"Parzival" im Deutschunterricht (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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Dieser Artikel beschäftigt sich mit der in der Forschung oft diskutierten Frage, ob mittelalterliche Literatur, und in diesem Fall der Parzival Wolframs von Eschenbach, im heutigen Deutschunterricht einen Platz finden kann und soll. Die Arbeit mit mittelhochdeutschen Quellen wird oft gescheut, da hierfür zunächst notwendige Kenntnisse einer weiteren Sprachstufe des Deutschen vermittelt werden müssten. Deshalb wird oft auf Prosaversionen zurückgegriffen, wie das Jugendbuch Parzival von Auguste Lechner für die Klassenstufen 6-8. In der gymnasialen Oberstufe wird häufig Adolf Muschgs Der Rote Ritter behandelt. Im Folgenden soll ein Einblick in historische und aktuelle Forschungsperspektiven gegeben werden, die sich mit der Behandlung des Parzival-Stoffes im Rahmen des Deutschunterrichts beschäftigen.


Einführung

In seinem Aufsatz Mittelalterliche Literatur im Deutschunterricht betont Werner Wunderlich insbesondere die Funktion von Literatur als "Form ästhetischer und geschichtlicher Wahrnehmung". [1] Dies legt nahe, dass sich gerade die Artusepik, die sich mit der Gesellschaft des Mittelalters auseinandersetzt, zur Rekonstruktion vergangener Welten eignen kann. Mittelalterliche Literatur wirft Fragen auf, die sich um das "Verhältnis zwischen Autor und Publikum, zwischen literarischen Einzelerscheinungen, literarischen Gattungen und sozialem Leben" drehen. [2] Schülerinnen und Schüler bekommen durch den Literaturunterricht so Einblick in die Wurzeln einer Literatur, die "politische Prozesse, soziale Entwicklung und historische[n] Wandel spiegelt und zugleich ermöglicht". [3] Die Alterität dieser mittelalterlichen Welt und ihrer Figuren kann so unter anderem einen Einblick in vergangene Identitätskonzepte geben und zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den heutigen anregen. Der Parzival Wolframs von Eschenbach eignet sich für diese Annäherung hervorragend, da er nicht nur einen identitätssuchenden Protagonisten behandelt, sondern auch zahlreiche weitere Figuren, die sich an der Gesellschaft des Mittelalters abarbeiten.

Der Beitrag von Erika Essen

Mit dem Beitrag Gegenwärtigkeit mittelhochdeutscher Dichtung im Deutschunterricht eröffnete Erika Essen in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen Einblick in eine mögliche Herangehensweise an den Parzival. Sie beschreibt einen "Arbeitsplan" für die gymnasiale Oberstufe und betont dabei, "dem Schüler Einblicke in geistesgeschichtliche Betrachtungsweisen zu vermitteln". [4] Essen wählt den Parzival aufgrund seines "dichterischen Charakter[s]" [5] aus. Obwohl sie es für unabdingbar hält, eine Prosaversion als einführende Lektüre zu behandeln, besteht sie auf der Arbeit mit dem mittelalterlichen Text in der Unterrichtspraxis. Allerdings sieht sie den Parzival nur für die Oberstufe vor, hebt aber hervor, dass "die Schüler in der Lage waren, sich in den Text der Dichtung mehr und mehr einzuleben, so daß die Betrachtung der entscheidenden Stellen sich ausschließlich mit dem mittelhochdeutschen Text befassen konnte". [6] Ihr Arbeitsplan sieht nun vor, dass sich die Schüler, anhand des mittelalterlichen Textes, mit prägnanten Textstellen der Bücher I-V, sowie VI-XVI befassen. Diese "sinnerschließende[n] Schwerpunkte" [7] sollen noch einmal das Ziel verdeutlichen, Einblick in eine mittelhochdeutsche Dichtung, und nicht Wirklichkeit, zu nehmen. [8] Anhand verschiedener Themenbereiche, die im Parzival abgearbeitet werden, soll nun die dichterische Welt verdeutlicht werden. Dies sind die folgenden Themen: Räume und Orte, Zeit, Lebensformen, Personen. [9] Mit dieser Vorgehensweise wird ermöglicht, ein Grundgerüst der Handlung zu erlangen. Der Arbeitsplan schreitet nun fort und begibt sich auf eine erste Metaebene mit der Betrachtung des Diskurses. Essen schlägt eine Analyse der Wendepunkte im Parzival vor, die unter anderem folgende wichtige Stellen behandelt: Kundries Erscheinen vor der Tafelrunde, Parzivals Gespräch mit Trevrizent, Parzivals Kampf mit Feirefiz, Parzivals Frage an Anfortas. [10] Diese Analyse stellt den Weg Parzivals, der die Frage nach seiner Schuld beinhaltet, in den Vordergrund. Eine abschließende Betrachtung erfährt bei Essen der Gral, den sie als zentrales Element in der gesamten Dichtung ansieht. Anhand einer Untersuchung von Textstellen, die sich mit dem "Symbol des Grals" [11] befassen, will sie den Schülerinnen und Schülern aufzeigen, dass im Parzival keine endgültige Deutung möglich ist.

Ina Kargs "Klassenlektüre eines Klassikers"

Einen modernen Ansatz der Betrachtung eines Klassikers liefert Ina Karg. Ihr kritischer Blick arbeitet sich an der didaktischen Forschung der Vergangenheit ab und kommt zu der Erkenntnis, dass "Wolframs Sensationsgeschichte [...] eher die Reputation eines schwierigen, heutigen Jugendlichen kaum zugänglichen und nur pflichtmäßig zu behandelnden Textes" hat. [12] Sie stellt in der Folge Lesebücher vor, die ihrer Meinung nach den Versuch zeigen, "das Immergültige eines literarischen Textes zu zeigen und zu retten" [13] und die unter anderem zu dieser schlechten Reputation führten. [14]
Kargs moderner Ansatz liegt nun darin begründet, dass sie gesellschaftliche Diskurse aus dem Parzival herausgreift. Sie will "Themen, wie beispielsweise die Fremde, die Herrschaft, die Natur, die Liebe oder die Frauendarstellungen - und was damit für den heutigen Umgang im Literaturunterricht, jenseits inhaltlicher und didaktisch-methodischer Stereotypen anzufangen ist" präsentieren. [15] Hieran ist der deutlich größere Zusammenhang erkennbar, in den sie den Parzival stellt und in dem sie die Aktualität für Jugendliche begründet sieht. Karg ordnet den Klassiker zugleich in einen Literaturkanon ein und vergleicht ihn anhand bestimmter Diskurse mit anderen Klassikern. Das so wichtige Thema der "Toleranz" nimmt sie als Anlass, Parzival mit Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise zu vergleichen. [16] Des Weiteren befasst sie sich mit dem "Herrschafts"-Begriff und führt einen Vergleich mit William Goldings Der Herr der Fliegen an. [17] Um die wichtige Rolle der Frau in den Mittelpunkt zu rücken, vergleicht sie Theodor Fontanes Effi Briest mit Parzival. [18]

Fazit

Die vorgestellten Herangehensweisen zeigen zwei unterschiedliche Wege auf, mit dem Parzival im Literaturunterricht Deutsch zu arbeiten. Es muss natürlich berücksichtigt werden, dass der Forschungsstand der Literaturwissenschaft und der Fachdidaktik zur Zeit der Abfassung des Beitrags von Erika Essen noch nicht mit dem heutigen zu vergleichen ist. Allerdings stellt sie eine fundierte Möglichkeit vor, mit der Originalversion zu arbeiten. Ihr Arbeitsplan eröffnet den Schülerinnen und Schülern einen Gesamtüberblick über das Werk, was bei dessen Umfang unabdingbar ist. Mit der Behandlung der Wendepunkte, und damit der Schuldfrage Parzivals, gibt sie zudem einen Einblick in eine vieldiskutierte Frage, die die Forschung heute noch beschäftigt.
Ina Karg versucht demgegenüber, den Parzival in aktuelle und vergangene Diskurse einzuordnen. Ihr Ziel ist es, dem Klassiker seine verloren gegangene Reputation im Schulunterricht wiederzugeben und ihn für heutige Jugendliche zugänglich zu machen. Sie erkennt die Wichtigkeit, die fachdidaktische Forschung der literaturwissenschaftlichen anzupassen, denn "es wäre vermessen zu glauben, es könne je eine allseits befriedigende Situtation eintreten, in der sozusagen die Parzival- [...]forschung an ihr Ende gekommen wäre." [19]
Jedoch ist festzustellen, dass diese Wendung noch nicht eingetreten ist, anthroposophische Herangehensweisen der Waldorfschulen davon ausgenommen. Die beiden fachdidaktischen Betrachtungen zeigen, dass Parzival in die Schule gehört - zum einen weil er ein grundlegendes dichterisches Werk darstellt, zum anderen weil er sich in aktuelle und vergangene Gesellschaftsdiskurse eingliedern lässt. Dies sind zwei Postulate, denen Literaturunterricht an der Schule gerecht werden sollte.


Literaturverzeichnis

  • Essen, Erika: Gegenwärtigkeit mittelhochdeutscher Dichtung im Deutschunterricht. Ansätze und Betrachtungsweisen im Deutschunterricht, Heidelberg 1967.
  • Karg, Ina: ...und waz si guoter lêre wernt... Mittelalterliche Literatur und heutige Literaturdidaktik, in: Beiträge zur Geschichte des Deutschunterrichts, hg. v. Prof.Dr.Dr Joachim S. Hohmann, Frankfurt a.M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1994 (Bd. 35).
  • Wunderlich, Werner: Mittelalterliche Literatur im Deutschunterricht, in: Handbuch Deutschunterricht, Band 2 Literaturdidaktik, hg. v. Peter Braun und Dieter Krallmann, Düsseldorf 1983, S. 279-298.

Anmerkungen

  1. Wunderlich 1983: S. 286.
  2. Wunderlich 1983: S. 287.
  3. Wunderlich 1983: S. 287.
  4. Essen 1967, S. 63.
  5. Essen 1967, S. 64.
  6. Essen 1967, S. 68.
  7. Essen 1967, S. 71.
  8. Essen 1967, S. 73.
  9. Essen 1967, S. 73-95.
  10. Essen1967, S. 95-129.
  11. Essen 1967, S. 129.
  12. Karg 1994: S. 259
  13. Karg 1994: S. 261f.
  14. Karg 1994: vgl. S. 259-261.
  15. Karg 1994: S. 264.
  16. Karg 1994: Vgl. S. 264-282.
  17. Karg 1994: S. 282-298.
  18. Karg 1994, S. 314-330.
  19. Karg 1994: S. 334.