkenlos übernahm, scheint gar nicht mehr viel mit Immigration zu tun gehabt zu haben, sondern versicherte sich unter wörtlicher Wiederverwendung vieler Floskeln aus der ''Constitutio prima'' Ludwigs der Loyalität einer rechtlich und wirtschaftlich relativ autonomen Bevölkerungsgruppe, die an der Grenze zum umayyadischen al-Andalus in und um Barcelona lebte und damit zum Nucleus des zukünftigen Kataloniens werden sollte.<ref name="ftn23">Zur Gesamtentwicklung der diplomatischen Beziehungen zwischen dem umayyadischen al-Andalus und dem bzw. den Frankenreich(en), siehe Sénac, ''Les Carolingiens et al-Andalus''. Zur den Anfängen Kataloniens siehe Zimmermann, Datation; Zimmermann, Origines.</ref>|6=''Constitutio de Hispanis in Francorum regnum profugus prima'' (1. Jan. 815), ed. Alfredus Boretius (MGH Leges, Capitularia regum Francorum 1), Hannover: Hahn, 1883, n. 132, S. 261-263.


''Praeceptum primum pro Hispanis qui in regno Francorum manebant'', ed. Etienne Baluze, Pierre de Chiniac de la Bastide du Claux (Hrsg.), Capitularia Regum Francorum: Capitularia Ludovici Pii, imperatoris, Paris: Quillau, 1789, Sp. 549-552.
''Praeceptum primum pro Hispanis qui in regno Francorum manebant'', ed. Etienne Baluze, Pierre de Chiniac de la Bastide du Claux (Hrsg.), Capitularia Regum Francorum: Capitularia Ludovici Pii, imperatoris, Paris: Quillau, 1789, Sp. 549-552.
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