Gawans Geheimdiplomatie (Wolfram von Eschenbach, Parzival): Unterschied zwischen den Versionen
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Eine weitere mögliche Interpretation, die Niesner sehr plausibel darstellt, ist die Möglichkeit, dass "[d]ie einzelnen Maßnahmen Gawans insgesamt dem Zielt [dienen], zwischen der angestammten Identität des Artusritters Gawan und seiner neuen Rolle als Herrscher von Schastel marveile zu trennen."[Niesner | Eine weitere mögliche Interpretation, die Niesner sehr plausibel darstellt, ist die Möglichkeit, dass "[d]ie einzelnen Maßnahmen Gawans insgesamt dem Zielt [dienen], zwischen der angestammten Identität des Artusritters Gawan und seiner neuen Rolle als Herrscher von Schastel marveile zu trennen."[Niesner 2007: S. 42] Und dies zu dem Zweck, dass Artus als ideale Herrscherinstanz nicht in Frage gestellt wird. Um dies deutlich zu machen, muss etwas weiter ausgeholt werden. | ||
Version vom 9. Juli 2012, 14:51 Uhr
Der Ritter Gawan betreibt im 12. Buch des Parzival, nachdem er das Abenteuer auf Schastel marveile erfolgreich bestanden hat, eine seltsame Geheimdiplomatie mit König Artus, Orgeluse, den Verwandten, welche er auf Schastel marveile befreit hat, und weiteren Personen. Für den Leser sind seine Handlungen nur schwerlich nachzuvollziehen, da der Nutzen seiner Heimlichkeit auf den ersten Blick nicht erkennbar ist und die Situation durch sie eigentlich nur verkompliziert wird. Vom Erzähler erhält der Leser auch keine weiteren Informationen, welche ihn über das seltsame Verhalten aufklären. Dieser Artikel soll die verschiedenen Geheimhaltungshandlungen Gawans aufzeigen und die dazugehörigen Forschungsmeinungen darstellen.
Inhaltlicher Kontext
Gawan, der vorbildliche Ritter der Tafelrunde, hat das Abenteuer auf Schastel marveile erfolgreich bestanden und ist nun neuer Herr dieser Festung, mitsamt Ländereien und Gefolge. Er hatte gehofft dadurch seinem Ziel, der Heirat mit Orgeluse, der Herzogin von Logroys, näher zu kommen. Doch diese hat noch weitere Prüfungen für ihn bereit und er muss gegen weitere Kämpfer antreten. Zuletzt trifft er auf Gramoflanz, den Erzfeind Orgeluses, welcher sein letzter Gegner vor der Erfüllung seines Wunsches sein soll, und er vereinbart mit diesen einen Zweikampf in Joflanze, bei welchem der ganze Artushof zugegen sein soll. Gawan sendet einen Boten an König Artus und dieser erscheint auch mit dem gesamten Gefolge am angewiesenen Ort. Dort kommt es, abgesehen von einigen Kämpfen, auch zur Wiedervereinigung einiger Verwandten. Gawan hat nämlich Arnive, die Mutter von König Artus, Sangive, der Tochter von Arnive, damit Artus Schwester und gleichzeitig Gawans Mutter, zusätzlich deren Töchter Itonje und Cundrie, die Schwestern Gawans, von der Gefangenschaft auf Schastel marveile befreit und mitgebracht.
Gawans Geheimhaltungen
Gawan gibt sich, nach Befreiung seiner Angehörigen, diesen nicht zu erkennen, sondern verhält sich förmlich und distanziert.[1] Zudem verbietet er Orgeluse, welche seinen Namen kennt, diesen anderen Leuten zu verraten:
dô sprach er >frouwe, tuot sô wol, | Er sagte: >Herrin, seid so gut, |
ob ich iuch des biten sol, | falls ich euch darum bitten darf - |
lât mînen namen unrekant | gebt nicht meinen Namen preis |
König Artus gegenüber, dem er einen Boten schickt, welcher ihn bitten soll beim Zweikampf in Joflanze zu erscheinen, teilt Gawan die wichtige Information nicht mit, dass er inzwischen Herr von Schastel marveile geworden ist und zudem die lang vermissten Verwandten von Artus befreit hat.[3]
Zudem verschweigt er seinem königlichen Onkel, dass er sich im Dienst der Orgeluse von Logroys befindet und nimmt dadurch billigend in Kauf, dass es auf der Reise des Artushofs nach Joflanze zu unnötigen Kämpfen zwischen arturischen Rittern und solchen, welche Orgeluse dienen, kommt. [4] Er schickt den Boten auch nicht direkt zum König, sondern befiehlt ihm, den nicht versiegelten Brief zuerst zur Königin zu bringen und keinem zu sagen, dass es einen neuen Herrn von Schastel marveile gibt.[5] Der Bote inszeniert nach Absprache mit Königin Ginover eine angebliche Erstübergabe des Briefes an König Artus vor dessen Hofgesellschaft. [6]
Hinzukommend verschweigt Gawan Orgeluse und den Bewohnern von Schastel marveile, dass König Artus wegen ihm nach Joflanze und an ihrer Festung vorbeiziehen wird. Als nun das arturische Heer an Schastel marveile vorbeikommt, verhält er sich so, als würde er dieses Heer nicht kennen, lässt den Fährmann sämtliche Boote anketten, das Burgtor verschließen und zum Kampf rüsten, falls ein solcher anfallen sollte.[7]
All diese Handlungen werden im Text nicht begründet und erscheinen daher etwas befremdlich. Die Forschungsmeinungen gehen diesbezüglich auch auseinander.
Interpretationsansätze
Gawans Stolz
Eine mögliche Interpretation der Motivation für diese Handlungen ist Gawans Stolz (vornehmlich vetreten von Poag: "I believe the motivation lies in Gawan's pride.")[Poag 1977: S. 71] Demnach wäre Gawan zu unterstellen, dass seine "ganze Geheimnistuerei auf die Überraschung angelegt" sei um König Artus und den versammelten Artushof zu beeindrucken und als großer Befreier und mächtiger Ritter dazustehen.[Bumke 2004: S. 158] Im anbetracht der Kämpfe zwischen den arturischen Rittern und denen von Orgeluse und der damit einhergehenden Opfer bzw. Verletzen wirft das freilich kein gutes Licht auf ihn. Dem widerspricht jedoch, dass Gawan die Befreiung der Verwandten in Artus Zelt dem König offenbart und nicht vor versammeltem Hofe. [8] Zudem wäre eine Demonstration der eigenen Taten und Macht für Gawan am einfachsten gewesen zu dem Zeitpunkt, als das arturische Heer vor seiner neuen Residenz Schastel marveile vorbeikam. Dort aber verhält er sich gegenteilig und hält sich versteckt.[9]
Des weiteren wäre es möglich, dass Gawan sich seinen Verwandten nicht zu erkennen gibt, um auf jeden Fall gegen Gramoflanz kämpfen zu können, welcher als einziger seinem Ziel, der Vereinigung mit Orgeluse, noch im Weg steht. It is clear, that Gawan must kill Gramoflanz, if he is to receive Orgeluse's love."[Poag 1977: S. 72] Da dieser jedoch in einer Liebesbeziehung zu Gawans Schwester Itonje steht, würde diese, beim Bekanntwerden der Kämpfer, sicher dem Zweikampf im Wege stehen, was ja auch schlussendlich passiert. Eine Verheimlichung er eigenen Identität aus diesem Grunde würde erneut ein schlechtes Licht auf den Vorzeigeritter Gawan werfen. Doch auch diesem widerspricht die Tatsache, dass Gawan seinen Angehörigen die eigene Identität vorenthält, bevor er überhaupt von dem Zweikampf mit Gramoflanz weiß. Zudem besteht er gar nicht auf den Zweifkampf, sondern eine Versöhnung wäre ihm lieber, was er selbst ausspricht und auch eher zu seinem bekannten Wesen passt:
mirst dennoch morgen alze fruo, | Bin ich zu diesem Kampf gezwungen - |
sol ich des kampfes grîfen zuo. | der wär mir morgen noch zu früh! |
wolt michs der künec erlâzen, | Ersparte ihn mir Gramoflans, |
des jæhe ich im gein mâzen. | so würd ich sagen: Sehr vernünftig! |
Gawans politische Vorsicht
Eine weitere mögliche Interpretation, die Niesner sehr plausibel darstellt, ist die Möglichkeit, dass "[d]ie einzelnen Maßnahmen Gawans insgesamt dem Zielt [dienen], zwischen der angestammten Identität des Artusritters Gawan und seiner neuen Rolle als Herrscher von Schastel marveile zu trennen."[Niesner 2007: S. 42] Und dies zu dem Zweck, dass Artus als ideale Herrscherinstanz nicht in Frage gestellt wird. Um dies deutlich zu machen, muss etwas weiter ausgeholt werden.
Quellennachweise
Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Dieter Kühn. Kommentiert von Eberhard Nellmann, Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main, 2006.
<HarvardReferences />
[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36).
[*Poag 1977] Poag, James F.: Gawan's surprise, In: Wolfram Studien IV, Hrsg. von W. Schröder, Erich Schmidt Verlag, Berlin, 1977, S. 71-76.
[*Niesner 2007] Niesner, Manuela: Swes got an mir gedâchte, daz biutet dienst sîner hant. In: Beiträge zur Geschichte der Deutschen Sprache und Literatur, 2007, Vol. 129, Issue 1, S. 38-65.