Die Struktur des Doppelwegs: "Parzival" und "Erec" im Vergleich

Aus MediaeWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die Doppelwegstruktur ist typisch für einen Artusroman. Das Vorzeigebeispiel dieser Struktur ist der Artusroman 'Erec' von Hartmann von Aue. Ob der Doppelweg auch die bestimmende Struktur in Wolfram von Eschenbachs 'Parzival' ist, gilt es zu klären. Dafür wird das Strukturmodell des "Erecs" dem des "Parzivals" gegenübergestellt. Es soll zum einen inhaltlich, zum anderen anhand der Grobstrukturen der Texte aufgezeigt werden, ob die Doppelwegstruktur, die Kuhn bei "Erec" entdeckt hat, das passende Strukturmodell ist.

Zunächst wird die Doppelwegstruktur definiert. Darauf folgt eine Analyse der Struktur von 'Erec' und von 'Parzival'. Zum Schluss werden die Modelle gegenübergestellt.

Die Struktur des Doppelwegs

Die Doppelwegstruktur „beschreibt die Makrostruktur des Textes als zweiteilige (Doppelweg),wobei der zweite Teil der Handlung in sich erneut eine klare Zweiteilung aufweist (doppelter Kursus), deren Achse (Zwischeneinkehr) die Hälfte als parallel zueinanderangeordnet kenntlich macht.[Breulmann 2009: S.35]

Das Strukturmodell des Artusromans mit der zentralen Doppelung des Aventiurewegs, in dessen Mitte sich ein Scheingewinn zu Verlust und Krise ausweitet und vor dessen Ende der eigentliche Wiedergewinn und die Harmonisierung mit der höfischen Gesellschaft steht (...)“[Wolfzettel 1999: S.119], so beginnt Friedrich Wolfzettel seinen Text „Doppelweg und Biographie".

Nach Schulz: Zu Beginn gewinnt der Agent durch seine erste Aventüre eine Frau, mit der er Minne eingeht. Der Ritter zerstört das Gleichgewicht von Minne und Rittertum. Sein Verfehlen wird in der ersten Aventüre aufgezeigt, da er entweder der Minne oder dem Rittertum zu sehr zugeneigt ist. Die Folge ist eine Krise. Bei einer zweiten Aventürefahrt muss sich der Held beweisen. Wobei die letzte Aventüre besonders das Verfehlen der ersten Aventüre aufgreift. Durch das Bestehen der letzten Aventüre wird der Lernprozess des Helden deutlich. Am Ende bleibt das Glück bestehen.Für den Artusroman und den Doppelweg ist die Unterscheidung von höfischer Welt, bei der der Artushof das Zentrum bildet, und nicht-höfischer Welt, alles außerhalb des Artushofes, wichtig. Die höfische Weltordnung zerbricht durch ein nicht-höfisches Ereignis.Der Protagonist versucht sie wiederherzustellen.[Schulz 2012: vgl.S.243/44]

Die Struktur des 'Erecs' bei Kuhn

In diesem Abschnitt werden die inhaltlich wichtigen Punkte des Erecs aufgezeigt, sowie das Modell von Kuhn dargestellt.

Die Geschehnisse im 'Erec' im Überblick

Erec wird zu Beginn des Buches während der Jagd auf den weißen Hirsch vor den Augen der Königin Ginover gedemütigt. Den Übeltäter verfolgt Erec unbewaffnet. Als er an dem Ort angekommen ist, an dem der Übeltäter lebt nächtigt er in einer Ruine. Dort lernt er Enite kennen, eine arme Adlige. Ihr Vater stellt Erec alles Notwendige zu Verfügung, so dass Erec am Sperber mitstreiten kann, an dem auch der Übeltäter teilnimmt. Allerdings muss sich Erec dafür mit Enite verloben. Den Sperberpreis gewinnt Erec und er kann die Schande tilgen. Zurück am Artushof heiratet er Enite. Danach reisen er und Enite nach Karnant, in das Land seines Vaters. Die beiden 'verligen' und die Harmonie zwischen Minne und Rittertum wird zur Seite der Minne hin zerstört. Deswegen begeben sich Erec und Enite gemeinsam auf eine Aventürefahrt. Auf der Fahrt stirbt Erec fast, doch ein Aufschrei von Enite erweckt ihn aus seinem Koma. Erst nachdem Erec Mabonagrin, den Ritter der 'Joi de la curt', besiegt und er die 80 Damen, die Frauen besiegter Ritter des Mabonagrins, zum Arthushof führt hält die verlorene Hofesfreude wieder Einzug.

Das Modell von Kuhn

Hugo Kuhn fasst den 'Erec', das „Jugendwerk eines wachsenden Dichters“ [Kuhn Hugo (1973): S.17], in zwei Hauptteile: „I Geschichte Erecs und Enites bis zu Hochzeit – II die spätere Abenteuerfahrt des Paares, nach Handlung und Zeit völlig getrennt, nur durch die Einheit der Hauptpersonen damit verbunden.“[Kuhn 1973: S.18]

Der erste Teil soll aus vier Geschichten bestehen: (1) Die Jagd auf den weißen Hirsch, (2) die Zwergenbeleidgung, (3) der Sperberpreis und (4) die arme Herberge in Tulmein.[Kuhn 1973:S.18ff] Am Ende des ersten Teil hat Erec eine Dame, die unglaubliche schöne Enite, für sich gewonnen. Er und Enite reisen nach Karnant. Dort 'verligen' die beiden allerdings, was die Hofesfreude raubt und den Ruhm kostet. [Kuhn 1973:S.19ff] Deswegen begeben sie sich auf Abenteuerfahrt um ihren Ruhm wiederzuerlangen. Der zweite Handlungszyklus, der ein doppelter Kursus ist, kann durch die Tabelle von Schulz aufgezeigt werden.

A: ungemach, Arbeit für Erec und Enite B: Vreude
(1) Doppeltes Räuberabenteuer
(2) Graf Galoeinl (5) Graf Oringles
(3) Guivreiz (6) Guivreiz
(7) Joi de la curt
(4) Zwischeneinkehr am Hof (8) Schlußeinkehr am Hof

[Schulz 2012: Vgl.S.248]

Kuhn kann durch die Doppelungen und die Steigerungen, die im 'Erec' existieren, eine Struktur erkennen, die seine Interpretation des Werkes stützt, wenn nicht sogar ermöglicht. Die Doppelwegstruktur ist zwingend für die Interpretation des Werks. An ihr wird der Lernprozess des Protagonisten deutlich.

Das Fazit zu dem Modell von Kuhn

Das Modell von Kuhn des 'Erec' basiert auf einer höfischen Krise. Der zentrale Handlungsraum ist der Artushof. Es handelt sich nur um einen Protagonisten, Erec. Das Werk ist klar in zwei Handlungszyklen aufgeteilt, die inhaltlich durch Doppelungen aufeinander verweisen. Der zweite Zyklus ist durch eine Zwischeneinkehr geprägt und wird dadurch wiederum zweigeteilt. Durch das Fehlverhalten des Helden, Erec 'verligt' mit seiner Enite, wird die Harmonie zwischen Minne und Rittertum zerstört und damit geht die Hofesfreude verloren. Der höfische Fauxpas wird außerhalb der höfischen Welt auf einer Aventürefahrt ausgemärzt. Der Held riskiert dabei sogar sein Leben und scheint alles zu verlieren. Am Ende gelingt es ihm seine Ehre wieder zu erlangen und die Harmonie dauerhaft zu erhalten. Thematisch handelt 'Erec' von der Beziehung des Helden und seiner Partnerin.[Haug 1990: vgl S.491]

Die Struktur des 'Parzivals'

In diesem Kapitel wird auf inhaltliche und strukturelle Probleme des 'Parzivals' verwiesen und ein Modell für die zwei Handlungszyklen vorgeschlagen.

Die Probleme im 'Parzival'

Die Strukturanalyse beim 'Parzival' ist nicht nur wegen der Größe des Werks schwerer, sondern das Werk bricht in vielerlei Hinsicht den Rahmen der Doppelwegstruktur.

(1) Denn sowohl Erec, der als Vergleich dient, und Iwein sind junge Männer und gehören bereits dem Altersbereich der 'adolescentia' an. Der von ihnen beschriebene Werdegang liegt zwischen der 'adolescentia' bis hin zur 'iuventus. Der übliche Rahmen der Doppelwegstruktur scheint demnach vom Jüngling bis hin zu einem jungen Mann zu sein. Parzivals Geschichte beginnt bereits vor seinem Leben mit einer elterlichen Vorgeschichte. Es ist möglich Parzivals Werdegang von Geburt an bis hin zum jungen Mann zu verfolgen. Daher kann 'Parzival' als ein Entwicklungsroman (mehr dazu Entwicklungsroman) verstanden werden.

(2) Dazu kommt, dass die Krise Parzivals kein Fehlverhalten in der Minne oder dem Rittertum darstellt. Mertens sagt über Parzival: Parzival erfährt vom Artushof keine Anerkennung, wie Erec oder Iwein. Deswegen sei nicht die Wiederholung der Vater-Taten auf höhrem Niveau (Treue) der Sinn seiner Aventüre. Parzivals Verfehlung bezieht sich nicht auf das Verhältnis von Herreschaft und Parterin, sondern auf ein Neues. Ein weiteres Merkmal dafür, dass die Krise bei 'Parzival' nicht ein Missverhältnis von Rittertum und Minne ist, ist seine Aufnahme in die Tafelrunde. Denn obwohl Parzival die Mitleidsfrage bei Gurnemanz versäumt hat, also eine Probe nicht bestanden hat, wird er feierlich in die Tafelrunde aufgenommen. [Mertens 2007: vgl. S.122-126]

Zwar verkörpert Parzival noch nicht das Bild eines höfischen Ritters, was wohl an seiner späten ritterlichen Erziehung liegen könnte (mehr dazu Erziehung der Mutter und Erziehung durch Gurnemanz), doch das ist nicht das zentrale Fehlverhalten Parzivals, sondern sein Zweifel an Gott und seine Schulden, die Trevrizent nennt, sind es. (3) Ebenso wird der Handlungsraum verlagert. Der Arthushof ist nicht der zentrale Handlungsraum. Es geschieht zwar viel in dem Raum des Artushofes und Parzival wird dort Ritter, aber die Gralsgesellschaft bildet das Zentrum.

(4) Eine weitere Problematik ist, dass Parzival nicht in allen Büchern die Hauptperson ist. Wie bereits weiter oben erwähnt, gibt es eine elterliche Vorgeschichte, sie umfasst die ersten zwei Bücher. Die Hauptperson dieser Bücher ist Gahmuret. In den folgenden Büchern wechseln Parzival und Gawan die Rolle des Protagonisten. Parzival ist in den Büchern III-V, IX und XIV-XVI die Hauptperson. Gawan nimmt diese Rolle in den Büchern VII-VIII sowie X-XIV ein. In dem letzten Buch kann aber auch Feirefiz, Parzivals Halbburder, als Hauptperson gesehen werden.

(5) Bei Erec und Iwein lässt sich dir Krise durch Kämpfen beheben. Parzival kann den Gral aber nicht erkämpfen, er muss auf die Gnade Gottes hoffen. [Mertens 2007: vgl. S.142]

Diese fünf Probleme scheinen einen Vergleich nicht Stand zu halten. Darum werden zunächst die Fehlerquellen analysiert.

Die Lösung der Probleme

Haug sagt dazu folgendes: (1) Der erste Zyklus beginnt mit Parzival am Artushof. Dort stellt Parzival die Ehre des Hofes wieder her, indem er den Roten Ritter tötet, der davor die Ordnung am Hof gestört hat. Allerdings ist Parzival noch kein Prototyp eines höfischen Ritters, sondern er gilt als 'tump'. Folglich würde die Vorgeschichte wegfallen und auch die Kindheit von Parzival, denn Parzival ist bereits in der 'adolescetia'. (2) Bis zur Aufnahme Parzivals in der Tafelrunde im VI Buch entwickelt sich Parzival zu einem höfisch vollendeten Ritter, er vereint Rittertum und Minne. Weder gegenüber seiner Frau noch dem Rittertum verhält er sich falsch. (3) Darum verlagert sich die Krise von der höfischen Vollendung hin zu einer religiösen Spähre, die ihren eigenen Raum hat.[Haug 1990: vgl. S.490ff]

Damit konnte bereits drei der Probleme (1-3) beseitigt werden.

(4) Stellt sich noch die Frage, ob Parzival der Hauptheld ist und wie die Gawan-Bücher ins Bild passen? Parzival wird mehrere Male vom Erzähler als Hauptheld betitelt: dem man dirre âventiure giht' '(V 4,25), dem diz maere wart erkoren(V112,12), er ist diss maeres sachewalte(V 112,17). Am eindrucksvollsten ist wohl das Ende des XIII Buch vor dem Wechsel von Gawan zurück zu Parzival. Dort heißt es "an den rehten stam diz maere ist komn" (V 678,30).[Heinzle 2011: vgl. S.415]

Heinzle verweist auf weitere Quellen, die Gawan mit Parzival identisch setzen, Gawan als anderes ich von Parzival verstehen oder Gawan als Parzival auf der Ritterebene sehen. Die Gawan-Episoden sollen sogar das Strukturschema des Doppelwegs stellvertretend fortführen. [Heinzle 2011: vgl S.416] Gawan absolviert die klassische Karriere des arthurischen Helden. [Mertens 2007: S.136]

(5) Bei Parzivals letzten Kampf greift Gott ein, um sein Leben zu retten. Es ist also nicht das Kämpfen, dass Parzival zum Gral führt, sondern Gottesgande. Das Problem kann nicht von Parzival durch Kämpfen behoben werden.

Die ersten vier Probleme können behoben werden, nur das fünfte Problem kann nicht behoben werden. Trozdem werden die zwei Handlungszyklen bestimmt, um zu prüfen, ob wenigstens die Form eingehalten wurde.

Das Modell von Volker Mertens

1. Handlungszyklus: Soltane -> Artusritter -> Jeschute -> Artus I (Ither) -> Gurnemanz -> Condwiramurs -> Gral (versagen) -> Jeschute -> Artus II (Cundrie) [Mertens 2007: S.127]

2. Handlungszyklus: Artus II (Parzival, Gawan) -> 7. Buch (Gawan) -> 8.Buch (Gawan) -> Zwischeneinkehr bei Trevrizent (Parzival) -> Schatel marveile (Gawan) -> Orgeluse (G) -> Artus III, Kampf Gawan und Parzival -> Kampf mit Feirefiz (Parzival) -> Gralserwähöung, Condwiramurs (Parzival). [Mertens 2007: S.142]

Fazit

Zwar " [bleiben] die Grundlinien des arthurischen Modells bei dieser Abwandlung erhalten, aber sie greift so tief ein, daß man fragen muß, ob das Konzept dabei nicht doch seinem Prinzip nach aus den Angeln gehoben worden ist" [Haug 1992: S.155], wirft Haug ein. Diese Aussage kann so stehen bleiben. Denn betrachten wir das Modell bei Erec, so handelt der Doppelweg von einem jungen Ritter, der eine Frau erwirbt und versucht Rittertum und Minne in Einklang zu bringen, um so das höfische Ideal eines Ritter zu leben. Wolfram nutzt die Struktur nicht für eine Wiederherstellung der Hofesfreude, sondern für die Aussöhnung mit Gott.

Einige Probleme könne aufgehoben werden. So z.B. der Personenwechsel von Gawan und Parzival, auch wenn er in einer solchen Form bei Erec nicht vorhanden ist. Ja sogar Gawan selbst vollzieht selbst eine Art Doppelweg. Ebenso kann die Vorgeschichte gestrichen werden und der erste Handlungszyklus wird erst mit Parzivals adulescentia, die er am Artushof bereits hat, angesetzt an. Doch die Verlagerung der Krise scheint sehr problematisch zu sein. Denn das Verschieben der Krise in einen religiösen Kontext und eine damit verbundene Sinnproblematik kann nicht gelöst werden.

Die Struktur des Doppelwegs mag zwar erfüllt sein, doch er ist in den beiden Werken so unterschiedlich verwendet worden, dass sich es nur der Form nach vergleichen lässt. Es scheint fast so, als würde Wolfram die Struktur des Doppelwegs von 'Erec', der bereits im Iwein durch die Verlagerung der Zwischeneinkehr leicht abgewandelt wurde, auf ein neues Niveau hebt. Wolfram bleibt nicht auf der Ebene Rittertum und Minne. Das Problem seines Helden liegt auf höherer Ebene und die Beziehung höfischer Ritter und Gott führen in eine Krise. Die aber nur durch die Gnade Gottes gelöst werden kann.

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

[Wolfram von Eschenbach 2003] Wolfram von Eschenbach: Parzival, nach der Ausgabe Karl Lachmanns, revidiert und kommentiert von Eberhard Nellmann, übertragen von Dieter Kühn, Frankfurt a.M. 2006.

Sekundärliteratur

[*Schulz 2012] Schluz, Armin (2012): Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, Berlin: de Gruyter.

[*Heinzle 2011] Heinzle, Joachim: Wolfram von Eschenbach ein Handbuch - 1: Autor, Werk, Wirkung, Berlin: de Gruyter.

[*Breulmann 2009] Breulmann, Julia (2009): Erzählstruktur und Hofkultur, Münster: Waxmann.

[*Mertens 2007] Mertens, Volker (2007): Der deutsche Artusroman, Stuttgar: Reclam.

[*Wolfzettel 1999]Wolfzettel, Friederich (1999): Doppelweg und Biographie. In: Erzählstrukturen der Artusliteratur. Forschungsgeschichte und neue Ansätze, hrsg. Wolfzettel, Friedrich, Tübingen: Niemeyer.

[*Haug 1992] Walter, Haug (1992): Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrunderts, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

[*Haug 1990] Walter Haug (1990): Die Symbolstruktur des höfischen Epos und ihre Auflösung bei Wolfram vom Eschenbach (1971). In: Strukturen als Schlüssel zur Welt, kleine Schriften zur Erzählliteratur des Mittelalters, Walter Haug, Niemeyer Verlag: Tübingen.

[*Kuhn 1973] Kuhn Hugo (1973): >Erec<. In: Hartmann von Aue, hrsg. Kuhn, Hugo und Cormeau, Christoph, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.