Körperlichkeit (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst): Unterschied zwischen den Versionen

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Profilierungen des Körpers spielen im ''Frauendienst'' von Ulrich von Liechtenstein eine nicht geringe Rolle: Ulrichs Körper ist ein "immer wieder aufs neue blockierter oder deformierter"[Kiening 1998:223], und wird so zu einem "textualisierten Körper"[Kiening 1998:223], der als Zeichen eines unbedingten Minnedienstes fungiert und Botschaften und Treuebeweise übermittelt.<ref> Vgl. Kiening, S.223 </ref> Interessant sind aber auch diejenigen Szenen, in denen es um nur scheinbare, indirekte Körperlichkeiten geht, wie etwa in dier Waschwasserszene oder beim Versenden des [[Genres: Büchlein (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Büchleins]].  
[[Datei:237r.jpg|250px|thumb|right|Ulrich von Liechtenstein (Codex Manesse)]]
Profilierungen des Körpers spielen im [[Inhaltsangabe "Frauendienst" (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|''Frauendienst'']] von Ulrich von Liechtenstein eine nicht geringe Rolle: "Ulrichs"<ref> Im Folgenden soll das Protagonisten-Ich Ulrich von Liechtenstein im Vergleich zum historischen Autor-Ich in Anführungszeichen gesetzt werden, um eine bessere Unterscheidung zu ermöglichen. </ref> Körper ist immer wieder aufs Neue blockiert oder deformiert und wird so zu einem, wie Christian Kiening es ausdrückt, 'textualisierten Körper'.[Kiening 1998:223] Dieser fungiert als Zeichen eines unbedingten Minnedienstes und übermittelt sowohl Botschaften als auch Treuebeweise.[Kiening 1998:223] Wichtig für die Charakterisierung von Körperlichkeit im [[Inhaltsangabe "Frauendienst" (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|''Frauendienst'']] sind aber auch diejenigen Szenen, in denen es um nur scheinbare, indirekte Körperlichkeit geht, wie beispielsweise in der Waschwasserszene oder beim Versenden des [[Genres: Büchlein (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Büchleins]].  


==Beziehung von historischem Körper und Protagonisten-Ich==
==Beziehung von historischem Körper und Protagonisten-Ich==
Der ''Frauendienst'' von Ulrich von Liechtenstein, welcher ein steirischer Ministerialer<ref> Ulrich von Liechtenstein gehörte einem einflussreichen Ministerialengeschlecht an; Ministerialer (laut Duden): Angehöriger des Dienstadels im Mittelalter, Angehöriger eines Ministeriums. </ref>, Truchsess<ref> Truchsess (laut Duden): (im Mittelalter) Vorsteher der Hofverwaltung, der u. a. mit der Aufsicht über die Tafel beauftragt war </ref> und Landrichter war, gilt in der Forschung als erste Ich-Erzählung in deutscher Sprache.<ref> Vgl. Kiening, S.214f. </ref> Sowohl [[Autobiografische Elemente (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|autobiografische]] als auch [[Fiktionale Elemente (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|fiktionale]] Elemente sind in diesem Werk vorhanden. Die, für autobiographisches Schreiben konstitutive, Nicht-Fiktionalität ist allerdings zweifelhaft: "Das Ich, das sich hier artikuliert, entspricht offensichtlich nicht dem aus neuzeitlichen Autobiographien geläufigen."[Kiening 1998: 215] Zwar trägt das Protagonisten-Ich den Namen "Ulrich von Liechtenstein"; selbst nennt er sich allerdings nie so und zudem teilt er nur vereinzelte Elemente der historischen Konstellation mit dem steirischen Ministerialen Ulrich von Liechtenstein.<ref> Im Folgenden soll das Protagonisten-Ich Ulrich von Liechtenstein im Vergleich zum historischen Autor-Ich in Anführungszeichen gesetzt werden, um eine bessere Unterscheidung zu ermöglichen. </ref> "Er [das Protagonisten-Ich "Ulrich von Liechtenstein"] steht offensichtlich in nicht mehr (aber auch nicht weniger) als einer Verweisbeziehung zu der historischen Person außerhalb des Textes. Diese Beziehung dürfte ihren Reiz aus der Spannung von Übereinstimmungen und Differenzen bezogen haben."[Kiening 1998:215] Doch Kiening bemerkt weiter, dass diese Spannung kaum rekonstruierbar ist, da literarische und außerliterarische Biographie eben nur punktuelle Berührungen aufweisen. "Ob an dem historischen Körper des Autors, der von sich selbst zu erzählen vorgibt, tatsächlich die Wegoperation einer Hasenscharte oder das Fehlen eines Fingers zu bemerken waren, muss offenbleiben. Nichtsdestoweniger gehört das Verweisen auf einen solchen Körper und die ihn umgebende Lebenswelt zur Spezifik des ''Frauendienstes''."[Kiening 1998:215]
Der [[Inhaltsangabe "Frauendienst" (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|''Frauendienst'']] von Ulrich von Liechtenstein, welcher ein steirischer Ministerialer<ref> Ulrich von Liechtenstein gehörte einem einflussreichen Ministerialengeschlecht an; Ministerialer (laut Duden): Angehöriger des Dienstadels im Mittelalter, Angehöriger eines Ministeriums. </ref>, Truchsess<ref> Truchsess (laut Duden): (im Mittelalter) Vorsteher der Hofverwaltung, der u. a. mit der Aufsicht über die Tafel beauftragt war </ref> und Landrichter war, gilt in der Forschung als eine der ersten Ich-Erzählungen in deutscher Sprache.[Kiening 1998: 214f.] Sowohl [[Autobiografische Elemente (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|autobiografische]] als auch [[Fiktionale Elemente (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|fiktionale]] Elemente sind in diesem Werk vorhanden. Die, für autobiographisches Schreiben konstitutive, Nicht-Fiktionalität ist allerdings zweifelhaft: Das hier artikulierte Ich entspricht offensichtlich nicht dem, was wir aus neuzeitlichen Autobiographien kennen. Zwar trägt das Protagonisten-Ich den Namen "Ulrich von Liechtenstein"; selbst nennt er sich allerdings nie so und zudem teilt er nur vereinzelte Elemente der historischen Konstellation mit dem steirischen Ministerialen Ulrich von Liechtenstein. Das Protagonisten-Ich "Ulrich von Liechtenstein" steht also offensichtlich in einer Verweisbeziehung zu der historischen Person, die außerhalb des Textes steht.[Kiening 1998:214f.] Diese Beziehung dürfte, so Kiening weiter, ihren Reiz aus der Spannung von Übereinstimmungen und Differenzen bezogen haben. Doch diese Spannung sei kaum rekonstruierbar, da literarische und außerliterarische Biographie sich nur punktuell berühren. Ob an dem historischen, also dem tatsächlich vorhandenen, Körper des Autors wirklich eine Hasenscharte wegoperiert wurde oder gar das [[Die Fingerepisode (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Fehlen eines Fingers]] zu verzeichnen war, bleibt offen.[Kiening 1998: 215]


==Sexualität und Körperlichkeit im Mittelalter==
=="Ulrichs" Körper==
=="Ulrichs" Körper==
Die prägnantesten Szenen, in denen "Ulrichs" Körper Mittelpunkt der Handlung ist, sind gut bekannt: "die Mundoperation, die das Ich vornehmen läßt und deren Folgen - die geschwollene Lippe, die stinkende grüne Salbe, der Ekel vor der Nahrungsaufnahme- ausführlich geschildert werden; das [[Die Fingerepisode (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Abhacken eines Fingers]], der im Turnier verletzt worden war und der der Dame als Beweis unbedingter Ergebenheit geschickt wird; der Aufenthalt unter Aussätzigen und die Einnahme eines (lepraähnliche Symptome hervorrufenden) Krautes, um der Dame nahezukommen."[Kiening 1998:219]
Zu den prägnantesten Szenen, in denen "Ulrichs" Körper Mittelpunkt der Handlung ist, zählen zum einen die Mundoperation, die das Ich vornehmen lässt und zu deren Folgen eine geschwollene Lippe, die stinkende grüne Salbe und der Ekel vor der Nahrungsaufnahme gehören. Das [[Die Fingerepisode (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Abhacken eines Fingers]], der im Turnier verletzt worden war und der der Dame unter anderem als Beweis unbedingter Ergebenheit geschickt wird, der Aufenthalt unter Aussätzigen und die Einnahme eines Krautes, das Symptome der Leprakrankheit hervorruft, dienen ebenfalls dem Wunsch, der Dame nahezukommen. Folglich ist der körperliche Leidenswille "Ulrichs" ein Ausdruck seiner Dienstbereitschaft der Dame gegenüber.
 
Die komischen und parodistischen Elemente dieser Szenen sind komplexer Bestandteil der Inszenierungen des Autor-Ichs, welches, so Kiening, Präsenz erzeuge und sich gleichzeitig distanziere. Das Ich "Ulrich" betreibt eine Art "Modellierung des Leibes"[Schmid 1988:195f.] sowie eine "Differenzierung von Identität durch die Zeichnung des eigenen Leibes".[Schmid 1988:195f.] Dies ermöglicht es ihm, sich von anderen abzusetzen; die körperlichen Extravaganzen bezeichnet Kiening deshalb als Strategien: Der Körper des Ichs im [[Inhaltsangabe "Frauendienst" (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|''Frauendienst'']] bildet nun nicht mehr nur eine konkrete Hülle des Abstrakten, als welche die Körper dem Rezipienten normalerweise im höfischen Roman begegnen. Er steht als ein unhöfischer und exaltierter<ref> exaltiert (laut Duden): künstlich übersteigert, überspannt </ref> Körper in einer Art Spannungsverhältnis zu den höfischen und disziplinierten. [Kiening 1998:220] "Ulrichs" Körper hat damit als eine entscheidende Funktion die Generierung von Identität innerhalb der innerliterarischen Welt. Eingriffe und Verletzungen werden zu einem Alleinstellungsmerkmal des "Ichs" und weisen ihm eine spezifische Identität zu.
Die komischen und parodistischen Elemente dieser Szenen sind komplexer Bestandteil der Inszenierungen des Autor-Ich, welches, so Kiening, Präsenz erzeuge und sich gleichzeitig distanziere. Das Ich "Ulrich" betreibt eine Art "Modellierung des Leibes"[Schmid 1988:195f.] sowie eine "Differenzierung von Identität durch die Zeichnung des eigenen Leibes".[Schmid 1988:195f.] Dies ermöglicht es ihm, sich von anderen abzusetzen; die körperlichen Extravaganzen bezeichnet Kiening deshalb als Strategien: "Der Körper des Ich im ''Frauendienst'' [bildet] nicht mehr nur jene konkrete Hülle des Abstrakten, als welche die Körper im höfischen Roman begegnen. Er steht als ein unhöfischer und exaltierter<ref> exaltiert (laut Duden): künstlich übersteigert, überspannt </ref> in einem Spannungsverhältnis zu den höfischen, disziplinierten und verfeinerten Körpern, gewinnt seine spezifisch diskursive Gestalt also gerade im Kontrast und in der Negation."[Kiening 1989:220]


==Indirekte Körperlichkeit im "Frauendienst"==
==Indirekte Körperlichkeit im [[Inhaltsangabe "Frauendienst" (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|''Frauendienst'']]==
"Unter dem Aspekt der Körperlichkeit besitzt Ulrichs Minnegeschichte ihren Ausgangspunkt in einer Adoleszenzerfahrung gleichzeitiger Nähe und Unberührbarkeit."[Kiening 1998:220] Kiening formuliert in diesem Absatz sehr treffend "Ulrichs" Situation: "Das Ich (dessen Name im übrigen noch nicht genannt ist) verbringt die Zeit zwischen dem 12. und 17. Lebensjahr als ''kneht der frowe''."[Kiening 1998:220] Doch "Ulrich" muss sich, aufgrund der höheren Stellung der Dame, mit Formen mittelbarer Berührung begnügen.
Unter dem Aspekt der Körperlichkeit besitzt "Ulrichs" Minnegeschichte ihren Ausgangspunkt in einer Adoleszenzerfahrung, die aus gleichzeitiger Nähe und Unberührbarkeit besteht. In diesem Übergangsstadium zwischen Kindheit und Erwachsensein wird "Ulrich" durch verschiedene Situationen, die im Zusammenhang mit der ''vrowe'' stehen, geprägt. Kiening formuliert in diesem Absatz sehr treffend "Ulrichs" Situation: Er sagt, dass das Ich die Zeit zwischen dem 12. und 17. Lebensjahr als ''kneht der frowe'' verbringt.[Kiening 1998:220] Doch "Ulrich" muss sich, aufgrund des Hierarchieverhältnisses, das ihn der Dame unterordnet, mit Formen der mittelbaren Berührung begnügen.


===Die Blumen===
===Die Blumen===
Als "imaginatives Relais"[Kiening 1998:220] zwischen zwei Körpern bringt "Ulrich" seiner Damen Blumen. Die Tatsache, dass seine ''vrowe'' die Blumen berührt, nachdem er sie berührt hat, empfindet "Ulrich" als Verbindung zwischen den beiden Körpern. Die Blumen erfahren also eine Art Aufladung mit Körperlichkeit.


Die Blumen-Episode wird in Vers 24 des ''Frauendienstes'' beschrieben:<br />
[[Datei:Animation_klein.gif|500px|thumb|right|Indirekte Körperlichkeit über Blumen]]
 
Als "imaginatives Relais"<ref> Ein Relais ist ein, vereinfacht gesehen, durch elektrischen Strom betriebener Schalter, der über einen Stromkreis aktiviert wird und über Kontakte funktioniert.</ref>[Kiening 1998:220] zwischen zwei Körpern bringt "Ulrich" seiner Damen zu Beginn seines Minnedienstes Blumen: Die Blumen fungieren als Schalter, welcher dann für eine (indirekte) Berührung der Kontakte (zwischen Ulrich und der ''frowe'') sorgt und somit gleichzeitig für indirekte Körperlichkeit. Denn die Tatsache, dass seine ''vrowe'' die Blumen berührt, nachdem er sie berührt hat, empfindet "Ulrich" als Verbindung zwischen den beiden Körpern. Die Blumen erfahren also eine Art Aufladung mit Körperlichkeit.
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| '''Mittelhochdeutscher Text''' [FD:24]|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span> || '''Neuhochdeutsche Übersetzung'''
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| Eines ofte mir geschach:|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span> || Bei ihr geschah mir eines oft:
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| swenne ich ihr schoener pluomen brach|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| Wenn ich die schönen Blumen brach
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| des sumers, so daz solde sin,|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| im Sommer, wie es sich gehört,
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| die truog ich sa der vrowen min.|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| da bracht' ich sie der Herrin mein.
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| nam si die in ir wize hant,|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| Nahm sie sie in die weiße Hand,
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| so wart mir freuden vil bekant;|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| dann freute ich mich ungemein
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!  !! Mittelhochdeutscher Text<ref>Zitiert wird aus der unter der Primärliteratur genannten Ausgabe. Im Folgenden werden solche Textpassagen mit der Sigle FD gekennzeichnet.</ref><br /> <br /> !! Neuhochdeutsche Übersetzung<ref>Hier wird aus der unter der Primärliteratur genannten Übersetzung zitiert.</ref><br /> <br />
| ich gedaht: da du si griffest an,|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| und dachte: Wo du sie gefaßt,
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| 24 || Eines ofte mir geschach:<br /> swenne ich ihr schoener pluomen brach<br /> des sumers, so daz solde sin,<br /> die truog ich sa der vrowen min.<br /> nam si die in ir wize hant,<br /> so wart mir freuden vil bekant;<br /> ich gedaht: da du si griffest an,<br /> da han ich in alsam getan.<ref>(FD, 24)</ref><br /> <br /> || <br /> <br /> <br /> <br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br />
| da han ich in alsam getan.|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| da hab ich es auch so getan.
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===Die Waschwasserszene===
===Die Waschwasserszene===
Der Keim der ambivalenten ersten Minnebeziehung, so Kiening, scheint in dieser Szene, in der Sehnsucht nach dem Körper des anderen, gelegt zu sein.<ref> Vgl. Kiening, S.221 </ref> "Ulrich" trinkt das Handwaschwasser der ''vrowe'' und "partizipiert damit mittelbar am begehrten Körper, inkorporiert ein Substitut des anderes Körpers, das die Liebessehnsucht immerhin momenthaft stillt."[Kiening 1998:221]  
Der Keim der ambivalenten ersten Minnebeziehung, so Kiening, scheint in dieser Szene, in der Sehnsucht nach dem Körper des anderen, gelegt zu sein. "Ulrich" trinkt das Handwaschwasser der ''vrowe'' und partizipiert damit mittelbar am begehrten Körper der Dame. Er inkorporiert<ref>inkorporieren (laut Duden): med. in den Körper eindringen lassen, angliedern</ref> ein Ersatzmittel, ein Substitut des anderen Körpers - dies stillt seine Liebessehnsucht immerhin für den Moment.[Kiening 1998:221]  
Diese Episode stellt Ulrich von Liechtenstein in Vers 25 dar:<br />
Diese Episode stellt Ulrich von Liechtenstein in Vers 25 dar:
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| '''Mittelhochdeutscher Text''' [FD:25]|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| '''Neuhochdeutsche Übersetzung'''
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| Min vreude war vil ofte groz,|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| Die Freude war oft riesengroß,
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| swenne ich kom, da man wazer goz|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| wenn ich hinkam und man da goß
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| der herzen lieben vrowen min|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| der herzenliebsten Herrin mein
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!  !! Mittelhochdeutscher Text<br /> <br /> !! Neuhochdeutsche Übersetzung<br /> <br />
| uf ir vil wizen hendelin.|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| das Wasser auf die weißen Händ'.
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| 25 || Min vreude war vil ofte groz,<br /> swenne ich kom, da man wazer goz<br /> der herzen lieben vrowen min<br /> uf ir vil wizen hendelin.<br /> daz wazer, da mit si sich twuoc,<br /> verholn ich daz von danne truoc,<br /> vor liebe ich ez gar uz tranc;<br /> da von so wart min truren cranc.<ref>(FD,25)</ref><br /> <br /> || <br /> <br /> <br /> <br /> <br /> <br /> <br /> <br /> <br />
| daz wazer, da mit si sich twuoc,|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| Das Wasser, mit dem sie sich wusch,
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| verholn ich daz von danne truoc,|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| das trug ich heimlich von ihr weg
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| vor liebe ich ez gar uz tranc;|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| und trank es dann vor Liebe aus;
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| da von so wart min truren cranc.|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| das weckte meine Sehnsucht recht.
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Anhand dieser Szene wird wiederum die untergeordnete Stellung "Ulrichs" deutlich. Das Waschwasser ist ein Abfallprodukt, das dadurch entsteht, dass die Dame sich reinigt. Doch selbst der Schmutz, der einmal an ihr war, ist "Ulrich" so wertvoll, dass er damit versucht, sein Liebesverlangen zu stillen. Denn eine unmittelbarere Nähe zur Verehrten ist ihm nicht vergönnt. 


===Die Büchlein und der Finger===
===Die Büchlein und der Finger===
"Ulrich" verwendet nicht nur seinen Körper als Einsatz im Minnedienst, sondern auch (in teils in ähnlicher Weise) Lieder, Briefe und Büchlein. Im ersten [[Genres: Büchlein (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Büchlein]], das "Ulrich" der Dame übersendet, kommt es "parallel zum Wechsel der Stimmen des Ich und des personifizierten Büchleins zu einer Überlagerung zwischen Körper und Text."[Kiening 1998:223]  
"Ulrich" verwendet nicht nur seinen Körper als Einsatz im Minnedienst, sondern auch (teils sogar in ähnlicher Weise) [[Genres: Lied (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Lieder]], [[Genres: Brief (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Briefe]] und [[Genres: Büchlein (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Büchlein]]. Im ersten Büchlein, das "Ulrich" der Dame übersendet, kommt es sowohl zu einem Wechsel der Stimmen des Ichs und des personifizierten Büchleins als auch zu einer Überlagerung zwischen Körper und Text.[Kiening 1998:223] Das Büchlein wird einerseits als menschlicher Körper vorgestellt, der fürchtet, auf Märtyrerart auf dem Rost verbrannt, zerschnitten und viergeteilt zu werden.[FD:1. Büchlein, 122-131] Andererseits aber wird es als Text präsentiert, mit der Furcht davor, in einer verschlossenen Schublade zu verkümmern.[FD:1. Büchlein, 132-144] Das Büchlein fungiert als materielle "Übermittlungsinstanz von nicht materialisierbaren Begierden".[Kiening 1998:225] Es wird mit körperlicher Präsenz aufgeladen und gleichzeitig auch mit einem, auf den anderen Körper gerichteten, Verlangen. Einen weiteren Versuch, Nähe zur Dame herzustellen, unternimmt auch das zweite, von "Ulrich" versendete, Büchlein. In diesem Fall handelt es sich aber nicht nur um einen Text, der die Aufgabe hat, den Körper präsent zu machen, sondern um einen Teil des Körpers selbst. Ausgangspunkt hierfür ist die [[Die Fingerepisode (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Fingerepisode]], in der die Verletzung eines Fingers der rechten Hand während des Brixener Turniers beschrieben wird. Nachdem sich die Heilung als schwierig gestaltet, lässt "Ulrich" durch seinen [[Der Bote - höfische Freundschaft oder Macht? (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Boten]] der ''vrowe'' mitteilen, er habe in ihrem Dienst einen Finger verloren. Nachdem diese aber erfährt, dass der Finger nicht verloren, sondern nur verkümmert ist, bezichtigt sie "Ulrich" der Lüge. Daraufhin lässt sich "Ulrich" den verletzten Finger abschlagen und übersendet ihn der Dame mit einem Büchlein, beide eingekleidet in kostbaren Samt. Der Finger dient dabei als Verschluss des Büchleins.
Das Büchlein wird einerseits als menschlicher Körper vorgestellt, der fürchtet, auf Märtyrerart auf dem Rost verbrannt, zerschnitten, viergeteilt zu werden.<ref>(FD, 1.Büchlein, 122-131) </ref> Anderereits aber wird es als Text präsentiert, mit der Furcht davor, in verschlossener Lade zu verkümmern.<ref>(FD, 1.Büchlein, 132-144) </ref> "Das Büchlein ist materialle Übermittlungsinstanz von nicht materialisierbaren Begierden, es wird aufgeladen mit körperlicher Präsenz und zugleich mit einem auf den Körper, den anderen Körper, gerichteten Verlangen."[Kiening 1998:224] Einen neuen Versuch, Nähe herzustellen, unternimmt auch das zweite, von "Ulrich" versendete, Büchlein. In diesem Fall handelt es sich aber nicht nur um einen Text, der "den Körper präsent machen soll, sondern [um] einen Teil des Körpers selbst."[Kiening 1998:225] Ausgangspunkt hierfür ist die [[Die Fingerepisode (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Fingerepisode]], die Verletzung eines Fingers der rechten Hand im Brixener Turnier. Nachdem sich die Heilung als schwierig gestaltet, lässt "Ulrich" durch einen Boten der ''vrowe'' mitteilen, er habe in ihrem Dienst einen Finger verloren. Nachdem diese aber erfährt, dass der Finger nicht verloren, sondern nur verkümmert ist, bezichtigt sie "Ulrich" der Lüge. Daraufhin lässt sich "Ulrich" den verletzten Finger abschlagen und übersendet ihn der Dame mit einem Büchlein, beide eingekleidet in kostbaren Samt. Der Finger dient dabei als Verschluss des Büchleins. "Der Text des Büchleins verdeutlicht nun einerseits die Zeichenhaftigkeit des Körperteils [...], das also die unbedingte Ergebenheit des Minnedieners bezeugen soll. Der Text versucht andererseits, bei der Dame ein schmerzvolles Empfinden des Verlustes zu erzeugen[...]".[Kiening 1998:225f.] Diese Amputation hat somit sowohl Wiedergutmachungscharakter<ref> Kiening weist auf Renate Hausners Auffassung hin, dass das Abhacken eines Fingers der Schwurhand als Strafe für Meineid galt und Ulrichs Amputation (als Folge der Lüge gegenüber der Dame) rechtssymbolischen Charakter hat. </ref> als auch Ofercharakter, da sie "eine Sakralisierung des vom Körper (ab)getrennten Stückes"[Kiening 1998:226] ermöglicht. Der Finger wird nun zu einem "Moment ständiger Präsenz"[Kiening 1998:226], da die Dame verspricht, den Finger in einer lade als beständiges Zeichen der Erinnerung aufzubewahren.
 
 
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| '''Mittelhochdeutscher Text''' [FD: 444-445]|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span> || '''Neuhochdeutsche Übersetzung'''
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| "Ich volge dirs gern, sit ich ez kan."|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span> || "Ich folg' dir gern, wenn ich es kann."
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| zehant ich tihten do began|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| Sofort fing ich zu dichten an
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| ein vil gefüege büechlin;|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| und schrieb ein nettes Büchlein ihr;
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| bi dem samt ich den vinger min|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| mit dem sandt' ich den Finger hin
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| hin da diu rine, süeze was.|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| wo diese Schöne, Edle war.
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| in einem samet als ein gras|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| In eine Seide so grün wie Gras
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| want man das büechel an der stat,|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| ward dieses Büchlein eingemacht,
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| ein goltsmit ich mir würken bat|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| ein Goldschmied macht mir sogleich
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| || <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span> ||
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| zwei britelin von gold alda,|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| zwei Brettlein ganz aus reinem Gold,
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| dar in bant man daz büechel sa;|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| in die man dieses Büchlein band;
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| daz diu sperre solde sin;|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| als eine Schließe machte er
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| daz was also zwei hendelin|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| zwei kleine Hände auch aus Gold,
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| gemachet harte lobelich;|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| er formte sie ganz wunderbar;
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| den vinger dar in meisterlich|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| der Finger ward hineingelegt,
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| machte wir sa an der stat,|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>||
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| der bot mich urloubes bat.|| <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span>|| der Bote nahm den Abschied dann.
|}
 
Der Text des Büchleins verdeutlicht nun einerseits die "Zeichenhaftigkeit des Körperteils"[Kiening 1998:225f.], das die absolute Ergebenheit des Minnedieners bezeugen soll. Der Text aber versucht andererseits auch, bei der Dame ein schmerzvolles Empfinden des Verlustes zu erzeugen. Diese Amputation hat somit sowohl den Charakter der Wiedergutmachung der Lüge <ref> Kiening weist auf Renate Hausners Auffassung hin, dass das Abhacken eines Fingers der Schwurhand als Strafe für Meineid galt und Ulrichs Amputation (als Folge der Lüge gegenüber der Dame) rechtssymbolischen Charakter hat. </ref> als auch des Opfers, da sie "eine Sakralisierung des vom Körper (ab)getrennten Stückes"[Kiening 1998:226] ermöglicht. Der Finger wird nun zu einem "Moment ständiger Präsenz"[Kiening 1998:226], da die Dame verspricht, den Finger in einer Lade als beständiges Zeichen der Erinnerung aufzubewahren. Damit gelingt es mit der Kombination aus Körperlichkeit und Schriftlichkeit die Dame zu erreichen. Der Finger als Schließe des Büchleins kann somit auch das Herz der Dame öffnen.[Kellermann 2010:231]


==Die Aussatzepisode==
==Die Aussatzepisode==
Nachdem Ulrich das Wohlwollen seiner ''vrowe'' durch die Venusfahrt erlangt hat, ist dennoch kein ausgeglichenes Verhältnis zur Minneherrin in Sicht. Erst "mit dem elften Lied erringt Ulrich zunächst die neuerliche Zuneigung der Umworbenen, sie lädt ihn ein und stellt ein Treffen in Aussicht."[Ackermann 2009:265] Doch das Treffen steht unter keinen guten Vorzeichen und schon zu Beginn zeichnet sich ab, was die Episode hauptsächlich kennzeichnen wird: "körperliches Leid, Verlust und Furcht, ja Todesangst."[Ackermann 2009:165] Die Minneherrin fordert von Ulrich den Aufenthalt unter den Aussätzigen, was die "Sinnlosigkeit ihrer Dienstansprüche"[Ackermann 2009:166] nochmals unterstreicht. Die Aussatzepisode und ihre Dimensionen stehen "in radikalem Kontrast zum Anfang der Minnebeziehung. Während der kindliche Dienst Bilder des Beginns, Aufbruchs und der Verehrung für die Dame, ja für ihren Körper, aufruft (man denke an die Blumen, die Ulrich für seine Dame pflückt, und ihr Waschwasser, das er trinkt), finden sich im Gegensatz dazu am Ende des Dienstes Zeichen des Unreinen, des Verfalls, abgebildet am kranken Körper des Aussätzigen."[Ackermann 2009:266] Die Entwicklung des Minnedienstes und der Körper Ulrichs (und dessen Versehrung) korrespondieren also in gewisser Weise. Ohne selbst am Aussatz zu erkranken, muss Ulrich "von Ekel geplagt seinen Körper den Körpern der Kranken anpassen".[Ackermann 2009:266] Die körperlichen Symptome der Krankheit werden im Mittelalter generell nicht genauer beschrieben. Anders im ''Frauendienst'': "Die körperlichen Konsequenzen der Krankheit kommen konkret zur Darstellung".[Ackermann 2009: 266] Die [[Die Urinepisode (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Urinepisode]], die in direktem Zusammenhang zur Aussatzepisode steht, verstärkt den erniedrigenden Charakter. Auch hier geht es um Körperlichkeit: Ulrich wird von den Exkrementen eines anderen beschmutzt.  
Nachdem "Ulrich" das Wohlwollen seiner ''vrowe'' durch die [[Venus- und Artusfahrt im Frauendienst (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Venusfahrt]] erlangt hat, ist dennoch kein ausgeglichenes Verhältnis zur Minneherrin in Sicht. Erst mit dem elften Lied [FD:1100] erlangt Ulrich schließlich die erneute Zuneigung seiner Umworbenen, sie lädt ihn ein und stellt ein Treffen in Aussicht. Doch das Treffen steht unter keinem guten Vorzeichen und schon zu Beginn zeichnet sich ab, was die Episode hauptsächlich kennzeichnen wird: "körperliches Leid, Verlust und Furcht, ja Todesangst."[Ackermann 2009:165] Die Minneherrin fordert von "Ulrich" den Aufenthalt unter den Aussätzigen, was die "Sinnlosigkeit ihrer Dienstansprüche"[Ackermann 2009:166] nochmals unterstreicht. Die Aussatzepisode und ihre Dimensionen stehen, so Ackermann, in einem radikalen Kontrast zum Anfang der Minnebeziehung: Während "Ulrich" zu Beginn des Minnedienstes (als Kind) Bilder des Beginns, Aufbruchs und der Verehrung für die Dame und ihren Körper aufrief (man denke an die Blumen, die Ulrich für seine Dame pflückt), finden sich im Gegensatz dazu am Ende des Dienstes Zeichen des Unreinen, des Verfalls, abgebildet am kranken Körper des Aussätzigen.[Ackermann 2009:266] Die Entwicklung des Minnedienstes und der Körper "Ulrichs" (und dessen Versehrung) korrespondieren also in gewisser Weise. Ohne selbst am Aussatz zu erkranken, muss "Ulrich" "von Ekel geplagt seinen Körper den Körpern der Kranken anpassen".[Ackermann 2009:266] Ackermann lässt dabei außer Acht, dass von Beginn an, die "Gaben" der Dame an "Ulrich" (z. B. das Waschwasser) ein unreines Abfallprodukt darstellen. Natürlich stellt die Forderung, sich unter Aussätzige zu begeben eine andere Ebene der Unreinheit dar, aber sie ist vielmehr eine Steigerung und kein radikaler Kontrast zu den anfänglichen Elementen der Körperlichkeit. Und diese Steigerung setzt sich auch nach der Aussatzepisode weiter fort. In der [[Die Urinepisode (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Urinepisode]], die in direktem Zusammenhang zur Aussatzepisode steht, wird die Erniedrigung für "Ulrich" verstärkt. Zwar handelt es sich in dieser Episode nicht um eine "Gabe" der Dame, aber auf ihr Geheiß hin versteckt sich "Ulrich" nachts im Burggraben und wird von den Exkrementen eines anderen beschmutzt.[FD:1189] Im nachfolgenden Handlungsablauf geht die Erniedrigung sogar noch weiter. "Ulrich" muss seine Verkleidung (die Bettlerkleider) ablegen, ist also nackt, was im Mittelalter mit dem Verlust von Identität gleichzustellen ist. (Vgl. hierzu die [[Die Urinepisode (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)| Urinepisode]]).
Im nachfolgenden Handlungsablauf geht die Erniedrigung sogar noch weiter. Ulrich muss seine Verkleidung (die Bettlerkleider) ablegen, ist also nackt, was im Mittelalter mit dem Verlust von Identität gleichzustellen ist.
 
==Körperlichkeit in Form von Sexualität==
Die Artikulationsmöglichkeiten von Begehren und Sexualität sind im [[Inhaltsangabe "Frauendienst" (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|''Frauendienst'']] aufgrund der Gattung stark limitiert. Doch durch "metaphorische Übercodierungen im Bereich des Liedkorpus, aber auch der Turnierdarstellung, ritualisierte Keuschheit auf der Ebene der Narration und die beinahe unverhüllte Schilderung sexueller Phantasien in einigen Lieden"[Sieber 2010] können diese durchbrochen werden. Auch Gert Hübner schreibt, dass ein wesentlicher Grund für die existierende Freude (''vreude''<ref> Die Betonung der ''vreude''-Emotion gilt als eine Novität des lyrischen OEvres Ulrichs von Liechtenstein.[Eming 2010:193]</ref>) im [[Inhaltsangabe "Frauendienst" (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|''Frauendienst'']] auf der "erfüllten, wenn auch phantasierten Sexualität"[Hübner 1999: 334] basiert.


==Fazit==
==Fazit==
Die Szenen, in denen "Ulrich" seiner Dame Blumen überreicht und ihr Waschwasser trinkt, zeugen von einem Kreislauf-Charakter. "Ulrich" gibt seiner ''vrowe'' Blumen; als Gegenleistung "erhält" er ihr Waschwasser. Allerdings verschlechtert sich der Wert des Objekts, der zwischen den beiden Körpern wandert, metonymisch. Benutztes Waschwasser ist kaum eine akzeptable Gegenleistung für ein Blumengeschenk.[[Datei:Kreislauf.jpg|200px|thumb|left|Kreislauf-Charakter von Blumen und Waschwasser]]Der ganze (erste) Minnedienst hat zum Ziel, die Nähe der Körper (wieder)herzustellen, welche durch den Kreislauf von Blumen und Waschwasser kurzzeitig vorhanden war. Doch der Versuch der Vereinigung mit dem begehrten Körper der Dame scheitert immer wieder, da der andere Körper stets nur in Substitutionen zugänglich wird.
[[Datei:Kreislauf neu.jpeg|links|mini|250x250px|Kreislauf-Charakter von Blumen und Waschwasser]]
Dennoch ist "Ulrichs" Körper, genau wie die räumlichen Bewegungen seines Ichs, "auf die Dame hin orientiert und von dieser her terminiert."[Kiening 1998:222f.] Sein Körper ist ein fast durchgängig fremdbestimmter, denn er ist hier nur ein Objekt, "das sich dem Willen und der Begierde fügen muss, das zum Zeichen wird für die Unbedingtheit und Standhaftigkeit des Ich, von denen man der Dame berichtet."[Kiening 1998:222] Das Ich wird also tatsächlich zu einer Art Leibeigener der Dame, denn sein Körper besitzt nur eine Existenzberechtigung, insoweit er der Dame gefällt. <ref> Vgl.Kiening, S.222 </ref>
Die Szenen, in denen "Ulrich" seiner Dame Blumen überreicht und ihr Waschwasser trinkt, zeugen von einem Kreislauf-Charakter. "Ulrich" gibt seiner ''vrowe'' Blumen; als Gegenleistung "erhält" er ihr Waschwasser. Allerdings verschlechtert sich der Wert des Objekts, der zwischen den beiden Körpern wandert metonymisch. Benutztes Waschwasser ist kaum eine akzeptable Gegenleistung für ein Blumengeschenk. Der ganze (erste) Minnedienst hat zum Ziel, die Nähe der Körper (wieder)herzustellen, welche durch den Kreislauf von Blumen und Waschwasser kurzzeitig vorhanden war. Doch der Versuch der Vereinigung mit dem begehrten Körper der Dame scheitert immer wieder, da der andere Körper stets nur in Substitutionen zugänglich wird.
Dennoch orientiert sich "Ulrichs" Körper, genau wie die räumlichen Bewegungen seines Ichs, hin zur Dame und wird von ihr terminiert. Sein Körper ist ein fast durchgängig fremdbestimmter, denn er ist hier nur ein Objekt, welches sich dem Willen und der Begierde fügen muss. Es wird zu einem Zeichen für die Unbedingtheit und Standhaftigkeit des Ichs - von diesen Eigenschaften berichtet man dann der Dame. Das Ich wird also tatsächlich zu einem Leibeigenen der Dame, denn sein Körper besitzt nur eine Existenzberechtigung, insoweit er der Dame gefällt.[Kiening 1998:222] 
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==Primärliteratur==


==Primärliteratur==
*[*FD] Spechtler, Franz Viktor (Hg.): Ulrich von Liechtenstein. Frauendienst, Göppingen, 1987 (Mittelhochdeutscher Text)
* Spechtler, Franz Viktor (Hg.): Ulrich von Liechtenstein. Frauendienst, Göppingen, 1987 (Mittelhochdeutscher Text)


* Liechtenstein, Ulrich von: Frauendienst, übers. v. Franz Viktor Spechtler, Klagenfurt/Celovec, 2000
* Liechtenstein, Ulrich von: Frauendienst, übers. v. Franz Viktor Spechtler, Klagenfurt/Celovec, 2000


==Einzelnachweise aus der Forschungsliteratur==
==Einzelnachweise aus der Forschungsliteratur==
<HarvardReferences />
[*Ackermann 2009] Ackermann, Christiane: Im Spannungsfeld von  Ich und Körper. Subjektivität im Parzival Wolframs von Eschenbach und im Frauendienst Ulrichs von Liechtenstein, Köln/Weimar/Wien, 2009
*[*Ackermann 2009] Ackermann, Christiane: Im Spannungsfeld von  Ich und Körper. Subjektivität im ''Parzival'' Wolframs von Eschenbach und im ''Frauendienst'' Ulrichs von Liechtenstein, Köln/Weimar/Wien, 2009.
*[*Eming 2010] Eming, Jutta: Gattungsmischung und Selbstbezüglichkeit. Die Dialoglieder in Ulrichs von Liechtenstein ''Frauendienst'', in: Münkler, Marina (Hg.): Aspekte einer Sprache der Liebe. Formen des Dialogischen im Minnesang, Berlin, 2010, S. 185-207.
 
*[*Hübner 1999] Hübner, Gert: "Gerne ich von dem selben spraech...". Leibhaftiges in den Liedern Ulrichs. In: Spechtler, F.Viktor, Maier, B. (Hg.): Ich - Ulrich von Liechtenstein. Literatur und Politik im Mittelalter, Klagenfurt, 1999.
 
*[*Kellermann 2010]Kellermann, Karina: Ulrichs von Liechtenstein Frauendienst als mediales  Labor, in: Linden, Sandra/Young, Christopher (Hgg.): Ulrich von  Liechtenstein. Leben - Zeit - Werk - Forschung, Berlin/New York 2010, S.  207-260.


[*Kiening 1998] Kiening, Christian: Der Autor als 'Leibeigener' der Dame - oder des Textes? Das Erzählsubjekt und sein Körper im 'Frauendienst' Ulrichs von Liechtenstein, in: Andersen, Elizabeth (Hg.): Autor und Autorschaft im Mittelalter, Tübingen, 1998, S.211-238
*[*Kiening 1998] Kiening, Christian: Der Autor als 'Leibeigener' der Dame - oder des Textes? Das Erzählsubjekt und sein Körper im ''Frauendienst'' Ulrichs von Liechtenstein, in: Andersen, Elizabeth (Hg.): Autor und Autorschaft im Mittelalter, Tübingen, 1998, S.211-238.


[*Schmid 1988] Schmid, Elisabeth: Verstellung und Entstellung im ''Frauendienst'' Ulrichs von Liechtenstein, in: Ebenbauer, Alfred; Knapp, Fritz Peter; Schwob, Anton (Hg.): Die mittelalterliche Literatur in der Steiermark (Jahrbuch für Internationale Germanistik), Bern u.a., 1988, S.181-198
*[*Schmid 1988] Schmid, Elisabeth: Verstellung und Entstellung im ''Frauendienst'' Ulrichs von Liechtenstein, in: Ebenbauer, Alfred; Knapp, Fritz Peter; Schwob, Anton (Hg.): Die mittelalterliche Literatur in der Steiermark (Jahrbuch für Internationale Germanistik), Bern u.a., 1988, S.181-198.
 
*[*Sieber 2010] Sieber, Andrea: Gender. Paradoxe Geschlechterkonstruktion bei Ulrich von Liechtenstein, in: Linden, Sandra; Young, Christopher(Hg): Ulrich von Lichtenstein. Leben – Zeit – Werk – Forschung. Berlin / New York, 2010, S.261-304.


==Anmerkungen==
==Anmerkungen==
<references />
<references />
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Aktuelle Version vom 10. Juni 2024, 13:08 Uhr

Ulrich von Liechtenstein (Codex Manesse)

Profilierungen des Körpers spielen im Frauendienst von Ulrich von Liechtenstein eine nicht geringe Rolle: "Ulrichs"[1] Körper ist immer wieder aufs Neue blockiert oder deformiert und wird so zu einem, wie Christian Kiening es ausdrückt, 'textualisierten Körper'.[Kiening 1998:223] Dieser fungiert als Zeichen eines unbedingten Minnedienstes und übermittelt sowohl Botschaften als auch Treuebeweise.[Kiening 1998:223] Wichtig für die Charakterisierung von Körperlichkeit im Frauendienst sind aber auch diejenigen Szenen, in denen es um nur scheinbare, indirekte Körperlichkeit geht, wie beispielsweise in der Waschwasserszene oder beim Versenden des Büchleins.

Beziehung von historischem Körper und Protagonisten-Ich

Der Frauendienst von Ulrich von Liechtenstein, welcher ein steirischer Ministerialer[2], Truchsess[3] und Landrichter war, gilt in der Forschung als eine der ersten Ich-Erzählungen in deutscher Sprache.[Kiening 1998: 214f.] Sowohl autobiografische als auch fiktionale Elemente sind in diesem Werk vorhanden. Die, für autobiographisches Schreiben konstitutive, Nicht-Fiktionalität ist allerdings zweifelhaft: Das hier artikulierte Ich entspricht offensichtlich nicht dem, was wir aus neuzeitlichen Autobiographien kennen. Zwar trägt das Protagonisten-Ich den Namen "Ulrich von Liechtenstein"; selbst nennt er sich allerdings nie so und zudem teilt er nur vereinzelte Elemente der historischen Konstellation mit dem steirischen Ministerialen Ulrich von Liechtenstein. Das Protagonisten-Ich "Ulrich von Liechtenstein" steht also offensichtlich in einer Verweisbeziehung zu der historischen Person, die außerhalb des Textes steht.[Kiening 1998:214f.] Diese Beziehung dürfte, so Kiening weiter, ihren Reiz aus der Spannung von Übereinstimmungen und Differenzen bezogen haben. Doch diese Spannung sei kaum rekonstruierbar, da literarische und außerliterarische Biographie sich nur punktuell berühren. Ob an dem historischen, also dem tatsächlich vorhandenen, Körper des Autors wirklich eine Hasenscharte wegoperiert wurde oder gar das Fehlen eines Fingers zu verzeichnen war, bleibt offen.[Kiening 1998: 215]

"Ulrichs" Körper

Zu den prägnantesten Szenen, in denen "Ulrichs" Körper Mittelpunkt der Handlung ist, zählen zum einen die Mundoperation, die das Ich vornehmen lässt und zu deren Folgen eine geschwollene Lippe, die stinkende grüne Salbe und der Ekel vor der Nahrungsaufnahme gehören. Das Abhacken eines Fingers, der im Turnier verletzt worden war und der der Dame unter anderem als Beweis unbedingter Ergebenheit geschickt wird, der Aufenthalt unter Aussätzigen und die Einnahme eines Krautes, das Symptome der Leprakrankheit hervorruft, dienen ebenfalls dem Wunsch, der Dame nahezukommen. Folglich ist der körperliche Leidenswille "Ulrichs" ein Ausdruck seiner Dienstbereitschaft der Dame gegenüber. Die komischen und parodistischen Elemente dieser Szenen sind komplexer Bestandteil der Inszenierungen des Autor-Ichs, welches, so Kiening, Präsenz erzeuge und sich gleichzeitig distanziere. Das Ich "Ulrich" betreibt eine Art "Modellierung des Leibes"[Schmid 1988:195f.] sowie eine "Differenzierung von Identität durch die Zeichnung des eigenen Leibes".[Schmid 1988:195f.] Dies ermöglicht es ihm, sich von anderen abzusetzen; die körperlichen Extravaganzen bezeichnet Kiening deshalb als Strategien: Der Körper des Ichs im Frauendienst bildet nun nicht mehr nur eine konkrete Hülle des Abstrakten, als welche die Körper dem Rezipienten normalerweise im höfischen Roman begegnen. Er steht als ein unhöfischer und exaltierter[4] Körper in einer Art Spannungsverhältnis zu den höfischen und disziplinierten. [Kiening 1998:220] "Ulrichs" Körper hat damit als eine entscheidende Funktion die Generierung von Identität innerhalb der innerliterarischen Welt. Eingriffe und Verletzungen werden zu einem Alleinstellungsmerkmal des "Ichs" und weisen ihm eine spezifische Identität zu.

Indirekte Körperlichkeit im Frauendienst

Unter dem Aspekt der Körperlichkeit besitzt "Ulrichs" Minnegeschichte ihren Ausgangspunkt in einer Adoleszenzerfahrung, die aus gleichzeitiger Nähe und Unberührbarkeit besteht. In diesem Übergangsstadium zwischen Kindheit und Erwachsensein wird "Ulrich" durch verschiedene Situationen, die im Zusammenhang mit der vrowe stehen, geprägt. Kiening formuliert in diesem Absatz sehr treffend "Ulrichs" Situation: Er sagt, dass das Ich die Zeit zwischen dem 12. und 17. Lebensjahr als kneht der frowe verbringt.[Kiening 1998:220] Doch "Ulrich" muss sich, aufgrund des Hierarchieverhältnisses, das ihn der Dame unterordnet, mit Formen der mittelbaren Berührung begnügen.

Die Blumen

Indirekte Körperlichkeit über Blumen

Als "imaginatives Relais"[5][Kiening 1998:220] zwischen zwei Körpern bringt "Ulrich" seiner Damen zu Beginn seines Minnedienstes Blumen: Die Blumen fungieren als Schalter, welcher dann für eine (indirekte) Berührung der Kontakte (zwischen Ulrich und der frowe) sorgt und somit gleichzeitig für indirekte Körperlichkeit. Denn die Tatsache, dass seine vrowe die Blumen berührt, nachdem er sie berührt hat, empfindet "Ulrich" als Verbindung zwischen den beiden Körpern. Die Blumen erfahren also eine Art Aufladung mit Körperlichkeit.

Mittelhochdeutscher Text [FD:24] __________ Neuhochdeutsche Übersetzung
Eines ofte mir geschach: __________ Bei ihr geschah mir eines oft:
swenne ich ihr schoener pluomen brach __________ Wenn ich die schönen Blumen brach
des sumers, so daz solde sin, __________ im Sommer, wie es sich gehört,
die truog ich sa der vrowen min. __________ da bracht' ich sie der Herrin mein.
nam si die in ir wize hant, __________ Nahm sie sie in die weiße Hand,
so wart mir freuden vil bekant; __________ dann freute ich mich ungemein
ich gedaht: da du si griffest an, __________ und dachte: Wo du sie gefaßt,
da han ich in alsam getan. __________ da hab ich es auch so getan.

Die Waschwasserszene

Der Keim der ambivalenten ersten Minnebeziehung, so Kiening, scheint in dieser Szene, in der Sehnsucht nach dem Körper des anderen, gelegt zu sein. "Ulrich" trinkt das Handwaschwasser der vrowe und partizipiert damit mittelbar am begehrten Körper der Dame. Er inkorporiert[6] ein Ersatzmittel, ein Substitut des anderen Körpers - dies stillt seine Liebessehnsucht immerhin für den Moment.[Kiening 1998:221] Diese Episode stellt Ulrich von Liechtenstein in Vers 25 dar:


Mittelhochdeutscher Text [FD:25] __________ Neuhochdeutsche Übersetzung
Min vreude war vil ofte groz, __________ Die Freude war oft riesengroß,
swenne ich kom, da man wazer goz __________ wenn ich hinkam und man da goß
der herzen lieben vrowen min __________ der herzenliebsten Herrin mein
uf ir vil wizen hendelin. __________ das Wasser auf die weißen Händ'.
daz wazer, da mit si sich twuoc, __________ Das Wasser, mit dem sie sich wusch,
verholn ich daz von danne truoc, __________ das trug ich heimlich von ihr weg
vor liebe ich ez gar uz tranc; __________ und trank es dann vor Liebe aus;
da von so wart min truren cranc. __________ das weckte meine Sehnsucht recht.


Anhand dieser Szene wird wiederum die untergeordnete Stellung "Ulrichs" deutlich. Das Waschwasser ist ein Abfallprodukt, das dadurch entsteht, dass die Dame sich reinigt. Doch selbst der Schmutz, der einmal an ihr war, ist "Ulrich" so wertvoll, dass er damit versucht, sein Liebesverlangen zu stillen. Denn eine unmittelbarere Nähe zur Verehrten ist ihm nicht vergönnt.

Die Büchlein und der Finger

"Ulrich" verwendet nicht nur seinen Körper als Einsatz im Minnedienst, sondern auch (teils sogar in ähnlicher Weise) Lieder, Briefe und Büchlein. Im ersten Büchlein, das "Ulrich" der Dame übersendet, kommt es sowohl zu einem Wechsel der Stimmen des Ichs und des personifizierten Büchleins als auch zu einer Überlagerung zwischen Körper und Text.[Kiening 1998:223] Das Büchlein wird einerseits als menschlicher Körper vorgestellt, der fürchtet, auf Märtyrerart auf dem Rost verbrannt, zerschnitten und viergeteilt zu werden.[FD:1. Büchlein, 122-131] Andererseits aber wird es als Text präsentiert, mit der Furcht davor, in einer verschlossenen Schublade zu verkümmern.[FD:1. Büchlein, 132-144] Das Büchlein fungiert als materielle "Übermittlungsinstanz von nicht materialisierbaren Begierden".[Kiening 1998:225] Es wird mit körperlicher Präsenz aufgeladen und gleichzeitig auch mit einem, auf den anderen Körper gerichteten, Verlangen. Einen weiteren Versuch, Nähe zur Dame herzustellen, unternimmt auch das zweite, von "Ulrich" versendete, Büchlein. In diesem Fall handelt es sich aber nicht nur um einen Text, der die Aufgabe hat, den Körper präsent zu machen, sondern um einen Teil des Körpers selbst. Ausgangspunkt hierfür ist die Fingerepisode, in der die Verletzung eines Fingers der rechten Hand während des Brixener Turniers beschrieben wird. Nachdem sich die Heilung als schwierig gestaltet, lässt "Ulrich" durch seinen Boten der vrowe mitteilen, er habe in ihrem Dienst einen Finger verloren. Nachdem diese aber erfährt, dass der Finger nicht verloren, sondern nur verkümmert ist, bezichtigt sie "Ulrich" der Lüge. Daraufhin lässt sich "Ulrich" den verletzten Finger abschlagen und übersendet ihn der Dame mit einem Büchlein, beide eingekleidet in kostbaren Samt. Der Finger dient dabei als Verschluss des Büchleins.


Mittelhochdeutscher Text [FD: 444-445] __________ Neuhochdeutsche Übersetzung
"Ich volge dirs gern, sit ich ez kan." __________ "Ich folg' dir gern, wenn ich es kann."
zehant ich tihten do began __________ Sofort fing ich zu dichten an
ein vil gefüege büechlin; __________ und schrieb ein nettes Büchlein ihr;
bi dem samt ich den vinger min __________ mit dem sandt' ich den Finger hin
hin da diu rine, süeze was. __________ wo diese Schöne, Edle war.
in einem samet als ein gras __________ In eine Seide so grün wie Gras
want man das büechel an der stat, __________ ward dieses Büchlein eingemacht,
ein goltsmit ich mir würken bat __________ ein Goldschmied macht mir sogleich
__________
zwei britelin von gold alda, __________ zwei Brettlein ganz aus reinem Gold,
dar in bant man daz büechel sa; __________ in die man dieses Büchlein band;
daz diu sperre solde sin; __________ als eine Schließe machte er
daz was also zwei hendelin __________ zwei kleine Hände auch aus Gold,
gemachet harte lobelich; __________ er formte sie ganz wunderbar;
den vinger dar in meisterlich __________ der Finger ward hineingelegt,
machte wir sa an der stat, __________
der bot mich urloubes bat. __________ der Bote nahm den Abschied dann.


Der Text des Büchleins verdeutlicht nun einerseits die "Zeichenhaftigkeit des Körperteils"[Kiening 1998:225f.], das die absolute Ergebenheit des Minnedieners bezeugen soll. Der Text aber versucht andererseits auch, bei der Dame ein schmerzvolles Empfinden des Verlustes zu erzeugen. Diese Amputation hat somit sowohl den Charakter der Wiedergutmachung der Lüge [7] als auch des Opfers, da sie "eine Sakralisierung des vom Körper (ab)getrennten Stückes"[Kiening 1998:226] ermöglicht. Der Finger wird nun zu einem "Moment ständiger Präsenz"[Kiening 1998:226], da die Dame verspricht, den Finger in einer Lade als beständiges Zeichen der Erinnerung aufzubewahren. Damit gelingt es mit der Kombination aus Körperlichkeit und Schriftlichkeit die Dame zu erreichen. Der Finger als Schließe des Büchleins kann somit auch das Herz der Dame öffnen.[Kellermann 2010:231]

Die Aussatzepisode

Nachdem "Ulrich" das Wohlwollen seiner vrowe durch die Venusfahrt erlangt hat, ist dennoch kein ausgeglichenes Verhältnis zur Minneherrin in Sicht. Erst mit dem elften Lied [FD:1100] erlangt Ulrich schließlich die erneute Zuneigung seiner Umworbenen, sie lädt ihn ein und stellt ein Treffen in Aussicht. Doch das Treffen steht unter keinem guten Vorzeichen und schon zu Beginn zeichnet sich ab, was die Episode hauptsächlich kennzeichnen wird: "körperliches Leid, Verlust und Furcht, ja Todesangst."[Ackermann 2009:165] Die Minneherrin fordert von "Ulrich" den Aufenthalt unter den Aussätzigen, was die "Sinnlosigkeit ihrer Dienstansprüche"[Ackermann 2009:166] nochmals unterstreicht. Die Aussatzepisode und ihre Dimensionen stehen, so Ackermann, in einem radikalen Kontrast zum Anfang der Minnebeziehung: Während "Ulrich" zu Beginn des Minnedienstes (als Kind) Bilder des Beginns, Aufbruchs und der Verehrung für die Dame und ihren Körper aufrief (man denke an die Blumen, die Ulrich für seine Dame pflückt), finden sich im Gegensatz dazu am Ende des Dienstes Zeichen des Unreinen, des Verfalls, abgebildet am kranken Körper des Aussätzigen.[Ackermann 2009:266] Die Entwicklung des Minnedienstes und der Körper "Ulrichs" (und dessen Versehrung) korrespondieren also in gewisser Weise. Ohne selbst am Aussatz zu erkranken, muss "Ulrich" "von Ekel geplagt seinen Körper den Körpern der Kranken anpassen".[Ackermann 2009:266] Ackermann lässt dabei außer Acht, dass von Beginn an, die "Gaben" der Dame an "Ulrich" (z. B. das Waschwasser) ein unreines Abfallprodukt darstellen. Natürlich stellt die Forderung, sich unter Aussätzige zu begeben eine andere Ebene der Unreinheit dar, aber sie ist vielmehr eine Steigerung und kein radikaler Kontrast zu den anfänglichen Elementen der Körperlichkeit. Und diese Steigerung setzt sich auch nach der Aussatzepisode weiter fort. In der Urinepisode, die in direktem Zusammenhang zur Aussatzepisode steht, wird die Erniedrigung für "Ulrich" verstärkt. Zwar handelt es sich in dieser Episode nicht um eine "Gabe" der Dame, aber auf ihr Geheiß hin versteckt sich "Ulrich" nachts im Burggraben und wird von den Exkrementen eines anderen beschmutzt.[FD:1189] Im nachfolgenden Handlungsablauf geht die Erniedrigung sogar noch weiter. "Ulrich" muss seine Verkleidung (die Bettlerkleider) ablegen, ist also nackt, was im Mittelalter mit dem Verlust von Identität gleichzustellen ist. (Vgl. hierzu die Urinepisode).

Körperlichkeit in Form von Sexualität

Die Artikulationsmöglichkeiten von Begehren und Sexualität sind im Frauendienst aufgrund der Gattung stark limitiert. Doch durch "metaphorische Übercodierungen im Bereich des Liedkorpus, aber auch der Turnierdarstellung, ritualisierte Keuschheit auf der Ebene der Narration und die beinahe unverhüllte Schilderung sexueller Phantasien in einigen Lieden"[Sieber 2010] können diese durchbrochen werden. Auch Gert Hübner schreibt, dass ein wesentlicher Grund für die existierende Freude (vreude[8]) im Frauendienst auf der "erfüllten, wenn auch phantasierten Sexualität"[Hübner 1999: 334] basiert.

Fazit

Kreislauf-Charakter von Blumen und Waschwasser

Die Szenen, in denen "Ulrich" seiner Dame Blumen überreicht und ihr Waschwasser trinkt, zeugen von einem Kreislauf-Charakter. "Ulrich" gibt seiner vrowe Blumen; als Gegenleistung "erhält" er ihr Waschwasser. Allerdings verschlechtert sich der Wert des Objekts, der zwischen den beiden Körpern wandert metonymisch. Benutztes Waschwasser ist kaum eine akzeptable Gegenleistung für ein Blumengeschenk. Der ganze (erste) Minnedienst hat zum Ziel, die Nähe der Körper (wieder)herzustellen, welche durch den Kreislauf von Blumen und Waschwasser kurzzeitig vorhanden war. Doch der Versuch der Vereinigung mit dem begehrten Körper der Dame scheitert immer wieder, da der andere Körper stets nur in Substitutionen zugänglich wird. Dennoch orientiert sich "Ulrichs" Körper, genau wie die räumlichen Bewegungen seines Ichs, hin zur Dame und wird von ihr terminiert. Sein Körper ist ein fast durchgängig fremdbestimmter, denn er ist hier nur ein Objekt, welches sich dem Willen und der Begierde fügen muss. Es wird zu einem Zeichen für die Unbedingtheit und Standhaftigkeit des Ichs - von diesen Eigenschaften berichtet man dann der Dame. Das Ich wird also tatsächlich zu einem Leibeigenen der Dame, denn sein Körper besitzt nur eine Existenzberechtigung, insoweit er der Dame gefällt.[Kiening 1998:222]



Primärliteratur

  • [*FD] Spechtler, Franz Viktor (Hg.): Ulrich von Liechtenstein. Frauendienst, Göppingen, 1987 (Mittelhochdeutscher Text)
  • Liechtenstein, Ulrich von: Frauendienst, übers. v. Franz Viktor Spechtler, Klagenfurt/Celovec, 2000

Einzelnachweise aus der Forschungsliteratur

  • [*Ackermann 2009] Ackermann, Christiane: Im Spannungsfeld von Ich und Körper. Subjektivität im Parzival Wolframs von Eschenbach und im Frauendienst Ulrichs von Liechtenstein, Köln/Weimar/Wien, 2009.
  • [*Eming 2010] Eming, Jutta: Gattungsmischung und Selbstbezüglichkeit. Die Dialoglieder in Ulrichs von Liechtenstein Frauendienst, in: Münkler, Marina (Hg.): Aspekte einer Sprache der Liebe. Formen des Dialogischen im Minnesang, Berlin, 2010, S. 185-207.
  • [*Hübner 1999] Hübner, Gert: "Gerne ich von dem selben spraech...". Leibhaftiges in den Liedern Ulrichs. In: Spechtler, F.Viktor, Maier, B. (Hg.): Ich - Ulrich von Liechtenstein. Literatur und Politik im Mittelalter, Klagenfurt, 1999.
  • [*Kellermann 2010]Kellermann, Karina: Ulrichs von Liechtenstein Frauendienst als mediales Labor, in: Linden, Sandra/Young, Christopher (Hgg.): Ulrich von Liechtenstein. Leben - Zeit - Werk - Forschung, Berlin/New York 2010, S. 207-260.
  • [*Kiening 1998] Kiening, Christian: Der Autor als 'Leibeigener' der Dame - oder des Textes? Das Erzählsubjekt und sein Körper im Frauendienst Ulrichs von Liechtenstein, in: Andersen, Elizabeth (Hg.): Autor und Autorschaft im Mittelalter, Tübingen, 1998, S.211-238.
  • [*Schmid 1988] Schmid, Elisabeth: Verstellung und Entstellung im Frauendienst Ulrichs von Liechtenstein, in: Ebenbauer, Alfred; Knapp, Fritz Peter; Schwob, Anton (Hg.): Die mittelalterliche Literatur in der Steiermark (Jahrbuch für Internationale Germanistik), Bern u.a., 1988, S.181-198.
  • [*Sieber 2010] Sieber, Andrea: Gender. Paradoxe Geschlechterkonstruktion bei Ulrich von Liechtenstein, in: Linden, Sandra; Young, Christopher(Hg): Ulrich von Lichtenstein. Leben – Zeit – Werk – Forschung. Berlin / New York, 2010, S.261-304.

Anmerkungen

  1. Im Folgenden soll das Protagonisten-Ich Ulrich von Liechtenstein im Vergleich zum historischen Autor-Ich in Anführungszeichen gesetzt werden, um eine bessere Unterscheidung zu ermöglichen.
  2. Ulrich von Liechtenstein gehörte einem einflussreichen Ministerialengeschlecht an; Ministerialer (laut Duden): Angehöriger des Dienstadels im Mittelalter, Angehöriger eines Ministeriums.
  3. Truchsess (laut Duden): (im Mittelalter) Vorsteher der Hofverwaltung, der u. a. mit der Aufsicht über die Tafel beauftragt war
  4. exaltiert (laut Duden): künstlich übersteigert, überspannt
  5. Ein Relais ist ein, vereinfacht gesehen, durch elektrischen Strom betriebener Schalter, der über einen Stromkreis aktiviert wird und über Kontakte funktioniert.
  6. inkorporieren (laut Duden): med. in den Körper eindringen lassen, angliedern
  7. Kiening weist auf Renate Hausners Auffassung hin, dass das Abhacken eines Fingers der Schwurhand als Strafe für Meineid galt und Ulrichs Amputation (als Folge der Lüge gegenüber der Dame) rechtssymbolischen Charakter hat.
  8. Die Betonung der vreude-Emotion gilt als eine Novität des lyrischen OEvres Ulrichs von Liechtenstein.[Eming 2010:193]