Memoria im Parzival (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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In diesem Artikel soll die Bedeutung der Memoria in Wolfram von Eschenbachs Parzival untersucht werden. Hierfür soll zu Beginn eine Definition als Grundlage dienen und anschließend verschiedene Textstellen herangezogen werden.

Memorialwesen

Definition

Memoria kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „Gedächtnis“. Es steht als Kürzung für das Memorialwesen, welches ein rituelles Totengedenken bezeichnet. Dieses rituelle Totengedenken ist in unterschiedlichster Art und Weise ausgeprägt. Vor allem handelt es sich hierbei um den christlichen Umgang mit dem Tod.

Todesszenen im Bezug zur Memoria

Im Parzival erhalten die Rezipienten bei verschiedenen Todesszenen einen Einblick in die Memoria. Am detailiertesten wird sie in Gahmurets Todesszene aufgezeigt. Weitere Einblicke, wie bei Ithers Tod oder dem Geliebten von Sigûne, folgen in kürzerer Darstellung. Es wird nicht nur der allgemeine Umgang mit dem Totengedenken aufgezeigt, wie beispielsweise das Begräbnis, sondern auch wie die einzelnen Figuren mit dem Tod umgehen.

Gahmuret

Gahmuret ist ein Ritter, den es immer wieder auf Ritterfahrt zieht. Die Sehnsucht nach Abenteuer und Rittertum resultieren sogar in ein Abkommen, das er mit seiner zweiten Frau Herzeloyde vor ihrer gemeinsamen Hochzeit trifft: Er möchte weiter die Freiheit besitzen, aventiure und Rittertum auszuleben, wenn die beiden verheiratet sind. Eines Tages verlässt er sie, um erneut an barûcs Seite im Orient zu kämpfen. Jedoch wird er in diesem Kampf auf Grund einer List durch Ipomidôn getötet. „Sînen helm versneit des spers ort durch sîn houbet wart gebort“. (106,15-16) Er bleibt zunächst noch im Sattel und reitet auf ein Feld, wo er bei seinem Kaplan die Beichte ablegen kann. Dies stellt ein wichtiges Übergangsritual bei den Christen dar, denn nur so können sie das Leben von ihren Sünden befreit verlassen. Es ist somit die letzte Tat, die der Sterbende vor seinem Tod noch selbst vollbringen kann. So dass „er starp ân alle missetât“. (106,26) Auch das Begräbnis ist von großer Bedeutung. „Prunkvoll wird sein Leichnam im Orient bestattet, in Bagdad, im Zentrum der islamischen Welt (106,29 – 108,28). Der bâruc scheut keine Kosten, man balsamiert den Toten ein, reich wird das Grab verziert [...]“.[Kellner 2009:32] Dem Toten wird also die letzte Ehre gegeben, Geld spielt hierfür keine Rolle. Dies ist von besonderem Wert, da Gahmuret in der Fremde, im Orient stirbt. Wolfram verwendet diesen, um die Identität des Eigenen, Vertrauten zu konstruieren und zu stärken. Dass er Parzivals Vater im Orient sterben lässt, wirkt wie eine Reminiszenz an seine Vergangenheit dort, die zu einer Vermischung der beiden Kulturen (und repräsentativ dafür auch zu seinem ersten Sohn Feirefiz) führt.

Er wart geleit ze Baldac. Er wurde in Baldac zu Grabe gelegt.
Diu kost den bâruc ringe wac. Die Kosten achtete der Bâruc wenig.

(106, 29-30)

Mit golde wart gehêret, Mit Gold wurde sie geadelt und große
grôz rîcheit dran gekêret Herrlichkeit mit edlen Steinen an die
mit edelem gesteine, Gruft gewendet, in der er liegt, der Reine.
dâ inne lît der reine.

(107,1-4)

Barûc scheut keine Kosten für das Begräbnis und versetzt dieses sogar mit wertvollen Steinen.

ein tiwer rubîn ist der stein Ein seltener Rubin ist die steinere Platteüber seinem Grab:
ob sîme grabe, dâ durch er schein. Durch die hindurch schimmerte er.

(107,7-8)

Ebenfalls wird ein Kreuz angebracht, welches "unverstanden von den Heiden, wie es im Text heißt, auf dem Grab eines Christen errichtet [wird], der im Orient im Dienst des mächtigsten heidnischen Herrschers fiel. Zudem beten die Heiden Gahmuret als Gott an, der Christ wird offensichtlich dem heidnischen Götterhimmel zugerechnet, den man dem monotheistischen Islam im Mittelalter unterstellt."[Kellner 2009:32]

Viele Wâleisen klagen und weinen um ihn. Seine schwangere Frau, Herzeloyde, fällt vor Schmerz und Trauer in Ohnmacht, als man ihr die Nachricht vom Tod ihres Mannes überbringt. Aufgrund ihrer Trauer zieht sie fernab des Hofes in einen abgelegenen Wald nach Soltane. Die Angst ihren Sohn ebenfalls durch den Tod zu verlieren, leitet sie zu ihrer isolierten Erziehung. In ihrem Handeln vollzieht sie eine Form der Memoria gegenüber Gahmuret: "da sie aber in ihrer Leibesfrucht auch den toten Gatten sieht, gilt alles, was sie dem Kinde erweist, auch Gahmuret."[Roßkopf 1972: 132]

Ithêr

Ithêr wird durch Parzival getötet, welcher ihn jämmerlich liegen lassen hat. "Iwânet ûf in dô brach der liehten bluomen zeime dach." (159,13-14) Ebenfalls wurde das Eisen des Spießes, mit welchem er getötet wurde, in die Erde gesteckt und mit einen Stück Holz zu einem Kreuz gemacht. Letztendlich wurde er königlich bestattet. Auch bei Ithers Tod wird gezeigt, wie sehr die Frauen und Ritter am Hof weinen und in große Trauer verfallen.

des manec wîp verzagte Da wurden viele Frauen bleich,
und manec ritter weinde und viele Ritter weinten: In Ihrer Trauer
der klagende triwe erscheinde. zeigte sich treue Liebe,
dâ wart jâmers vil gedolt. viel Jammer mussten sie leiden dort am Hof.

(159,22-25)

Sigûnes Geliebter

Sigûnes Geliebter wird in einer Tjost getötet. Sie bleibt mit ihm alleine zurück und hat seinen steifen Leib immer bei sich. Als Parzival auf sie trifft, sagt er ihr: "wir sulen disen tôten man begraben". Sigûne wünscht sich aus Treue zu ihrem Geliebten "ob in sîn töun læzet, den viel trûrgen man."


Fazit

Im Parzival finden wir bei vielen Todesszenen eine Darstellung der Memoria. Ihr wird eine große Bedeutung zugeschrieben, da dem Toten die letzte Ehre erwiesen werden soll. Aber auch schon vor dem Tod, findet sie Bedeutung. So reitet der erstochene Gahmuret ein Feld weiter, um seine Beichte abgeben zu können. Nur so kann er von den Sünden befreit aus seinem Leben scheiden. Aber auch der Trauer, die bei den anderen Figuren durch den Tod entstehen, wird eine Bedeutung zu geschrieben. Nicht nur Herzeloydes Leid wird deutlich aufgezeigt, sondern beispielswweise auch das Verhalten von Sigûne.


Literaturnachweise

<HarvardReferences/>[*Kellner 2009] Kellner, Beate: Wahrnehmung und Deutung des Heidnischen, in: Wechselseitige Wahrnehmung der Religionen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit 2009, S. 23-50.

<HarvardReferences/>[*Roßkopf 1972] Roßkopf, Rudolf: Der Traum Herzeloydes und der Rote Ritter. Erwägungen über die Bedeutung des staufisch-welfischen Thronstreites für Wolframs "Parzival". Göppingen 1972.

Anmerkungen

[1]

  1. alle angegebenen Versangaben beziehen sich auf folgende Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Text und Übersetzung. Studienausgabe. 2. Auflage. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Walter de Gruyter, Berlin/New York 2003