Organisation von Kommunikation durch Boten (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)
In 1. Dienst von Ulrichs von Liechtenstein "Frauendienst" (FD) nehmen Boten eine zentrale (Vermittler-)Rolle ein. Sie überwinden hier immer wieder räumliche und semantische (bzw. soziale) Grenzen - etwa zwischen Ulrich und der vrowe - und ermöglichen so den ‚Dialog‘ zwischen zwei voneinander getrennten Gesprächspartnern. Diese Funktion bzw. deren Notwendigkeit bildet im FD, wie Karina Kellermann herausgearbeitet hat, die Grundlage für eine „explizite, geradezu extrovertierte Kommunikationspraxis“[Kellermann 2010: S. 210].
Der folgende Artikel untersucht anhand von verschiedenen Botenfiguren[1] (niftel, Bote einer Dame, Knappe) die Organisation von Kommunikation im FD. Zugunsten dieser Analyse werden im Folgenden einige Botenfiguren - etwa der ‚politische‘ Bote (FD 179,1), der Bote, der ein Turnier ankündigt (FD 362,1ff.) oder der Protagonist Ulrich als falscher Bote (FD 366,2) - vernachlässigt.
Definition des Botenbegriffs
Minimaldefinition
Zunächst muss eine für den Artikel zweckmäßige Definition des Botenbegriffs erfolgen: Bei einem Boten muss es sich im Folgenden 1. um eine literarische Figur handeln, die 2. als Nachrichtenvermittler auftritt. Daraus folgt z.B., dass das von Ulrich als „getriuwer bot“ (FD 1. Büchlein,2) bezeichnete 1. Büchlein nicht als Bote bezeichnet werden kann, da es lediglich die zweite Voraussetzung erfüllt.
Um die Botenfiguren genauer fassen zu können, ist zusätzlich zu einer Minimaldefinition noch eine Unterscheidung zwischen heteronomen und autonomen Boten notwendig.
Heteronomer Bote
Der heteronome Bote ist durch seine Funktion der Nachrichtenübermittlung Teil eines sprachlichen Kommunikationszusammenhangs. Kommunikation bedeutet hier, dass ein Sender einem Empfänger eine Nachricht übermittelt[2]. Der Bote wird in einen solchen Gesprächszusammenhang als Vermittler gerade dort notwendig, „wo eine unmittelbare Interaktion zwischen den Kommunizierenden gerade nicht gegeben ist, wo eine Kommunikation [...] sich gerade nicht als Wechselrede realisiert.“ [Krämer 2008: S. 10] Der Bote erweitert somit das dualistische Konzept (Sender-Empfänger) und wird zum Überbringer der Nachricht. Während Sender und Empfänger „Subjekte“ [Hahn 2008: S. 64] der Kommunikation darstellen, ist der Bote lediglich „transmitter und receiver [...] und, aus heutiger Sicht, eine mailbox“ [Capurro 2011: S. 59] für Nachrichten. Er stellt in dieser Funktion eine kommunikative ‚Figur des Dritten‘ dar und ist gewissermaßen Teil und ‚Nicht-Teil‘ der Kommunikation: Indes der Absender der Botschaft in derselben präsent ist, ist er räumlich - d.h. beim Empfänger - abwesend. Der Bote wiederum ist nach Margreth Egidi „nicht sprechend präsent“ [Egidi 2011: S. 108], überbringt dem Empfänger jedoch die Botschaft - im FD etwa Brief, Büchlein oder Lied. Der Empfänger ist sowohl als kommunikatives Subjekt, als auch in der Begegnung mit dem Boten präsent. Torsten Hahn begreift den Unterschied zwischen Boten (d.h. Mittlern) und Subjekten folgendermaßen: „Boten kommunizieren nicht, Subjekte schon“ [Hahn 2008: S. 64]. Subjekte sind demnach im Rahmen eines Gesprächszusammenhangs für die Sinnstiftung, Boten lediglich für die unverfälschte Übertragung des Sinns zuständig, womit sie gewissermaßen eine technische Funktion erfüllen. „Subjekte sollen [...] ohne Einmischung aus der Welt der kommunikationstechnischen Infrastruktur" [Hahn 2008: S. 65] kommunizieren. Kombiniert man die Überlegungen Hahns und Egidis bezüglich der Funktion des Boten[3], so kann man die Unterscheidung zwischen Subjekt (Sender, Empfänger) und Mittler (Bote) folgendermaßen darstellen:
Ulrich | Bote | vrowe | |
---|---|---|---|
Funktion | Subjekt (Sender) |
Hybride (Mittler) |
Subjekt (Empfänger) |
Präsenz | physisch (technisch) abwesend anwesend in der Botschaft |
physisch (technisch) anwesend nicht sprechend präsent |
doppelt präsent empfängt Botschaft und Boten |
Karina Kellermann erkennt in der „Präsenz des Körpers“ - d.h. in der Präsenz des Boten - einen Vorsprung der Mündlichkeit gegenüber der Schriftlichkeit [Kellermann 2010: S. 209]. Bei einer mündlichen Kommunikation sichert „die präsente Person [...] die Autorität des Gesagten, des Wortes". Die Schrift benötige deshalb den Boten als „persönliche[n] Vermittler“, „der die Stimme und den Status seines Herrn darstellt“ und so die Nachricht autorisiere.[Kellermann 2010: S. 209] Daraus folgt, dass Boten den in sie als Medium eingeschriebenen Sinn nicht nur vermitteln, sondern auch gleichzeitig durch ihre körperliche Anwesenheit bestätigen.
Für die Verortung der Botenfigur ist es weiterhin wichtig, das Verhältnis zwischen dem Mittler und den Subjekten - insbesondere zwischen Mittler und Sender - der Kommunikation zu klären. Sybille Krämer hat diesbezüglich herausgearbeitet, dass das (Abhängigkeits-)Verhältnis zwischen dem Boten und seinem Auftraggeber ein besonderes ist: Boten sind „nicht selbstständig[e]“[Krämer 2008: S. 112] Figuren; sie sind insofern fremdgesteuert, als sie im Auftrag eines Subjekts handeln und so als dessen „Extension“ [Krämer 2008: S. 113] oder „Substituierung“ [Wenzel 1997: S. 96] bzw. als „Abspaltung“ [Egidi 2011: S. 125][4] von diesem begriffen werden können.
Der Absender schickt nicht nur eine Nachricht, sondern auch einen Boten auf den Weg zum Empfänger. Dieser Bote ist heteronom, d.h. - wie bereits in der Übersichtstabelle dargestellt worden ist - „nicht sprechend präsent“, sondern übermittelt lediglich die Aussage des Absenders. Krämer bemerkt hierzu: „Der Bote ist nicht Souverän seiner Rede, und so wundert es nicht, dass er in seiner Übertragungsfunktion ersetzbar ist durch nichtpersonale Entitäten.“[Krämer 2008: S. 121] Der heteronome Bote vergrößert (im technischen Sinne) gewissermaßen nur die Reichweite des Absenders und stellt damit sicher, dass die Nachricht den Empfänger erreicht.
Diese ‚Reichweitenvergrößerung‘ ist bei genauerer Betrachtung eine weitere Funktion des Boten: Er ist hier nicht nur für eine unverfälschte, ‚nachrichtentechnische Übermittlung‘ zuständig, sondern erfüllt zudem eine phatische, d.h. Kontakt herstellende, Funktion. Er ist damit insofern „Keimzelle der Sozialität“, als er nicht nur „gesandt, sondern auch auf jemanden hin gerichtet“ [Krämer 2008: S. 114] wird und somit eine Beziehung zwischen Sender und Empfänger herstellt, die ohne ihn womöglich nicht bestehen würde. Ein Bote birgt demnach zugleich „Sozial[-]“ und „Technikpotential“ [Krämer 2008:S 114] in sich.
Autonomer Bote
Sofern sich eine Botenfigur gewissermaßen wie ein modernes technisches Medium verhält, d.h. eine Nachricht unverfälscht übermittelt, handelt es sich um einen heteronomen Boten. Überschreitet ein Bote jedoch die Kompetenzen seiner (nicht verfälschenden) Vermittlerfunktion - indem er z.B. die Nachricht oder die ihm vom Sender aufgetragene Art der Vermittlung verändert oder selbst zum Sender einer Nachricht wird -, so muss er als autonomer Bote bezeichnet werden. Autonome Boten sind sprechend präsent und emanzipieren sich damit vom (vermeintlichen) Sender der Botschaft. „Hier kehrt sich das Herr-Bote-Verhältnis um: Aus dem Medium wird [...] der Akteur“[Kellermann 2010: S. 256]. Im FD ist es insbesondere der Knappe der vrowe, Ulrichs zweiter Bote, der als kommunikatives Subjekt in Erscheinung tritt[5].
Boten und Kommunikationssysteme im FD
niftel: Kommunikative ‚Schaltzentrale‘
Die niftel als Botenfigur
Ulrich charakterisiert seine niftel, die als erste Botin des FD in Erscheinung tritt, als „diu guote“ (FD 53,4), zu der er in einem freundschaftlichen (Verwandtschafts-)Verhältnis - „die guot enpfie mich also wol/ als vriunt den vriunt enphahen sol.“(FD 70,3f] - steht. Im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Sender und Bote haben Karina Kellermann und Christopher Young festgestellt, dass sich Botenfiguren durch Zuverlässigkeit, Loyalität und Vertrautheit mit Absender und Empfänger der Botschaft auszeichen [Kellermann / Young 2003: S. 328]. Im FD ist es die Verwandtschaft zwischen Ulrich und niftel, die diese drei Eigenschaften sicherstellt. Kellermann bemerkt diesbezüglich, dass Boten als „persönliche[n] Vermittler“ zu begreifen und deshalb „häufig Mitglieder der familia"[Kellermann 2010: S. 209] seien. Darüber hinaus ist die niftel schon vor ihrem ersten Botengang mit der vrowe bekannt (FD 54,6), wodurch auch hier, zwischen den beiden Frauen, Vertrautheit bereits vorhanden ist.
Ulrich kann seine Verwandte als Botin, die sich zur Zuverlässigkeit verpflichtet - „ich sage ir allen dinen muot/ des wil ich si verswigen niht“(FD 64,4f.) -, gewinnen (FD 64,4) und sendet durch sie der vrowe ein Lied. Die niftel übermittelt der vrowe die Nachricht unverfälscht und bestätigt den Inhalt selbiger (FD 73,1ff.), wird jedoch von der Empfängerin abgewiesen und zugleich dazu aufgefordert, dieser nicht weiter als Ulrichs Botin entgegenzutreten - „du solt der rede gar gedagen/ und mir von im niht mere sagen“ (FD 74,7f.). Bemerkenswert ist hierbei, dass die niftel durch ihren Botengang zeitweise in ein anderes Verhältnis zur vrowe tritt: Während sie und die vrowe zunächst - vor dem Botengang - noch gemeinsam als Subjekte über Ulrich sprechen (FD 54,6), kann die niftel als heteronome Botin lediglich Ulrichs Nachricht übermitteln und bestätigen. Erst nachdem die vrowe sie als Botin abgewiesen hat, ist sie wieder in der Lage, unabhängig von der Nachricht Ulrichs, ihre eigenen Gedanken zu formulieren:
Mittelhochdeutsch [FD mhd]
Neuhochdeutsche Übersetzung [FD nhd]
(FD 77) Do sprach ich: "vrowe, enzürnet niht!
alsölcher dinge vil geschiht,
daz ein junc man so hohe gert,
des er ist immer ungewert.
sie werbent hohe durch hohen muot,
sie jehent, ez si gar ze eren guot,
daz hoch gemuotes ritters lip,
diene und werbe umb werdiu wip.
Da sprach ich: »Herrin, zürnet nicht,
denn solche Dinge gibt es viel,
ein junger Mann will hoch hinaus,
das soll man ihm doch nicht verwehr'n.
Sie werben in dem Hochgefühl,
sie sagen, daß das Anseh'n steigt,
wenn denn ein Ritter hochgemut
so dient und wirbt um eine Frau.
(FD 78) Ir sit im ze lobe gar geborn.
nu waz dar umb? er hat erkorn
iuch ze frowen sine zit.
ir sit, an der sin wunne lit,
ir sit, an der sin saelde stat,
ir sit, diu sinen dienest hat
immer mer gar sunder wanc -
daz ist sin muot und sin gedanc.“
Ihr seid für ihn zum Preis gebor'n.
Was soll nun sein? Er hat erkor'n
euch als die Herrin fürderhin.
Ihr seid's, an der er Freude hat,
ihr seid's, an der sein Glück nur hängt,
ihr seid's, die seinen Dienst genießt
auf immer ohnme Wankelmut -
das ist sein Wille und sein Sinn.«
Die niftel erledigt demnach einen (heteronomen) Botengang für Ulrich, wird daraufhin jedoch wieder zum Subjekt. Als solches kann sie ihrem Verwandten eines „vriundes rat“ (FD 81,3) geben und bittet diesen, den Minnedienst aufzugeben (FD; 81,7f.). Eindeutiger Ausdruck ihrer Autonomie ist die Erklärung der niftel, dass sie - - nachdem Ulrich den erwähnten Rat ausschlägt - fortan keine Botin mehr sein wolle (FD 83,1).
Kommunikative Funktion der niftel
Im weiteren Verlauf fungiert die niftel nicht mehr als direkte Botin zwischen Ulrich und der vrowe, sondern weist ihrerseits Boten an, Ulrichs Nachrichten zu übermitteln[6]. So gibt sie beispielsweise einem Boten den Auftrag, der vrowe von Ulrichs gelungener Mundoperation zu berichten (FD 113,5). Obwohl die niftel damit weniger als Botin, als vielmehr als koordinatorisches Bindeglied zwischen Ulrich und ihren Boten fungiert, nennt Ulrich sie dennoch weiterhin „getriwer bot“ (FD 109,2)[7]. Die niftel muss jedoch im Gesprächszusammenhang als Subjekt verstanden werden, welches selbst Botschaften verfasst und empfängt. So verknüpft sie manchmal auch eigene Nachrichten mit den Botschaften Ulrichs - so z.B. Brief b: und Lied 4 -, wodurch sie einerseits zwischen Ulrich, vrowe und Boten vermittelt (Lied 4), andererseits aber auch selbst mit der vrowe kommuniziert (Brief (b: )).
Die von der niftel entsendete Botenfigur[8] wird nicht näher charakterisiert; allein ihre Funktion als Bote dient als Beschreibung, wodurch die Figur auf ihre (technische) Vermittlungsfähigkeit reduziert wird; es handelt sich also um eine gänzlich heteronome Botenfigur.
Abbildung 1 zeigt, wie die Kommunikation zwischen Ulrich und 'vrowe mittels der niftel und ihres Boten funktioniert. Das Kommunikationssystem ist auf die niftel als zentrale Schaltzentrale hin ausgerichtet. Sie organisiert die Boten und vernetzt somit Ulrich und die vrowe, um hier Kommunikation zu ermöglichen.
Der Bote einer Dame als ‚Tauschmedium‘
Der Bote als Botenfigur
Ein Bote des FD wird Ulrich von einer Dame aus Mitleid - „sie wolde von herzen immer clagen/ miniu sendelichiu leit“ (FD 354,2f.) - gesandt (FD 353,7f.). Der Bote wird nicht über seine Funktion hinaus charakterisiert und ist - wie im folgenden Abschnitt gezeigt werden wird - als heteronomer Bote zu bezeichnen.
Kommunikative Funktion des Boten
Zwischen der Dame und Ulrich kommt es mittels des Boten mehrfach zum Austausch von 'Waren': Ulrich erhält vier Bücher und sendet der Dame seinen Dank. Die Dame schickt Ulrich eine Melodie, zu der er einen passenden Text verfasst, welchen er wiederum über den Boten versendet. Daraufhin erhält Ulrich ein „hundelin“ (FD 361,1). Diese Form der Kommunikation weist starke Ähnlichkeit mit einem Warenaustausch auf, wobei im vorliegenden Fall des FD der Bote der Dame als (technisches) Tauschmedium fungiert. Er ist hier lediglich 'Paketbote', ist damit sprechend nicht präsent und überbringt meist Güter, d.h. Materielles. Abbildung 2 zeigt diesen kommunikative Verhältnis deutlich: Die Dame schickt Ulrich etwas (blau) und erhält dafür wiederum - gewissermaßen als Gegenleistung - etwas (orange).
Der Knappe als kommunikatives Subjekt
Der Knappe als Botenfigur
Nachdem der Meister von Bozen Ulrichs (im Turnier von Brixen verwundeten) Finger behandelt hatte, reist der Protagonist wieder „in daz vil reine, süeze lant, / dar inne was diu vrowe [s]in“ (FD 372,4f.) und sucht dort nach einem Boten, um der vrowe von der Fingerepisode berichten zu können. Er trifft - nachdem er einige Zeit unter der Abwesenheit eines geeigneten Boten leidet (FD 373-374) - auf einen Knappen, der sich als sein Freund (FD 375,7) erweist. Der Knappe kennt Ulrichs Geheimnis - die Liebe zur vrowe - bereits (FD 378-383) und erklärt:
Mittelhochdeutsch [FD mhd]
Neuhochdeutsche Übersetzung [FD nhd]
(FD 381,4ff.) ist iu daz leit, daz ist gar ane not;
daz ichs erkenne, daz ist iu guot,
ich trage iu also holden muot
und han ouch wol so guoten sin,
daz ich iu guot wol gegen ihr bin.“
Habt ihr ein Leid, das muß nicht sein;
daß ich es weiß, das ist sehr gut,
ich bin euch so sehr untertan
und bin euch derart gut gesinnt,
daß ich für euch bei ihr gut bin.«
Nach Kellermann ist der Knappe „gerade als diskreter Mitwisser [...] als Minnebote geeignet“[Kellermann 2010: S. 252] und kann deshalb, d.h. durch „seine Kenntnis von Ulrichs Minnedame“, als „alter ego des Helden“[Kellermann 2010: S. 253] auftreten. Der Knappe wird zum Boten zwischen Ulrich und der vrowe, handelt hier jedoch nicht primär als Mittler, sondern als Subjekt. Kellermann verweist hierbei z.B. darauf, dass der Knappe die ablehnende Haltung der vrowe nicht auf Ulrich, sondern auf sich selbst bezieht[Kellermann 2010: S. 254f.]. Dies bedeutet, dass der Knappe sich selbst nicht als reines Medium (in das eine Nachricht eingeschrieben werden kann), sondern als ein autonomes Subjekt begreift. Diese Unabhängigkeit des Boten vom Sender erreicht im FD ihren Höhepunkt, wenn der Knappe die Meinung Ulrichs scheinbar antizipiert, d.h. ohne Rücksprache mit diesem dennoch behauptet, in dessem Namen zu sprechen. Die vrowe verlangt von Ulrich eine „vart / über mer“ (FD 1314,3f.) und der Knappe antwortet:
Mittelhochdeutsch [FD mhd]
Neuhochdeutsche Übersetzung [FD nhd]
(FD 1317,1ff.) "Ich sage im, vrowe, gar iwern muot,
ich weiz ouch wol, daz er ez tuot;
»Ich sag' ihm, Herrin, was ihr denkt,
ich weiß auch wohl, daß er es tut;
Spätestens zu diesem Zeitpunkt des Geschehens muss der Knappe als autonomes Subjekt begriffen werden.
Kommunikative Funktion des Knappen
Gemessen an der eingangs aufgestellten Definition kann der Knappe zwar als Bote bezeichnet werden, da er 1. literarische Figur ist und 2. Nachrichten vermittelt, verglichen mit der niftel muss allerdings bemerkt werden, dass es sich hierbei nicht um fremde Nachrichten handeln muss; der Knappe kann der vrowe auch eigene Botschaften vermitteln. Er befindet sich damit gewissermaßen im Spannungsfeld zwischen Subjekt und Mittler. Kellermann bemerkt diesbezüglich: „Die Relation zwischen Ulrich und seinem zweiten Boten [der Knappe; d. Verf.] basiert nicht auf einem statischen Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnis, sondern wird immer wieder neu ausgehandelt.“[Kellermann 2010: S. 256] Der Knappe tritt als weiteres Subjekt in die Kommunikation zwischen Ulrich und vrowe ein und fungiert hier gewissermaßen als Störer[9], der in der Lage ist, Nachrichten zu verfälschen oder - gewissermaßen in fremdem Namen - zu erzeugen.
Abbildung 3 scheint zwar zunächst eine Kommunikationssituation zwischen Sender, Empfänger und heteronomen Mittler darzustellen, soll aber - gerade im Vergleich zu Abbildung 1, wo Boten in der Darstellung durch eine kleinere Schriftgröße von Subjekten unterschieden werden -, zeigen, dass es sich sowohl bei Ulrich und der vrowe, als auch beim Knappen um kommunikative Subjekte handelt. Während Ulrich als Subjekt auf den Boten angewiesen ist, da er nicht frei mit der vrowe kommunizieren kann, ist der Knappe in der Lage, ihr neben Ulrichs auch seine eigenen Nachrichten zu vermitteln.
Schlussfolgerung
Der Artikel konnte anhand von drei Beispielen zeigen, wie das Verhalten einer Botenfigur Kommunikation strukturieren kann. Es ist nochmals zu betonen, dass alle drei Figuren nach der eingangs aufgestellten Definition Boten sind. Gerade hinsichtlich des Knappen könnte dies irritieren, da er als autonomes Subjekt handeln kann. Hier muss darauf geachtet werden, dass die Minimaldefinition lediglich voraussetzt, dass es sich um eine literarische Figur handelt, die Nachrichten vermittelt. Es ist dabei nicht wichtig, ob diese Nachrichten von der Botenfigur selbst (=autonom) oder von einem kommunikativen Subjekt (=heteronom) erzeugt werden.
Das Handeln einer Botenfigur prägt im FD entscheidend den jeweiligen Kommunikationszusammenhang. Der autonome Knappe, der im Verlauf der Analyse bereits als 'Störer' bezeichnet worden ist, verfälscht in einem solchen Zusammenhang sogar die Kommunikation. Hier sollte jedoch nicht vorschnell darüber geurteilt werden, ob ein solcher Botengang immer als Systemfehler, d.h. als Scheitern der Kommunikation, zu werten ist. Es muss zunächst festgelegt werden, unter welchem Ziel kommuniziert werden soll. Geht es lediglich um eine unverfälschte Wiedergabe einer Nachricht - dies entspricht einem sehr modernen, technischen Medienbegriff[10] -, so gleicht das Eingreifen des Knappen einem kommunikativen Scheitern. Ist hingegen mit der Kommunikation ein bestimmtes Ziel verbunden - soll z.B. die Liebe der vrowe gewonnen werden -, so können autonome Botengänge durchaus dazu führen, dass das Subjekt dieses Ziel erreichen kann. Dieses kommunikative Potential ist untrennbar an die mündliche Vermittlung durch einen selbstständig denkenden Dritten gekoppelt und gewinnt hinsichtlich der Entstehungsgeschichte des FD noch einmal an Bedeutung: Kellermann stellt fest, dass der 1255 abgeschlossene FD in eine Zeit des „Übergang[s]von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit“[Kellermann 2010: S. 209] fällt.
Der Text beschäftigt sich als „mediales Labor“[Kellermann 2010] sowohl mit schriftlichen (Büchlein, Briefe, Lieder), als auch mit mündlichen (Boten) Medien sowie mit den ihnen jeweils eigenen Möglichkeiten und Einschränkungen. Der FD wird somit als Roman zum Schauplatz einer Reflexion der Medienlandschaft des 13. Jahrhunderts.
Anmerkungen
- ↑ Anm.: Der Artikel verzichtet bewusst auf eine Untersuchung der Literarisierung und der Begriffsgeschichte der Botenfigur. Vgl. hierzu [Göhler 1997: S. 77f.] und [Wenzel 1997: S. 92f.].
- ↑ Anm.: Diese Grundannahme ist Ausgangspunkt von vielen Kommunikationsmodellen. Vgl. etwa Jakob Bühlers Organonmodell oder Roman Jakobsons Kommunikationsmodell; Vgl. dazu etwa [Holenstein 1989: S. 12f.].
- ↑ Vgl. [Egidi 2011: S. 108] sowie [Hahn 2008: S. 65].
- ↑ Vgl. hierzu auch Mercerons Unterscheidung zwischen „structure triangulaire“ (Sender-Bote-Empfänger) und „structure non-triangulaire“ ({Sender und Bote als Einheit}-Empfänger) [Merceron 1998: S. 30].
- ↑ Anm.: Dies wird im entsprechenden Abschnitt näher ausgeführt.
- ↑ Vgl. z.B. FD 160,1; FD 313,6; FD 314,4ff.
- ↑ Anm.: Auch Franz Viktor Spechtler übersetzt „min niftel“ (FD 113,2) als „die Botin“ ins Neuhochdeutsche, geht also hier von einer Botenfunktion der niftel aus.
- ↑ Vgl. FD 113; FD 160; FD 322.
- ↑ Anm.: Der Begriff 'Störer' soll - zumindest an dieser Stelle - wertneutral verstanden werden.
- ↑ Anm.: Als Beispiel sei z.B. der Nachrichtenverkehr über elektronische Medien angeführt. Hier werden Nachrichten übermittelt, ohne dass dabei die Botschaft verändert wird.
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
- [*FD mhd] Ulrich <von Liechtenstein>: Frauendienst. Hrsg. v. Franz Viktor Spechtler. Göppingen: Kümmerle, 1987 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 485) (zit. als FD Strophe,Vers).
- [*FD nhd] Ulrich <von Liechtenstein>: Frauendienst. Übers. v. Franz Viktor Spechtler. Klagenfurt: Wieser, 2000.
Sekundärliteratur
- [*Capurro 2011] Capurro, Rafael: "Theorie der Botschaft". In: Capurro, Rafael / Holgate, John (Hrsg.): Messages and Messengers. Angeletics as an Approach tot he Phenomenology of Communication. München: Fink, 2011 (Schriftenreihe des International Center for Information Ethics (ICIE) Bd. 5).
- [*Hahn 2008] Hahn, Torsten: „Der Page der Königin und der Subalterne des Ministers. Botengänge in der Literatur“. In: Engell, Lorenz / Siegert, Bernhard / Vogl, Joseph (Hrsg.): Agenten und Agenturen. Weimar: Verlag der Bauhaus-Universität, 2008, S. 63-71.
- [*Egidi 2011] Egidi, Margreth: „Der schwierige Dritte. Zur Logik der Botenlieder vom frühen Minnesang bis Reinmar“. In: Münkler, Marina (Hrsg.): Aspekte einer Sprache der Liebe. Formen des Dialogischen im Minnesang. Bern: Lang, 2011 (Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik. Neue Folge Bd. 21), S. 107-126.
- [*Göhler 1997] Göhler, Peter: "Zum Boten in der Liebeslyrik um 1200". In: Wenzel, Horst (Hrsg.): Gespräche – Boten – Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter. Berlin: Erich Schmidt, 1997 (Philologische Studien und Quellen Bd. 143), S. 77-85.
- [*Holenstein 1989] Holenstein, Elmar: „Einführung: Von der Poesie und der Plurifunktionalität der Sprache“. In: Jakobson, Roman: Poetik. ausgewählte Aufsätze 1921 - 1971. Hrsg. v. Elmar Holenstein. 2. Aufl. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1989, S. 7-60.
- [*Kellermann 2010] Kellermann, Karina: "Ulrichs von Liechtenstein Frauendienst als mediales Labor." In: Linden, Sandra / Young, Christopher: Ulrich von Liechtenstein. Leben - Zeit - Werk - Forschung. Berlin / New York: De Gruyter, 2010, S. 207-260.
- [*Kellermann / Young 2003] Kellermann, Karina / Young, Christopher: „You’ve got mail! Briefe, Büchlein, Boten im ‚Frauendienst‘ Ulrichs von Liechtenstein‘“. In: Berteilsmeier-Kirst, Christa / Young, Christopher (Hrsg.): Eine Epoche im Umbruch. Volkssprachliche Literalität 1200-1300. Tübingen: Niemeyer, 2003, S. 317-344.
- [*Krämer 2008] Krämer, Sybille: Medium, Bote, Übertragung. Kleine Metaphysik der Medialität. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2008.
- [*Merceron 1998] Merceron, Jaques: Le message et sa fiction. La communication par messager dans la littérature française des XIIe et XIIIe siècles. Berkeley / Los Angeles / London: University of California Press, 1998 (Modern Philology Bd. 128).
- [*Wenzel 1997] Wenzel, Horst: "Boten und Briefe. Zum Verhältnis körperlicher und nichtkörperlicher Nachrichtenträger". In: Ders. (Hrsg.): Gespräche – Boten – Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter. Berlin: Erich Schmidt, 1997 (Philologische Studien und Quellen Bd. 143).