Französisch im Tristan (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Im Tristan wird an mehreren Stellen die Fremdsprache Französisch verwendet. Allgemein fällt dabei auf, dass es sich immer um einen einfachen Wortschatz handelt und falls nicht, eine Übersetzung hinzugefügt wird. Das Französische dient also nicht dazu, ungebildete Leser abzuschrecken und den Text einem kleinen gebildeten Kreis vorzubehalten. Welchen Sinn und welche Funktion erfüllt das Französische dann? Um dies festzustellen müssen die verschiedene Arten und Situationen der Verwendung unterschieden und untersucht werden.


Sprache des Unbekannten

Es gibt diverse Namensepitheta, die auf französisch sind, z. B. "Melôt petit" (V. 14240), "Urgân li vilûs" (V. 15922)[1] oder "Îsôt la bêle" (V. 19032) und "Îsôt as blanschemains" (V. 19044). Sie dienen dazu, die genannte Person genauer zu beschreiben und können so bei den beiden Isolden zur Unterscheidung dienen. Es wird kein Unterschied zwischen höfischen und weniger höfischen Personen gemacht, was man daran erkennt, dass auch Urgan, Inbegriff der Wildheit, ein französisches Namensepitheta trägt.

Bei der Vorstellung der Künste, die Tristan beherrscht, werden auch oft französische Fachtermini benutzt. Das zeigt sich zum Beispiel in der Jagdszene, in der Tristan den Bewohnern Cornwalls die französische Art und Weise einen Hirsch zu zerlegen lehrt und dabei die französischen Fachbegriffe "enbesten" (V. 2813), "furkîe"(V.2926) und "curîe" (V.2961) verwendet. Diese Art einen Hirsch zu zerlegen und zum Hofe zu tragen erscheint den Iren fremdartig und lobenswert (V.2930) und sie sind so fasziniert von dieser fremden Kultur, dass sie ihn mit an den Hof nehmen. Auch im Bereich der Musik werden französische Fremdworte für französische Dichtungs- und Liedarten verwendet, z. B. singt Isolde nach der Ausbildung durch Tristan "ir pasturêle,/ ir rotruwange und ir rundate,/ schanzûne, refloit und folate" (V.8072-8074). Hier wird durch die französischen Fachworte die Exquisität und Fremdartigkeit der Sitte ausgedrückt. Da Parmenien geographisch gesehen im Bereich des heutigen Frankreichs liegen muss, ist es nicht verwunderlich, dass die von dort stammenden Künste mit französischen Namen bezeichnet werden.


Des Weiteren finden Begrüßungen oder Segenswünsche oft mit französischen Worten statt. So wird Tristan in Cornwall von den Pilgern mit: "deû sal, bêâs amîs!" (V. 2681) begrüßt und Tristan antwortet mit "dê benîe/ si sainte companîe!" (V. 2685/2686). Als Tristan das erste Mal vor Marke steht, begrüßt er ihn mit "dêu sal le roi et sa mehnîe." (V. 3259) Beim Aufeinandertreffen von Fremden dient das Französische also als formale und offizielle Begrüßungsformel, die die Distanz zwischen den Sprechern ausdrückt.[Zotz 2002: 119]

Es lässt sich also sagen, dass das Französische in diesen Fällen als Fremdsprache gebraucht wird, um das Aufeinendertreffen unterschiedlicher Kulturen und Sprachen zu symbolisieren. Durch die französischen Fachbegriffe wird die französische Herkunft der kulturellen Errungenschaften aufgezeigt. Außerdem konnte Gottfried von Straßburg schlecht sämtliche im Ausland spielenden Szenen in Fremdsprachen erzählen, deshalb steht das Französische hier stellvertretend für alle nicht deutschen Sprachen, die Tristan beherrscht, unabhängig davon, ob sie in Irland, England oder Cornwall spielen. Diese Fremdsprachenverwendung ist auch unabhängig vom Stand der Angesprochenen, denn sowohl mit den Pilgern als auch mit dem König wird Französisch gesprochen.

Französisch als emotionale Sprache

Es gibt aber noch weitere Situationen, in denen das Französiche verwendet wird, obwohl hier keine Personen aus verschiedenen Kulturkreisen aufeinander treffen. So sind Lobpreise oder Totenklagen auf Französisch, zum Beispiel als Tristan am Hofe Markes hochgelobt wird mit dem Lied "Tristan, Tristan li Parmenois/ cum est bêâs et cum cûrtois!" (V.3363/3364). Ein weiteres Beispiel ist der Lobgesang mit dem Isolde in Cornwall empfangen wird: "Îsôt, Îsôt la blunde/ marveil de tû le munde." (V.12559/12560). Ein Beispiel für Totenklagen ist der Trauerruf um Morgan: "â noster sires, il est mort!" (V.3484).

In Kampfszenen wird das Französische sowohl als Fachterminus als auch bei Kampfrufen verwendet. Im Kampf gegen Morgan ist die Rede von "michel crôieren" der "massenîe": "schevelier Parmenîe!/Parmenîe schevalier!" (V.5574-5577) und am Ende kommt es zur "schunfentiure" (V.5609).

Französisch kann auch als Bekräftigung einer Aussage gebraucht werden, so zum Beispiel wird dem Erstaunen, als Tristan am Hofe Markes seinen Namen nennt, von einem Anwesenden mit dem Ausruf: "dêus adjût" (V.3137) Ausdruck verliehen. Als Tristan zur Jagd ausgeschickt wird, auch am Hofe Markes, antwortet er: "â bon eure [...]/ daz lât alsô sîn." (V.3202/3203) und dann: "allez avant!" (V.3205). In der Badeszene bittet Tristan Isolde nicht einfach um Gnade, sondern ruft auf Französisch aus "merzî, bêle Îsôt!" (V.10202).

In all diesen Beispielen greift die Erklärung, das Französische symbolisiere die Fremdsprache, nicht, weil die Personen genauso gut deutsch sprechen könnten. Die Sprecher befinden sich jedes Mal in aufregenden Situationen und drücken diese Emotion auf Französisch aus. Die Wichtigkeit der Szenen wird auch für den Leser durch das Französische hervorgehoben, da diesen der Registerwechsel aufhorchen lässt.


Französisch als Sprache der Liebenden

Neben diesen sich durch den ganzen Roman ziehenden Verwendungen des Französischen gibt es auch einzelne Stellen, die durch französische Fachtermini hervorgehoben werden. In "la fossiure a la gent amant" (V.16700), der Minnegrotte, wird die Idylle der Liebenden beschrieben mit "galnder unde nahtegal/ die begunden organieren,/ ir gesinde salûieren." (V.17354-17356) und genauso wie die Vögel verhalten sich auch die Liebenden, "diu dâ schantoit und discantoit/ ir schanzūne und ir refloit" (V.17371,17372) und der Hirsch kommt "zer fontaine/ ûf Tristandes plaine" (V.17345/17346). Diese Häufung auf 30 Versen unterstreicht die Exquisität des Ortes.


Später, als Tristan und Isolde getrennt leben und Tristan sich in seinen Liedern an sie erinnert, wiederholt er leitmotivisch immer wieder einen Satz, fast wie eine Beschwörungsformel:


Îsôt ma drûe, Îsôt m'amie,
en vûs ma mort, en vûs ma vie! (V.19213/191214)


Dieser Satz drückt das gesamte Sehnen Tristans aus und fasst in zwei Versen die wesentliche Bedeutung der Minne zusammen. Er ist aber doppeldeutig, da er sich einerseits auf die reale Tatsache bezieht, dass sein Leben und sein Tod an die blonde Isolde gebunden sind, andererseits Isolde mit den weißen Händen und der gesamte Hofstaat diesen Satz als Liebeserklärung an sie verstehen. Eine ähnliche Zweideutigkeit in einer Liebeserklärung macht Isolde, als sie Tristan klagt, "lameir" (V.11986) täte ihr weh. Französisch wird also auch als Sprache der Liebe und der verschlüsselt verbalisierten Liebe verwendet.

Fazit

Französisch erfüllt im Tristan verschiedene Funktionen. Es kann Ausdruck von Fremdheit sein, wenn damit Fremde begrüßt werden oder unbekannte Dinge oder Personen beschrieben werden, es kann emotionale Momente wie Freude, Trauer oder Kampfeslust ausdrücken oder es kann die rätselhafte Vertrautheit zwischen zwei Liebenden darstellen. Man könnte noch die Kategorie formale Sprache hinzufügen, die sich mit Fremdheit oder Freude und Trauer überschneiden würde. Es lässt sich keine pauschale Aussage über die Verwendung des Französichen treffen, aus den Betrachtungen insgesamt aber sehen, dass Französisch im deutschsprachigen Raum wohl so weit bekannt gewesen sein muss, dass einfache Worte verstanden wurden. Außerdem scheint es die einzige Fremdsprache gewesen zu sein, sonst hätte Gottfried auch Fremdworte aus anderen Sprachen einfließen lassen können. Ursache, warum genau das Französische auftaucht, könnte auch eine französische Vorlage sein.


  1. Alle Zitate nach der unten angegebenen Reclam-Textausgabe [Krohn 2007]



Literaturnachweise

  • [*Krohn 2007] Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn, Bd. 1 u. 2: Text, Bd. 3: Kommentar, 8./9./12. Aufl., Stuttgart 2007-2008 (RUB 4471-4473).
  • [*Zotz 2002] Zotz, Nicola: Sprache des Hofes - Sprache der Liebe. Französisch als Distanzsprache im "Tristan", in: Der "Tristan" Gottfrieds von Straßburg. Hrsg. Christoph Huber u. Victor Millet, Tübingen 2002, S.117-129.