Der Prolog (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Gedaehte mans ze guote niht,
von dem der werlde guot geschiht,
sô waere ez allez alse niht,
swaz guotes in der werlde geschiht.(V. 1-4)[1]
Wollte man den nicht hochachten/von dem der Welt Gutes widerfährt,/so wäre alles so viel wie nicht,/was Gutes in der Welt geleistet wird.[2]

Diesen vier ersten Versen folgen weitere 240, die zusammen den Prolog in Gottfried von Straßburgs Tristan bilden.
Beeinflusst von der Tradition der klassisch-lateinischen Rhetorik war der Prolog im Mittelalter die Stelle im Roman, an der der Autor üblicherweise sich und seinen Auftraggeber vorstellte, eine kurze Einführung in das Thema gab und beschrieb, welchen Nutzen die Lektüre des Textes für den Leser haben würde.[3]
„Der Prolog nahm innerhalb der mittelalterlichen Dichtungslehre einen besonderen Rang ein“[Krohn 2008: 15]. Ein Prolog war wichtig für den mittelalterlichen Schreiber, hier konnte er seine „poetische Kraft frei entfalten“, hatte „Raum für Individualität, Gelegenheit für Erklärungen und Adressen, für Grundsätzliches und Theoretisches“[Krohn 2008: ebd]. Oftmals waren nämlich die dem Prolog folgenden Inhalte und Geschichten in vielerlei Hinsicht vorgegebene Stoffe mit zwingenden Mustern in Inhalt oder Form. Als Einleitung trug der Prolog so nicht selten die Gedanken des Autors und hatte oft eine Schlüsselfunktion für die Bedeutung der Geschichte inne.

Aufgrund seines Inhaltes, seines bemerkenswerten Aufbaues und weil man sich außerdem durch die Aufschlüsselung seiner Aussagen mehr Verständnis für den restlichen Text erwartete, gehört der Prolog zu den meistdiskutierten Stellen des Tristan Romans von Gottfried.[4]


Inhalt

Zu Beginn philosophiert der Autor allgemein über das Gute und über seine Tätigkeit und sein Wirken als Künstler.(1-44)
Er erklärt für das Publikum der edelen herzen zu dichten und mit ihm eine Gemeinschaft zu bilden. Das Publikum weiß um die Vorteile des Leides, welches bei der Lektüre eine Liebesgeschichte entstehen kann. Ihre Einstellung dem Leid gegenüber vereint Autor und Publikum und schafft eine Harmonie.(45-70)
Im weiteren Verlauf schildert Gottfried, welche Wirkung sein Roman als Liebesgeschichte auf die Leser hat und warum auch ein Liebender sie lesen sollte.(71-122).
Nach einer Erläuterung, warum er gerade den Tristanstoff als Thema seines Romans gewählt habe und wie er bei der Bearbeitung vorgegangen sei,(123-171) betont Gottfried ein weiteres Mal die Wirkung von Liebeserzählungen auf das Publikum.(172-240)
Der Prolog endet mit der Bitte Gottfrieds an sein Publikum, ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Während des gesamten Prolog geht es zudem bereits auch immer wieder um Gottfrieds Definition der minne.

Aufbau und sprachliche Auffälligkeiten

Reimschema

Der Prolog beginnt mit elf Strophen (1-44), die aus jeweils vier Versen bestehen und zwei Reimwörter aufweisen. Die Strophen eins bis fünf sowie die elfte Strophe sind kreuz-, die restlichen Strophen umarmend gereimt.
Es folgen durchgehend stichische Reime (45-244), die einmal kurz vor dem Ende (233-240) von zwei vierzeiligen Strophen unterbrochen werden. Da die Überlieferungslage an dieser Stelle lückenhaft ist, kann der Aufbau der beiden Strophen jedoch nicht als gesichert gelten.[Krohn 2008: 35f]
Das folgende Textbeispiel stellt den beschriebenen Übergang von den umarmenden zu den stichischen Reimen dar:


Vers 41ff.

Trîbe ich die zît vergebene hin,
sô zîtic ich ze lebene bin,
sône var ich in der werlt sus hin
niht sô gewerldet,alse ich bin.
Ich hân mir eine unmüezekeit
der werlt ze liebe vür geleit
und edelen herzen z'einer hage,
den herzen, den ich herze trage,
der werlde, in die mîn herze siht. (V. 41-49)
Wenn ich meine Zeit unnütz vertrödelte,/obwohl ich doch reif bin zum Leben,/dann wäre ich in dieser Welt/noch so sehr ein Teil der Gesellschaft, wie ich es tatsächlich bin./Ich habe mir eine Aufgabe vorgenommen-/zum Nutzen der Welt/und zur Freude edler Herzen,/jener Herzen, für die mein Herz schlägt,/und jener Welt, in die mein Herz blickt.[5]

Akrostichon

Die ersten Strophen weisen außerdem hervorgehobene Initialen auf. Sie bilden das Akrostichon DIETERICH[6] und den Auftakt zu einem, den ganzen Roman durchziehenden Kryptogramm. Im weiteren Verlauf des Romans tauchen immer wieder solche Initialen auf, die in einem verschachtelten System weitere Namen, etwa den des Autors Gotefrid, darstellen.[7]

Wortwiederholungen und Paradoxien

Auffallend sind zudem die Häufungen von bestimmten Wörtern in einzelnen Teilen des Prologes, etwa gout zu Beginn, in der Mitte sene und am Ende leben.[8]
Außerdem finden sich eine Vielzahl an Paradoxien im Prolog. So stellt Gottfried im letzten Teil Leben und Tod gegeneinander: Die Begriff der "edelen herzen" (Gottfried von Straßburg, Tristan) leben und sind gleichzeitig tot, wobei ihr Tod den Lebenden hilft zu leben. (V. 239f.) Weitere Paare sind etwa liebe/leit (V. 62f.) und wunne/clage (V. 213).


Forschungsüberblick

Wie bereits erwähnt, gehört der Prolog zu den meistdiskutierten Stellen im Tristanroman. So haben unter anderem die Verse elf und zwölf sowie die Interpretation der Bedeutung von 'edlen herzen (47) eine eigene Forschunsgeschichte.[9]
Generell lassen sich in der Forschungsmeinungen vier Richtungen ausmachen:[10]
Während etwa Arthur Hatto[11] der Ansicht ist, zumindest der strophische Prolog habe überhaupt keine Aussage, erkennt Albrecht Schöne[12] im dem Textstück vor allem ethnische-, Helmut Brinkmann[13] wirkungsästhetischen Inhalte. Eine vierte Gruppe wiederrum sucht einen Deutungs-Mittelweg.


Fazit

Der Prolog ist der eindrucksvolle Auftakt des "Tristan". Er ist deshalb von Bedeutung, weil Gottfried hier Grundzüge seiner Philosophie anklingen lässt und dem Leser hilft, seinen Roman besser zu verstehen. In seiner kunstvollen Gestaltung bietet der Prolog außerdem einen Einblick in die folgende Geschichte sowie die Grundlage für das Kryptogramm.

Anmerkungen

  1. Sämtliche im Folgenden zitierte Versangaben stammen aus: Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Band 1-3. Stuttgart 1980
  2. Übersetzung nach [Krohn 1980]
  3. Zum Prolog im Mittelalter allgemein vgl. etwa Brinkmann 1966[FOu
  4. [Krohn 2008: 15] Siehe dazu auch Kapitel 3.
  5. Übersetzung nach [Krohn 1980]
  6. Vermutlich ein Hinweis auf den Auftraggeber des Werkes siehe dazu den Artikel zum Kryptogramm im Tristan
  7. Vgl. etwa: Fourquet 1973; Schirok 1984; Huber 2000, S. 27ff.
  8. Vgl. dazu: [Schöne 1973: 152ff.]; Zur Bedeutung von gout vgl. etwa: Peschel 1976, S. 28-3 u. 46-49.
  9. Zu den Versen elf und zwölf vgl. etwa Quint 1966, S. 71ff.; Winkelmann 1980, S. 244ff. Zur Definition der edelen herzen vgl. etwa die umfangreiche Problematisierung in Krohn 2008 ,S. 25ff, auch Mazzadi 2000, S. 66ff.
  10. Vgl. dazu die Erläuterungen von Keck 1998, S. 186ff.
  11. Vgl. Hatto 1976.
  12. Vgl. Schöne 1973.
  13. Vgl. Brinkmann 1966


Literatur

Textausgabe

Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn, Band 1-3, Stuttgart 1980.

Forschungsliteratur

Brinkmann, Hennig: Der Prolog im Mittelalter als literarische Erscheinung, in: Studien zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Bd.2, Düsseldorf 1966, S. 79-105.

Fourquet, Jean: Das Kryptogramm des „Tristan“ und der Aufbau des Epos, in: Gottfried von Straßburg, hg von Alois Wolf, Darmstadt 1973 (WdF, 320), S. 362-370.

Hatto, Arthur: Instruction, in, Gottfried. Tristan, in: hg. von Hatto, Arthur Harmondsworth 1976, S. 1-35.

Huber, Christoph: Gottfried von Straßburg. Tristan und Isolde. Eine Einführung, Berlin 2000.

Keck, Anna: Die Liebeskonzeption der mittelalterlichen Tristanromane. Zur Erzähllogik der Werke Bérouls, Eilharts, Thomas‘ und Gottfrieds, München 1998 (Beihefte zur Poetica, 22).

Krohn, Rüdiger: Kommentar zu Gottfried von Straßburg: Tristan. Band 3, Stuttgart 2008.

Mazzadi, Patrizia: Autorreflexion zur Rezeption: Prolog und Exkurse in Goffrieds “Tristan“, Trieste 2000 (Quaderni di Hesperides. Serie Saggi 2).

Peschel, Gerd-Dietmar: Prolog Programm und Fragment-Schluß in Gofrits Tristanroman, Erlangen 1976 (Erlanger Studien, 9).


Quint, Josef: Ein Beitrag zur Textinterpretation von Gottfrieds Tristan und Wolframs Parzival. I. Zu Tristan v. 11-12. II: Der Gralstein in Wolframs Parzival und der Paradiesstein im Strassburger Alexander, in: Festschrift Helmut de Boor zum 75. Geburtstag am 24. März 1966, Tübingen 1966, S. 71-91.

Schirok, Bernd: Zu den Akrosticha in Gottfrieds Tristan. Versuch einer kritischen und weiterführenden Bestandsaufnahme, in: ZdA, in: 113 (1984), S. 188-213.

Schöne, Albrecht: Zu Gottfrieds Tristan-Prolog, in: Gottfried von Straßburg, hg, von Alois Wolf, Darmstadt 1973 (WdF, 320), S. 147 -181.

Winkelmann, J.H.: „Das ist des lützelen ze vil“. Zur Erkenntnisproblematik in Gottfrieds Tristanroman, in: Neophil., in: 64 (1980), S. 244-261.