Parmenien (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Küstenlandschaft am Cap de la Chevre, Bretagne.

Parmenien ist das Reich von Tristans Vater Riwalin und Ausgangspunkt der Tristanerzählung Gottfrieds von Straßburg.



Parmenien in der Tristanerzählung

Parmenien ist neben Cornwall und Irland eines der drei Hauptreiche in Gottfrieds Tristanerzählung. Hier wächst Tristan auf (Vgl. V. 1791-2148) und im Laufe der Erzählung kehrt er zweimal wieder dorthin zurück (Vgl. Tristans Rache an Morgan, V. 5069-5866 & Tristans Trauer um Rual und Floraete, V. 18601-18719). Im Gegensatz zu den anderen beiden Ländern ist Parmenien jedoch kein - zumindest heutzutage - real existierender Staat. Auch in der Zeit Gottfrieds, um 1200, ist kein Land oder Teilgebiet eines Staates so benannt. Offenbar handelt es sich also um einen rein fiktiven Staat. Seine Lage lässt sich dennoch anhand einer Vielzahl von Hinweisen aus dem Tristanstoff recht gut bestimmen.

Geographie

Felsige Küste am Pointe du Raz, Bretagne.

Über die geographischen Begebenheiten des Landes erfährt man in der Erzählung selbst zunächst nicht sehr viel. Im einleitenden Kapitel über Riwalin und Blanschflur werden jedoch bereits einige wichtige Details klar: Als Riwalin nach seinem Sieg über Morgan König Marke von Cornwall einen Freunschaftsbesuch abstatten will, wird Riwalin ein Schiff beladen und er reist mit zwelf gesellen über sê (V. 471)[1]. Dadurch ist, wenn auch nicht direkt erwähnt, klar, dass Parmenien von Cornwall durch ein Meer getrennt ist. Ebenso ist davon auszugehen, dass das Land über einen direkten Zugang zum Meer verfügt. Einen weiteren kleinen Einblick in die geographischen Begebenheiten Parmeniens gewährt Gottfried bei Tristans erster Heimkehr. Hier begrüßt Rual li Foitenant seinen Ziehsohn und neuen Herren Tristan mit den Worten:

kieset, hêrre: sehet ir
diz schoene lant bî disem mer?
veste stete, starke wer
und manic schoene castêl: (V. 5190-5193)

Das Land wird also als schön und mit vielen mächtigen Burgen und Städten durchaus wehrhaft besetzt beschrieben. Die wiederholten gegenseitigen Angriffe Riwalins und Morgans auf das jeweils andere Land legen, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Morgan ein Bretone (vgl. V. 232 f.) ist, die Vermutung nahe, dass diese beiden Länder - Parmenien und Bretagne in nicht allzu großer Entfernung zueinander liegen, nicht durch ein Meer voneinander getrennt sind und augenscheinlich sogar direkte Nachbarländer sind.

Kanoel

Das Château de Vitré im Département Ille-et-Villaine. Typische mittelalterliche Burganlage der Bretagne.

Kanoel ist das Schloss Riwalins und der einzige Ort Parmeniens, der in der Erzählung namentlich erwähnt wird:

der vuorte si ze Canoêl
ûf daz selbe castêl,
nâch dem sîn hêrre, als ich ez las,
Canêlengres genennet was,
Canêl nach Canoêle. (V. 1643-1647)

Es ist also davon auszugehen, dass es sich bei Kanoel um Hauptstadt und Regierungssitz Parmeniens handelt. Es wird vom Marschall Rual li Foitenant und dessen Ehefrau Floraete verwaltet. Über die genaue Lage Kanoels im Land ist in der Erzählung wenig zu erfahren. Im Kapitel über Tristans Entführung wird erwähnt, dass das Schiff der Norweger an einem Landeplatz direkt vor dem Schloss ankert (Vgl. V. 2150-2159.), was vermuten lässt, dass Kanoel direkt am Meer liegen bzw. in irgendeiner Form per Wasserweg mit selbigem verbunden sein muss. Für Ersteres spricht, dass Rual und Floraete nâch ir verlornem kinde/ weinen ûf des meres stat (V. 2384 f.). Geht man davon aus, dass die beiden nicht erst eine große Entfernung zu Pferde oder Wagen zurückgelegt haben, um am Strand dem verlorengegangenen Tristan nachzutrauern, würde dies bedeuten, dass Kanoel direkt an der Küste liegt.

Politik und Ökonomie

Da zu Beginn der Erzählung lediglich von hêrre Riwalîn (V. 335) die Rede ist, was soviel wie 'Herr' oder 'Gebieter'[2] meint, so ist die Form seines regierenden Amtes in Parmenien nicht klar. Er ist zwar wol an gebürte künege genôz,/ an lande vürsten ebengrôz, (V. 249 f.), in Wirklichkeit aber weder ein König noch ein Fürst. Somit ist auch nicht eindeutig festzustellen, welche Regierungsform in Parmenien vorherrscht. Klar ist: Es gibt einen einzigen Herrscher, anfangs Riwalin und später Tristan. Zweitmächtigster Mann im Land ist der marschalc, Rual. Aufgrund des zu Beginn erwähnten Reichtums Riwalins (V. 267) sowie des neuen Reichtums durch Tristan[3] ist davon auszugehen, dass Parmenien relativ wohlhabend ist und es dem Volk an materiellem Besitz nicht fehlt.

Tristans Aufenthalte in Parmenien

Tristan lebt und wächst in Parmenien auf, bis er vierzehn Jahre alt ist (Vgl. V. 1791-2148). Nach seiner Entführung (Vgl. V. 2270-2481) und dem Aufenthalt am Hofe Markes in Tintajol (Vgl. V. 3148-5176), kehrt er erstmals als junger Ritter zurück in seine Heimat und befreit diese von dem Widersacher Morgan (Vgl. V. 5177-5866). Als Tristan später wieder nach Parmenien zurückkehrt, muss er den Tod seiner Stiefeltern, Rual und Floraete betrauern (Vgl. V. 18601-18719).

Reale Lokalisierung

Datei:KarteTristan.jpg
Karte der Schauplätze der Tristanhandlung
Karte Frankreichs aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts

Nach der Trennung von seiner Geliebten Isolde segelt Tristan mit dem Schiff Richtung Normandie:

daz êrste schif, daz er dâ vant,
dar în sô kêrte er al zehant
und vuor ze Normandîe,
er und sîn massenîe(V. 18409-18412).

Nach seiner kurzen Söldnertätigkeit in Deutschland beschließt er, nach Parmenien zurückzukehren. Im Text heißt es: dâ hin, von dannen er dar kam,/ hin wider ze Normandîe,/ dannen ze Parmenîe (V. 18612-18614). Über die Normandie will er in sein Heimatland reisen. Parmenien liegt demzufolge nicht in der Normandie, sondern ist wohl dessen Nachbarland. Aufgrund der von Gottfried im Text gestreuten Informationen zu Parmenien kann man davon ausgehen, dass das Land sowohl in direkter Nachbarschaft zur Bretagne, als auch zur Normandie liegt. Folglich müsste es genau zwischen diesen beiden Ländern liegen. Auch Christoph Huber lokalisiert Parmenien im äußersten Nordwesten Frankreichs, im Gebiet des heutigen Départements Bretagne. [Huber 2001: 55.] Kanoel ist in Hubers Karte jedoch nicht an der Küste zu finden, sondern im Landesinnern. Würde man eine aktuelle Karte Frankreichs über Hubers Überblickskarte legen, entspräche die Lage Kanoels etwa dem heutigen Rennes. Bereits zu Zeiten Gottfrieds existierte das Herzogtum Bretagne (duché de bretagne) in nahezu denselben Grenzen wie heute. Das zeigt die Karte Frankreichs aus der zweiten Hälfte des 12. Jh.

Fazit

Das fiktive Land Parmenien lässt sich also mit hoher Wahrscheinlichkeit im äußersten Nordwesten Frankreichs, genauer der Bretagne, lokalisieren. Wichtig bei der Darstellung des Heimatlandes Tristans ist, dass es durch ein Meer von Cornwall getrennt ist. Der Schauplatzwechsel bzw. die Reise per Schiff über Wasser spielt im Tristan eine große Rolle. Daher ist die Bretagne als reales Pendant Parmeniens ideal. Die drei Reiche liegen somit annähernd auf einer Nord-Süd Achse, wobei die beiden 'Nebenschauplätze' Irland und Parmenien den 'Hauptschauplatz' Cornwall/Tintajol in ihrer Mitte einschließen. Auffällig ist hierbei auch, dass die Entfernungen Tintajol-Canoel sowie Tintajol-Dublin in etwa gleich sind.

Literatur

  • Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Band 1-3. Stuttgart 1980.


  • [*Huber 2001] Huber, Christoph: Gottfried von Straßburg: Tristan, 2. Aufl., Berlin 2001 (Klassikerlektüren).


Einzelnachweise

  1. Sämtliche in diesem Artikel zitierte Textangaben aus dem Tristan entstammen dieser Ausgabe: Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Band 1-3. Stuttgart 1980.
  2. Rüdiger Krohn übersetzt es hier zwar mit "Fürst", doch ist das nicht die wörtliche Entsprechung: Gottfried von Straßburg: Tristan, S. 31, V. 335.
  3. Marke verspricht Tristan, Tintajol werde auf ewig sein Schatzhaus sein (V. 4482 f.)