Verwandtschaftssysteme im Parzival (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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In diesem Artikel sollen die Verwandtschaftssysteme, die im Parzival Bedeutung finden, näher betrachtet werden und durch verschiedene Textstellen veranschaulicht werden. Ebenfalls soll eine kleine Zusammenfassung der Verwandtschaftsbildung dazu dienen, eine bessere Übersicht der Genealogie im Parzival zu erhalten. Da sehr viele Personen namentlich genannt werden, die im Gesamten eine Verwandtschaftsstruktur bilden, ist es für den Rezipienten hierbei sehr schwer, sich einen Überblick über das Thema der Genealogie zu verschaffen.

Die Verwandtschaftssysteme

"In den Gralromanen Chrètiens und Wolframs spielt das Thema Verwandtschaft eine größere Rolle als sonst im Artusroman."[Bumke 2004:169] In Eschenbachs Parzival werden hierzu zwei Verwandtschaftssysteme aufgezeigt. Hierbei handelt es sich zum einen um die Verwandtschaft aller Menschen und zum anderen um die Verwandtschaft einzelner Familien. Im Folgenden sollen die genannten Systeme erläutert werden.

Die Verwandtschaft aller Menschen

"Der weiteste Bedeutungshorizont, den Verwandtschaft im >Parzival< besitzt, ist die Menschheitsverwandtschaft, die sich aus der Abstammung von Adam und Eva ableitet."[Bumke 2004:174] Demnach sind alle Menschen Kinder Gottes und stammen von Adam und Eva ab. Es handelt sich somit um eine universale Genealogie. "In dieser universalen Konstruktion wird jeder Mensch zum Verwandten, kann jeder als Bruder des anderen aufgefasst sein."[Kellner 2009:40]

wan si sint mir alle sippe denn sie sind alle meine Vettern
von dem Adâmes rippe. von Adams Rippe her.

(82,1-2)

Problematik

Dieses Verwandtschaftsmodell, in welchem alle Menschen miteinander verwandt sind, da sie allesamt Nachkommen von Adam und Eva sind, bringt auch Probleme mit sich. So zeigt Beate Kellner auf, dass es in Sicht der Menschheitsverwandtschaft problemtisch wird, wenn ein Kampf mit Nichtverwandten, wie Heiden, statt findet. Denn wenn auch die Heiden aus der Ferne zu den Brüdern in der Verwandtschaft von Adam zählen, werden diese Kämpfe fragwürdig. [Kellner 2009:40] Somit wären in der universalen Genealogie alle Christen mit allen Heiden verwandt, was letztendlich bedeuten würde, dass alle Verwandten mit- und gegeneinander kämpfen. Schließlich wären Brudermorde die Folge aus dieser Genealogieform. Diese universale Genealogie wird durch Trevrizent sowohl als Heilsgeschichte, als auch als Unheilsgeschichte dargestellt. Denn hier wird der Brudermord von Kain als zentraler Punkt gewertet. Dieser Brudermord wird zugleich als Schändung ihrer Großmutter, der Mutter Erde, gesehen, da diese hierdurch ihre Jungfräulichkeit verliert. Somit begeht Kain an dieser Stelle zwei Sünden zugleich, denn er begeht nicht nur Brudermord, sondern betreibt, durch die Entjungferung der Großermutter, auch Inszest. [Kellner 2009:39]

Kâîns vater was Adam, Adam war der Vater des Kain;
er sluoc Abêlen um krankez guot: der erschlug im Streit um ein bisschen Eigentum
dô ûf die reinen erden zbluot den Abel: Als auf die reine Erde das Blut fiel
viel, ir magetuom was vervarn. da war ihre Jungfräulichkiet dahin,
den nam ir Adâmes barn. und Adams Kind hatte sie ihr genommen.

(464,16-20)

Seit dieser Handlung von Kain herrscht unter den Menschen Boshaftigkeit, die seither fortlaufend andauert.


Die Verwandtschaft einzelner Familien

Dieses Verwandtschaftssystem bezieht sich auf die genealogische Beziehung zwischen einzelnen Familien und ihren Vorfahren bzw. Nachkommen. Hierbei wird also die direkte Verwandtschaft zwischen ihnen verstanden. Hierzu finden wir im Parzival sehr viele Strukturen und Beziehungen. Unterschieden wird hier zwischen der väterlichen und der mütterlichen Verwandtschaft.


Väterliche Verwandtschaft

"Die meisten Personen, mit denen Perceval in Chrêtiens Dichtung zusammentrifft und die nicht seiner mütterlichen Verwandtschaft angehören, hat Wolfram zu Parzivals Verwandten väterlicherseits gemacht." [Bumke 2004: 172] Mehr als 30 mit Namen genannte Personen, die über sechs Generationen miteinander verwandt sind, gehören zu diesem Verwandtschaftszweig dazu.

Da Parzival mit der Einführung Gahrmurets, Parzivals Vater, beginnt, wird dieser Verwandtschaftsseite mehr Stellenwert zugeschrieben, als der mütterlichen Seite. Der Leser erfährt somit zuerst von der Verwandtschaftsstruktur väterlicherseits. Hierzu zählt natürlich sein Halbbruder Feirefiz, der von Gahrmurets erster Frau Belacane geboren wurde. Da Gahmuret sie vor der Geburt des gemeinsamen Sohnes verlässt, bekommt der Rezipient direkt zu Beginn einen Einblick in dessen Vorfahren, die er ihr in einem Abschiedsbrief aufzeigt, um Feirefiz eines Tages davon zu berichten. Die Ahnenaufzählung beginnt bei Mazadân und verläuft über Lazaliez, Addans, Gandin und schließlich folgt Gahmuret. Er schließt die Aufzählung mit dem Satz "ieslÎlicher sidder krône trouc, und heten werdekeit genuoc" (56,23-24) ab. Die sechste Generation bildet dann schlussendlich Firefiz und Parzival.

Mütterliche Verwandtschaft

Die mütterliche Verwandtschaft bildet den Kern der Parzivals Geschichte. Diese wird durch Herzeloyde selbst eingeführt, da sie die jenige ist, die Parzival alleine in Soltane groß zieht. Nachdem Parzival sie verlässt, um wie sein Vater ein Ritter zu werden, trifft er auf dem Weg viele Verwandten mütterlicherseits. So trifft er auf dem Weg zur Gralburg den kranken Fischer - König, welcher sein Cousin ist. Daraufhin trifft er den Bruder seiner Mutter - den Gralkönig. Anschließend trifft er auf seine Cousine, die ihn über seinen Namen aufklärt. Des Weiteren begegnet er auf seinem Weg seinem Oheim, der ihm dabei hilt, zurück zu seinem Glauben an Gott zu finden. Alle Verwandten mütterlicherseits bleiben ohne Namen. [Bumke 2004: 170]


Fazit

Im Parzival hat die Verwandtschaftskonstellation eine große Bedeutung. Der Rezipient bekommt einen Einblick in zwei verschiedene Systeme - die universale und familiäre Verwandtschaft. Ebenfalls erfährt er von der aufgeteilten Verwandtschaftsdarstellung, einmal von der mütterlichen Seite und einmal von der väterlichen Seite. Wolfram setzt die väterliche Verwandtschaft der mütterlichen Verwandtschaft gegenüber, wobei die väterliche Seite einen höheren Stellenwert hat. Allerdings bildet die mütterliche Verwandtschaft den Rahmen der Geschichte Parzivals. Durch die detailierte Darstellung der Verwandtschaftsbeziehungen über sechs Generationen verteilt, wird der Rezipient herausgefordert, sich einen Überblick über die vorhandene Genealogie zu schaffen. Durch über 30 Figuren, die namentlich genannt werden, stellt dies allerdings eine Schwierigkeit dar.


Literaturnachweise

<HarvardReferences/>[*Kellner 2009] Kellner, Beate: Wahrnehmung und Deutung des Heidnischen, in: Wechselseitige Wahrnehmung der Religionen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit 2009, S. 23-50.

<HarvardReferences/>[*Bumke 2004] Bumke, Joachim. Wolfram von Eschenbach. Verlag J. B. Metzler. 8. v. n. b. Auflage. Stuttgart und Weimar, 2004

Anmerkungen

[1]

  1. alle angegebenen Versangaben beziehen sich auf folgende Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Text und Übersetzung. Studienausgabe. 2. Auflage. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Walter de Gruyter, Berlin/New York 2003