Kleidung bei Neidhart: Unterschied zwischen den Versionen

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Kleidung und ihre literarische Inszenierung muss im Neidhartschen Œuvre folglich ambivalent gedeutet werden: Einerseits entsprechen die Kleiderbeschreibungen der Realhistorie, sind also ‚Realitätsanker‘, anderseits werden höfische Kleider im falschen Kontext von den falschen Figuren getragen.  
Kleidung und ihre literarische Inszenierung muss im Neidhartschen Œuvre folglich ambivalent gedeutet werden: Einerseits entsprechen die Kleiderbeschreibungen der Realhistorie, sind also ‚Realitätsanker‘, anderseits werden höfische Kleider im falschen Kontext von den falschen Figuren getragen.  
Daher scheint es sinnvoll, nicht von ‚Realitätsankern‘ im Sinne Mertens [Mertens 2018: S. 45], sondern vielmehr von ‚Realitätspartikeln‘ im Sinne Brauns [Braun 2007: 274] zu sprechen. Aus der Realität werden einzelne Elemente herausgebrochen und in einen neuen Kontext, in ein neues Sinnsystem eingefügt. Wolfgang Iser definiert diesen Vorgang als ‚Selektion‘: Für Iser ist Selektion einer von drei Akten des Fingierens; die Akte des Fingierens sind nach Iser produktionsästhetische Prozesse zur Herstellung des Fiktiven. Dabei stellt Iser das Fiktive mittig zwischen Reales und Imaginäres. Zentral eingebunden in die Triade ''Reales – Fiktives – Imaginäres'' fungiert das Fiktive gewissermaßen als hin und her oszillierender Vermittler, es überführt den einen Bereich in den anderen, in seiner Mitte treffen sich die außenliegenden Pole und werden ineinander verwoben. [Iser 1993: S.9-23] Iser versteht ‚Selektion‘ folgendermaßen: Realitätsfragmente (oder auch Fragmente aus der literarischen Welt, die aber bereits außerhalb der eigenen Textgrenze liegen) werden aus ihren jeweiligen Umweltsystemen herausgelöst, bevor sie in den im Werden begriffenen, neuen Text eingehen. [Iser 1993: S. 24-27] Der ‚Selektion‘ folgt der zweite Akt des Fingierens, die ‚Kombination‘. Hier werden die Fragmente neu geordnet, und vor allem anderen: auf ungewöhnlich, neue, zuvor nicht dagewesene Weise miteinander verknüpft. Durch die neue Relationierung der einzelnen Bausteine entsteht auch im Zwischenraum Bedeutung, sinngebend ist die Verbindung selbst. [Iser 1993: S 27-34] Im dritten Akt des Fingierens, der ‚Entblößung‘ verrät der Text schließlich selbst seinen fiktiven Status: Er zeigt dem Rezipienten deutlich, dass er den Gesetzen der realen Welt enthoben wurde. Durch die bewusste Setzung bestimmter Fiktionssignale wird Entgrenzung bzw. stetige Grenzüberschreitung markiert. Iser spricht auch von einem ‚Vorzeichenwechsel‘, einer ‚Einklammerung‘ der dargestellten Ausgangswelt – die neu geschaffene ‚Als-Ob‘-Welt bezeichnet nicht mehr, sie verweist. [Iser 1993: 35-47].




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*[*Mertens 2018] Mertens, Volker: Neidhart. ‚Minnesang‘ und ‚Autobiografie‘, in: Neidhart und die Neidhart-Lieder. Ein Handbuch, hg. von Margarete Springeth und Franz Viktor Spechtler, Berlin/Boston 2018, S. 43-54.
*[*Mertens 2018] Mertens, Volker: Neidhart. ‚Minnesang‘ und ‚Autobiografie‘, in: Neidhart und die Neidhart-Lieder. Ein Handbuch, hg. von Margarete Springeth und Franz Viktor Spechtler, Berlin/Boston 2018, S. 43-54.
*[*LexMA 'Kleidung'] Vavra, E.: Lemma ‚Kleidung‘, LexMA / Lexikon des Mittelalters, 10 Bände, Stuttgart [1977]-1999, Band 5, Sp. 1198-1201.
*[*LexMA 'Kleidung'] Vavra, E.: Lemma ‚Kleidung‘, LexMA / Lexikon des Mittelalters, 10 Bände, Stuttgart [1977]-1999, Band 5, Sp. 1198-1201.
*[*Iser 1993] Iser, Wolfgang: Das Fiktive und das Imaginäre, Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt am Main 1993.

Version vom 16. Mai 2021, 15:00 Uhr

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Mittelalterliche Literatur ist voll von Kleiderbeschreibungen, es gibt sie in Hülle und Fülle. In schillernden Variationen bieten sie dem Leser einen wahren Sinnesrausch, sie zelebrieren ein Schwelgen im Meer der Stoffe, Muster und Farben. Die literarisch inszenierte Kleidung bespielt eine erstaunliche Bandbreite: Vom zerschlissenen Leibtuch des Leprösen, dem ungefärbten raukratzigen Überwurf des Märtyrers, bis hin zum unermesslichen Reichtum von Adels- und Herrschergeschlechtern, goldbestickt und edelsteinbeladen, klerikale Ornate, royale Roben, unglaublich kostspielig, teils sogar exotisierter-orientalischer Provenienz (z.B. arabisch - libysch, marokkanisch usw.)

Auch Neidhart bedient sich reichlich des Stilmittels der Kleiderbeschreibung, reiht sich also auf den ersten Blick nahtlos in zeitgenössische Traditions- und Autorengenealogien ein. Auf den zweiten Blick wird jedoch sichtbar, dass Neidhart seine Kleiderbeschreibung nicht als bloße Ausschmückung der Szenerie versteht, sondern eine eigenwillige literarische Funktionalisierung derselben entwickelt.


Intertextueller Bezugsrahmen

Besonders bekannte Textstellen für ausschweifende Kleiderbeschreibungen sind wohl die sogenannten ‚Schneiderstrophen‘ im Nibelungenlied – sie seien hier in Auszügen als Ersteinstieg (und verbildlichender Lesegenuss) offeriert.

Hintergrund zur Szene: Gunther hat sich entschlossen, Prünhilt zu umwerben. Doch bevor er aufbricht, erkundigt er sich vorausschauend nach der Kleiderordnung des fremden Hofes – er will sich vor seiner künftigen Braut nicht blamieren. Sîvrit gibt kurzerhand Auskunft.

Strophe 343, Verse 1-4 Übersetzung [Brackert 1970]
»Diu mære wesse ich gerne«,   sprach der künec dô, Da sagte der König: »Bevor wir wegfahren, hätte ich noch gerne gewusst
»ê daz wir hinnen füeren   (des wære ich harte vrô), und würde mich über eine Auskunft sehr freuen,
waz wir kleider solden   vor Prünhilde tragen, welche Art Kleider wir denn wohl, um richtig angezogen zu sein,
diu uns dâ wol gezæmen:   daz sult ir Gunthere sagen.« am Hofe Brünhilds tragen sollten. Bitte, sagt es mir doch!«
Strophe 344, Verse 1-4
»Wât die aller besten   die ie man bevant, »Die schönsten Kleider, die man jemals gesehen hat,
die treit man zallen zîten   in Prünhilde lant. die pflegt man im Lande Brünhilds zu tragen.
des sulen wir rîchiu kleider   vor der frouwen tragen, Damit man nun nicht schlecht über uns spricht, wenn man später davon erzählt,
daz wirs iht haben schande,   sô man diu mære hœre sagen.« ist es unsere Pflicht, vor der Herrin prächtige Kleider zu tragen.«

Um die Reisevorbereitungen abzuschließen müssen also für sämtliche Reisebegleiter neue Kleider genäht werden! Gunther bittet seine Schwester Kriemhilt dies mit ihren Mädchen zu tun.

Strophe 361, Verse 1-4
Mit guotem urloube   die herren schieden dan. Nach diesen Worten nahmen die beiden Fürsten freundlichen Abschied und schritten von dannen.
dô hiez ir juncfrouwen   drîzec meide gân Da gab die Prinzessin Kriemhild Anweisung, dass dreißig Mädchen aus dem Kreis ihrer Hoffräulein,
ûz ir kemenâten   Kriemhilt diu künegin, die für eine solche Arbeit eine besondere Begabung hatten,
die zuo solhem werke   heten grœlîchen sin. aus ihrer Kemenate herauskommen sollten.
Strophe 362, Verse 1-4
Die árabîschen sîden   wîz alsô der snê Arabische Seide, die weiß war wie der Schnee
unt von Zázamanc der guoten   grüene alsam der klê, und feine Seide aus Zazamanc, die grün war wie der Klee,
dar in sit leiten steine;   des wurden guotiu kleit. besetzten sie mit Edelsteinen. So wurden es treffliche Kleider.
selbe sneit si Kriemhilt,   diu vil hêrlîche meit. Kriemhild selbst, die schöne Jungfrau, hatte sie zugeschnitten.
Strophe 363, Verse 1-4
Von vremder vische hiuten   bezóc wól getân Das schöne Unterfutter aus fremdländischer Fischhaut
ze sehene vremden liuten,   swaz man der gewan, bot den Leuten einen Anblick, der ihnen bis dahin unbekannt war. Was immer man davon zusammenbringen konnte,
die dahten sie mit sîden,   sô si solden tragen. das überzog man, so wie es die Helden zu tragen wünschten, mit Seide.
nu hœret michel wunder   von der liehten wæte sagen! Nun hört wunderbare Dinge von den hellen Kleidern erzählen!
Strophe 364, Verse 1-4
Von Márroch ûz dem lande   und ouch von Lybîân Allerschönste Seide aus Marokko und auch aus Libyen
die aller besten sîden   die ie mêr gewan hatten sie zu ihrer Verfügung,
deheines küneges künne,   der heten si genuoc. mehr als jemals irgendein anderes Königsgeschlecht besessen hatte.
wol lie daz schînen Kriemhilt   daz si in holden willen truoc. Deutlich zeigte Kriemhild, dass sie ihnen sehr gewogen war.
Strophe 365, Verse 1-4
Sît der hôhen verte   heten nu gegert, Da sie sich das Ziel ihrer Reise so hoch gesteckt hatten,
hármíne vederen   die dûhten si únwért. schien ihnen Pelzwerk aus Hermelin nicht kostbar genug.
pféllel daróbe lâgen   swarz alsam ein kol, So kamen noch wertvollere Stoffe aus kohlrabenschwarzem Brokat darüber:
daz noch snellen helden   stüende in hôchgezîten wol. bei festlichen Gelegenheiten würde dies alles auch heute noch tapfere Helden trefflich kleiden.
Strophe 366, Verse 1-4
Ûz árâbîschem golde   vil gesteines schein. Unzählige Edelsteine flimmerten auf arabischem Gold.
der frouwen unmuoze   diu newas niht klein: Emsig waren die Frauen an der Arbeit,
inre siben wochen   bereiten si diu kleit. und innerhalb von sieben Wochen waren die Kleider bereit.
dô was ouch ir gewæfen   den guoten réckén bereit. Da war auch die Bewaffnung für trefflichen Recken fertig.

Jürgen Breuer attestiert eine erstaunliche Auffälligkeit in zurückliegender Forschung: In vielzähligen Arbeiten habe sich die Germanistik auf mythisch aufgeladene Figuren und die mit ihnen verbundenen Objekte wie Tarnkappe, Ring oder Gürtel gestürzt, die vestimentäre Qualität per se jedoch völlig außer Acht lassend. Die Schneiderstrophen waren hinreichend bekannt, wurden jedoch sträflich missachtet. [1] Breuer stellt deutlich heraus, dass hier eine misstönende Diskrepanz zwischen Autor- und Forscherinteresse klafft. Beiläufiges Übersehen oder willentliche Ignoranz? In jedem Fall läuft die schmerzliche Lücke der eigentlichen Autorintention zutiefst zuwider. Die Autorinstanz setzt eine Vielzahl an Kleiderbeschreibungen, „die nach Ansicht bedeutender Germanisten den Ablauf des Geschehens so sehr störend unterbrechen, dass man sie sogar eliminieren könnte oder sollte.“ [Breuer] Also einfach weglassen? Nein! – vielmehr muss der Frage nachgespürt werden, warum Kleidung und „ihre Würdigung im Lied einen sehr breiten Raum einnimmt.“ [Breuer] Denn die Wahl des Gewandes scheint „für den Lieddichter und sein adeliges Publikum bei Hof von höchstem Interesse.“ [Breuer]

  1. Es gibt (soweit bekannt) nur einen einzigen publizierten Forschungsartikel, der sich an einer konzentrierten Deutung der Schneiderstrophen versucht – Wis, Marjatta: Zu den ›Schneiderstrophen‹ des Nibelungenliedes: ein Deutungsversuch, in: Neuphilologische Mitteilungen Bd. 84 (1983) S. 251-260.


Kleidung: Definition und Abgrenzung

Definition

Der Begriff ‚Kleidung‘ bezeichnet im strengen bzw. engeren Sinn ausschließlich Objekte, die der direkten Bedeckung des Körpers zweckdienlich sind. Die Bedeckung des Körpers umfasst auch die Bedeckung der Füße (z.B. Schuhe), der Hände (z.B. Handschuhe) und des Kopfes (z.B Hüte).

Kleidung als Bedeckung des Körpers erfüllt unterschiedliche Funktionen: Primär dient sie dem Schutz des Körpers vor verschiedenen Umwelteinflüssen, sekundär erfüllt sie aber auch die Einhaltung kulturell bedingter Normen (sog. ‚Schamtabus‘), die das Bedecken bestimmter Körperregionen vorschreiben. Tertiär fungiert Kleidung signifikant identitätsstiftend. [1]

In ihrer Primärfunktion als Schutz des Körpers stellt Kleidung lediglich eine Option, keine Notwendigkeit dar: Denn der menschliche Körper besitzt mit der Haut bereits eine natürliche Schutzbarriere, die mit eigenen Regulationsprozessen den verschiedenen Umwelteinflüssen entgegenwirkt. Der Mensch braucht nicht zwingend Kleidung, sie ist nicht überlebensnotwendig. Kleidung ergänzt die Haut um weitere Schutzschichten, die erhebliche Vorteile generieren können. Dank spezialisierter Kleidung konnte sich der Mensch in Klimazonen vorwagen, die ihm ohne Kleidung nur schwer bis unmöglich Lebensraum geboten hätten. Dank Kleidung trotzt der menschliche Körper plötzlich extremsten Witterungsverhältnissen – starken Schwankungen zwischen Tag- und Nachttemperatur, Hitze und Kälte, Wind, Wasser von oben oder unten und in sämtlichen Aggregatszuständen (Nebel, Regen, Eis, Schnee usw.). Zudem ermöglichte Kleidung auch die Ausweitung potentiell gefährlicher Situationen, in die sich der Mensch begeben konnte: Verletzungen bei Jagd und Kampf wurden erheblich minimiert.

  1. Martin Dinges spricht zunächst von einer anders zusammengesetzten Trias der Funktionen und zwar: „Schutz, Scham und Schmuck“ [Dinges 1992: S. 49] . Letzteren Punkt führt er in einer konsequenten Argumentationskette fort, die ebenfalls bei Identität endet: Kleidung als Schmuck sei nicht zweckfrei, sondern ziele auf Auszeichnung bzw. „Distinktion des Geschmückten“ ab. [Dinges 1992: S. 49] Ziel sei die soziale Abgrenzung von anderen durch Kleidung. Im Abspaltungsprozess der Distinktion zeige sich das existentiell-menschliche „Bedürfnis nach Identität“[Dinges 1992: S. 50].

Angrenzung bzw. Abgrenzung

Kleidung im weiteren Sinn ist eng verbunden mit den Kategorien Schmuck, Rüstung und Modeaccessoires.

  1. Schmuck umfasst alle schmückende d.h. zierende Objekte, die zwar direkt am Körper getragen werden, aber nicht primär der Bedeckung des Körpers dienen. Schmuck besteht zudem meist aus (Edel)Metall, (Edel)Steinen, Mineralien, Perlen, Perlmutt oder Elfenbein.
  2. Rüstung entspricht zunächst dem Hauptkriterium von Kleidung. Sie dient primär der schützenden Bedeckung des Körpers, unterscheidet sich allerdings aber auch in zwei wesentlichen Punkten davon: Erstens, ihr Einsatzbereich ist ungewöhnlich verengt (Extremspezialisierung) und zweitens, fällt die Materialwahl meist auf Stoffe metallurgischen Ursprungs.
  3. Modeaccessoires werden ebenso wie Schmuck in schmückend-zierender Funktion direkt am Körper getragen. Der Unterschied: Accessoires bestehen aus denselben Materialien wie Kleidung.

Der folgende Artikel schließt daher explizit die Kategorien Schmuck und Rüstung aus, sie werden in gesonderten Artikeln behandelt – siehe auch Schmuck bei Neidhart und Rüstung (und Waffen) bei Neidhart


Kulturelle Bedeutung von Kleidung

Kleidung fungiert als ordnungsstiftendes Instrumentarium im Sozialgefüge – und das nicht erst seit dem Mittelalter. ‚Kleidung ist (soziale) Ordnung‘, die vereinfachte Grundregel hat sich gewissermaßen als eine von vielen universalanthropologischen Prinzipien etabliert. [Dinges 1992: S. 49] Daraus lässt sich jedoch nicht der Trugschluss ableiten, Kleiderordnung funktioniere immer und überall gleich: Selbstfindung, Gestaltwerdung, Abspaltung, Ausformung, Etablierung durch rekursive Reproduktion sind bei den zahllosen Ordnungen quer durch Raum und Zeit fragil-sensible, komplexe und eigendynamische Prozesse. Jede Ordnung hat ihre eigene Genese. Jede Ordnung ist kulturspezifisch und historisch gewachsen. Der folgende Artikel beschäftigt sich daher ausschließlich mit Kleiderordnungen des deutschsprachigen Mittelalters – eine ‚Einschränkung‘, die mehr einschließt als ausschließt. Es ergibt sich von selbst, dass bereits in dieser vermeintlich konsistenten raumzeitlichen Größe unweigerlich Brüche, Störmomente, ja sogar Diskontinuitäten verhandelt werden müssen.

Was bedeutet ‚ordnungsstiftend‘? Wer ordnet? Was wird geordnet? Es zeigt sich eine nur schwer durchdringbare Polyvalenz, es liegt ein Regulationsmechanimus vor, der selbst reguliert wird. Inneres ordnet Äußeres, Äußeres ordnet Inneres. Jan Keupp stellt zudem die (individual)soziologische Komponente deutlich heraus: Kleidung changiert in vielerlei Facetten zwischen Eingrenzung und Entgrenzung, Universalisierung (im Sinne von Vereinheitlichung oder Gleichmachung) und Individualisierung, Stabilisierung und Destabilisierung, Integration und Rebellion. Keupp attestiert Kleidung eine „scheinbar paradoxe Doppelfunktion von Einordnung und Abhebung“ [Keupp 2014: S. 11], sie bewege sich fließend im „Spannungsfeld von sozialer Egalisierung und individueller Distinktion“ [Keupp 2014: S. 11]. Kleiderordnung werde vom Individuum einerseits als zwanghaft „starre[s] Korsett“ [Keupp 2014: S. 11] empfunden, anderseits als Kompass sozialer Konvenienz, der „eine sichere Verortung im Koordinatensystem legitimer Lebensordnung gestatte[t].“ [Keupp 2014: S. 11]

Im Folgenden soll nicht die Materialität mittelalterlicher Bekleidungspraxis in den Fokus gerückt werden, sondern deren literarische Inszenierung. Es geht daher weniger um Herstellungsverfahren oder spezifische Schnittmuster, sondern, um es mit den Worten Keupps auszudrücken, um die sozialradikale Frage ‚Was ziehe ich an?‘ [Keupp 2014: S. IX]. In ihr schwingt bereits das volle Spektrum weiterführender Überlegungen mit: Was darf ich anziehen? Wo ziehe ich es an? Für wen? Was will ich damit bezwecken?

Eine ausführliche Darstellung der realhistorischen Kleiderordnungen übersteigt den Umfang dieses Artikels. Bei Interesse seien folgende Schlagworte zur weiterführenden Eigenrecherche hilfreich genannt:

Gebiete des HRR (Heiliges Römisches Reich deutscher Nation)

  • Aufwandgesetze, Luxusgesetze (u.a. auch als Luxusordnungen bezeichnet)
    • im Übergang von Antike zu frühem Mittelalter erhaltenes Relikt aus griechisch-römischer Rechtstradition [Kuryłowicz 1985]
    • bereits unter Karl dem Großen wurden eigene Gesetzentwürfe erlassen
    • „Aufwandgesetze, Luxusgesetze sollen Individuen oder Ständen die Gränze vorschreiben, wie weit sie in ihrem Auffwande für Kleidung, häusliche Einrichtung, Gastmahle, Familienfeier u.s.w. gehen dürfen; im Alterthum und durch das Mittelalter bis in die neue Zeit herab durchgängig erlassen und gehandhabt, sind sie von der neuen Gesetzgebung fast allgemein beseitigt worden.“ [Herders Conversations-Lexikon 1854]
  • Kleiderordnungen
    • vor dem 13. Jahrhundert: viele partielle Luxusordnungen (eine Art unübersichtlicher ‚Flickenteppich‘) [Dinges 1992: S. 58]
    • 13. bis 15. Jahrhundert: anwachsende Komplexität und Vernetzung von Luxusordnungen [Dinges 1992: S. 58]
    • ab dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts: „umfassende[r] Versuch, das Kleidungsverhalten der gesamten ständisch gegliederten Gesellschaft zu beschreiben und normativ zu regeln“ [Dinges 1992: S. 58] – Ergebnis: holistisch-angelegte, gesamtgesellschaftlich greifende Kleiderordnungen
    • Die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen „Kleiderordnungen sind insofern u.a. der historisch bemerkenswerte Versuch, auf die immer dynamischer werdenden sozialen Umschichtungen mit einem Normensystem zu reagieren, das ähnlich wie Adelsnachweise oder Zunftabschließung soziale Mobilität in einer Gesellschaft mit knappen Ressourcen erschweren soll.“ [Dinges 1992: S. 58]
  • (Reichs)Polizeiordnungen
  • Sitten- und Kleidermandate

England

  • Sumptuary laws (von lat. sumptuāriae lēgēs = den Aufwand betreffende Gesetze)

Kleidung und Identität

Dreh- und Angelpunkt des hochmittelalterlichen Kleiderverständnisses sind Adel und Hof: Der Adel trägt, ist also Präsentator. Der Hof ist der Ort des Geschehens, die Schaufläche der Inszenierung. Im Adel verschmelzen Person, Kleidung und Status zu einer untrennbaren Einheit. In der mittelalterlichen Literatur ist Kleidung für den adeligen Helden weit „mehr als nur willkommener Schutz vor Witterung und unerwünschten Blicken“ [Keupp 2014: S. 26] – Kleidung ist „substantieller Bestandteil seiner adeligen Existenz.“ [Keupp 2014: S. 26] Das Innere wird über das Äußere gespiegelt: Der Kern, das soziale Selbst definiert sich „in hohem Maße über die Außensicht der anderen.“ [Keupp 2014: S. 26] Der adlige Held ist nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit seiner Kleidung dem Kalokagathie-Ideal absolut verpflichtet. Kleidung wird zur „Visualisierung seiner adligen Qualität“ [Keupp 2014: S. 26], im Umkehrschluss können in deduktiver Manier Rückschlüsse von äußerlich sichtbarer Kleidung auf innere Zustände und Vorgänge gezogen werden. Änderungen der Kleidung markieren Identitätskrisen oder Selbstfindungsprozesse (vgl. der nackte Iwein in der Wildnis). Mit der Wiederherstellung von Kleidung erfolgt auch die Rehabilitation von Person und Identität.

Auch auf niedrigerer Ordnungsstufe setzt sich dieses Strukturprinzip fort: In der stratifizierten Gesellschaft des Mittelalters kongruiert Kleidung inneres Selbstbild mit außenwirkmächtiger Repräsentation – zwei Ideenkonstrukte, die in symbiotisch-wechselseitiger Beziehung zu einander stehen und durch Kleidung erstmals physisch sichtbar werden. Das Kleid bzw. Gewand etabliert sich „als notwendiges Standeszeichen“ [Keupp 2014: S.39]: Es vermittelt „soziales Orientierungswissen“ [Dinges 1992: S. 54], es fungiert als „zuverlässiger Indikator im komplexen Zeichensystem sozialer wie moralischer Ordnung“ [Keupp 2014: S. 41]. Die Vorstellung anhand „Farbe, Schnitt und Verarbeitung der Kleidung auf die Zugehörigkeit zu Geschlecht, Alter, Gruppe und Stand schließen zu können“ [Keupp 2014: S. 41] sei im Mittelalter, so Keupp, eine zentrale gewesen und habe daher auch „breiten Niederschlag“ [Keupp 2014: S. 41] in zahlreichen Texten (nicht nur literarischen!) gefunden. So entwickelten sich nicht nur Kleiderordnungen im höfischen Raum, sondern für sämtliche Standesgruppen: Jeder Mann, jede Frau, jeder Bauer, jeder Handwerker, Kleriker oder auch der spätere Stadtbürger kannte genaue Vorschriften, geschriebene wie ungeschriebene, wie er sich zu kleiden hatte. Die jeweiligen Regeln waren fester Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses.

Die mittelalterliche Literatur kennt jedoch auch zahlreiche Beispiele der irreführenden Verkleidung – Keupp wirft grundsätzlich die Frage auf: Können wir wirklich von einer unverbrüchlichen Gleichsetzung von Kleidung und Identität ausgehen, oder müssen wir dem mittelalterlichen Rezipienten eine weitaus differenziertere, spielerische Auffassung von Körper und Hülle zugestehen? [Keupp 2014: S. 35] Gerade im Fastnachtsspiel kommt es zu vestimentären Grenzüberschreitungen, die ridikülisiert werden, die gerade aus dieser Markierung ihr Unterhaltungspotential schöpfen, die eindeutig darauf angelegt sind, von ihrem Publikum entlarvt, regelrecht lustvoll demaskiert zu werden. Eine „vollkommene Kongruenz von Kleidung, Denken und Handeln“ [Keupp 2014: S. 36] ist, so Keupp, aus diesem karnevalesken Treiben eben nicht abzulesen: Das Spiel mit Kleidung erschließt völlig neue Handlungsfelder bzw. Spielräume, durch das „Kostüm und den damit verbundenen gewandelten Interaktionsrahmen“ [Keupp 2014: S. 36] werden dem Kostümierten überraschend vielseitige „Handlungsrepertoires jenseits seiner ständischen Ehrenhaftigkeit eröffnet“ [Keupp 2014: S. 36]. Dennoch vermag es die Maskerade nicht eine neue hochfunktionale Identität zu erschaffen. Sie bleibt ein Spiel der durchdachten Möglichkeiten, deren Potential noch auf der Bühne ausgeschöpft werden muss.


Semantische Bedeutung von Kleidung

Semantik bedeutet so viel wie die ‚Lehre von Wortbedeutungen‘. Der Begriff ‚Semantik‘ wurde im 19. Jahrhundert aus dem Französischen ins Deutsche entlehnt. Als Begründer der Semantik gilt der französische Philologe Michel Bréal, der den sprachwissenschaftlichen Terminus sémantique entscheidend prägte, abgeleitet vom Adjektiv griech. sēmantikós (σημαντικός) ‚zu einem Zeichen gehörig, bezeichnend, deutlich‘; vom Verb griech. sēmaínein (σημαίνειν) ‚durch ein Zeichen kenntlich machen, bezeichnen‘, sowie vom Subjekt griech. sḗma (σῆμα) ‚Zeichen, Schriftzeichen‘. [DWDS – Lemma ‚Semantik‘]

Die Semantik beschäftigt sich folglich mit der Korrelation zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Auch Kleidung fungiert als Zeichen, sie verweist stellvertretend auf etwas Bezeichnetes.

Verweischarakter: die ‚Lesbarkeit der Welt‘

Keupp stellt fest, dass der illiterate Mensch des Mittelalters ein umtriebiges Bedürfnis gehabt habe, seine Welt mit einer eigenen Sprache zu versehen, die gleichsam gelesen und verstanden werden konnte. Eine Welt der Zeichen, die zuverlässig Bezeichnetes ersetzte. Voraussetzung war der konventionalisierte Gebrauch der Zeichen, erst dadurch wurde universale Lesbarkeit möglich. Keupp postuliert also ein gesamtgesellschaftlich-geteiltes Grundbedürfnis nach einer Welt der sichtbaren Zeichen, einer Welt der Äußerlichkeit. Keupp selbst bezeichnet dieses Bedürfnis als „explizite[s] Verlangen nach Visualisierung gesellschaftlicher Wertekategorien“ [Keupp 2014: S. 41] , blickt dabei aber zurück auf Martin Dinges, der bereits zwei Jahrzehnte zuvor von einem Wunsch nach der ‚Lesbarkeit der Welt‘ [Dinges 1993] spricht. Dinges wiederum bedient sich bei dem deutschen Philosophen Hans Blumenberg, der das grandiose Wortspiel mit seinem 1981 erstveröffentlichten und gleichnamigen Werk ‚Die Lesbarkeit der Welt‘ ersinnt.

Nach allgemeinem Konsens innerhalb der Forschung ist die Welt des Mittelalters maßgeblich dem Prinzip einer ‚verpflichtenden Visualität‘ unterworfen. [Bauschke u.a. 2011] Horst Wenzel spricht von einer ‚Kultur der Sichtbarkeit‘ [Wenzel 2005], Jacques Le Goff von einer ‚Kultur der Gestik‘. Beiden gemein ist die Bedeutsamkeit des Köpers. Im Mittelalter wird durch und mit dem Körper gesprochen. [Wenzel 1988] Körperliche Zeichen wie Küsse, Blicke oder Berührungen der Hände haben regelgeleitete Bedeutungen. Je nach Kontext variiert diese Bedeutung. Ort, Zeit und personelle Besetzung des Geschehens nehmen deutlichen Einfluss auf die Interpretation körperlicher Zeichen. Besonderen Stellenwert nimmt der öffentliche Raum ein: Körperzeichen, die hier ausgetragen werden, gelten als besonders prekär, wer hier ein heimliches oder gar hinterhältiges Spiel der Bedeutungen beginnt, macht sich dem politischen Gegenüber schuldig. Ein falscher Gebrauch von Körperzeichen evoziert Brüche im sozialen Miteinander, der Körper des anderen kann nicht mehr richtig gelesen werden, es entstehen folgenreiche Missverständnisse.

Die lesbare Welt des Mittelalters ist eng verknüpft mit einer Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarkeit der Dinge. Nur was äußerlich sichtbar wird, kann gelesen werden. Deshalb spielt Kleidung eine entscheidende Rolle bei der Lesbarkeit des Körpers. Im Regelfall wird der Körper von Kleidung bedeckt, in der mittelalterlichen Gesellschaft bleiben nur wenige Körperregionen unbedeckt und damit sichtbar. Der restliche Körper verschwindet unter mehreren Kleiderschichten. In diesem Augenblick übernimmt Kleidung die mitteilende Funktion des Körpers. Plötzlich muss mit und durch Kleidung gesprochen werden.

Nacktheit: Die Abwesenheit von Kleidung

Einen Sonderfall stellt die Abwesenheit von Kleidung bzw. die Nacktheit des Körpers dar. Stefan Bießenecker macht deutlich, dass ‚nackt‘ nicht gleich ‚nackt‘ ist. Es gibt graduelle Unterschiede des Nacktseins, die in jeder Kultur anders bewertet werden. Jede Kultur benennt unterschiedliche Körperregionen, die bedeckt werden müssen oder unbedeckt bleiben dürfen. Es gibt kein universal geteiltes Verständnis, ab wann ein Körper als hinreichend bekleidet oder anstößig nackt gilt. Nacktsein ist also kein natürlicher Zustand, sondern ein kulturelles Konstrukt.

In den Kulturwissenschaften galt Norbert Elias‘ 1939 veröffentlichtes Werk ‚Über den Prozess der Zivilisation‘ „lange Zeit als Grundlagenwerk“ [Bießenecker 2008: S. 9] . Elias postulierte, dass der vormoderne Mensch ein naiv-kindliches, unbefangenes und unvoreingenommenes Verhältnis zum eigenen Körper pflegte. Erst der Mensch der Moderne habe den körperfeindlichen Kampf zwischen und innerhalb der Geschlechter vorangetrieben. Bießenecker verweist in der Einleitung zum Sammelband ‚Und sie erkannten, dass sie nackt waren – Nacktheit im Mittelalter‘ auf den grundlegend veränderten Tenor, der nach Elias Einzug hielt. Zahlreiche Erkenntnisse, die besonders literaturwissenschaftlicher Aufarbeitung zu verdanken sind, zeigen, dass der mittelalterliche Mensch den Körper deutlich negativierte. Dies zeigt sich bereits in einer kleinen Auswahl an Begriffen, die der mittelalterlichen Semantik des Körpers entstammen: Scham etabliert sich als dysphemistische Bezeichnung des Genitalbereichs, Entkleidung wird zu Entblößung, Nacktsein zieht gleich mit Erniedrigung, Demütigung und Ehrverlust (siehe hierzu öffentliche ‚Entblößungsstrafen‘). Gerade im Bereich des Religiösen verkommt der Körper zum Inbild seelengefährdender Ruhelosigkeit: Nacktheit lief stets Gefahr, in Gefilde von „Verführung, Lust und Sündhaftigkeit“ [Bießenecker 2008: S. 11] abzugleiten. Körper mussten bedeckt werden – wo sie es nicht waren, wurden eindeutig Systembrüche markiert. [1]

  1. Dieser ‚Moment des Bruchs‘ wird in den verschiedenen Textgattungen auf erstaunlich unterschiedliche Weise funktionalisiert, zur weiterführenden Lektüre sei empfohlen: Und sie erkannten, dass sie nackt waren. Nacktheit im Mittelalter, Ergebnisse einer interdisziplinären Tagung des Zentrums für Mittelalterstudien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 3. & 4. November 2006, hg. von Stefan Bießenecker, Bamberg 2008 (Bamberger interdisziplinäre Mittelalterstudien 1).


Farbe

An dieser Stelle muss vorab eingeräumt werden, dass eine umfassende Aufarbeitung der Thematik ‚Farbe‘ mehrere Bände füllen würde. Basales Hintergrundwissen ist jedoch unumgänglich, möchte man verstehen, welchen Prestigecharakter Kleidung in besonders satt-reinen, kräftigen Farben genoss.

Farbstoffe, -pflanzen, -handel

Bei der Wahl des Farbstoffes war die Materialität des zu färbenden Objekts ausschlaggebend: Für Textilgewebe waren überwiegend Farbstoffe pflanzlichen Ursprungs in Gebrauch. Für die Buch- Tafel- und Wandmalerei, bei denen Untergründe wie Pergament, Papier, Holz, Lehm- oder Kalkputz für den Farbauftrag vorliegen, wurden hauptsächlich mineralische oder tierische Farbstoffe verwendet. [LexMA 'Farbe']

Folgende Tabelle gibt einen Überblick zu den wichtigsten Färbemitteln für Kleidung im Mittelalter - Gefärbt wurden unter anderem:

  • Textilgewebe (tierische Wolle, Leinen, Baumwolle, Seide etc.)
  • Leder
  • Pelze
Farbe Färbemittel Herkunft Erläuterung
Blau (Färber)Waid (botanisch: Isatis tinctoria L.) [LexMA 'Farbe'] Europa Eine in mitteleuropäischen Breiten kultivierbare Färberpflanze, die den sog. Farbstoff Indigo enthält. Sie ist bereits seit der Vorgeschichte in regem Gebrauch. [LexMA 'Waid']

U.a. schreibt Caesar in seinem Werk ‚De bello Gallico‘: „Omnes vero se Britanni vitro inficiunt, quod caeruleum efficit colorem, atque hoc horridiores sunt in pugna aspectu“ (Liber 14, 2)
Alle Britannier benetzen/tränken/überziehen (bemalen? einreiben?) sich wirklich mit Waid, weil es eine blaue Färbung erzeugt, und dadurch bieten diese im Kampf einen noch schrecklicheren Anblick.

„Um den Indigofarbstoff zu gewinnen, wurden die frisch geernteten Waidblätter im Mittelalter zu einem Pflanzenbrei vermahlen und zu Bällen geformt. Beim Trocknen bildete sich durch Fermentation darin dann ein unbegrenzt haltbarer Farbstoff.“ [Biertümpfel u.a. 2013: S. 16]
Die trocknen Waidbällchen waren gut transport- und lagerfähig. Diese Handhabung ermöglichte eine räumliche und zeitliche Trennung zwischen Ort der Anpflanzung und eigentlichem Färbeprozess. Im nächsten Produktionsschritt wurde der pulverisierte Farbstoff unter Zugabe von Wasser, Urin und alkalischer Lauge (meist Pottasche) wieder aufgelöst. Die Brühe schwamm in großen Bottichen, die zu färbenden Textilien wurden mehrere Stunden bis Tage eingeweicht. Der enthaltene Urin verursachte eine alkoholproduzierende Gärung. Alkohol wird benötigt, um den Farbstoff Indoxyl, der im Naturprodukt in Form unbrauchbarer Derivate (Isatan A, Isatan B, Indican) vorliegt, aufzuspalten. Danach wurden die nassen, in diesem Zustand noch gelben Stoffe zum Trocknen an der Luft aufgehängt – durch Oxidation entstand rasch die erwünschte blaue Farbe. Abschließend musste der Stoff erst mit einer Essiglösung, dann mit reichlich frischem Wasser nachgespült werden. [Biertümpfel u.a. 2013: S. 16-18]

(Indigo)Blau Echter Indigostrauch (botanisch: Indigofera tinctoria L.) [LexMA 'Farbe'] Indien, China, Sumatra und Brasilien [Biertümpfel u.a. 2013: S. 10] Der Farbstoff wird „aus den rosaroten/purpurnen Blüten eines trop. Schmetterlingsblütlers gewonne[n]“. [LexMA 'Indigo'] Im Mittelalter zählten zu den wichtigsten Anbaugebieten Quilon (heutiges Kollam/Indien), Cambay (Indien), Kerman (Iran) und Hormuz (Iran). Von dort aus wurden das kostbare Gut über Bagdad in den Mittelmeerraum und weiter nach Europa importiert. Mindere Qualitäten stammten aus Oberägypten und Zypern. Am regen Handel beteiligten sich seit Mitte des 12. Jahrhunderts vor allem oberitalienische Kaufleute, später auch Belgier und Portugiesen. [LexMA 'Indigo']
Der Indische Indigo färbt deutlich intensiver und farbechter als der europäische Färberwaid und war daher sehr begehrt.
Blau Färberknöterich (botanisch: Polygonum tinctorium Ait.)[Biertümpfel u.a. 2013: S. 10] Osteuropa, Asien (besonders Japan) xx
Rot (Färber)Krapp (botanisch: Rubia tinctorum) [LexMA 'Farbe'] Europa In Europa beheimatete Färberpflanze. Bereits seit den Römern bekannt.
Gewinnungsprozess: „Die Farbkraft stammt aus der Wurzel, die nach 2 bis 3 Jahren mit bes. Arbeitsgeräten im Frühherbst unter hohem Einsatz von Spezialarbeitskräften gegraben wurde, um die nur wenig unter der Erdoberfläche liegenden Wurzeln nicht zu zerstören. Um die Wurzelbildung zu fördern, wurde das Laub mehrfach gemäht. […] Die K.wurzeln wurden in Öfen getrocknet, danach zerkleinert und gemahlen. Aus Kern, inneren und äußeren Schichten der Wurzeln entstanden unterschiedl. Qualitäten als Handelsprodukte, die je nach Verunreinigung mit Erde die verschiedenen Färbequalitäten und -tönungen von hell- bis dunkelrot beeinflußten.“ [LexMA 'Krapp']
Rot Saflor oder Färberdistel (botanisch: Carthamus tinctorius) [LexMA 'Farbe'] Europa xx
Rot Brasilholz (diverse Rothölzer) [LexMA 'Farbe'] Indien, Sumatra, Ceylon, Brasilien Brasilholz gehört zu den Rothölzern, die seit dem 13. Jahrhundert über italienische Händler aus den Anbaugebieten Indien, Sumatra und Ceylon importiert wurden. Im Italienischen war das Holz auch bekannt als it. verzino ‚Rotholz‘, der Namensbestandteil ‚brasil-‘ leitet sich ab von portugiesisch Adj. brasil ‚glutrot‘. Im Jahr 1500 wurde Brasilien vom portugiesischen Konquistador Pedro Alvares Cabral entdeckt, die Bezeichnung ‚Brasilholz‘ ging auf dort beheimatete Rothölzer, Fernambuk- und Bahiaholz, über. [LexMA 'Farbe']
Rot Kermes [LexMA 'Farbe'] Europa, Amerika unechtes Karmin = aus diversen Arten von heimisch-europäischen Schildläusen

echtes Karmin = Cochenilleschildlaus, Import-Laus aus den amerikanischen Kolonien - sehr begehrt, da höherer Farbstoffgehalt.

Rot Färberflechten (der Gattung Rocella) Europa U.a. zur Herstellung von ‚Lackmus‘ (pulvriger Farbstoff in einer Farbpalette von Blau über Violett zu Rot) tauglich.
Gelb Wau (botanisch: Reseda luteola) [LexMA 'Farbe'] Europa Auch bekannt als Färber-Resede, Gelb- oder Gilbkraut. [LexMA 'Wau']
Gelb Saflor oder Färberdistel (botanisch: Carthamus tinctorius) [LexMA 'Farbe'] Europa In Mitteleuropa gedeihende Färberpflanze.
Gelb Safran (botanisch: Crocus sativus) [LexMA 'Farbe'] Europa, ursprünglich vermutlich Vorderer Orient Aus den sog. ‚Narben‘ der Blüte einer speziellen Krokusart gewonnen. Besonders für die Seidenfärberei geeignet. Auch heute noch eines der teuersten Gewürze der Welt. [LexMA 'Safran']
Grün xx xx Überfärben blauer Stoffe mit Gelb:

1. Färbedurchlauf: Blaufärben mit Waid.
2. Färbedurchlauf: Überfärben mit Wau.
Ergebnis: Grün.
Für dunklere Grüntöne wurde noch Krapp beigemischt. [LexMA 'Wau']

Braun Eichenrinde [LexMA 'Farbe'] Europa xx
Schwarz xx xx Eine der schwierigsten zu färbenden Farben. Benötigt mehrfaches Überfärben in unterschiedlichen Farben, daher sehr teuer und wertvoll.
Violett Färberflechten (der Gattung Rocella) [LexMA 'Farbe'] Europa Mittels aus der Färberflechte gewonnenem 'Lackmus'.
Purpur verschiedene Purpurschnecken (u.a. Haustellum brandaris und Haustellum trunculus) [LexMA 'Farbe'] hauptsächlich Mittelmeerraum, Nordatlantik Sehr teuer. Das Sekret der unterschiedlichen Schneckenarten färbt in unterschiedlichsten Nuancen – pastellgelb, hellgrün, dunkelgrün, blaugrün, blau, violett, bis hin zu rot-, violett- oder blaustichig schwarz, aber auch zartrosa, dunkelrosé und sattrot. Das Sekret hat an der Luft und im Sonnenlicht einen spektakulären Farbumschlag: Erst gelb, dann grün, blau, purpur(violett) und schließlich scharlachrot. [LexMA 'Purpur']

Durch Zugabe metallischer Beizen konnten die Grundfarben nochmals stark variiert werden z.B. wird die Grundfarbe Rot des Krapps durch Zugabe von Aluminium-Beize ‚leuchtendrot‘, von Zinn-Beize ‚orange‘, von Eisen-Chrom Beize ‚braun‘, von Kupfer-Beize ‚violett‘. [Struckmeier 2003: S. 407] Es ist unschwer zu erkennen, wie giftig aus heutiger Sicht die Färberbrühe für die ungeschützten Färber war (Hautkontakt, Einatmen der Dämpfe usw.)

Der Anbau von Farbpflanzen und deren Weiterverarbeitung war kosten- wie arbeitsintensiv. Man benötigte eine Vielzahl an Ressourcen – menschliche und tierische Arbeitskraft, fruchtbares Ackerland, viel (!) Wasser usw. Die benötigten agrarischen Nutzflächen wurden meist in Stadtnähe angesiedelt, um die Logistik der Transportwege zu optimieren. Orts- und zeitnah entwickelten sich Zentren zur Textilproduktion. Die beiden Gewerbe waren vielschichtig ineinander verstrickt. [LexMA 'Farbe']

Wichtige Anbaugebiete waren:

für Waid [LexMA 'Farbe']

  • seit dem 12. Jh. in Namur (heut. Belgien)
  • seit dem 13. Jh. am Niederrhein, in Thüringen, Frankreich (Gascogne, Languedoc zw. Toulouse, Albi und Narbonne, Normandie, Picardie), Italien (Piemont, Toskana)
  • seit dem 14. Jh. in Westfalen (Soest)
  • spätestens im 15./16. Jh. in England (Lincolnshire, Somerset)

für Krapp [LexMA 'Farbe']

  • seit dem 12. Jh. im ndl. Seeland
  • seit dem 14. Jh. in Schlesien (Breslau), Niedersachsen (Braunschweig), am Oberrhein (Speyer, Straßburg) und an der Obermosel (Trier), in Frankreich (Provence), Spanien (Kastilien) und Ungarn

für Wau [LexMA 'Farbe']

  • nach 1300 weitverbreitet in Europa, bes. aber in Thüringen, am Nieder- und Oberrhein, in Frankreich (Picardie) und z. T. in England

für Saflor [LexMA 'Farbe']

  • Südfrankreich, Italien und Spanien

für Safran bester Qualität [LexMA 'Farbe']

  • seit dem 12. Jh. aus Oberitalien (Toskana), Südfrankreich und Spanien (Aragón, Katalonien)

für Safran minderer Qualität [LexMA 'Farbe']

  • im 15./16. Jh. am Oberrhein, in Niederösterreich und England (East-Anglia)

Farbsymbolik

Im vorangegangenen Abschnitt wurde bereits die mittelalterliche Kosmovision einer ‚Lesbarkeit der Welt‘ vorgestellt. Die Welt des Mittelalters kennt verschiedene ‚Sprachen‘, in denen kommuniziert werden kann. Sprach- bzw. Zeichensysteme, die ihre Welt lesbar machen. Jedes dieser Systeme verwendet unterschiedliche Sinnträger, um Botschaften zu übermitteln. Sinnträger können sein: Personen, Zahlen, Orte, Zeiten, Ereignisse, Qualitäten, aber auch Dinge. Bei ontologischen Größen liegt die Besonderheit vor, dass „nicht nur die Worte (voces), sondern auch die mit ihnen gemeinten Dinge (res) bedeutungshaltig sind.“ [LexMA 'Farbe'] Sowohl Bezeichnetes (die eigentliche Botschaft) als auch das Zeichen selbst werden zum Gegenstand mittelalterlicher Bedeutungsauslegung, der sog. Allegorese. Ein wichtiges Teilgebiet der Allegorese ist auch die Lehre von den Farben und ihren Bedeutungen. [LexMA 'Farbe']

Farbe fungiert als lesbares Zeichen. Farbe ist Sinnträger, transportiert Botschaften. Diese Eigenschaft von Farbe ist in sämtlichen Kulturen universell konstant. Schwieriger wird es, wenn einer einzelnen Farbe bestimmte Bedeutungen zugeordnet werden sollen: Hier liegen sogar innerhalb ein und derselben Kultur vielschichtige Überlagerungen und Vernetzungen von Bedeutung vor. Die Komplexität von Farbsymbolik erschwert die Deutung, meist müssen kompliziert polyvalent-verstrickte Muster entwirrt werden. Vor diesem Hintergrund bleibt es unmöglich zu behaupten, diese oder jene Farbe bedeute genau dieses oder jenes. Stets muss der individuelle Kontext berücksichtigt werden, allein die Textgattung gibt entscheidende Hinweise wie und warum Farbattribuierungen gesetzt worden sein könnten, z.B. werden die Farben Grün, Violett oder Schwarz in einem liturgischen Gebrauchstext andere Bedeutungen aufweisen als im höfischen Roman oder der Hohen Minne. [Oster 2014: S. 20]

Carolin Oster stellt folgende Liste der wichtigsten Farbordnungen des Mittelalters zusammen: [Oster 2014: S. 21-22]

Sakral-religiöse Farbsysteme

  • christliche Farballegorese
  • liturgische Farben

Profan-weltliche Farbsysteme

  • Farbsymbolik der Minne
  • Farbsymbolik der Heraldik (sogar mit eigener Nomenklatur der einzelnen Farben)
  • Gewandfarben
  • Farben in Malerei und Architektur
  • Edelsteinfarben
  • Blumenfarben [Wackernagel 1872]
  • Farben der Temperamente
  • Farben der Tugend und Laster
  • Farben der Elemente
  • Farben der Planeten
  • Farben der Wochentage
  • Farben der Jahreszeiten
  • Farben des Lebensalters bzw. der Lebensabschnittsphasen
  • Farben der Windrichtungen
  • Farben der Körpersäfte
  • Farben von Tod und Krankheiten
  • usw.


Zur Veranschaulichung seien hier ausgewählte Beispiele von Farbordnungen vorgestellt.


Potentielles Bedeutungsspektrum des Lexems ‚Rot‘ [LexMA 'Farbe']

  • Rot als Blutfarbe: Passion Christi, Martyrium, Blutschuld der Juden an Christus, Christenverfolgung;
  • Rot als Farbe glühenden Feuers: Hl. Geist/Gnade, Liebe, Intensität verschiedener Tugenden, Feuergericht bei der Wiederkunft christi, ird. Bedrängnis
  • Rot als Farbe natürlicher Schamröte: Scham, Buße, Bekenntnis, Liebe/Zorn/Freude Christi
  • Rot als Farbe roter Erde: irdische Natur Christi, menschl. Schwachheit
  • Rot als Weinfarbe: Abendmahl, Blut Christi, Kelch des Leidens
  • Rot als Farbe des Morgenrots: begrenzte Gotteserkenntnis
  • Rot als Farbe der Sonnenglut: Zeit der Gnade Christi
  • Rot als Farbe rötlich gefleckter Haut des Aussätzigen: Sünde
  • Rot als Farbe des Elfenbeins oder Farbqualität des Goldes: Kostbarkeit


Beispiele aus der Edelsteinallegorese [LexMA 'Farbe']

  • Grün: Glaube, Hoffnung, Kontemplation, Keuschheit, Strenge, ewiges Leben
  • Blau: Himmlisches in weitem Bedeutungsumfang, göttl. Natur
  • Schwarz: Sündhaftigkeit/Teufel, geistige Traurigkeit, Unglück, Demut, Unwissenheit
  • Weiß: Glaube, Wahrheit, Reinheit, Freude, Glück
  • Gelb: Tod, Buße, Mäßigung, Reichtum


Farbenspektrum der Minne (nach Silvan Wagner) [Wagner 2011: S. 551]
Kontext: Er analysiert die Märe ‚Der Gürtel‘ Dietrichs von der Glezze.

  • Weiß = Keuschheit/Hoffnung
  • Grün = Minneanfang
  • Rot = Minnenot
  • Blau = Treue
  • Schwarz = Trauer
  • Gelb = Minnelohn


Farbenspektrum der Minne (nach Susanne Brügel) [Brügel 2008]
Kontext: Sie vergleicht 20 Texte und nominiert 7 bedeutungstragende Grundfarben.

  • Rot = brennende Liebe / auch negativ besetzt als Leiden der Liebe
  • Gelb = gewährte Liebe / negativ besetzt: soll weg. Geheimhaltung der (gewährten) Liebe nicht getragen
  • Blau = Treue
  • Grün = Anfang der Liebe, erste Liebe
  • Weiß = wem Liebe offenbart und zugestanden wurde, liebendes Andenken
  • Schwarz = Wut, Beleidigung, Streit, Kränkung durch den Geliebten
  • Grau = richtige Minne, Adel, Frohgestimmtheit (hôher muot)


Zwischenfazit

Farbige Kleidung war immens kostbar. Ihr Wert errechnete sich aus der Summierung mehrerer Faktoren: Zunächst bestimmte die Auswahl des Materials, das gefärbt werden sollte, den Grundpreis; z.B. feinstes Kalbsleder, hauchzarte Seide oder Baumwollsamt waren aufgrund ihrer materiellen Beschaffenheit (Herkunft, Verfügbarkeit, Herstellungsprozess usw.) bereits sehr teuer. Es folgte die Auswahl des richtigen Farbstoffs und des richtigen Färbeverfahrens. Die Farbe bzw. der Farbstoff war teuer. Der Prozess des Färbens verschlang Unmengen an Ressourcen, war zeit- und arbeitsintensiv. Das fertig gefärbte Stück Tuch, Pelz oder Leder wurde abermals quer durch Europa transportiert und auf großen Umschlagplätzen gehandelt. In einem letzten meist mehrwöchigen Verarbeitungsschritt musste jedes einzelne Kleidungsstück von Hand zugeschnitten und genäht werden. Es folgten weitere Zierelemente wie Gold- und Silber-Stickereien, das Aufnähen von Perlen usw. Selbst auf den ersten Blick unscheinbar wirkende Details wie Borden, die nur fingerbreit die Kragen säumten, mussten in winzig anmutenden Rahmen gewebt oder geknüpft, eventuell bestickt werden. Das Nähen neuer Kleidung in Auftrag zu geben, war stets gleichbedeutend mit einer entsprechend großen Summe Geld, die dafür bereitstehen musste. Vor diesem Hintergrund entlarven z.B. die Schneiderstrophen im Nibelungenlied überraschend detailverliebt die finanzielle Situation der literarisch Kleidernähenden und Kleidertragenden: Es liest sich fast wie eine Einkaufsliste der benötigten Utensilien für die einzelnen Kleidungsstücke, jedem Posten könnte ein realer Geldwert zugeordnet werden. Die Schneiderstrophen rechnen auf, sie enthüllen, in welchem verschwenderischen Luxus der Wormser Hof schwelgt. Die Burgunderkönige sind unvorstellbar reich. Ihren Reichtum stellen sie mit Kleidung zur Schau.


Kleines Glossar (mit Belegstellen)

Wortlaut im mhd. Original (konkrete Realisation) Belegstelle Alternative Notationen Bedeutung des Lexems
barchâne Winterlied 1 (IV, 2) barchant, barchât, barchet [Lexer 1872-1878: Bd. 1, Sp. 127] Etymologisch herleitbar von arab. Barrakan ‚grober Wollstoff‘ [Kiessling u.a. 1993: S.31] - ursprünglich aus Kamel- oder Ziegenhaar gefertigt.

Barchent ist ein Mischgewebe aus Baumwoll-Schuss auf Leinen-Kette. [Simon-Muscheid 2005]

Das Gewebe ist einseitig oder beidseitig aufgeraut. [Kiessling u.a. 1993: S.31]

Aus finanziell-ökonomischer Sicht des Mittelalters war Baumwolle der weitaus wertvollere Bestandteil dieses Mischgewebes: Während Leinen aus heimischem Flachs gewonnen werden konnte, musste Baumwolle aus dem östlichen Mittelmeerraum aufwendig und kostspielig importiert werden. Das Endprodukt war leichter und geschmeidiger als reines Leinen, der hohe Baumwollanteil sorgte zudem für verbesserte Pigmenteinlagerung beim Färbeprozess, es entstand Tuch in satteren und strahlenderen Farben. [Simon-Muscheid 2005]

phellerîne Winterlied 24 (V, 4) phellelîn, phellerîn, phellîn [Lexer 1872-1878: Bd. 2, Sp. 236] Adjektivbildung zu phellel, mit der Bedeutung ‚ein feines kostbares seidenzeug (auch wollenzeug?)‘ oder ‚gewand, decke u. dgl. aus solchem, allgem.‘ [Lexer 1872-1878: Bd. 2, Sp. 235 bis 236]
goller Winterlied 24 (Va, 4) x Goller oder Koller

Die etymologische Herleitungskette baut sich auf wie folgt:
1. Ursprung im lat. collum ‚Hals‘
verwandt mit dem Adjektiv lat. collaris ‚zum Hals gehörig‘ und der Substantivierung collare ‚Halsband (Hund), Halsfessel/ Halseisen/Halskette (Sklave)
2. Übertragung in mlat. collārium ‚Halsrüstung‘

Der Eingang ins Deutsche erfolgte auf zwei verschiedenen Wegen:
A. unmittelbar als ahd. chollāri
B. um 1200 als Lehnwort aus franz. collier

Im mhd. koller vereinen sich beide Einflüsse. Das Wort bezeichnet eine Halsbekleidung an Männer- und Frauengewändern. [Kluge 1957: S. 389]

rinkelohte Winterlied 24 (V, 2) rinkeloht [Lexer 1872-1878: Bd. 2, Sp. 451 bis 453] Derivat aus ‚rinkel‘ + Suffix ‚oht‘

d.h.
mhd. rinkel, auch in den Formen rinke, ringge= nhd. ‚spange, schnalle am gürtel, schuh etc.‘ [Lexer 1872-1878: Bd. 2, Sp. 451 bis 452]
-oht, auch in den Formen -ëht, -ëhte oder -loht, -lëht = kein, lexikalisches, sondern ein rein grammatisches Suffix d.h. das Suffix fügt keine neue lexikalische Bedeutungserweiterung hinzu, sondern verändert die grammatische Kategorie des Gesamtwortes. In diesem Fall handelt es sich um ein Adjektivierungssuffix – das Suffix macht aus dem Substantiv ein Adjektiv.

Weiter Beispiele für den Gebrauch des Suffix -oht:
mhd. ringeloht, ringelëht = nhd. ‚mit ringen versehen, geringelt, gekräuselt‘ [Lexer 1872-1878: Bd. 2, Sp. 447 bis 450]

Im Neuhochdeutschen ist das Suffix -loht nahezu verschwunden, nur in schwäbischer Mundart ist es als -lochet (gesprochen: -lochåt) erhalten geblieben.

Grundbedeutung ist also, dass besagtes Kleidungsstück mit einer Schnalle versehen ist.

schaperûne Winterlied 24 (V, 1) schaperûn, schapperûn, schaprûn [Lexer 1872-1878:Bd. 2, Sp. 660 bis 661] ‚kaputze, kurzer mantel‘ [Lexer 1872-1878:Bd. 2, Sp. 660 bis 661]

Lehnwort aus franz. chaperon [BMZ Benecke/Müller/Zarncke 1854-1866: Bd. II/2, Sp. 87a bis 87b]

rîsen Winterlied 27 (IV, 9) rîse [Lexer 1872-1878: Bd. 2, Sp. 458 bis 459] eine ‚art herabfallender schleier‘ [Lexer 1872-1878: Bd. 2, Sp. 458 bis 459]
golzen Sommerlied 18 (III, 4) kolze , golze [Lexer 1872-1878: [Bd. 1, Sp. 1667 bis 1668] Wort nur im Plural gebräuchlich, mit der relativ offenen Bedeutung einer Art ‚fuss- u. beinbekleidung‘ [Lexer 1872-1878: [Bd. 1, Sp. 1667 bis 1668]

Die Lexikon-Angabe ist äußert unspezifisch gehalten, es kommen mehrere Möglichkeiten in Betracht: Gemeint sein könnten alle Varianten von Strümpfen, kurz bis hoch; Beinlinge; sämtliche Möglichkeiten von Schuhwerk, flach, knöchelhoch, Stiefeletten, Stiefel usw.

Lehnwort aus it. calzo, calzone, franz. caleçon, ursprünglich abgeleitet von lat. calceus [Lexer 1872-1878: Bd. 1, Sp. 1667 bis 1668]

gebende Winterlied 27 (V, 5) gebende Substantivierung/Nominalisierung zum Verb ‚binden‘ = Gebinde

Grundständige Bedeutung in etwa ‚alles womit gebunden wird: band, bandschleife‘ [Lexer 1872-1878: Bd. 1, Sp. 750 bis 752]

Im mittelalterlichen Modejargon kommt es zu einer Bedeutungsverengung, das Gebende bezeichnet hier einen Teil der Kopfbedeckung, die von Frauen getragen wurde: Beim Gebende handelt es sich um einen breiten Streifen Tuch, der unter dem Kinn lag, dann sehr straff anliegend links und rechts über die Ohren nach oben geführt wurde. Je nach Breite des Streifens waren auch die Wangen teils bedeckt. Der Streifen wurde Hinterkopfs gebunden und/oder mit Nadeln fixiert. Er konnte durch ein zusätzliches Stirnband ergänzt werden, was eine gänzliche Rahmung des Gesichts ermöglichte. Das Gebende wurde kombiniert mit schapel oder rîse getragen. Für schapel siehe auch Schmuck bei Neidhart

buosemblech Winterlied 27 (VII, 7) buosem-blëch [Lexer 1872-1878: Bd. 1, Sp. 389] Kompositum aus ‚buosem‘ + ‚blech‘

d.h.
mhd. buosem = nhd. Brustteil der Bekleidung des Oberkörpers - ‚der den busen bedeckende theil des kleides, des rockes‘ [Lexer 1872-1878: Bd. 1, Sp. 388 bis 389]
mhd. blech = nhd. Blech, dünngewalztes oder -gehämmertes Metall, danach in Form geschnitten und mit Löchern versehen - ‚blättchen, meist metallblättchen‘ [Lexer 1872-1878: Bd. 1, Sp. 301]

Vermutlich handelt es sich also um ein Obergewand, auf dessen Brustteil kleine Metallplättchen genäht wurden, ähnlich einer leichten Brustpanzerung (Schuppenpanzer?) siehe auch Rüstung (und Waffen) bei Neidhart

gebræmet Winterlied 27 (VII, 10) bræmen, brëmen [Lexer 1872-1878: Bd. 1, Sp. 340] Partizip II (Partizip Perfekt) zum mhd. Verb bræmen

Das Verb existiert im Neuhochdeutschen in der Form ‚verbrämen‘, die Bedeutung ist nur noch mit absteigender Tendenz bekannt: Es ist ein Tätigkeitsverb und fällt in den Bereich des Nähens, laut Duden bedeutet es so viel wie ‚am Rand, Saum mit etwas versehen, was zieren, verschönern soll‘ [Duden - Lemma ‚verbrämen‘]

Bei diesem Vorgang wird der Rand eines Kleidungsstückes nicht nur gesäumt, sondern zusätzlich verbrämt d.h. mit einem schmückenden Abschluss versehen, das abschließende Stück kann alles Denkbare sein z.B. eine gewebte Borte, ein Samtband oder Pelzbesatz usw.

hiufelbant Winterlied 27 (VII, 8) x Kompositum aus ‚hiufel‘ + ‚bant‘ - gemeint ist ein Wangenband.
pfeit Winterlied 27 (VIIb, 8) x skythisch *baitā ‚Hirtenrock‘ wurde zu...

urgermanisch *paiđō
→ gotisch paida ‚Rock‘
→ ahd. pfeit ‚Unterkleid‘

heute noch in dialektischer Mundart bekannt: bairisch Pfoad ‚Hemd‘ [Köbler 2014]

hiubelhuot Winterlied 10 (VI, 2) x Kompositum aus ‚hiubel‘ + ‚huot‘ - wörtlich übersetzt ist damit ein Haubenhut gemeint. Der Haubenhut ist ein Helm und dient dem Schutz seines Trägers.[BMZ Benecke/Müller/Zarncke 1854-1866:Bd. 1, Sp. 734a]
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Funktionskatalog bei Neidhart

Neidharts Lieder enthalten eine Fülle an Kleiderbeschreibungen. Allein der Umfang ist bemerkenswert. Neidhart belässt es jedoch nicht dabei, Beschreibungen von Kleiderstücken als bloße Zierde der Szenerie einzuflechten, er instrumentalisiert sie geradezu: In verschiedenen Sprechsituationen übernehmen sie unterschiedliche Funktionen. Der folgende Abschnitt konzentriert sich daher auf die Leitfrage: Wie wird Kleidung bzw. ihre literarische Inszenierung bei Neidhart funktionalisiert?

Dabei werden ausgewählte Aspekte die Analyse tragen:

  1. Spiel mit Autonomie: Mimesis vs. Kunstwelt
    1. Dörperliche Nachahmung der höfischen Welt
      1. Männer – Winterlied 24 und Winterlied 27
      2. Frauen – Sommerlied 22
  2. Instrumentarium des Spotts
    1. Eitelkeit vor Tauglichkeit – Winterlied 14
    2. Der schrille Vogel – Winterlied 29
    3. Der Gockel – Winterlied 18
  3. Kampf der Geschlechter – Mann und Frau
    1. Missglückte Anbahnung, missverstandene Minne – Winterlied 27 und Winterlied 33
    2. Männliche Gewalt, (weibliche?) Hilflosigkeit – Winterlied 27
    3. Zeichen der (Un)Verbindlichkeit – Sommerlied 18
  4. Generationenkonflikt – Mutter und Tochter
    1. Alterstopos und Erotik – Sommerlied 17
  5. Eskalationspotential
    1. Indikator für latente Gewalt – Winterlied 1
    2. Diabolisierung: Des Teufels gestreifte Kleider – Winterlied 27

Spiel mit Autonomie: Mimesis vs. Kunstwelt

Das Neidhartsche Œuvre tritt zugleich als versöhnliches und gestörtes Zerrbild des klassischen Minnesangs in Erscheinung: Vieles wirkt vertraut, integriert sich scheinbar mühelos, nahtlos, manches wird hingegen nur spitzfindig anzitiert, anderes wiederum offensichtlich konterkariert, manches wird nur wahllos eingestreut, anderes stört, hier und da entzweien sich die Gesichter, Kanten gleiten auseinander, Brüche ragen schroff empor. Neidhart greift bereits Dagewesenes auf, moduliert, fügt Neues hinzu – es entspinnt sich ein zarter Versuch zwischen konsequenter Mimesis und leichtfüßiger Autonomie.

Der Begriff Mimesis stammt von altgriechisch μίμησις mímēsis und bedeutet zunächst einmal schlicht ‚Nachahmung‘ oder ‚Darstellung‘. Bereits in der Antike haben sich mehrere wegweisende Denker mit dem Begriff auseinandergesetzt. Aristoteles versteht unter Mimesis ein menschliches Grundbedürfnis nach Nachahmung: Er verweist dabei auf eigene Beobachtungen der menschlichen Natur, die zeigen, dass der Mensch vom Kleinkindalter an bereits in der Lage sei, das Verhalten seiner sozialen Interaktionspartner nachzuahmen, dass der Mensch im spielerischen Spiegeln seines Gegenübers fremde Verhaltensmuster übernehme und problemlos ins Eigene integriere. [Wulf 2014: S. 247] In seiner Poetik entwickelt Aristoteles die Mimesis schließlich zu einem ästhetischen Prinzip: Der Mensch dürste danach, die von ihm vorgefundene Natur nachzuahmen. Diese Nachahmung kann auf unterschiedlichen Gebieten umgesetzt werden z.B. in Form von Dichtung oder bildender Kunst. Dabei soll nicht eine „simple Kopie der Realität“ [Lemma 'Mimesis'] erzeugt werden, vielmehr geht es um „eine kreative Darstellung der Wirklichkeit nach der Maßgabe der ›Wahrscheinlichkeit‹“ [Lemma 'Mimesis']. Im Gegensatz zu Platon, der im steigenden Verarbeitungsgrad eine qualitätsmindernde, von der Realität abrückende Bewegung sieht, sucht Aristoteles gerade die eigensinnige, neuerschaffende Schöpfungskraft der Mimesis. Platon verabscheut die stetige Entfernung vom Urbild, die er Idee nennt, er hält bereits ontologisch greifbare Größen wie Gegenstände für Abbilder, sie sind nur noch der Abglanz vom ursprünglichen Glanz, Mimesis verkommt hiernach zu Abbildern von Abbildern, also ontologischen Größen zweiten Grades, sie sind gewissermaßen der Abglanz vom Abglanz. [Wulf 1997: S. 91-92]

Mimesis bedarf stets eines Referenzpunktes, auf den sie sich bezieht. Die nachahmende Welt gerät in eine Abhängigkeit von ihrer nachgeahmten Welt. Doch auch die nachgeahmte Welt ist keine unangetastet-unveränderliche, sie hat ihrerseits Vorgänger, die sie selbst nachahmt. Die Systeme sind untereinander vielfältig verknüpft, keines steht für sich allein.

Wissensordnungen „verschieben sich und geraten in Bewegung. Durch den Bezug aufeinander ändern sie sich, unaufhörlich. Es entsteht ein mimetisches Verhältnis der Zeichen zueinander, in dem längst nicht mehr eine ›Wirklichkeit‹ das Modell der Nachahmung bildet, sondern in dem Wort- und Bildzeichen selbst zum Modell anderer Zeichen werden, die sie nachahmen und dabei verändern, so daß in einem komplexen mimetischen Prozeß Neues entsteht.“ [Wulf 1997: S. 83]

Impliziert der Begriff Mimesis anfänglich die Vorstellung einer absolut realitätsgetreuen Nachahmung der Welt, wird bei näherer Betrachtung klar, dass auch Mimesis auf die Erzeugung einer artifiziellen, literarisch verfremdeten Welt abzielt. Mimesis ist schöpferisch, sie erschafft geradezu eine Kunstwelt. Zu hinterfragen bleibt, welche Art von Kunstwelt erschaffen wird. Legt man sich eine graduelle Abstufung von Realitätstreue zurecht, lässt sich die mimetisch erschaffene Kunstwelt beruhigend nahe am Realitätsgeschehen einordnen.

Manuel Braun widmet sich in seiner Habilitation genau diesem eigenwilligen Spiel mit Autonomie, dass sich im Neihartschen Werk entfaltet. Braun führt den Nachweis, dass Neidharts Weltentwurf kein mimetischer ist. Es handelt sich nicht um eine Welt des klassischen Minnesangs, bloß „im Modus der Verzerrung“ [Braun 2007: S. 259] präsentiert, sondern um eine bis ans äußerste getriebene Kunstwelt, „die sich fast schon hermetisch nach außen abschließt.“ [Braun 2007: S. 259] Brauns methodischer Ansatz entwickelt sich im Dreischritt, Braun spricht auch von „drei Anläufe[n]“ [Braun 2007: S. 259], die er zu unternehmen gedenke:

  1. Sein erstes Postulat besagt, dass jede Innovation einen retrospektiven Anker benötigt: Ohne Basis, keine Weiterentwicklung. Ohne Definition, keine Abgrenzung. Ohne Vorlage, keine Karikatur. Neidharts OEuvre funktioniert nur, wenn der klassische Minnesang vorausgesetzt wird.
  2. Im nächsten Schritt will Braun untersuchen, auf welche Art und Weise sich Neidhart im ‚Baukastensystem‘ des klassischen Minnesangs bedient: Welche Elemente werden ausgewählt? Werden sie in ursprünglicher Form und Funktion verwendet? Was wird abgewandelt? Es geht um die Frage, welche literarische Realisierung, Braun spricht von Konkretisierung [Braun 2007: S. 263], uns von Neidhart schlussendlich angeboten wird.
  3. Krönender Abschluss bildet dann die Ableitung eigener Gesetzmäßigkeiten: Nach welchen Regeln spielt Neidharts neu geschaffene Kunstwelt?

Neidharts Weltentwurf lebt vor allem durch sein innovatives Figurenpersonal. Aus der ungewöhnlichen Zusammensetzung erwächst ein unglaublich unterhaltsames Potential des gegenseitigen Belauerns, man umschleicht sich, beäugt und wird selbst misstrauisch beäugt. Es entspinnt sich ein Verwirrspiel des Folgens und Verfolgens. Unterschiedliche soziale Schichten prallen ungehindert aufeinander, ein beachtliches Konfliktpotential lauert im aufgeworfenen Grabenbruch.

Das Figurenpersonal lässt sich gut in zwei Lager aufteilen, wobei Lager wohl nur für eine Seite des Konflikts zutrifft – auf der anderen Seite steht eine einzige Einzelperson und zwar das Sänger-Ich Nithart von Riuwental. Sein Dilemma ließe sich getrost als ‚Ich gegen den Rest der Welt‘ zusammenfassen, so kommt es ihm jedenfalls vor. Der Lebenslauf des Protagonisten Neidhart lässt sich, betrachtet man alle bekannten Lieder summa summarum, folgendermaßen rekonstruieren: Neidhart entstammt dem niederen Adel, er besitzt kein eigenes Allodialgut (im Erbrecht der eigenen Familie verankert), sondern muss sich mit einem Lehensgut namens Riuwental (nahe Landshut oder im Salzburgischen, beides erscheint möglich) begnügen. Der Name seines Lehens wurde dann zu seinem eigenen Namensbestandteil – eine häufige Praxis. Der Namenszusatz Riuwental kann nicht nur als geographische Verordnung, sondern auch im übertragenen Sinne gelesen werden: Es bedeutet so viel wie ‚Tal der Reue, Jammertal, Sorgental‘. [Mertens 2018: S. 48] Wie ist das zu verstehen? Neidhart kommt ursprünglich aus der höfischen Sphäre. Er ist zwar Ritter niederen Standes, hatte aber dennoch eine höfische Laufbahn hinter sich, durchlief vermutlich von Kindesalter an bis zum jungen Mann ein großes Spektrum höfisch-ritterlicher Erziehung. Er hat miterlebt, wie höfisches Leben zelebriert wird. Er kennt die strengen Regeln der höfischen zuht – aber auch die Genüsse, die der ausschweifend-luxuriöse Lebenswandel des Hofes zu bieten hat. Neidhart hat die schönsten Edeldamen gesehen und konnte sie (zumindest aus angemessener Distanz) bewundern. Er weiß, wie sich der Adel kleidet, wie er spricht und tanzt. Neidhart ist mit der hohen Kunst des Minnesangs vertraut, er weiß, wie man eine vrouwe hohen Standes mit süßen Worten, gut platzierten Flüstereien oder schmachtenden Liedern geschickt umgarnt. Er kennt die Grenzen, weiß die Sprache der Liebe wohldosiert einzusetzen. Als er den Hof schließlich verlassen muss und auf sein eigenes Lehen geschickt wird, fühlt sich der Abzug wie eine Vertreibung aus dem Paradies an. Neidhart ist gezwungen die Lust am Leben, Lieben, Lachen und Tanzen für immer hinter sich zu lassen. Sein Lehen Riuwental liegt ländlich, fernab vom Hof, tiefste Provinz, plötzlich gibt es nicht mehr als Felder, Kühe – und Bauern! Für Neidhart ein katastrophaler Absturz. Plötzlich muss er sich mit den lästigen Alltagssorgen des Landlebens herumschlagen – es fallen Schlagworte wie ‚armer Ritter‘ und hûssorge [Mertens 2018: S. 48] Die planvolle Bewirtschaftung seiner Ländereien liegt ihm nicht, die Misserfolge häufen sich, sein Land bringt kaum Ertrag. Als Lehensherr ist er zudem Rechtsinstanz, er muss für Recht und Ordnung innerhalb seiner Bauernschaft Sorge tragen. Neidhart ist allein. Er ist der Einzige, der aus der höfischen Welt stammt. Niemand, der seine wehmütige Erinnerung teilt. Neidhart sitzt an einem Ort fest, den er als Verbannung ins Exil empfindet, und bläst Trübsal.

Schließlich beginnt Neidhart sich anderweitig umzuschauen: Doch alles, was er findet, sind ausgerechnet Bauern – ein großer unzivilisierter Haufen, der auf den ersten Blick mit der höfischen Gesellschaft so gar nichts gemein zu haben scheint. Er belegt sie mit dem Schmähwort dörper. Alles an ihnen ist auffällig und laut, übertrieben, die Dörper sind zu viel von allem: Ihr körperliches Auftreten ist zu raumgreifend, bedrängend und zurückdrängend, sie pöbeln, schubsen, stoßen, grapschen nach den Frauen, wenn sie sich nicht rechtzeitig außer Greifweite bringen können. Ihr Sprachgebrauch ist unverschämt derb, bisweilen gar obszön, ihre Stimmen sind laut und grölend. Die Dörper rotten sich zusammen, lauter junge Burschen, bewaffnet mit Knüppeln, Dolchen, Messern und sogar Schwertern, scheinbar wahllos ziehen sie durch die Gassen, um Präsens zu zeigen. An Fest- und Feiertagen gibt es dann kein Halten mehr: Die Dörper werfen sich in Schale, putzen sich heraus – Sommerlied 4 (Strophe IV, 2-3) die suln balde ir bestez vîrtacgewand an legen, / lâzen sich dar inne ersehen! – stolzieren mit geschwellter Brust vor den kichernden Mädchen. Alles eilt dann zum Dorfanger, der großen Wiese, um zu tanzen. Die Tänze sind wild und ausgelassen, es wird gesprungen, die Röcke der Frauen fliegen hoch und weit, unbedecktes nacktes Bein wird sichtbar… Männer wie Frauen nutzen die Gelegenheit, um ansonsten unerlaubte Berührungen zu heischen, die so im wilden Trubel gut kaschiert werden können. Besonders begehrt sind die Männer, die gut tanzen können. Es gibt regelrechte Vortänzer, die in der ganzen Region für ihre flinken Füße bekannt sind.

Ausgerechnet in diese Welt stürzt sich nun Neidhart und beginnt seinerseits die Bauernmädchen und Frauen zu umwerben, selbstverständlich auf seine Art, ganz im Dienst der Hohen Minne. Wie zu erwarten sind die Dörper alles andere als begeistert, als der ungewöhnliche Nebenbuhler plötzlich auf den Plan tritt. Zwischen Neidhart und Dörpern entbrennt ein verbitterter Konkurrenzkampf um die Frauen.

Sehr schnell beginnen die Grenzen zwischen Neidharts höfischer Welt und Dörperwelt jedoch ineinander zu fließen: Neidhart hält sich nicht mehr an die strikten Ehrenregeln, die er eigentlich gelernt hat, er beginnt mit zahlreichen Mädchen Tändeleien, erste Gerüchte von ungewollten Schwangerschaften und sitzengelassenen Liebchen werden laut. Und auch die Dörper sind nicht das, was sie sein müssten: Sie tragen plötzlich Kleidung, die durch und durch höfisch ist! Ihre Kleider sind überbordend, verschwenderisch, unglaublich teuer, verbrauchen Unmengen an Stoff für aufwendige Raffungen, es gibt Röcke, die in winzige Falten gelegt werden, besonders auffällig sind die schillernden Farben.

Kleidung fungiert hier als Konkretisierung ganz im Sinne Brauns. Anhand von Kleiderbeschreibungen wird sichtbar, wie Neidhart die alten Regeln des Minnesangs plötzlich kopfstellt und völlig neuartige Kunstfiguren kreiert.

Dörperliche Nachahmung der höfischen Welt

Männer – Winterlied 24 und Winterlied 27


Winterlied 24 (Strope IV, 6) [ATB 44] Übersetzung
gerne mugt ir hœren, wie die dörper sint gekleidet: üppiclîch ist ir gewant. Sehr gerne sollt ihr hören, wie die Dörper gekleidet sind: Völlig übertrieben ist ihre Kleidung.

Die Kleiderbeschreibungen werden dem Rezipienten nicht durch eine neutrale Erzählerinstanz vermittelt, sondern von Nithart höchstpersönlich, das Sprecher-Ich der Lieder mit dem wohl höchsten Redeanteil. Er spart nicht an Worten, wenn es darum geht, die von ihm gehassten Dörper zu beschreiben.

Winterlied 24 (Strophe V, 1-2) [ATB 44] Übersetzung
Enge röcke tragent sî und smale schaperûne, Enge Röcke tragen sie und schmale Kurzmäntel,
rôte hüete, rinkelohte schuohe, swarze hosen. rote Hüte, mit Rinken/Schnallen versehene Schuhe, schwarze Beinlinge.
Winterlied 24 (Strophe Va, 2-4) [ATB 44] Übersetzung
sie trugen peckkelhauben, darczu lange swert. Sie trugen Pickelhauben, dazu lange Schwerter.
ir spottigkait […] Ihre Lächerlichkeit […]
des wurdens durch die goller mer denn halb gewert. die wurde durch ihre Halskrausen mehr als genug gewährleistet.

Im Winterlied 24 echauffiert sich Neidhart ganz besonders über den Dörper Frideprecht:

Winterlied 24 (Strophe X, 1-2 und 5) [ATB 44] Übersetzung
Rädelohte sporen treit mir Fridepreht ze leide, Mit Rädern versehene Sporen trägt Frideprecht, darunter leide ich sehr,
niuwen vezzel hât er baz dan zweier hende breit. […] er hat ein neues Schwertband (Gürtel?), von sehr guter Qualität, breiter als zwei Hände. […]
zwêne niuwe hantschuoh er unz ûf den ellenbogen zôch. zwei neue Handschuhe hat er sich bis über die Ellbogen hochgezogen.

Bei der Beschreibung der Körper und ihrer Kleidung geht Neidhart bzw. das Sprecher-Ich nicht geordnet vor. Seine Augen folgen scheinbar keiner Struktur, keinem Ablauf – sie huschen hierhin und dorthin, er kann sich nicht festlegen, markiert keinen Start- und Endpunkt. Denkbar und auch naheliegend wäre ja ein visuelles Abtasten von oben nach unten, vom Scheitel bis zur Sohle. Doch Neidharts Blick schwirrt, verliert sich in Details, auf die er sich mit großer Besessenheit stürzt. In feinsäuberlicher Manier zerlegt er einzelne Kleidungsstücke bis ins letzte Detail – und lässt sie so plötzlich fallen, wie er sie aufgegriffen hat, springt zum nächsten, kehrt dann aber wieder zurück zum vorangegangenen Objekt. Es gibt Kleidungsstücke, die ihm keine Ruhe lassen, die ihn aufwühlen und seine Gedanken lange beschäftigen: darunter fallen im Winterlied 24 der Goller (goller, Strophe Xb, 6) und das lange Dörperschwert [1] (sîn niuwez swert, Strophe Xb, 2).

Der Blick auf Kleidung ist also ein zutiefst subjektiver, es ist Neidhart, der seine Augen mit uns teilt. Durch seine Augen erblicken wir die Welt. Neidharts Blick auf die Kleider der Dörper ist widerwillig. Er empfindet Abneigung aus zweierlei Gründen: Erstens frönt er der Überheblichkeit des eigenen Standes, als Ritter möchte er sich von niedrigeren Ständen größtmöglich abgrenzen, eifersüchtig verteidigt er Kleiderprivilegien, die im Mikrokosmos von Riuwental allein ihm zustehen sollten und sonst keinem anderen. Er ist hier der einzige von hoher Geburt. Zweitens gründet seine Abneigung aber auch in einem fassungslos-ohnmächtigen Gefühl der Fremdbeschämung – Winterlied 18 (Strophe II, 4-10) zwêne dörper […] si truogen beide röcke nâch dem hovesite, […] bi dem tanze, daz ich michs erschamt. Die Dörper orientieren sich bei ihrer Kleiderwahl nicht nur ungeniert an höfischen Vorbildern, sie überzeichnen die Vorlagen mutwillig, wollen mehr, machen mehr, noch mehr Stoff, noch mehr Falten, noch schrillere Farben – man sieht Neidhart förmlich vor sich, wie er die Faust gegen die Stirn schlägt und stöhnt. Guter Geschmack lässt sich nicht kaufen! Winterlied 24 (Strophe Va, 3): ir spottigkait, ir laster sie gar zu laster brachten - ihr spöttisches Treiben verkehrt sich ins Gegenteil und fällt auf sie zurück, sie geben sich selbst der Lächerlichkeit preis.

Bisweilen schleichen sich jedoch auch leise Untertöne von Missgunst und akuter Eifersucht ein. Nämlich dann, wenn die Dörper besonders kostbare Kleidungsstücke tragen, deren Anfertigung eine schöne Summe Geld verschlungen haben muss.

Winterlied 24 (Strophe V, 4-5) [ATB 44] Übersetzung
ich nîde ir phellerîne phosen, ich neide ihnen ihre seidenen Gürteltaschen/Beutel,
die si tragent […] die sie tragen […]


Immer wieder redet sich Neidhart in Rage, indem er die lästigen Kleiderstücke der Dörper Schlag um Schlag aufzählt, sie sind das Mantra seiner unterschwellig brodelnden Wut:

Winterlied 10 (Strophe VI, 1-2) [ATB 44] Übersetzung
Im hilft niht sîn treie Ihm wird weder sein Wams (gesteppte Weste mit leicht schützender Funktion)
noch sîn hiubelhuot […] noch sein Haubenhut helfen […]


Neidhart kocht, wenn er sieht, was der Dörper Lanze zur Schau trägt:

Winterlied 1 (Strophe IV, 1-3) [ATB 44] Übersetzung
Lanze eine treien treit, Lanze trägt ein Wams,
diu ist von barchâne, das ist aus Barchent,
grüene alsô der klê. genauso grün wie Klee.


Das es noch extravaganter geht, zeigt ein namenloser geiler getelinc - Winterlied 27 (Strophe VI, 3):

Winterlied 27 (Strophe VII, 7-11) [ATB 44] Übersetzung
diu sînen rôten buosemblech Seine rote Brustzierplättchen (vermutlich ein Obergewand, das mit kupfernen Metallplättchen besetzt ist),
diu sint ir ungenæme gar, dar zuo sîn hiufelbant. die gefallen ihr [der Angebeteten] überhaupt nicht, genauso wenig wie sein Wangenband (Kinnband des Helms?).
enge ermel treit er lanc, Er trägt lange, enge Ärmel.
die sint vor gebræmet, Diese sind verbrämt,
innen swarz und ûzen blanc. innen schwarz und außen weiß.
Winterlied 27 (Strophe VIIa, 9-12) [ATB 44] Übersetzung
ein vil guotez lînîn tuoch, Ein sehr gutes leinenes Tuch,
sehzehn elen kleine, sechszehn Ellen weit,
hât sîn hemde und ouch sîn bruoch: daraus wurde sein Hemd und auch seine Bruche genäht;
der site ist ungemeine. diese Sitte ist ungeheuerlich anmaßend.

Neidhart warnt deutlich: im enmac gehelfen niht sîn hovelîch gewant – Winterlied 27 (Strophe VII 4). Ihn wird sein höfisches Gewand nicht retten! Diesen Kontrahenten wird er sich vornehmen.

Die Dörper selbst sind aber auch nicht ‚auf den Mund gefallen‘, sie ertragen Neidharts Frotzelei nicht schweigend, sondern schießen schlagfertig zurück. Sie verhöhnen ihn, er sei selbst der allerbunteste Vogel hier – Winterlied 27 (Strophe VIIc, 8) spreckelehte vogel – und sein Gesang sei nichts weiter als lästiges Gezwitscher. Als krönende Konter ziehen sie ihrerseits seine Kleidung ins Lächerliche:

Winterlied 27 (Strophe VIIb, 1-8) [ATB 44] Übersetzung
Her, Nithart, mug irz lâzen? Herr Neidhart, wollt ihr es nun endlich bleiben lassen?
iu mac misselingen. Euch soll es übel ergehen.
nu habt ez ûf die triuwe mîn, Ich schwöre es bei meiner Treue,
und mag ich, ez muoz iu bî dem tanze werden leit! wenn wir beim Tanz aufeinandertreffen, wird es euch leidtun!
welt ir ûf der strâzen Ständig wollt ihr auf der Straße
vil mit uns gedringen, mit uns wetteifern,
swie breit ab iuwer multer sîn, wie breit doch euer ‚Melkeimer‘ absteht,
dâ gelpfe schînet under iuwer ringelehte pfeit […] da scheint er glänzend unter eurem geringelten Rock hervor […]

Bei dem ‚Melkeimer‘ handelt es sich vermutlich um eine obszöne Umschreibung für das männliche Geschlechtsteil, das bei Neidhart wohl sehr prominent aus der Kleidung herauszuragen scheint.

Anmerkungen:

  1. Das lange Dörperschwert sorgte wohl auch bei Neidharts Zeitgenossen für große Belustigung, das geflügelte Wort findet unter anderem bei Wolfram von Eschenbach im ‚Willhelam‘ anerkennend seinen Platz (VI, 312, 11ff.) [Lienert 1989: S. 1]


Frauen – Sommerlied 22

Auch die Frauen tragen Kleider, die auffällige Abweichungen zeigen, Kleider, die nichts Ländlich-Bäurisches mehr an sich haben. Zu harter (Feld-)Arbeit taugen sie jedenfalls nicht.

Sommerlied 22 (Strophe III, 3;7-8) [ATB 44] Übersetzung
stolze mägde […] Schöne Mädchen […]
tuot, als ich iuch lêre, tut es so, wie ich es euch jetzt beibringe:
strîchet iuwer kleider an! Streicht eure Kleider aus!

Gemeint ist wohl, das aufwendige Ausbürsten wertvoller Kleider – Staub, lose Hautschuppen oder (Tier-)Haar müssen entfernt werden. Manche Stoffe wie Samt werden auch erst durch ein kräftiges Aufrauen mit der Bürste mattglänzend und schön zu tragen.

Sommerlied 22 (Strophe IV, 1-2) [ATB 44] Übersetzung
Ir brîset iuch zen lanken, Schnürt euch die Flanken (die Taille?),
stroufet ab die rîsen! streift die Schleier ab!

Wer spricht hier eigentlich? Es ist Neidhart selbst. Und erstaunlicherweise gibt er den Dörper-Frauen auch noch genaue Anweisung, wie sie mit ihrer Kleidung zu verfahren haben: Erst aufbürsten, dann enger schnüren, zum Schluss die wallende Haarpracht freilegen. Neidhart fordert die Frauen hier ganz klar zu erotisch-aufreizender Koketterie auf. Bemerkenswert, da Neidhart den männlichen Dörpern ja eindeutige Ressentiments gepflegten Hasses entgegenstellt. Die Frauen haben es ihm jedoch deutlich angetan. Er zeigt sich großzügig, lässt sie an seinem Kleider-Wissen, das er am Hof erworben hat, teilhaben. Er lehrt sie, wie sich höfische Damen kleiden und wie sie diesem Vorbild mit vereinfachten Mitteln – eben dem, was zur Verfügung steht – nacheifern können.

Unter der Vielzahl an Mädchen sticht besonders Friderun heraus:

Sommerlied 22 (Strophe IV, 4-6) [ATB 44] Übersetzung
Vriderûn als ein tocke Vriderun sprang wie eine Puppe
spranc in ir reidem rocke in ihrem gefältelten Rock
bî der schar in der Schar [der TänzerInnen]

Vriderun trägt einen gefältelten Rock. Das Fälteln ist ein sehr aufwendiger Nähvorgang: Jede einzelne Falte muss einzeln gelegt und anschließend mit Stichen fixiert werden. Umso kleiner die Fältelung sein soll, umso mehr Falten braucht man – mehr Falten bedeuten größerer Arbeitsaufwand und Stoffverbrauch.

Instrumentarium des Spotts

Eitelkeit vor Tauglichkeit – Winterlied 14

Neidhart spottet: Die Dörper sind so eitel, dass sie sogar in der brüteten Sommerhitze nicht bereit sind, ihre Haubenhüte und dicken Wämser abzulegen, mit verbissener Miene, in gemimter Tapferkeit tragen sie sie weiter.

Winterlied 14 (Strophe IIa, 6-10) [ATB 44] Übersetzung
ich sach hiuwer, dazs ir hiubelhüete Ich sah diesjährig, dass sie ihre Haubenhüte
den ganzen summerlangen tac den ganzen sommerlangen Tag
truogen in der grôzen swebelhitze, in der großen Schwefelhitze trugen,
ir troien an, ebenso ihre Wämser,
dicker denne ein hant und beidenthalben ketenîn. dicker als eine Hand breit und auf beiden Seiten aus Ketten bestehend.


Der schrille Vogel – Winterlied 29

Im Winterlied 27 wird Neidhart in einer dörperlichen Trutzstrophe als spreckelehte vogel (Strophe VIIc, 8) verunglimpft. Die Schmähung bezieht sich sowohl auf seinen misstönend-nervtötenden Spottgesang, als auch auf seine buntgesprenkelte Kleidung. Das Vogelmotiv taucht an anderer Stelle erneut auf: Diesmal ist es Neidhart, der den Dörper Hildemar bloßzustellen versucht.

Winterlied 29 (Strophe V, 8; Strophe VI, 1-4) [ATB 44] Übersetzung
seht an Hildemâren! // Seht ihn euch an, den Hildemar! //
Der treit eine hûben, diu ist innerthalp gesnüeret Der trägt eine Haube, die ist auf der Innenseite geschnürt
und sint ûzen vogelîn mit sîden ûf genât. und auf der Außenseite sind Vögel mit Seidenstoffen aufgenäht.
dâ hât manic hendel sine vinger zuo gerüeret, Da haben einige Hände ihre Finger dafür arbeiten lassen,
ê si sî gezierten […] bis sie sie [die Haube] verziert hatten […]

Tuch und Seidenstoffe sind welschen Ursprungs – Winterlied 29 (Strophe VI, 7-8) der die sîden und daz tuoch / her von Walhen brâhte. Das mhd. Substantiv walch, walhe geht zurück auf ahd. walah* / as. *walha, mit der ursprünglichen Bedeutung ‚Fremder‘. Gemeint waren Angehörige nicht-germanischer Sprachgruppen, explizit Kelten. In späterer Zeit wurde der linguistische Ursprung des Begriffs verschliffen, das Adjektiv wurde zur Herkunftsbezeichnung und umriss vage ‚italienische oder französische‘ (keltische) Siedlungsgebiete. [Köbler 2014]

Hildemars Haube fällt auf. Sie erregt Aufmerksamkeit. Aus zweierlei Gründen: Bunte Seidenstoffe sind sehr teuer; Stoffe, die derart zugeschnitten, arrangiert und aufgenäht werden, dass plastisch erkennbare Vögel entstehen, bedürfen einem hohen Maß an Kunstfertigkeit und Geduld. Hildemar trägt diese kostspielig-provokante Haube bewusst. Hildemar will auffallen. Er will gesehen werden. Soweit so gut, Hildemars Plan ist grandios, seine Haube phänomenal… doch da bleibt etwas, was er einfach nicht in den Griff bekommt. Hildemar hat auswucherndes, zu allen Seiten üppig davonspringendes Haar. Es ist so wild und gelockt, dass er die aufgebrachte Masse nicht unter die prächtige Haube zwängen kann. Sein Haar verrät ihn, entlarvt seine bäuerliche Natur. Er hat eben nicht das schön gepflegte, seidenglatte Haar adliger Höflinge. Zudem trägt er den völlig falschen Haarschnitt.

Winterlied 29 (Strophe VII, 1-8) [ATB 44] Übersetzung
Habt ir niht geschouwet sîne gewunden locke lange, Habt ihr nicht gesehen, wie seine langen gewundenen Locken
die dâ hangent verre vür daz kinne hin ze tal? bis über das Kinn hinaus zu Tal hängen?
in der hûben ligent sî des nahtes mit getwange In der Haube liegen sie nachts eingequetscht,
und sint in der mâze sam die krâmesîden val. sie sind in ihrer Masse so vollgestopft wie Krämerbuden-Seide.
von den snüeren ist ez reit von den Schnüren ist es gekräuselt
innerthalp der hûben, innerhalb der Haube,
volleclîche Hände breit, in Fülle vorhanden und handbreit,
so ez beginnet strûben. so beginnt es sich zu sträuben.

Neidhart lacht. So schnell also vergeht Hildemar, dem sprenzelære (Strophe V, 1), sein gespreiztes Umherstolzieren!

Winterlied 29 (Strophe VIII, 1-4) [ATB 44] Übersetzung
Er will ebenhiuzen sich ze werdem ingesinde, Er [Hildemar] will sich in Nebenbuhlerschaft zu herrlichem Ingesinde üben,
daz bî hoveliuten ist gewahsen und gezogen. das bei den Hofleuten aufgewachsen ist und dort auch erzogen wurde.
begrîfents in, si zerrent im die hûben alsô swinde: ergriffen sie ihn dabei, sie würden ihm geschwind die Haube zerreißen:
ê er wæne, sô sint im diu vogelîn enpflogen. ehe es ihm bewusst wird, sind ihm bereits die Vöglein entflogen.

Hildemar ist weit übers Ziel hinausgeschossen. Er maßt sich Kleidung an, die ihm nicht zusteht. Würde ihn das Hofpersonal in die Finger kriegen, wäre er übel dran: Sie würden ihm das Gefieder raufen. Am Ende ist Hildemar nicht, wie anfangs beabsichtigt, ein prächtiger Vogel – sondern ein völlig derangiert-zerzauster. Der letzte Vers kann im doppeldeutigen Sinn auch noch etwas anderes bedeuten: Mit Vöglein könnten nicht nur die Motive seiner Haube, sondern auch die begehrten Mädchen gemeint sein. Seine Haube wird zerrissen, die Seidenvögel flattern zu Boden. Mit der Entblößung seiner ungebändigten Haarmähne verliert er plötzlich jegliche Attraktivität. Die Mädchen wollen ihn nicht länger haben und verschwinden – die lieblichen ‚Vöglein‘ sind entflogen.


Der Gockel – Winterlied 18

Ein weiterer Vogel hat es Neidhart besonders angetan: Der Gockel. An vielerlei Stelle beschreibt Neidhart, dass die Dörper ausladende Halskrausen tragen.

Winterlied 18 (Strophe II, 9-10) [ATB 44] Übersetzung
œdeclîchen wunden sî den kragen In eitler Manier wunden sie sich den Kragen
bî dem tanze, daz ich michs erschamt. beim Tanz, dass ich mich schämte.

Er vergleicht die Kragen mit dem aufgeplusterten Brustgefieder, das über dem geschwollenen Kropf von Gockeln liegt.

Winterlied 18 (Strophe V, 1-4) [ATB 44] Übersetzung
Sône müet mich niht an Brûnewarte, Es gibt nichts, was mir bei Brunwart mehr Mühe macht,
niwan daz er den œden krophen vor gestât als dass er den eitlen Kropf voranträgt
üppiclîcher dinge und ungevüeger gogelheit: in übertriebener Weise und ungestümer Gockelhaftigkeit:
des geswillet mîn gemüete harte. bei diesem Anblick schwillt mir der Zorn.

Doch auch Neidhart selbst trägt diese Art von ausladendem Halskragen. Im Winterlied 29 hat Neidhart Hildemars Vogelhaube verspottet – prompt kontert Hildemar mit einer spitzzüngigen Trutzstrophe.

Winterlied 29 (Strophe VIIId) [ATB 44] Übersetzung
Wê, waz will her Nîthart miner gickelvêhen houben? Wehe, was will Herr Neithard mit meiner buntscheckigen Haube?
die möht er mich wol mit sînen hulden lâzen tragen. Die soll er mich in gegenseitigem Einvernehmen tragen lassen.
will er sich des selben spottes gein uns niht gelouben, Will er sich dieses Spottes gegen uns nicht enthalten,
wir entrihten im den sînen elenlangen kragen. werden wir ihm seinen eigenen ellenlangen Kragen schon richten.
sît er niht erwinden mac Wenn er nicht aufhören will
an uns mit sîm sange, mit seinem Gesang über uns,
wir zerütten im den nac, werden wir im den Nacken zerrütten;
will erz trîben lange. er solls nicht zu lange betreiben.

Neidhart mimt selbst den Gockel. Er tut wie immer das, was er den Dörpern vorzuwerfen pflegt, selbst. [1]

Anmerkungen:

  1. Im Winterlied tritt ein weiteres Vogelmotiv hinzu – die Gans. Der Dörper Adeltir aus Ense wird von Neidhart mit einer giftig keifend-drohenden, feisten Gans verglichen: derst geheizen Adeltir, / bürtic her von Ense. / zallen zîten drôt er mir als einer veizten gense. Winterlied 27 (Strophe III, 9-12)

Kampf der Geschlechter: Mann und Frau

Missglückte Anbahnung, missverstandene Minne – Winterlied 27 und Winterlied 33

Im Winterlied 27 versucht sich ein geiler getelinc in der Umwerbung eines Mädchens, auf das auch Neidhart ein Auge geworfen hat. Bereits in vorangegangenen Situationen hat sich gezeigt: Neidhart ist kein kopfloser Draufgänger, der auf eine direkte körperliche Konfrontation drängt. Ihm ist durchaus bewusst, dass die Dörper eindeutig in der Mehrzahl sind. Wenn es zum Kampf kommt, ist er hoffnungslos unterlegen. Deshalb scheut er die Massenprügeleien, die beim Tanz immer wieder ausbrechen (eine der größten Prügelszenen mit 100 Beteiligten: siehe Lied c33). Er hält sich zurück, verweilt am Rand des Geschehens und beobachtet die prügelnden Dörper aus sicherer Entfernung. Er bleibt nervös, da tendenziell die Möglichkeit besteht, er könnte entdeckt und ebenfalls ins Getümmel gezerrt werden. Anderseits gönnt er sich auch die feixende Belustigung eines haarscharf Entwischten. Seine Laune schlägt aber regelmäßig in Frust um: Denn er muss auch dann stillhalten, wenn sich die Dörper an ‚seine Mädchen‘ machen, meist mit ungehobelten Manieren. Neidhart weiß um die Beschränktheit seiner körperlichen Möglichkeiten – ihm bleibt nichts übrig, als zähneknirschend das wilde Treiben der Dörper zu erdulden. Auch im Winterlied 27 findet sich Neidhart einmal wieder unfreiwillig in einer solchen Situation. Er beobachtet den geilen getelinc wie er sich an ‚seinem Mädchen‘ abmüht – vergeblich! Ein Ausgang, der Neidhart diebisches Vergnügen bereitet.

Winterlied 27 (Strophe VII) [ATB 44] Übersetzung
Wê, waz hât er muochen! Wehe, was hat er für Mucken/Flausen im Kopf!
si kumt im niht ze mâze. Sie ist zu gut für ihn.
zwiu sol sîn pîneclîch gebrech? Was soll sein peinigender/quälender Lärm?
im enmac gehelfen niht sîn hovelîch gewant. Ihm wird sein höfisches Gewand nicht helfen.
er sol im eine suochen, Er soll sich eine suchen,
diu in werben lâze. die ihn werben lässt.
diu sînen rôten buosemblech Seine rote Brustzierplättchen,
diu sint ir ungenæme gar, dar zuo sîn hiufelbant. die gefallen ihr überhaupt nicht, genauso wenig wie sein Wangenband (Kinnband des Helms?).
enge ermel treit er lanc, Er trägt lange, enge Ärmel.
die sint vor gebræmet, Diese sind verbrämt,
innen swarz und ûzen blanc. innen schwarz und außen weiß.
mit sîner rede er vlæmet. Beim Reden 'flämelt' er.

Warum hat er keinen Erfolg? Warum weist sie ihn ab? Eindeutig: Es ist seine Aufmachung, die sie stört. Der selbstverliebte Kerl ist vollgerüstet zum Tanz gekommen, in seiner kämpferischen Ausstaffierung wähnt er sich besonders imposant. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall: Das Mädchen fühlt sich abgestoßen von seiner offensichtlich zur Schau getragenen Aggressivität. Doch was sie ganz besonders stört, ist sein ‚Lärm‘: Alles an ihm klimpert und scheppert, die kupfernen Metallplättchen schlagen und reiben aneinander. Sein vermutlich auch dick wattiertes Obergewand schränkt die Bewegungsfreiheit erheblich ein. Dazu kommt das Wangenband seines Helms, das abermals die Sicht behindert. Der geile getelinc stakt hölzern, er ist für die agilen Tänze nicht zu gebrauchen. Das Mädchen winkt ab – so einen Verehrer will sie nicht haben.

Auch im Winterlied 33 scheitert der werbende Dörper, jedoch zu einem späteren Zeitpunkt. Er hat es jedenfalls noch geschafft das Mädchen zum Tanzen zu überreden, aber seine Fähigkeiten lassen zu wünschen übrig. Er tritt ihr mehrmals auf den Rock. Das Mädchen hat die Nase voll.

Winterlied 33 (Strophe III, 12-14) [ATB 44] Übersetzung
der sweimte einer von dem oberisten Bireboume. Da schwang sich einer von dem höhergelegenen Birnbaum herunter.
dô ers umbe ir minne bat, Doch als er um ihre Gunst bitten wollte,
ûf daz röckel er ir trat trat er ihr auf den Rock
dâ niden bî dem soume. ganz unten, am Rocksaum.

Beim ersten Ausrutscher ist der junge Kerl wohl zu schwungvoll vom Baum abgestiegen. Er kann seine Füße nicht koordinieren, das Mädchen kann seinen Rock nicht mehr in Sicherheit bringen… Er landet mit den Füßen auf ihrem Rocksaum. Sie hat ein Nachsehen, lässt sich trotzdem einen Tanz abschwatzen.

Winterlied 33 (Strophe IV) [ATB 44] Übersetzung
Dâ si bî dem tanze Als sie dann beim Tanz
gie (er gie ir an der hant), einherging (er ging an ihrer Hand)
von dem ridewanze - sie tanzten den ‚Ridewanz‘ -
kom sîn vuoz ûf ir gewant: kam sein Fuß auf ihr Gewand:
daz lac an der erde. Dieses war so lang, dass es auf der Erde auflag.
an dem unbeslîfen, Er glitt nicht aus,
daz den jungen sanften tuot, weil er nur leicht aufgetreten war,
wart er von der phîfen von den anerkennenden Pfiffen angefeuert,
üppic unde hôchgemuot; drehte er zur Hochform auf.
wande er gie im werde. Er stolzierte in Würde.
selten kom sîn munt mit rûnen dankes ûz ir ôren, Nie kam sein Mund mit einem geraunten Dank an ihr Ohr,
des vil sêre mich verdrôz. das verdross mich sehr.

Beim zweiten Ausrutscher steigt er ihr während dem Tanzen auf den Rocksaum. Wir erfahren nicht, warum es zu dem Missgeschick kommt. Ist der Dörper ein hoffnungsloser Tollpatsch, der ständig über seine eigenen Füße stolpert? Oder ein großtuerischer Gockel, der mehr damit beschäftigt ist sich selbst in Szene zu setzen und dabei völlig seine Tanzpartnerin vergisst? So oder so, mit diesem Mädchen hat er es sich für kommende Tänze verscherzt.


Männliche Gewalt, (weibliche?) Hilflosigkeit – Winterlied 27

Die Dörper gehen beim Tanz bisweilen sehr grob mit den Frauen um: Sie schubsen, drängen, betatschen (vgl. Gewalt bei Neidhart). Auch Lanze vergeht sich an einem Mädchen und wird handgreiflich. Gewaltsam reißt er ihr den Schleier vom Haar.

Winterlied 27 (Strophe IV, 8-12) [ATB 44] Übersetzung
Lanze der beswæret ein vil stolzez magedîn; Lanze belästigte ein wirklich herrliches Mädchen.
eine kleine rîsen guot einen feinen kostbaren Schleier
zarte er ab ir houbet, zerrte er ihr vom Haupt,
dar zuo einen bluomenhuot: dazu noch einen Blumenhut.
wer het im daz erloubet? Wer hat ihm das erlaubt?

Warum tut er das? Wir erfahren es nicht, können nur spekulieren. Will er ihr unbedecktes Haar begaffen? Vielleicht hat sie besonders schönes Haar, es reizt ihn, diesen Anblick will er sich nicht entgehen lassen. Der adjektivische Zusatz bei stolzez magedîn könnte Aufschluss geben: stolz bedeutet auch ‚herrlich, prächtig‘, das Mädchen ist also sehr schön anzusehen.

Neidhart regt sich schrecklich auf, verbleibt aber in der Rolle des passiven Beobachters. Er schreitet nicht ein, er kommt dem Mädchen nicht zur Hilfe. Er belässt es bei gedanklichem Fluchen wider den ungehobelten Langfinger.

Winterlied 27 (Strophe V, 1-4) [ATB 44] Übersetzung
Owê sîner hende! Schande über seine Hände!
daz si sîn verwâzen! Sie sollen ihm verwesen!
die vinger müezen werden vlorn, Seine Finger soll er verlieren,
dâ mit er gezerret hât den schedelîchen zar! denn damit hat er das schadenbringende Zerren ausgeführt.

Nicht nur das Mädchen ist dem Treiben Lanzes schutzlos ausgeliefert, auch Neidhart ergibt sich resigniert seiner Hilflosigkeit. Er weiß nicht, was zu tun ist. Er weiß nicht, wie er die dörperlichen Übergriffe unterbinden könnte. Alles geht viel zu schnell, das Gedränge ist zu groß, die Hände der männlichen Dörper sind überall, mal hier, mal dort, dann wieder verschwunden. Wer etwas gesehen hat, sagt nichts. Wer es am eigenen Leib erfahren musste, schweigt. Beobachtern und Opfern ist die Situation zutiefst unangenehm – ändern können sie sie nicht. Bei diesem unerlaubten ‚Spiel der Hände‘ sind demnach drei Parteien involviert. Interessant dabei ist, dass zwei Parteien, nämlich die Frauen als Opfer der Tat und Neidhart als stillleidender Beobachter, keine bloße Neckerei mehr darin sehen können, sie empfinden die Berührungen als lästig, unangebracht, grenzüberschreitend. Die männlichen Dörper dagegen frönen ungeniert ihrem Vergnügen. Sie sehen nicht ein, warum sie ihre Finger bei sich behalten sollen.


Zeichen der (Un)Verbindlichkeit – Sommerlied 18

Sommerlied 18 präsentiert uns ein Neidhart-typisches ‚Mutter-Tochter-Gespräch‘. Die Tochter ist blind vor Liebe, schwärmt nur noch von ihrem Liebsten Riuwental. Sie liebt es, seinem Gesang zu lauschen. Sie kann nicht genug kriegen von seinen Berührungen, sie hascht beim Tanz nach seinen Händen. Ihrer beider Tanz unter der Linde ist wild, sie springt und wirbelt – er führt, sie folgt.

Die Mutter warnt die Tochter eindringlich. Sie habe gehört, dass es Jiute, einem Mädchen aus dem Dorf und ehedem Spielgefährtin der Tochter, übel ergangen ist. Auch sie habe sich auf eine Tändelei mit Riuwental eingelassen… jetzt hat sie ein uneheliches Kind. Die Tochter möchte davon nichts wissen – Muoter lât iz sîn! Sommerlied 18 (Strophe III, 1).

Die Tochter glaubt Riuwental, dass er es ernst mit ihr meint. Sie argumentiert, dass ihr Liebster ihr kostbare Geschenke von seinen Reisen mitgebracht hat:

Sommerlied 18 (Strophe III, 2-5) [ATB 44] Übersetzung
er sante mir ein rôsenschapel, daz het liehten schîn, Er sandte mir ein Rosenschapel [Kranz aus Rosen; Echte Blüten? Stoff? Metall?], das hatte einen hellen Schein,
ûf daz houbet mîn, auf meinem Haupt,
und zwêne rôten golzen brâhte er her mir über Rîn: und zwei rote Stiefel brachte er mir über den Rhein mit:
die trag ich noch hiwer an mînem beine. Die trage ich noch heute an meinem Bein.

Das Mädchen trägt die Geschenke also in aller Öffentlichkeit, sie sind für jedermann sichtbar. Im Geheimen hat Riuwental das junge Mädchen aber auch noch um etwas gebeten – was es ist, erfahren wir nicht, denn das Mädchen möchte es noch nicht mal der Mutter verraten, gibt aber den ominösen Hinweis, dass es zwischen ihr und Riuwental ein einvernehmliches Übereinkommen gegeben hat. Sommerlied 18 (Strophe III, 6): des er mich bat, daz weiz ich niewan eine. – Das, worum er mich gebeten hat, da wüsste ich keine, die er jemals das gleiche gefragt hätte.

Ausgerechnet dieses, bewusst als Leerstelle gesetztes Geheimnis bildet den Knackpunkt des Liedes: Das Mädchen und Riuwental haben sich allein getroffen. Niemand hat sie gehört. Es gab keine Zeugen, auf die sich das Mädchen später berufen könnte. Riuwental ist älter und erfahrener, er weiß seine Worte sehr geschickt zu wählen. Er platziert sie, legt eine falsche Fährte aus. Das verliebte Mädchen vertraut ihm völlig, kennt keinerlei Argwohn. Willig lässt sie sich nach seinem Belieben formen. Für Riuwental sind Rosenschapel und rote Stiefel nichts weiter als Bestechlichkeiten. Sie kosten eine Menge Geld – aber der Preis, der auf ihn wartet, ist es ihm allemal wert. Er will sie gewogen machen, sie bezirzen. Er will sich den Weg freikaufen, er will letztlich in den Genuss ihres Körpers gelangen. Das Mädchen deutet die Geschenke jedoch völlig falsch: Sie hält Rosenschapel und rote Stiefel für eindeutige Beweise seiner Aufrichtigkeit. Für sie sind die kostbaren Kleidungsstücke minnekonformer Liebespfand d.h. symbolträchtige Objekte, die einen mündlichen Vertrag besiegeln. Das Mädchen schwört ihm ewige Liebe und Treue. Das Mädchen glaubt, er habe dasselbe geschworen. Nach mittelalterlichem Rechtsverständnis denkt und handelt das Mädchen korrekt: Sichtbarer Gabentausch verpflichtet, laut ausgesprochenes Wort bindet. Könnte das Mädchen Zeugen aufbringen, würde Riuwentals Inszenierung als Verlöbnis gelten. Aber das Mädchen hat keine Zeugen – ein fataler Fehler…

Die Mutter prophezeit ihr, dass sie wie Jiute enden wird: In Schimpf und Schande entehrt, als unverheiratetes Mädchen Mutter von geworden, zwei Kinder, die sie nicht versorgen kann; ein Vater, der zum brutalen Prügler mutiert, der sie Kebse heißt und die beiden Bastarde schnellstmöglich wieder loswerden will – will dû mit im gein Riuwental, dâ bringet er dich hin: / alsô kann sîn treiros dich verkoufen. / er beginnt dich slahen, stôzen, roufen / und müezen doch zwô wiegen bî dir loufen. Sommerlied 18 (Strophe V, 4-7)

Dass die ‚roten Stiefel‘ ein Umschlagen von (Liebes-)Lust in (Liebes-)Pein markieren, lässt sich auch an ihrer Farbe erkennen: Die Farbe Rot signalisiert zugleich ‚brennende Liebe‘ als auch ‚Liebesleiden‘ [Brügel 2008]; ‚brennende Liebe‘, die Riuwental nur vorgaukelt; ‚Liebesleiden‘, die das Mädchen bereits in naher Zukunft belauern…

Generationenkonflikt – Mutter und Tochter

Alterstopos und Erotik – Sommerlied 17

Im Sommerlied 17 kommt es, zu einer im neidhartschen Œuvre, wohlbekannten Szene: Sowohl Mutter und Tochter haben ein Auge auf Riuwental geworfen, beide wollen sie ihn haben – sie geraten in Streit.

Die Szenerie beginnt mit dem typischen Natureingang: Es ist Mai. Alles grünt und wächst. Überall schieben sich junges Laub, Blätter- und Blütenknospen aus den Zweigen. Die Vögel zwitschern aufgeregt. Alles lebt und atmet wieder, lässt befreit den Winter hinter sich. Knisternde, erwartungsvolle Spannung liegt in der Luft. Tier und Mensch sind in hellem Aufruhr, Frühlingsgefühle wecken tiefere Bedürfnisse, die erfüllt werden wollen…

Bei den jungen Mädchen ist das auch völlig normal, jedenfalls sieht das so das Sänger-Ich. Sie dürfen nicht nur, sie sollen sich in ihre schönsten Kleider hüllen und auftanzen. Sie sollen sich nicht länger verstecken. Sie sollen sich präsentieren, dürfen sich bewundern lassen. Nur für eine Altersgruppe gilt das nicht: Die Alten sollen zuhause bleiben. Die Alten, und besonders alte Frauen, sind die ‚Kinder des Winters‘. Ihre Zeit ist vorbei. Sie müssen Platz machen. Die jüngere Generation schiebt nach, drückt, verdrängt – zurecht, so das Sänger-Ich. So ist nun mal der natürliche Lauf der Dinge. Wer dagegen aufbegehrt, stellt sich gegen die gottgegebene Ordnung.

Sommerlied 17 (Strophe III, 2-10) [ATB 44] Übersetzung
got sol den jungen mägden allen daz gebieten Gott hat es den jungen Mädchen geboten,
daz sî mit liehter wæte dass sie mit hellen Kleidern
sîn bereit bereit sein sollen,
und den sumer stæte um den Sommer feierlich zu begehen
an hövescheit. in höfischer Manier.
winder Der Winter
hât ez hie gerûmet; hat hier Platz zu machen;
die alten die suln sîn deste kinder. Die Alten sollen seine Kinder sein.

Unter der Linde auf dem Dorfanger wird bereits getanzt. Die Tochter, ein junges Mädchen, ist gerade dabei, sich ebenfalls auf den Weg zu machen. Da schreitet die Mutter ein. Sie wolle die Tochter begleiten, man müsse schließlich ein Auge auf die jungen Mädchen haben, die Tochter sonst triebe sonst allerlei Unsinn, der sich später nicht rückgängig machen lasse – Dâ will ich dîn hüeten […] nu gê wir mit ein ander zuo der linden beide! Sommerlied 17 (Strophe V, 1-2).

Doch die mütterliche Aufsichtspflicht ist nur ein Vorwand, eine Ausrede, die die eigentliche Absicht der Mutter verschleiern soll: Sie will selbst auch zum Tanz gehen! Sie hat sich anstecken lassen von der allgegenwärtig-ausgelassenen Fröhlichkeit, sie ist aufgeregt, ganz haltlos, völlig aufgelöst. Der Frühling kocht ihr im Blut. Sie fühlt sich plötzlich wieder jung, alte Erinnerungen werden lebendig – sie will tanzen und den Burschen den Kopf verdrehen. Und einer gefällt ihr ganz besonders gut: Riuwental. Nur ein Problem gibt es, und das ist nun mal das vorangeschrittene Alter ihres Körpers. Sie muss die Zeichen der Zeit kaschieren! Ihr Haar ist grau, sie braucht einen Schleier. Ansonsten ist sie der Meinung, sie habe sich gut gehalten. Sie selbst fühlt sich noch immer jung und frisch, sie sei ja kaum älter als ein Kind.

Sommerlied 17 (Strophe V, 3-10) [ATB 44] Übersetzung
ich bin mîner jâre Ich bin in Jahren gemessen
gar ein kint, ja fast noch ein Kind,
wan daz mînem hâre nur dass meine Haare,
die locken sint die Locken
grîse: grau sind:
die will ich bewinden Die will ich umwinden
mit sîden. mit Seiden.
tohter, wâ ist mîn rîse? Tochter, wo ist mein Schleier?

Die Tochter reagiert wie zu erwarten: Sie ist entsetzt! Ihre Mutter will sie auf keinen Fall als Konkurrentin auf dem Tanzplatz erwischen. Das geht zu weit. Der kostbare Schleier gehört nun ihr, die Mutter soll zuhause bleiben.

Sommerlied 17 (Strophe VI, 1-7) [ATB 44] Übersetzung
Muoter, die rîsen die hân ich vor iu behalten; Mutter, den Schleier habe ich von Euch und werde ihn auch behalten;
diu zimet einer jungen baz dan einer alten der ziemt sich einer jungen Frau besser als einer Alten,
ze tragen umbe ir houbet sie soll ihn um ihr Haupt tragen
an der Schar. in der Menge [der Tänzer].
wer hât iuch beroubet Wer hat euch den Verstand geraubt,
der sinne gar? die Sinne betört?
slâfet! Geht schlafen!

Die beiden Frauen werden sich nicht einig. Sie finden keine Lösung. Was danach geschieht, erfahren wir nicht. Gehen beide Frauen zum Tanz? Wer trägt den Schleier? Mutter oder Tochter? Bleibt die Mutter zuhause, schleicht sich die Tochter alleine davon? Das Lied präsentiert uns lediglich das Ergebnis: Vielleicht noch am selben Abend, vielleicht aber auch erst in den folgenden Tagen, gelingt es dem Mädchen schließlich Riuwental auf sich aufmerksam zu machen, sie lässt sich bewusst auf ein Liebesabenteuer ein, die Mutter hat keine Chance. Der junge, schöne Körper trägt den Sieg davon.

Sommerlied 17 (Strophe VII, 1-2; 8-10) [ATB 44] Übersetzung
Wie si den strît liezen, will ich iu bescheiden: Wie sie den Streit beilegten, will ich euch nun verraten:
daz magedîn begunde sîner muoter leiden. […] das Mädchen begann, seine Mutter leiden zu lassen. […]
si bôt im bî dem tanze sie bot ihm [Riuwental] beim Tanz
ein krenzel: ein Kränzchen. [Symbolcharakter, Jungfernkranz?]
sô mir got, deist unlougen. Bei Gott, das ist nicht gelogen.

Ein ganz besonderer Hinweis lässt aufhorchen: Die zwêne rôte golzen, die ‚roten Stiefel‘ aus Sommerlied 18, tauchen auch in diesem Lied auf.

Sommerlied 17 (Strophe VII, 2-7) [ATB 44] Übersetzung
daz magedîn begunde sîner muoter leiden. Das Mädchen begann, seine Mutter leiden zu lassen.
zwêne rôten golzen Zwei rote Stiefel
sî verstal entlockte sie
einem ritter stolzen einem stolzen Ritter
von Riuwental von Riuwental
tougen. heimlich.

Offensichtlich sind das Mädchen aus Sommerlied 17 und das Mädchen aus Sommerlied 18 identisch. Sommerlied 17 erzählt die Vorgeschichte, Sommerlied 18 führt die Erzählung fort. Die ‚roten Stiefel‘ in Sommerlied 17 sind aber auch noch in anderer Hinsicht aufschlussreich: Das Mädchen wird wohl nicht noch am selben Abend sofortigen Erfolg zu verzeichnen gehabt haben. Ihr Unterfangen braucht Zeit, sie muss Riuwental geduldig um den Finger wickeln. Erst am Ende eines längeren Prozesses werden ihr die ‚roten Stiefel‘ geschenkt. Die Wortsetzung zwêne rôte golzen im Sommerlied 17 erfolgt bewusst, sie markiert den endgültigen Sieg über die Mutter. Die ‚roten Stiefel‘ fungieren als Signalwörter.

Sandra Linden macht aufmerksam, dass hier ein unterhaltsames Novum vorliegt: Neidhart kreiert die Kunstfigur einer ‚liebeslustigen Alten‘, die er bewusst der gängigen Figur der ‚liebeslustigen Tochter‘ entgegenstellt. [Linden 2009] Eigentlich schreiten „der Zyklus der Jahreszeiten“ [Loleit 2018: S.162] und die „Lebensalterordnung“ [Loleit 2018: S.162] einvernehmlich nebeneinander einher, sie konkurrieren nicht, ihr Lauf parallelisiert sich störungsfrei. Doch im Sommerlied 17 geraten sie miteinander in Konflikt: Der Frühling beeinflusst plötzlich nicht nur die Junge, sondern auch die Alte. Dieser (körperliche) Vorgang darf so aber nicht sein, er widerspricht der Ordnung, er ist nicht regelkonform. Die Natur erneuert sich jedes Jahr im Frühling – und verdorrt im Winter. Sie eröffnet einen ewigen Kreislauf des Werdens und Sterbens. Dem menschlichen Körper bleibt die alljährliche Verjüngung jedoch streng untersagt, die Zeitschiene seiner Entwicklung ist linear, sie kennt nur eine Richtung. Neidhart entwirft ein erstaunliches Paradoxon: Mit der plötzlichen Verschränkung von ‚Lebensalter‘ und ‚Jahreszeit‘ produziert er ein bedrohliches Bruchmoment, er destabilisiert das Ordnungsgefüge – von produktionsästhetischer Seite aus gelingt ihm jedoch der schöne Kunstgriff, zwei traditionsreiche Topoi unter Zuhilfenahme der noch viel traditionsreicheren Methode der Analogiebildung miteinander zu verknüpfen. [Loleit 2018: S.162-163]

Eskalationspotential

Indikator für latente Gewalt – Winterlied 1

Im Winterlied 1 trägt Lanze ein Wams in einer sehr kostbaren Farbe: Die Farbe des Kleidungsstücks ist satt und voll, ein ungewöhnlich schönes Grün, so grün wie Klee. Lanze trägt sein bestes Kleidungsstück. Er hat sich vorbereit. Er macht sich auf den Weg zum Tanzplatz…

Winterlied 1 (Strophe IV, 1-4) [ATB 44] Übersetzung
Lanze eine treien treit, Lanze trägt ein Wams,
diu ist von barchâne, das ist aus Barchent,
grüene alsô der klê. genauso grün wie Klee.
ze wîge hât er sich bereit: er hat sich auf den Weg gemacht:

Doch die kostbare Außenhülle täuscht. Eingenäht im Innern, gut versteckt auf der Innenseite gibt es ein Geheimnis…

Winterlied 1 (Strophe IV, 5-8) [ATB 44] Übersetzung
er lebet in dem wâne, Er wälzt den irrsinnigen Wahn,
daz im niht widerstê. dass sich ihm keiner widersetzen könnte.
dar in er gesteppet hât Darin [im Wams] hat er eingenäht
ein guot îsnîn hemde. ein gutes eisernes Hemd.

…doch Neidhart weiß darum. Wie das? Hat er einmal gesehen, wie Lanze sein Wams ablegte? Wurde die Innenseite sichtbar? Klirrt das Kettenhemd beim Laufen? Kennt Neidhart dieses Geräusch in- und auswendig? Das Lied schweigt sich aus, wir können nur spekulieren. Dringlicher ist die Frage, warum Lanze mit einem so ‚doppelhäutigen‘ Kleidungsstück zum Tanz aufmarschiert. Von außen ist es wunderbar anzuschauen, wertvoll und prächtig – von innen jedoch eine verlässliche Lebensabsicherung, sollte es zum Kampf kommen. Was sagt diese Information nun über Lanze aus? Will er lediglich sich selbst schützen, weil er die potentielle Gefahr beim Dörper-Tanz richtig einschätzt? Oder ist er der eigentliche Aggressor? Darüber gibt das Lied eindeutigen Aufschluss:

Winterlied 1 (Strophe IV, 9-11) [ATB 44] Übersetzung
limmende als ein ber er gât; Er geht umher wie ein knurrender Bär.
guot muot ist im vremde. Freundlichkeit ist ihm fremd.
erst kint, der in bestât. Einer, der sich ihm entgegenstellt, ist ahnungslos-naiv.

Vielleicht gibt es auch noch andere Dörper, die mit ähnlich geschürter Gewaltbereitschaft zum Tanz kommen, doch Lanze sticht deutlich aus der Masse hervor. Seine Vorbereitungen beginnen bereits zuhause. Er legt sich sein raffiniertes Wams zurecht, zieht sich sorgfältig an, jeder Handgriff wird vom selben Gedanken begleitet: Gleich ist es soweit, gleich könnte es losgehen… In Lanzes Wahrnehmung sind Tanz und Nervenkitzel bzw. ein Potential gewaltsamer Eskalation untrennbar miteinander verbunden. Er putscht sich selbst in den Zustand eines ‚knurrenden Bäres‘ – und geht dann zum Tanz. Kein Wunder, dass beim Aufeinandertreffen mehrerer solcher aggressionsgeladener Dörper so mancher Tanz im Kampf endet.


Diabolisierung: Des Teufels gestreifte Kleider – Winterlied 27

Im Winterlied 27 hat Neidhart die Dörper scharf kritisiert – in ridikülisierender und detailverliebter Manier beschrieb er ihre Kleidung, sezierte sie vergnüglich, gab sie der Lächerlichkeit preis. Nun haben die Dörper die Nase gestrichen voll, sie haben genug gehört, wenn Neidhart jetzt noch ein weiteres Wort verlauten lässt, geht es ihm an den Kragen… Sie drohen ihm mit handfester Gewalt, wollen ihm die Hand abschlagen (die hant die muoz er mir hie lân – Strophe VIIc, 7) und ebenso den rechten Fuß (und dar zuo den zeswen fuoz – Strophe VIIc, 9), seinen Hut wollen sie ihm in Blut tränken (zwâre ich mache in bluotes var / mit mînem swerte guote – Strophe VIIb, 11-12) Was hat diese überschwappende Welle der Aggression ausgelöst? Es ist der der Anblick Neidharts, sein gestreifter Rock und sein glitzernder Hut! Diese beiden Kleidungsstücke haben das Fass zum Überlaufen gebracht – aber warum? Der gestreifte Rock ist in der mittelalterlichen Ikonographie das Erkennungsmerkmal des Teufels, überhaupt trägt der Teufel wilde, übertriebene Muster – gescheckte, gesprenkelte, gepunktete, gestreifte oder karierte Kleider. [Pastoureau 2003] [1]

Winterlied 27 (Strophe VIIb) [ATB 44] Übersetzung
Her, Nithart, mug irz lâzen? Herr Neidhart, wollt ihr es nun endlich bleiben lassen?
iu mac misselingen. Euch soll es übel ergehen.
nu habt ez ûf die triuwe mîn, Ich schwöre es bei meiner Treue/Ehre,
und mag ich, ez muoz iu bî dem tanze werden leit! wenn wir beim Tanz aufeinandertreffen, wird es euch leidtun!
welt ir ûf der strâzen Ständig wollt ihr auf der Straße
vil mit uns gedringen, mit uns wetteifern,
swie breit ab iuwer multer sîn, wie breit doch euer ‚Melkeimer‘ absteht,
dâ gelpfe schînet under iuwer ringelehte pfeit, da scheint er glänzend unter eurem geringelten/gestreiften Rock hervor,
und sult ir sîn der tiuvel gar und solltet ihr gar der Teufel höchstpersönlich sein
mit iuwerm glitzeden huote, mit eurem glitzernden Hut,
zwâre ich mache in bluotes var wahrhaftig ich gebe ihm die Farbe eures Blutes
mit mînem swerte guote. mithilfe meines guten Schwertes.
  1. Sehr interessante und lohnenswerte, weiterführende Lektüre: Pastoureau, Michel: The Devil's Cloth. A History of Stripes, translated by Jody Gladding, New York u.a. 2003.


Fazit: ‚Realitätsanker‘ oder ‚Realitätspartikel‘?

An vielerlei Stelle verweisen die Neidhartschen Lieder in die extratextuelle Welt. Volker Mertens spricht daher auch von „extratextuelle[n] ‚Ankern‘, also Referenzen, die anscheinend auf einen realen Urheber“ [Mertens 2018: S. 43] und dessen Lebenswirklichkeit verweisen, und so eine „autobiografische Illusion“ [Mertens 2018: S. 43] erzeugen. Ein solcher „‚Anker‘ in der Realität“ [Mertens 2018: S. 45] kann in unterschiedlichster Form auftreten: Es gibt Nennungen realgeografischer Orte oder realhistorischer Personen, aber auch die genaue Beschreibung von Waffen oder Kleidung verweist ins realwirkliche Geschehen des 13. Jahrhunderts. Diese Realitätsanker lassen sich ganz bildlich verstehen, der Vorgang lässt sich wortwörtlich als Ankerwurf visualisieren: In der intratextuellen Welt werden mehrere Signalwörter platziert, wie z.B. in Winterlied 24 (Strophe IX, 3-5) – in dem lande ze Œsterrîche wart ich wol enphangen / von dem edeln vürsten, der mich nû behûset hât /. hie ze Medelicke […]. Entscheidend sind hierbei die Hinweise ‚Friedrich II., Herzog von Österreich‘ und die Ortschaft Mödling – beide existierten, lassen sich urkundlich verbriefen. Aus der intratextuellen Welt wurde ein Anker in die extratextuelle Welt ausgeworfen, zwischen beiden liegt nun die verbindende Ankerkette.

Ähnlich verhält es sich nun auch mit den ausführlichen Kleiderbeschreibungen der Lieder. Sie stimmen tatsächlich mit dem realhöfischen Kleiderarsenal überein. Der Urheber der Lieder, der aus schlichter Ermangelung eines extratextuellen Namens nach seinem Lieblingsprotagonisten ‚Neidhart‘ getauft wurde, kennt scheinbar das, worüber er schreibt, ganz genau. Wir erliegen dem Eindruck, spielerische Einblicke in das Kleider-Leben um 1200 zu erhalten. Betrachten wir nochmals im Detail, was am Hof tatsächlich getragen wurde, erschließt sich sofort, dass Neidhart seine eigene Welt trefflich imitiert.

Realhistorische Kleidung der Frauen bei Hof (12./13. Jahrhundert):

„Die wesentl[ichen] Bestandteile der höf[ischen] Frauenk[leidung] des 12. und 13. Jh. sind Untergewand (Hemd), Obergewand (Rock, Cotte) und Mantel. Neu ist die mod[ische] Form von Hemd und Rock. Beide werden eng an den Körper geschnürt und betonen so die weibl[ichen] Formen. Darüber kann neben dem Mantel, der nun als sog[enannter] Tassel- oder Schnurmantel gebildet wird, noch ein Surkot (Suckenie, Kursit) getragen werden, der weiter geschnitten, ohne Ärmel und oft mit Pelz unterfüttert ist. Wichtige Accessoires sind der Gürtel und die reich gestalteten, abnehmbaren Schmuckärmel, die – ähnl[ich] dem Rock – oft eine Schleppe ausbilden. Enge und Länge der K[leidungs]sstücke machen deutl[ich], daß [sic!] diese nicht von der arbeitenden Bevölkerung getragen werden können, und schaffen damit eine weitere soziale Differenzierung der K[leidung]. Als Kopfbedeckung dienen, neben diversen Schleierformen, Schapel oder Gebende.“ [LexMA 'Kleidung']

Realhistorische Kleidung der Männer bei Hof (12./13. Jahrhundert):

„Die männl[iche] K[leidung] dieser Zeit zeichnet sich, wie die weibl[iche], durch die Verwendung kostbarer Stoffe und durch eine große Farbenfreudigkeit aus. Diese Buntheit wird durch die verschiedenen Farben der übereinander getragenen K[leidung]sstücke erreicht sowie durch die Verwendung des Mi-parti [franz./lat. halb-geteilt]. Die wichtigsten Bestandteile sind als Untergewand ein aus feinen Materialien kunstvoll genähtes Hemd, als Obergewand ein Rock mit engerem Oberteil, dessen Schoßteil in der vorderen und hinteren Mitte aufgeschnitten und durch eingesetzte Geren (Stoffkeile) erweitert wird, um dem Träger eine größere Bewegungsfreiheit zu gewähren, und ein Mantel, meist in der Form des Tassel- und Schnurmantels. Als Kopfbedeckung dienen Schapel, Hut oder Bundhaube (Calotte), die aus kostbarem Material, bestickt und mit Federn verziert sein können.“ [LexMA 'Kleidung']

Erstaunlich, in den historischen Kleiderbeschreibungen findet sich Neidharts gesamtes Figurenpersonal wieder, alle tragen sie die neueste Mode des Hofes… Genau dieser Punkt macht stutzig. Neidharts Figurenpersonal besteht, abgesehen von Riuwental, aus Dörpern! Der frühmittelalterliche Bauer trägt Kittel, Hosen und Bundschuhe. [LexMA 'Kleidung'] Später werden aus Hosen Beinlinge, doch weitere Entwicklungen gibt es nicht. Dem Bauern sind keinerlei modische Raffinessen vergönnt. Über die Jahrhunderte hinweg trägt er die stets gleichbleibende Ausstaffierung. Armut zwingt zur schlichten Genügsamkeit – eine Vorstellung, vor der dem Adel graut. Um aufzufallen, wird Kleidung immer bunter, enger, länger. Spitze Schnabelschuhe und lang Schleppen zeigen, dass dieser Mensch keiner harten körperlichen Arbeit nachgehen muss – er könnte ja nicht einmal, selbst wenn er wollte.

Kleidung und ihre literarische Inszenierung muss im Neidhartschen Œuvre folglich ambivalent gedeutet werden: Einerseits entsprechen die Kleiderbeschreibungen der Realhistorie, sind also ‚Realitätsanker‘, anderseits werden höfische Kleider im falschen Kontext von den falschen Figuren getragen.

Daher scheint es sinnvoll, nicht von ‚Realitätsankern‘ im Sinne Mertens [Mertens 2018: S. 45], sondern vielmehr von ‚Realitätspartikeln‘ im Sinne Brauns [Braun 2007: 274] zu sprechen. Aus der Realität werden einzelne Elemente herausgebrochen und in einen neuen Kontext, in ein neues Sinnsystem eingefügt. Wolfgang Iser definiert diesen Vorgang als ‚Selektion‘: Für Iser ist Selektion einer von drei Akten des Fingierens; die Akte des Fingierens sind nach Iser produktionsästhetische Prozesse zur Herstellung des Fiktiven. Dabei stellt Iser das Fiktive mittig zwischen Reales und Imaginäres. Zentral eingebunden in die Triade Reales – Fiktives – Imaginäres fungiert das Fiktive gewissermaßen als hin und her oszillierender Vermittler, es überführt den einen Bereich in den anderen, in seiner Mitte treffen sich die außenliegenden Pole und werden ineinander verwoben. [Iser 1993: S.9-23] Iser versteht ‚Selektion‘ folgendermaßen: Realitätsfragmente (oder auch Fragmente aus der literarischen Welt, die aber bereits außerhalb der eigenen Textgrenze liegen) werden aus ihren jeweiligen Umweltsystemen herausgelöst, bevor sie in den im Werden begriffenen, neuen Text eingehen. [Iser 1993: S. 24-27] Der ‚Selektion‘ folgt der zweite Akt des Fingierens, die ‚Kombination‘. Hier werden die Fragmente neu geordnet, und vor allem anderen: auf ungewöhnlich, neue, zuvor nicht dagewesene Weise miteinander verknüpft. Durch die neue Relationierung der einzelnen Bausteine entsteht auch im Zwischenraum Bedeutung, sinngebend ist die Verbindung selbst. [Iser 1993: S 27-34] Im dritten Akt des Fingierens, der ‚Entblößung‘ verrät der Text schließlich selbst seinen fiktiven Status: Er zeigt dem Rezipienten deutlich, dass er den Gesetzen der realen Welt enthoben wurde. Durch die bewusste Setzung bestimmter Fiktionssignale wird Entgrenzung bzw. stetige Grenzüberschreitung markiert. Iser spricht auch von einem ‚Vorzeichenwechsel‘, einer ‚Einklammerung‘ der dargestellten Ausgangswelt – die neu geschaffene ‚Als-Ob‘-Welt bezeichnet nicht mehr, sie verweist. [Iser 1993: 35-47].


Bibliographie (eine Auswahl)

Kleidung

  • Brüggen, Elke: Die weltliche Kleidung im Hohen Mittelalter. Anmerkungen zu neueren Forschungen, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 110 (1988), S. 202-228.
  • Brüggen, Elke: Kleidung und Mode in der höfischen Epik des 12. und 13. Jahrhunderts (= Euphorion, Beihefte 23), Heidelberg 1989.
  • Brüggen, Elke: Kleidung und adliges Selbstverständnis. Literarische Interessenbildung am Beispiel der Kleidermotivik in der höfischen Epik des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Literarische Interessenbildung im Mittelalter, hg. von Joachim Heinzle, Stuttgart 1993, S. 200-215.
  • Ganz, David; Rimmele, Marius (Hrsg.): Kleider machen Bilder. Vormoderne Strategien vestimentärer Bildsprache (= Textile studies 4), Emsdetten/Berlin 2012.
  • Holenstein, André u.a. (Hrsg.): Zweite Haut. Zur Kulturgeschichte der Kleidung, Referate einer Vorlesungsreihe des Collegium Generale der Universität Bern im Herbstsemester 2007, Bern/Stuttgart/Wien 2010.
  • Kania, Katrin: Kleidung im Mittelalter. Materialien – Konstruktion – Nähtechnik, ein Handbuch, Köln/Weimar/Wien 2010.
  • Keupp, Jan: Die Wahl des Gewandes. Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters, Zweite, verbesserte Auflage (=Mittelalter-Forschungen 33), Ostfildern 2014.
  • Keupp, Jan: Mode im Mittelalter. 2., überarbeitete Auflage, Darmstadt 2016.
  • Köb, Ansgar; Riedel, Peter (Hrsg.): Kleidung und Repräsentation in Antike und Mittelalter (= MittelalterStudien des Instituts zur Interdisziplinären Erforschung des Mittelalters und seines Nachwirkens, Paderborn 7), München 2005.
  • Kraß, Andreas: Geschriebene Kleider. Höfische Identität als literarisches Spiel (= Bibliotheca Germanica 50), Tübingen/Basel 2006.
  • Kühnel, Harry (Hrsg.): Bildwörterbuch der Kleidung und Rüstung. Vom Alten Orient bis zum ausgehenden Mittelalter, Stuttgart 1992.
  • Lehmann-Langholz, Ulrike: Kleiderkritik in mittelalterlicher Dichtung. d. Arme Hartmann, Heinrich 'von Melk', Neidhart, Wernher der Gartenaere und ein Ausblick auf die Stellungnahmen spätmittelalterlicher Dichter (= Europäische Hochschulschriften 1; Deutsche Sprache und Literatur 885), Frankfurt am Main [u.a.] 1985.
  • Müller, Mechthild: Die Kleidung nach Quellen des frühen Mittelalters. Textilien und Mode von Karl dem Großen bis Heinrich III., Berlin/New York 2003.
  • Raudszus, Gabriele: Die Zeichensprache der Kleidung. Untersuchungen zur Symbolik des Gewandes in der deutschen Epik des Mittelalters (= Ordo 1), Hildesheim 1985.
  • Scott, Margaret: Kleidung und Mode im Mittelalter, Aus dem Engl. von Bettina von Stockfleth, Darmstadt 2009.


Farbe

  • Bennewitz. Ingrid u.a. (Hrsg.): Farbe im Mittelalter. Materialität – Medialität – Semantik, Akten des 13. Symposiums des Mediävistenverbandes vom 1. bis 5. März 2009 in Bamberg, Berlin 2011.
  • Klein, Mareike: Die Farben der Herrschaft. Imagination, Semantik und Poetologie in heldenepischen Texten des deutschen Mittelalters (= Literatur – Theorie – Geschichte 5), Berlin 2014.
  • Meier-Staubach, Christel; Suntrup, Rudolf: Handbuch der Farbenbedeutung im Mittelalter. 1. Teil: Historische und systematische Grundzüge der Farbendeutung, 2. Teil: Lexikon der allegorischen Farbendeutung, Köln 2013.
  • Meier-Staubach, Christel; Suntrup, Rudolf: Lexikon der Farbenbedeutungen im Mittelalter. Köln 2011.
  • Oster, Carolin: Die Farben höfischer Körper. Farbattribuierung und höfische Identität in mittelhochdeutschen Artus- und Tristanromanen (= Literatur – Theorie – Geschichte 6), Berlin 2014.
  • Schausten, Monika (Hrsg.): Die Farben imaginierter Welten. Zur Kulturgeschichte ihrer Codierung in Literatur und Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart (= Literatur – Theorie – Geschichte 1), Berlin 2012.


Textilien

  • Alissa Theiß: Höfische Textilien des Hochmittelalters. Der ‚Parzival‘ des Wolfram von Eschenbach, Stuttgart 2020.
  • Mehrteilige Werkreihe: ‚Mittelalterliche Textilien‘
    • Teil I: Otavsky, Karel: Mittelalterliche Textilien I. Ägypten, Persien und Mesopotamien, Spanien und Nordafrika, Riggisberg 1995.
    • Teil II: Otavsky, Karel: Mittelalterliche Textilien II. Zwischen Europa und China, Riggisberg 2011.
    • Teil III: Wetter, Evelin: Mittelalterliche Textilien III. Stickerei bis um 1500 und figürlich gewebte Borten (= Die Textilsammlung der Abegg-Stiftung; 6), Riggisberg 2012.
    • Teil IV:
      • Peter, Michael: Mittelalterliche Textilien IV. Samte vor 1500, Band I (= Die Textilsammlung der Abegg-Stiftung 9), Riggisberg 2019.
      • Peter, Michael: Mittelalterliche Textilien IV. Samte vor 1500, Band II (= Die Textilsammlung der Abegg-Stiftung 9), Riggisberg 2019.


Material Turn

  • Kalthoff, Herbert; Cress, Torsten; Röhl, Tobias (Hrsg.): Materialität. Herausforderungen für die Sozial- und Kulturwissenschaften, Paderborn 2016.
  • Meier, Thomas; Ott, Michael R.; Sauer, Rebecca (Hrsg.): Materiale Textkulturen: Konzepte – Materialien – Praktiken, Berlin/München/Boston 2015.
  • Mühlherr, Anna; Sahm, Heike; Schausten, Monika; Quast, Bruno (Hrsg.): Dingkulturen. Objekte in Literatur, Kunst und Gesellschaft der Vormoderne (=Beiträge zu einer kulturwissenschaftlichen Mediävistik 9), Berlin/Boston 2016.
  • Scholz, Susanne; Vedder, Ulrike (Hrsg.): Handbuch Literatur & Materielle Kultur (= Handbücher zur kulturwissenschaftlichen Philologie 6), Berlin/Boston 2018.


Lexika-Einträge

  • Lehnert, Gertrud: Lemma ‚Kleid/Kleidung‘, Handbuch Literatur & Materielle Kultur (2018), S. 415-417.
  • Krey, Alexander: Lemma ‚Kleid, Kleidung‘, HRG Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Teilband 2 (2011), Sp. 1872-1877.


Literaturverzeichnis

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Textausgaben und Quellen

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  • [*ATB 44] Neidhart von Reuental. Die Lieder Neidharts, 4. Auflage, hg. von Edmund Wießner, revidiert von Paul Sappler, Tübingen 1984 (Altdeutsche Textbibliothek 44).

Forschungsliteratur

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  • [*Lexer 1872-1878] Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde. Leipzig 1872-1878.
  • [*Kiessling u.a. 1993] Kiessling, Alois; Matthes, Max: Textil-Fachwörterbuch, Berlin 1993.
  • [*Duden - Lemma ‚verbrämen‘] Lemma ‚verbrämen‘, Duden, https://www.duden.de/rechtschreibung/verbraemen, abgerufen am 29.12.2020.
  • [*Simon-Muscheid 2005] Simon-Muscheid, Katharina: ‚Barchent‘, Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 15.11.2005. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013959/2005-11-15/, abgerufen am 28.12.2020.
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  • [*DWDS – Lemma ‚Semantik‘] Lemma ‚Semantik‘, DWDS / Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, https://www.dwds.de/wb/Semantik, abgerufen am 10.03.2021.
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  • [*Mertens 2018] Mertens, Volker: Neidhart. ‚Minnesang‘ und ‚Autobiografie‘, in: Neidhart und die Neidhart-Lieder. Ein Handbuch, hg. von Margarete Springeth und Franz Viktor Spechtler, Berlin/Boston 2018, S. 43-54.
  • [*LexMA 'Kleidung'] Vavra, E.: Lemma ‚Kleidung‘, LexMA / Lexikon des Mittelalters, 10 Bände, Stuttgart [1977]-1999, Band 5, Sp. 1198-1201.
  • [*Iser 1993] Iser, Wolfgang: Das Fiktive und das Imaginäre, Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt am Main 1993.