Marjodo (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Marjodo

Zur Herkunft des Namens sei hier einleitend der Stellenkommentar von Rüdiger Krohn zitiert: "Marjodo ist ein keltischer Name, der in bretonischen Sagen auftaucht. Nur die Thomas-Gruppe nennt diese Figur so (oder ähnlich); in der älteren Tradition heißt sie Audret (auch entstellt in Andret). Vgl. Hertz, S. 537. Ein sarkastischer Seitenhieb auf die Praxis des konventionellen Minnedienstes, den Gottfried auch an anderer Stelle (etwa in der Gandin- und in der Truchseß-Episode) spöttisch zitiert." [1]

Marjodos erster Auftritt:

Marjodo findet in Gottfrieds Tristan das erste Mal in Vers 13451 Erwähnung. Er wird im Band 2 mit einem eigenen Kapitel eingeführt (vgl. Gottfried von Straßburg, Tristan Band 2, XX. Marjodo). Das Marjodo Kapitel folgt unmittelbar, nachdem Tristan Isolde vor dem Betrüger Gandin gerettet, und so indirekt zum zweiten Mal erobert hat. Tristan genießt zu dieser Zeit bereits hohes Ansehen am Hof und im ganzen Land und seine heimliche Beziehung zu Isolde ist auf dem Höhepunkt, was Gottfried knapp umschreibt mit:

er und diu küniginne si wâren aber vrô unde vruot, si gâben beide ein ander muot, sô s´iemer beste kunden. (V. 13456-13459)

In dieser vorläufig, idyllischen Zweisamkeit, führt Gottfried seinen Marjodo (In den selben stunden V. 13460) ins Geschehen ein und die Intrigen gegen Tristan und Isolde nehmen ihren Lauf.

Marjodos Traum

Während Tristan in der Nacht einmal mehr, heimlich zu Isolde schleicht, beschreibt Gottfried Marjodos Traum, den dieser in jenem Moment träumt, als sich Tristan aus der gemeinsamen Kammer stiehlt:


der truhsaeze der gesach

in sîme troume, dâ er slief,

einen eber, der ûz dem walde lief,

vreislîch unde vreissam.

Ûf des küneges hof er kampfschauplatzschûmende unde wetzende

und sich ze wîge setzende

ûf allez daz, daz er dâ vant.

Nu kam geloufen al zehant

des hovegesindes michel craft.

Dâ lief michel ritterschaft

umbe den eber her und hin

und enwas doch nieman under in,

der in getorste bestân.

Sus liez er allez hine gân

limmende durch den palas.

Dâ Markes kemenâte was,

dâ brach er zuo den türen in.

Daz sîn bette solte sîn,

daz zewarf er hin unde her.

Mit sînem schûme solget er

daz bette und al die bettewât,

diu küneges bette bestât.

Diz sâhen alle Markes man

und nam sich´z doch ir keiner an.

(V. 13512-13536)


Die prophetische Vorausdeutung der Geschehnisse ist in mittelalterlichen Romanen nichts Ungewöhnliches (vgl. Nibelungenlied, Kriemhilds Falkentraum) und Gottfried macht den Zusammenhang zwischen Marjodos Traum und den Ereignissen noch deutlicher, indem er zuvor Tristans „Herausschleichen“ von seinem Lager zu seiner Geliebten, mit Begriffen aus der Jagdszene umschreibt:

der stal sich tougenlîche dan an sîne strichweide[2] (V. 13486 ff.)

ir stricke, ir melde, ir arbeit [3]

Marjodo träumt von einem schrecklichen Eber, der in den Palast und in die Kammer des Königs eindringt und dort alles verwüstet, die Ritter und Knechte sehen tatenlos zu, keiner wagt gegen den Eber zu kämpfen. Das Tristan mit dem Bild des Ebers gemeint ist, wird mehr als deutlich, nicht nur daran, dass Tristan einen Eber, als Zeichen seiner Kühnheit auf seinem Schild trägt (Vgl. V. 4942). Dies ist ein Hinweis darauf, dass der Traum ganz aus der Sicht Marjodos zu sehen ist, und nicht Gottfrieds eigene Wertung enthält[4] In Marjodos Traum erfüllt der Eber eine andere, mittelalterliche Deutung: er tritt zerstörerisch, verwüstend, und diabolisch auf. Er wird zum Träger einer besitzergreifenden Sexual-Symbolik.

Marjodo und Tristan

Wieder ist es ein Truchseß, den Gottfried als Tristans Wiedersacher aus dem Nichts auftauchen lässt (vgl. Drachenkampf). [5] Diesmal jedoch bleibt er nicht namenlos, es ist Marjodo und er steht anfangs in einer engen, freundschaftlichen Beziehung zu Tristan, (der selbe was Tristande dô gevriunt unde geminne V. 13467) ist sein oberster Truchseß, Gefährte, Vasall des Königs und vornehmer Landbaron. (der was ein edeler barûn, des küneges lantsaeze, sîn oberster truhsaeze V. 13462 ff.) Das Tristan und der Truchseß befreundet, oder sich zumindest freundlich gesinnt sind, zeigt Gottfried deutlich:

si zwêne haeten under in zwein gemeine herberge in eingeführt und wâren gerne ein ander mite. Ouch was des truhsaezen site, wan Tristan schoener maere phlac, daz er´m ie nahtes sô bî lac, daz er bereite hin z´im sprach. (V. 13473-13479)

Sie teilen eine gemeinsame Unterkunft und Marjodo lauscht nachts gerne Tristans Geschichten, was erklärt, weshalb die beiden in ihrer Unterkunft so nahe beieinander liegen, dass sie miteinander sprechen können. Auch schreibt Gottfried: dô haete er mit Tristande vil unde maneger hande rede unde maere getrieben (V. 13481 ff.), was ebenfalls auf das enge und vertraute Verhältnis zwischen dem Truchseß und Tristan hinweist, da sie in der Nacht lange zusammen sprechen und sich Geschichten erzählen.

Nachdem er aus seinem Alptraum erwacht, will Marjodo sich deshalb auch umgehend Tristan mitteilen. Als er ihn nicht in seinem Bett findet, vermutet er sofort Heimlichkeiten und ihn befällt ein gelinder, freundschaftlicher Grimm (ein vriuntlîchez zornelîn V. 13555)

Dass er Tristan trotz aller Freundschaft misstraut und sofort eine Heimlichkeit vermutet, zeigt vielleicht, dass gelegentliche „Intrigen“ am Hofe durchaus nicht unüblich waren. Marjodo ist neugierig, vielleicht hängt seine Neugier auch mit seinem zornelîn zusammen, den er Tristan gegenüber hegt, weil dieser ihn nicht in sein Geheimnis eingeweiht hat. Jedenfalls folgt er Tristans Spuren im Schnee. Zu dieser Zeit hat er bereits den Verdacht, Tristan könne ein Verhältnis mit der Königin haben. Woher dieser plötzliche Verdacht kommt, lässt sich vielleicht anhand Marjodos Traum erklären.

Als er die beiden schließlich erblickt und sich sein Verdacht somit bestätigt, wird noch eine andere Beziehung zu Tristan deutlich. Wie die Höflinge in seinem eigenen Traum fürchtet auch Marjodo Tristans Stärke und wagt nicht ihn direkt anzugreifen (sô zôch in aber Tristan und diu vorhte dervan, die er hin z´ime haete, ob er´m iht leides taete V.13613 ff.). Es wird außerdem deutlich, dass Marjodo Tristan um Isoldes Gunst beneidet (siehe dazu: Marjodo und Isolde), und sein Unmut wird zu Hass und Missgunst. (V. 13637 Der nîdege Marjodo[6]) Auch Tristan bleibt das veränderte Verhältnis ihrer Beziehung nicht verborgen, doch seine Vorsicht kommt zu spät.

Marjodo und Isolde

Auch wenn Marjodo und Tristan anfangs ein gutes, beinahe ein freundschaftliches Verhältnis zueinander haben, so wird bereits bei der ersten Erwähnung Marjodos darauf hingedeutet, dass dies hauptsächlich mit Marjodos Verehrung Isoldes zusammen hängt:

der selbe was Tristande dô gevriunt unde geminne durch die süezen küniginne. Der troug er tougenlîchen muot, als manec man maneger vrouwen tuot, dâ sî sich lützel kêret an. (V. 13466-13471)

Diese wenigen Zeilen dienen außerdem der Erklärung, für Marjodos plötzlichen Gefühlswechsel von Freundschaft zu Hass Tristan gegenüber. Er verehrt Isolde heimlich, ohne die Aussicht, jemals auch nur von ihr beachtet zu werden. Er ist sich wohl dieser Tatsache bewusst und ihre Unerreichbarkeit zürnt ihn erst in dem Moment, als er sie mit Tristan zusammen sieht. Das seine Wut sich hauptsächlich gegen Isolde richtet, verdeutlichen die Verse 13596-13604: Immer wieder wird hier Isoldes Schuld an seinen Gefühlen betont (er haete an ir dô beide haz unde leit, leit unde haz. V. 13602-13603). Er verhält und fühlt sich wie ein gehörnter Liebhaber, als habe Isoldes Ehebruch ihn persönlich getroffen (als ein geleidegeter man V. 13618).

Marjodo und Marke

Aus Angst vor Tristan greift Marjodo zu einer List, er spricht Marke auf Isoldes Betrug an und behauptet, es gäbe Gerüchte über Tristan und Isolde bei Hof, dabei behält er aber für sich, dass er die Wahrheit kennt. Diese Formulierung wählt er, um Tristans Zorn zu entgehen und Marke vorzugaukeln auch andere hätten ein seltsames Verhalten der beiden bemerkt. Die Warnung, Markes Ehe und Ansehen seien in Gefahr, tut ihr übriges und obwohl sich Marke dagegen wehrt, setzen sich der Gedanke und der gestreute Zweifel in ihm fest. Im weiteren Geschehen wird Marjodo zum Berater Markes der immer wieder neue Zweifel streut und die Intriegen für Markes spinnt, Brangäne wird indirekt zu Marjodos Gegenspielerin, da sie über Isolde, stets Marjodos Intrigen erkennt und durch Gegenlisten auflöst.

List und Gegenlist

Das nun folgende Ränkespiel zwischen Marke und Isolde, die beide von ihren jeweiligen Beratern (Marjodo und Brangäne) unterstützt werden, realisiert sich in vier bettemaeren („Bettgesprächen“), die ihrerseits die vier >>Runden<< dieses Schläue-Wettstreits darstellen.[7]

Nachdem Isolde, mit Brangänes Hilfe, Markes und Marjodos List erneut abwehren kann, hält Marke den Truchseß für einen Lügner.

Marjodo und Melot

Nachdem Marke seinen Worten kein Gehör mehr schenkt, sucht Marjodo Hilfe bei dem Zwerg „Klein Melot von Aquitanien“ , der ebenfalls bei Hofe lebt. Er sucht ihn auf, da dieser ein Vertrauter des Königs ist und Zugang zu den Gemächern der Damen hat. Er verspricht dem Zwerg, Marke werde ihm auf ewig dankbar sein, ihn ehren und belohnen, sollte er etwas Verdächtiges an Tristan und Isoldes Verhalten bemerken. Als nun auch Melot seinen Verdacht an Marke heran trägt, nimmt dieser seine Zweifel wieder auf und so wird Tristan der Zutritt zu den Gemächern der Damen zukünftig verwehrt. Erst nach dieser Maßnahme beginnt tatsächlich das Gerede über Tristan und Isolde bei Hofe. Bei den folgenden Bespitzelungen übernimmt Melot ganz die Rolle, die zuvor Marjodo inne hatte.

Marjodos Ende?

In Vers 16317 findet Marjodo bei Gottfried zum letzten Mal Erwähnung, nach Tristans Rückkehr nach Cornwall, wird er von allen in Ehren empfangen, nur Melot und Marjodos Ehrbezeugungen sind aufgesetzt (wan sô vil, daz im Marjodô êre ûzerthalp des herzen bôt V.16316). Allein ihre weitere Anwesenheit bei Hofe und ihr immer noch vorhandener, unterdrückter Groll weisen darauf hin, dass hier noch lange nicht Marjodos unspektakulärer Abgang geplant gewesen war. Entsprechend des vorangehenden, ständig verwendeten Motives der Dopplung (Vgl. Drachenkampf- Kampf Morold, Tristans Verletzungen, List – Gegenlist), ist anzunehmen, dass Marjodo durchaus ein weiterer Auftritt zugedacht gewesen wäre, den Gottfried, aufgrund seines vorzeitigen Todes, nicht mehr umsetzen konnte. Darauf deuten auch die späteren Enden hin. Sowohl in der Fortsetzung von Ulrich von Türheim, als auch in der von Heinrich von Freiberg, hat Marjodo wieder einen Auftritt. Einmal als „Antret“, der die Liebenden erneut ertappt (was der Theorie der Dopplung entgegenkommt), im Zweiten, ebenfalls mit dem Namen „Antret“, fällt er Tristans Rache zum Opfer, der als Narr verkleidet auf ihn einschlägt und ihm so seines Gehörs beraubt.

Fazit

Marjodos Funktion in Gottfrieds Tristan ist die des typischen Bösewichtes, er selbst erfährt durch den betrügerischen Truchsess, der den Sieg über den Drachen für sich beanspruchen will, eine Spiegelung, wie beinahe alle Motive im Text. Allerdings erhält er, durch die Tatsache das Gottfried seinen Namen nennt und er nicht nur als der Truchsess erwähnt wird, mehr Charakter, auch erfährt man ein Teil seiner Motive und ein wenig Vorgeschichte von ihm. Es wäre sicher interessant gewesen zu erfahren, wie Gottfrieds die Geschichte weiter geführt hätte und ob es zu einer erneuten Intriege Marjodos gekommen wäre.


  1. 1Vgl. Gottfried von Straßburg, Tristan Band 3 Kommentar, Stellenkommentar von Rüdiger Krohn.
  2. Vgl. Ebd.: Strichweide übersetzt mit >ausgang aus den fang<, Lexer II. 1236 mit >Jagdgang> (so auch Ganz/Bechstein und Golther). Daß hier wieder ein Begriff aus der Jägersprache für Liebesdinge verwandt wird, ist offensichtlich. Der Kontext legt aber nahe, strichweide hier nicht als den Weg des Jägers, sondern als den des Wildes (zu seiner Weide) zu verstehen (...)
  3. Vgl. Ebd.: melde nennt man das Bellen des Jagdhundes bei der Verfolgung des Wildes. (...)
  4. Vgl. Gottfried von Straßburg, Tristan Band 3 Kommentar, Stellenkommentar von Rüdiger Krohn, S.199
  5. Vgl. Gottfried von Straßburg, Tristan Band 3 Kommentar, Stellenkommentar von Rüdiger Krohn. Gottfried scheint dieses Detail selbst eingeführt zu haben; in der „Saga“ ist nur die Rede von einem „Ratsherren“. Bei Eilhart fehlt die Episode.
  6. Vgl. Gottfried von Straßburg, Tristan Band 3 Kommentar, Stellenkommentar von Rüdiger Krohn, S.200: Funktion Marjodos als „Minnefeind“
  7. Vgl. Gottfried von Straßburg, Tristan Band 3 Kommentar, Stellenkommentar von Rüdiger Krohn, S.201