Das Zelt als Zeichen und Handlungsraum: Unterschied zwischen den Versionen
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Das Zelt in mittelalterlicher Literatur taucht immer wieder als Ort für die verschiedensten Handlungen auf. Auch im Parzival finden Handlungen in Zelten oder im Kontext mit Zelten statt. Darüber hinaus wird das Zelt als Symbol für unterschiedliche Bedeutungen genutzt. Mit genau diesen Handlungen und der Symbolik des Zelts im Parzival befasst sich dieser Artikel. | |||
==Zelt als Handlungsraum== | |||
Das Zelt in Wolframs von Eschenbach Parzival dient unter anderem als ein Handlungsraum. So finden im Parzival verschiedene Handlungen im Zelt statt, die in den folgenden Unterpunkten genauer betrachtet werden. Das Zelt eignet sich durch dessen Mobilität gut dafür, die Handlungen an den verschiedensten Orten stattfinden zu lassen. Wenn hier jedoch von der Mobilität des Zeltes gesprochen wird ist zu beachten, dass die Zelte, mit Ausnahme vom [[Isenhart (Wolfram von Eschenbach, Parzival)#Isenharts Zelt | Zelt des Isenhart]], nicht wirklich bewegt werden, beziehungsweise nicht wirklich transportiert werden. Die Zelte werden zwar durch ihr Auftreten an mehreren Orten als beweglich wahrgenommen, sie werden jedoch nicht als wiederverwendete bewegliche Räume und deren Transport narrativ genutzt.[Stock 2005: 78f.] Das Zelt im Parzival ist also nicht wirklich mobil, sondern bietet nur eine Flexibilät für den Erzähler, verschiedene Orte als Handlungsraum zu nutzen. Das Zelt ermöglicht damit einen mobilen Artushof, der durch die Zelte nicht an einen bestimmten Ort gebunden ist. So kann der Artushof als ein [[Raumsemantik#Bewegungsräume | Bewegungsraum]] dem Protagonisten an die verschiedenen Orte folgen, statt an einen Ort gebunden zu sein.[Schulz 2012: Vgl. S. 301] Wenn in den folgenden Abschnitten also vom mobilen Zelt die Rede ist, sollte stets an die hier ausgeführte Flexibilität des Handlungsraums gedacht werden, und weniger an den Transport eines Zeltes selber. | |||
Das Zelt | |||
===Höfische Interaktion=== | |||
Im Parzival finden vielerlei höfische Interaktionen in den Zelten statt. Ziel des Abschnitts ist es nicht, jede einzelne Handlung im Text detailliert darzustellen. Es wird nur ein kleiner Ausschnitt betrachtet und die höfische Interaktion in Zelten im Allgemeinen betrachtet. Das Zelt dient im Parzival unter anderem als temporärer Lebensraum der Charaktere, die sich auf Reisen befinden. Häufige Interaktionen in Zelten sind Unterredungen oder das Empfangen von Boten. So empfängt Gahmuret Boten und Herzeloyde in dem Zelt des Isenharts im 2. Buch. Im 13.Buch, genauer im Zeltlager von [[Joflanze (Wolfram von Eschenbach, Parzival) | Joflanze]], finden vorallem Empfänge in den Zelten eine Rolle. Das Zelt als temporärer Lebensraum dient also hauptsächlich dem Empfangen von Boten oder Gästen sowie Unterredungen. Das Zelt bietet durch seine Art einen Handlungsraum für Interaktionen zwischen den Charakteren, die sie sonst in einer Burg stattfinden würden. Dem Zelt kommt auf Reisen die Funktion einer Burg oder Stadt eines Herrschers oder Ritters zu. | |||
===Minnehandlung=== | |||
Einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf das Zelt als Ort der Minne und der Zweisamkeit. So findet in diesen Minnezelten die [[Minne (Wolfram von Eschenbach, Parzival) | Minne]] zwischen der ''vrouwe'' und ihres ''rîters'' statt. Auch kann das Zelt für den Ritter als Ausgangsort auf der Suche nach Kämpfen dienen, welche oft, jedoch nicht zwingend im [[Minnedienst (Wolfram von Eschenbach, Parzival) | Minnedienst]] stehen.[Stock 2005: 72] Die Minnezelte zeichnen sich hauptsächlich dadurch aus, dass sie isoliert von der Gesellschaft und fern eines größeren Zeltlagers stehen.[Stock 2005: 72] Ein konkretes Beispiel für ein Minnezelt im Parzival ist das Zelt des Orilus und seiner Frau Jeschute, auf welches Parzival nach dem Verlassen seiner Mutter trifft. Das Zelt, welches allein auf einem weiten Feld(129,18) abseits von jeglicher Gesellschaft steht, beherbergt Jeschute. Das Zelt wird vorallem durch den Fokus auf seine Einrichtung und die äußerst eindeutige sexuelle Beschreibung der Jeschute als Minnezelt erkennbar.[Stock 2005: 72] So beeinhaltet das Zelt ein Bett, in der die schlafende Jeschute liegt, welche aufgrund der Hitze eine Zobeldecke bis zur Hüfte aufgeschlagen hat(130,3ff.). Das Zelt stellt also ein Minnezelt eines noblen Liebespaares dar.[Kaiser 1983: 84] Orilus ist in der Zeit des Eindrigens Parzivals ins Zelt mit anschließendem Übergriff auf Jeschute unterwegs. Wie sich später im Text herausstellt, hat Orilus zu diesem Zeitpunkt Schionatulander als Teil seines Minnedienstes getötet:[Kaiser 1983: 84] | |||
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|141,8 || disen ritter unt den vetern dîn|| diesen Ritter und deinen Vettern | |||
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|141,9 || ze tjostieren sluoc Orilus || im Tjost erschlug sie Orilus | |||
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Die nach den Geschehnissen im Zelt [[Parzival, Jeschute und Orilus (Wolfram von Eschenbach, Parzival)#Orilus' Reaktion auf Jeschutes angeblichen Ehebruch (131,28-137,19)| gestörte Ehegemeinschaft]] wird später in einem ''poulûn''(271,26), also in einem Zelt wiederhergestellt. | |||
Ein weiteres Beispiel für die Minnehandlung in Zelten findet sich im XVI.Buch, als Parzival und Condwîrâmûrs sich wiedersehen. Parzival findet Condwîrâmûrs in einem Zeltlager. Zwar ist das Zelt, indem Parzival und Condwîrâmûrs die Minne vollziehen nicht wie oben beschrieben außerhalb eines größeren Zeltlagers, es ist jedoch durch einen "Herrenring" umschlossen und so von den anderen Zelten abgeschirmt(799,15ff.). Auch hier liegt der Fokus wieder auf dem Bett als einzig beschriebenem Einrichtungsgegenstand sowie der spärlichen Bekleidung Condwîrâmûrs: | |||
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|800,30 || sie hete niht wanz hemde an:|| Sie hatte nichts außer dem Hemd an: | |||
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|801,1 || Umb sich siz deckelachen swanc, || Sie schwang die Bettdecke um sich, | |||
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|801,2 || fürz pette ûfen teppech spranc || und sprang aus dem Bett auf den Teppich | |||
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|801,3 ||Condwîrâmûrs diu lieht gemâl .|| Condwîrâmûrs die Lichtgestalt. | |||
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|801,4 || ouch umbevienc si Parzivâl: || Auch umarmte sie Parzival: | |||
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|801,5 || man sagte mir, si kusten sich. || Man sagte mir, sie küssten sich. | |||
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Die Raumbeschreibung im Minnezelt beschränkt sich also auf das Bett und die darin leicht bekleidete ''vrouwe''. Abschließend kann das Minnezelte als ein Rückzugspunkt für sich Liebende beschrieben werden, die sich abseits ihrer Burg befinden. | |||
==Das Zelt als Symbol== | |||
Das Zelt dient jedoch nicht nur als Handlungsort, sondern hat darüber hinaus eine repräsentative Bedeutung. Es symbolisiert einen Herrschaftsbereich einerseits, und repräsentiert Macht andererseits. Schon im historischen Mittelalter war das Zelt mehr nur als ein Notbehelf, sondern wurde auch der herrscherlichen Repräsentation und der Selbstdarstellung dienstbar gemacht.[Balzer 1992: 225] Dies deckt sich mit dem Parzival, in dem das Zelt mehr als nur eine Behausung darstellt. | |||
===Das Zelt als Symbol eines Herrschaftsbereiches=== | |||
Ob bei einem Zeltlager für eine Belagerung oder einem Minnezelt wie bei Orilus und Jeschute, ein Zelt dient nicht nur der Behausung der Ritter und Damen. Vielmehr stellt das Zelt einen Bereich dar, eine Grenze, deren Überschreitung als ein Eingriff in den Herrschaftsbereich des Zeltbesitzers fungiert. Denn das Zelt ist hier der temporäre Lebensraum des Besitzers, und jeder Eindringling in diesen Raum stellt somit aufgrund der Verletzlichkeit des Zeltes eine Bedrohung dar.[Stock 2005: 70] Das Zelt markiert durch seinen Stand auf einem Bereich eine Art Beanspruchung dieses Bereichs, über den der Zeltbesitzer die Herrschaft ausübt. Dieser konstituierte Herrschaftsbereich darf nicht einfach so ohne Ankündigung betreten werden. Deswegen bemerkt Orilus Parzivals Eindringen auch nicht an Jeschute oder einem Durcheinander im Zelt, sondern an den Spuren, die Parzival um und am Zelt hinterlässt: | |||
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|132,28 || dô kom von dem ich sprechen wil.|| Da kommt der, von dem ich sprechen will. | |||
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|132,29 || der spürte an dem touwe || Der erspähte an Spuren im Tau, | |||
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|132,30 || daz gesouchet was sîn frouwe. || dass seine Frau besucht worden ist. | |||
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|133,1 || der snüere ein teil was ûz geret: || Ein Teil der Zeltschnüre war niedergetreten: | |||
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|133,2 || dâ hete ein knappe dez gras gewet. || da ist ein Knabe durch das Gras gegangen. | |||
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Orilus deutet die Zeichen richtig und erkennt die Verletzung seines Herrschaftsbereichs um das Zelt, auch wenn er das Eindringen als[[Parzival, Jeschute und Orilus (Wolfram von Eschenbach, Parzival)#Orilus' Reaktion auf Jeschutes angeblichen Ehebruch (131,28-137,19)| Ehebruch missdeutet]].[Stock 2005: 73] | |||
Ein weiteres Beispiel im Parzival, bei dem das Eindringen in den Herrschaftsbereich eines Zeltes thematisiert wird, ist die [[Die Blutstropfenszene (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Blutstropfenszene]]. Parzival, der durch die Blutstropfen im Schnee wie in Trance an seine Frau Condwîrârmûrs denkt, bedroht durch seinen aufgerichteten Speer unwissentlich den nicht unweit von ihm lagernden Artushof. Der aufgerichtete Speer deutet auf eine [[Das Tjostieren im Parzival| Tjostbereitschaft]] Parzivals hin, auch wenn dieser dies aktiv nicht wahrnimmt: | |||
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|284,1 ||Dâ hielt gezimiert ein degn,|| Da hielt geschmückt ein Krieger | |||
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|284,2 || als er tjostierns wolde pflegn || als wollte er das Tjostieren pflegen, | |||
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|284,3 || gevart, mit ûf gerihtem sper. || mit aufgerichtetem Speer. | |||
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Das unbemerkte Eindringen in den Herrschaftsbereich durch Parzival wiegt schwer, was sich auch deutlich durch den Ausruf des Pagen zeigt, welcher Parzival entdeckt hat. Dieser ruft im Zeltlager des Artushofs aus: | |||
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|284,20 ||alsus rief der garzûn|| So rief der Edelknabe: | |||
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|284,21|| "tavelrunder ist geschant: || "Die Tafelrunde ist geschändet: | |||
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|284,22 || ui ist durch die snuere allhie gerant." || euch ist einer eben hier durch die Schnüre gerannt." | |||
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Auch hier ist wie bei Orilus das Eindringen an den Zeltschnüren festgemacht worden. Die Zeltschnüre indizieren also eine Grenze für den ''rinc'' des Zeltlagers, welcher als verletzlicher und zu verteidigender Eigenraum gekennzeichnet ist.[Stock 2005: 70] Die Schande für die Ritter im Zeltlager liegt darin, dass ein scheinbar kampfbereiter Eindringling unbemerkt in diesen durch die Zeltschnüre abgegrenzten ''rinc'' ungehindert eingedrungen ist.[Stock 2005: 70] Dass das Eindringen schwer wiegt, zeigen auch die in der Szene [[ Die Blutstropfenszene (Wolfram von Eschenbach, Parzival)#Erster Kampf gegen Segramors|anschließenden Kämpfe]], die trotz eines vorher abgelegten Gelübtes an Artus von demselben zugelassen wurden: | |||
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|280,20 || beide arme und rîche,|| Sowohl Arme als auch Reiche | |||
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|280,21 || die schildes ambet ane want, || die im Schilddienst waren, | |||
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|280,22 || lobten Artûses hant, || schworen Artus einen Eid, | |||
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|280,23 || swâ sie saehen rîterschaft, || wann auch immer sie ritterliche Kämpfe sehen sollten, | |||
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|280,24 || daz si durch ir gelübde kraft || dass sie Kraft ihres Gelübtes | |||
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|280,25 || decheine tjost entaeten, || keine Tjost annehmen sollten, | |||
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|280,26 || ez enwaere op si in baeten || ehe sie ihn nicht(Artus) baten | |||
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|280,27 || daz er se lieze strîten. || dass er sie kämpfen ließe. | |||
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Das Zelt im | Das Zelt oder ein Zeltlager sind - mehr als eine Burg - ein verletzlicher höfischer Eigenraum im Sinne eines Herrschaftsbereichs, den es zu verteidigen gilt.[Stock 2005:70] Ein Eingriff in diesen Herrschaftsbereich, der durch die Art der Beschaffenheit weniger Schutz als eine Burg bietet, muss besonders verteidigt werden. | ||
===Das Zelt als Symbol für Macht=== | |||
So wie Zelte im historischen Mittelalter zur "Repräsentation und Selbstdarstellung dienstbar gemacht wurden"[Balzer 1992: 225], so haben auch die Zelte im Parzival die Funktion Macht zu repräsentieren. Sie können folglich als ein Symbol von Macht bezeichnet werden. Die Macht wird dabei durch die äußerliche Verarbeitung und durch die Größe des Zelts dargestellt. So zum Beispiel bei dem Zelt des Orilus: | |||
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|129, 20|| [...] grôz rîcheit dran gekêret.|| Großer Reichtum wurde darauf angewendet. | |||
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|131,26 || von drîer varwe samît|| Von dreilerei farbigen Samt | |||
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|131,26 || ez was hôh unde wit:|| war es und hoch und weit: | |||
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|131,26 || ûf den aneten lâgen borten guot.|| auf den Nähten lagen gute Bänder. | |||
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Ein weiteres Beispiel wäre das Zelt des [[Isenhart (Wolfram von Eschenbach, Parzival)| Isenhart]], welches bei [[Gahmuret als Ritter (Wolfram von Eschenbach, Parzival)#Im Königreich Zazamanc (16,1 - 58,26) | der Belagerung der Stadt Pâtelamunt]] vor selbiger aufgebaut war: | |||
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|27,16 || [...] daz als ein palas|| das als eine Burg | |27,16 || [...] daz als ein palas|| das als eine Burg | ||
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| | |27,17 || dort stêt (daz ist ein hôch gezelt:) || dort steht, das ist ein großes Zelt | ||
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Der Vergleich mit der Größe einer Burg verdeutlich nicht nur die tatsächliche Größe, sondern auch die Macht, ein solches Zelt transportieren zu können beziehungsweise zu besitzen. Es gehört auch zur typischen Zeltbeschreibung der höfischen Epik, dass man erfährt, welche Kraft für das Bewegen des Zelts notwendig ist.[Stock 2005: 78] Dies wird auch bei Isenharts Zelt deutlich, als [[Gahmuret als Ritter (Wolfram von Eschenbach, Parzival) |Gahmuret]] das Zelt bei [[Gahmuret und Herzeloyde (Wolfram von Eschenbach, Parzival)#Das Turnier in Kanvoleis | dem Turnier in Kanvoleis]] aufstellt: | |||
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|61,13 || mit arbeit wart ûf geslagn || Mit Mühe wurde aufgestellt | |||
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|61,14 || daz drîzec soumaer muosen tragn, || das dreißig Lasttiere tragen mussten, | |||
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|61,15 || ein gezelt: das zeigte rîcheit. || ein Zelt, welches Reichtum und Macht darstellt. | |||
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Der Aufwand ein solches Zelt zu bewegen ist ansich schon eine Repräsentation von Macht. Der dazu gehörige Reichtum verstärkt die Macht, wie ein Edelknabe im Gespräch mit Herzeloyde deutlich macht: | |||
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|62,18 || "âvoy welch ein poulûn! ||"Ah welch ein Pavillion! | |||
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|62,19 || iwer krône und iwer lant || Eure Krone und euer Land | |||
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|62,20 || waern derfür niht hallbez phant." || würden nicht mal als Hälfte eines Pfands dafür genügen." | |||
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Das Zelt nimmt zusätzlich noch mit seinen ''snüeren'' die ganze Fläche des Feldes ein(61,16f.) und repräsentiert damit einen Anspruch auf Dominanz im Turnier durch Gahmuret.[Stock 2005: 80]. | |||
Eine weitere Machtdemonstration sind die Zeltlager, die bei einer Belagerung den Verteidigern die Anzahl und Stärke der Gegner präsentieren. So auch bei [[Gawan (Wolfram von Eschenbach, Parzival)| Gawans]] [[Gawans Abenteuer auf dem Weg zum Gerichtskampf gegen Kingrimursel (Wolfram von Eschenbach, Parzival)#In der Stadt Bearosche (338,1 - 397,30) |Abenteuer in der Stadt Bearosche]]. Dort bot sich ihm ein Anblick auf eine Menge Zelte, welche sich einander mit Pracht und Reichtum überboten(350,24ff). Weiterhin standen die Zelte so dicht aneinander, dass die Zeltschnüre an ''de andern dranc''(351,3f.) und trotzdem ein langes Feld abdeckten(351,4ff.). Die kostbare Verarbeitung und der Platz, den die Zelte verbrauchen, symbolisieren also Stärke und Macht. | |||
Weiterhin sind Zelte ein Indiz für Macht, da sie als höfischer Eigenraum zu verteidigen sind.[Stock 2005: 74] Das heißt, dass meist ein gewaltfähiger Ritter oder mehrere gewaltfähige Ritter in der Nähe sind.[Stock 2005: 73] So auch bei Orilus und dem Artushof, die beide dazu bereit waren, ihren [[Das Zelt als Zeichen und Handlungsraum#Das Zelt als Symbol eines Herrschaftsbereich |verletzten Herrschaftsbereich]] zu verteidigen. | |||
Zelte haben also die repräsentative Funktion, durch ihre Größe und Verarbeitung die Macht ihrer Besitzer zu demonstrieren. Außerdem demonstrieren sie in einem Gebiet aufgeschlagen einen Machtanspruch über den Bereich, auf dem sie aufgestellt sind. | |||
==Fazit== | |||
Das Zelt im Parzival ist wie oben nachgewiesen mehr als nur eine schlichte Behausung für Reisende. Es ist ein Ort, der durch seine Mobilität die Charaktere und der Handlung folgen kann und an dem spezielle Handlungen wie die Minne stattfinden. Weiterhin dient das Zelt gerade auf der Ebene der Symbolik als ein repräsentatives Mittel. Es zeigt wie im Falle von Isenharts Zelt die Macht des Besitzers nach außen für alle sichtbar. Andererseits bietet das Zelt weniger Schutz als eine Burg und muss deswegen eine konstante Gewaltfähigkeit deren Bewohner fordern, wie das Beispiel von Parzival in der Blutstropfenszene verdeutlicht hat. Abschließend kann man sagen, dass das Zelt im Parzival eine weitreichende symbolische Bedeutung hat und auch narrativ eine wichtige Funktion für die Orte der Handlung darstellt. | |||
==Literaturverzeichnis== | |||
[*Balzer 1992] Manfred Balzer:"Vom Wohnen im Zelt im Mittelalter", in: Frühmittealterliche Studien 1992(=Band 26), hg. von Hagen Keller und Joachim Wollasch, Berlin 1992, S. 208-229. | |||
[*Kaiser 1983] Gert Kaiser:"Liebe außerhalb der Gesellschaft", in: Liebe als Literatur. Aufsätze zur erotischen Dichtung in Deutschland, hg. von Rüdiger Krohn, München 1983,S. 79-97. | |||
[*Schulz 2012] Armin Schulz: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, hg. u.a. von Manuel Braun, Berlin 2012. | |||
[*Stock 2005] Markus Stock:" Das Zelt als Zeichen und Handlungsraum in der hochhöfischen deutschen Epik. Mit einer Studie zu Isenharts Zelt in Wolframs Parzival, in: Innenräume in der Literatur des deutschen Mittelalters, hg. u.a. von Burkhard Hasenbrink, Tübingen 2008, S. 67-85. | |||
<references/> | |||
[[Kategorie: Wolfram von Eschenbach]] [[Kategorie: Parzival]] [[Kategorie: Symbolik]] [[Kategorie: Minne]] | |||
[[Kategorie: Artikel]] |
Aktuelle Version vom 19. April 2024, 15:47 Uhr
Das Zelt in mittelalterlicher Literatur taucht immer wieder als Ort für die verschiedensten Handlungen auf. Auch im Parzival finden Handlungen in Zelten oder im Kontext mit Zelten statt. Darüber hinaus wird das Zelt als Symbol für unterschiedliche Bedeutungen genutzt. Mit genau diesen Handlungen und der Symbolik des Zelts im Parzival befasst sich dieser Artikel.
Zelt als Handlungsraum
Das Zelt in Wolframs von Eschenbach Parzival dient unter anderem als ein Handlungsraum. So finden im Parzival verschiedene Handlungen im Zelt statt, die in den folgenden Unterpunkten genauer betrachtet werden. Das Zelt eignet sich durch dessen Mobilität gut dafür, die Handlungen an den verschiedensten Orten stattfinden zu lassen. Wenn hier jedoch von der Mobilität des Zeltes gesprochen wird ist zu beachten, dass die Zelte, mit Ausnahme vom Zelt des Isenhart, nicht wirklich bewegt werden, beziehungsweise nicht wirklich transportiert werden. Die Zelte werden zwar durch ihr Auftreten an mehreren Orten als beweglich wahrgenommen, sie werden jedoch nicht als wiederverwendete bewegliche Räume und deren Transport narrativ genutzt.[Stock 2005: 78f.] Das Zelt im Parzival ist also nicht wirklich mobil, sondern bietet nur eine Flexibilät für den Erzähler, verschiedene Orte als Handlungsraum zu nutzen. Das Zelt ermöglicht damit einen mobilen Artushof, der durch die Zelte nicht an einen bestimmten Ort gebunden ist. So kann der Artushof als ein Bewegungsraum dem Protagonisten an die verschiedenen Orte folgen, statt an einen Ort gebunden zu sein.[Schulz 2012: Vgl. S. 301] Wenn in den folgenden Abschnitten also vom mobilen Zelt die Rede ist, sollte stets an die hier ausgeführte Flexibilität des Handlungsraums gedacht werden, und weniger an den Transport eines Zeltes selber.
Höfische Interaktion
Im Parzival finden vielerlei höfische Interaktionen in den Zelten statt. Ziel des Abschnitts ist es nicht, jede einzelne Handlung im Text detailliert darzustellen. Es wird nur ein kleiner Ausschnitt betrachtet und die höfische Interaktion in Zelten im Allgemeinen betrachtet. Das Zelt dient im Parzival unter anderem als temporärer Lebensraum der Charaktere, die sich auf Reisen befinden. Häufige Interaktionen in Zelten sind Unterredungen oder das Empfangen von Boten. So empfängt Gahmuret Boten und Herzeloyde in dem Zelt des Isenharts im 2. Buch. Im 13.Buch, genauer im Zeltlager von Joflanze, finden vorallem Empfänge in den Zelten eine Rolle. Das Zelt als temporärer Lebensraum dient also hauptsächlich dem Empfangen von Boten oder Gästen sowie Unterredungen. Das Zelt bietet durch seine Art einen Handlungsraum für Interaktionen zwischen den Charakteren, die sie sonst in einer Burg stattfinden würden. Dem Zelt kommt auf Reisen die Funktion einer Burg oder Stadt eines Herrschers oder Ritters zu.
Minnehandlung
Einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf das Zelt als Ort der Minne und der Zweisamkeit. So findet in diesen Minnezelten die Minne zwischen der vrouwe und ihres rîters statt. Auch kann das Zelt für den Ritter als Ausgangsort auf der Suche nach Kämpfen dienen, welche oft, jedoch nicht zwingend im Minnedienst stehen.[Stock 2005: 72] Die Minnezelte zeichnen sich hauptsächlich dadurch aus, dass sie isoliert von der Gesellschaft und fern eines größeren Zeltlagers stehen.[Stock 2005: 72] Ein konkretes Beispiel für ein Minnezelt im Parzival ist das Zelt des Orilus und seiner Frau Jeschute, auf welches Parzival nach dem Verlassen seiner Mutter trifft. Das Zelt, welches allein auf einem weiten Feld(129,18) abseits von jeglicher Gesellschaft steht, beherbergt Jeschute. Das Zelt wird vorallem durch den Fokus auf seine Einrichtung und die äußerst eindeutige sexuelle Beschreibung der Jeschute als Minnezelt erkennbar.[Stock 2005: 72] So beeinhaltet das Zelt ein Bett, in der die schlafende Jeschute liegt, welche aufgrund der Hitze eine Zobeldecke bis zur Hüfte aufgeschlagen hat(130,3ff.). Das Zelt stellt also ein Minnezelt eines noblen Liebespaares dar.[Kaiser 1983: 84] Orilus ist in der Zeit des Eindrigens Parzivals ins Zelt mit anschließendem Übergriff auf Jeschute unterwegs. Wie sich später im Text herausstellt, hat Orilus zu diesem Zeitpunkt Schionatulander als Teil seines Minnedienstes getötet:[Kaiser 1983: 84]
141,8 | disen ritter unt den vetern dîn | diesen Ritter und deinen Vettern |
141,9 | ze tjostieren sluoc Orilus | im Tjost erschlug sie Orilus |
Die nach den Geschehnissen im Zelt gestörte Ehegemeinschaft wird später in einem poulûn(271,26), also in einem Zelt wiederhergestellt.
Ein weiteres Beispiel für die Minnehandlung in Zelten findet sich im XVI.Buch, als Parzival und Condwîrâmûrs sich wiedersehen. Parzival findet Condwîrâmûrs in einem Zeltlager. Zwar ist das Zelt, indem Parzival und Condwîrâmûrs die Minne vollziehen nicht wie oben beschrieben außerhalb eines größeren Zeltlagers, es ist jedoch durch einen "Herrenring" umschlossen und so von den anderen Zelten abgeschirmt(799,15ff.). Auch hier liegt der Fokus wieder auf dem Bett als einzig beschriebenem Einrichtungsgegenstand sowie der spärlichen Bekleidung Condwîrâmûrs:
800,30 | sie hete niht wanz hemde an: | Sie hatte nichts außer dem Hemd an: |
801,1 | Umb sich siz deckelachen swanc, | Sie schwang die Bettdecke um sich, |
801,2 | fürz pette ûfen teppech spranc | und sprang aus dem Bett auf den Teppich |
801,3 | Condwîrâmûrs diu lieht gemâl . | Condwîrâmûrs die Lichtgestalt. |
801,4 | ouch umbevienc si Parzivâl: | Auch umarmte sie Parzival: |
801,5 | man sagte mir, si kusten sich. | Man sagte mir, sie küssten sich. |
Die Raumbeschreibung im Minnezelt beschränkt sich also auf das Bett und die darin leicht bekleidete vrouwe. Abschließend kann das Minnezelte als ein Rückzugspunkt für sich Liebende beschrieben werden, die sich abseits ihrer Burg befinden.
Das Zelt als Symbol
Das Zelt dient jedoch nicht nur als Handlungsort, sondern hat darüber hinaus eine repräsentative Bedeutung. Es symbolisiert einen Herrschaftsbereich einerseits, und repräsentiert Macht andererseits. Schon im historischen Mittelalter war das Zelt mehr nur als ein Notbehelf, sondern wurde auch der herrscherlichen Repräsentation und der Selbstdarstellung dienstbar gemacht.[Balzer 1992: 225] Dies deckt sich mit dem Parzival, in dem das Zelt mehr als nur eine Behausung darstellt.
Das Zelt als Symbol eines Herrschaftsbereiches
Ob bei einem Zeltlager für eine Belagerung oder einem Minnezelt wie bei Orilus und Jeschute, ein Zelt dient nicht nur der Behausung der Ritter und Damen. Vielmehr stellt das Zelt einen Bereich dar, eine Grenze, deren Überschreitung als ein Eingriff in den Herrschaftsbereich des Zeltbesitzers fungiert. Denn das Zelt ist hier der temporäre Lebensraum des Besitzers, und jeder Eindringling in diesen Raum stellt somit aufgrund der Verletzlichkeit des Zeltes eine Bedrohung dar.[Stock 2005: 70] Das Zelt markiert durch seinen Stand auf einem Bereich eine Art Beanspruchung dieses Bereichs, über den der Zeltbesitzer die Herrschaft ausübt. Dieser konstituierte Herrschaftsbereich darf nicht einfach so ohne Ankündigung betreten werden. Deswegen bemerkt Orilus Parzivals Eindringen auch nicht an Jeschute oder einem Durcheinander im Zelt, sondern an den Spuren, die Parzival um und am Zelt hinterlässt:
132,28 | dô kom von dem ich sprechen wil. | Da kommt der, von dem ich sprechen will. |
132,29 | der spürte an dem touwe | Der erspähte an Spuren im Tau, |
132,30 | daz gesouchet was sîn frouwe. | dass seine Frau besucht worden ist. |
133,1 | der snüere ein teil was ûz geret: | Ein Teil der Zeltschnüre war niedergetreten: |
133,2 | dâ hete ein knappe dez gras gewet. | da ist ein Knabe durch das Gras gegangen. |
Orilus deutet die Zeichen richtig und erkennt die Verletzung seines Herrschaftsbereichs um das Zelt, auch wenn er das Eindringen als Ehebruch missdeutet.[Stock 2005: 73]
Ein weiteres Beispiel im Parzival, bei dem das Eindringen in den Herrschaftsbereich eines Zeltes thematisiert wird, ist die Blutstropfenszene. Parzival, der durch die Blutstropfen im Schnee wie in Trance an seine Frau Condwîrârmûrs denkt, bedroht durch seinen aufgerichteten Speer unwissentlich den nicht unweit von ihm lagernden Artushof. Der aufgerichtete Speer deutet auf eine Tjostbereitschaft Parzivals hin, auch wenn dieser dies aktiv nicht wahrnimmt:
284,1 | Dâ hielt gezimiert ein degn, | Da hielt geschmückt ein Krieger |
284,2 | als er tjostierns wolde pflegn | als wollte er das Tjostieren pflegen, |
284,3 | gevart, mit ûf gerihtem sper. | mit aufgerichtetem Speer. |
Das unbemerkte Eindringen in den Herrschaftsbereich durch Parzival wiegt schwer, was sich auch deutlich durch den Ausruf des Pagen zeigt, welcher Parzival entdeckt hat. Dieser ruft im Zeltlager des Artushofs aus:
284,20 | alsus rief der garzûn | So rief der Edelknabe: |
284,21 | "tavelrunder ist geschant: | "Die Tafelrunde ist geschändet: |
284,22 | ui ist durch die snuere allhie gerant." | euch ist einer eben hier durch die Schnüre gerannt." |
Auch hier ist wie bei Orilus das Eindringen an den Zeltschnüren festgemacht worden. Die Zeltschnüre indizieren also eine Grenze für den rinc des Zeltlagers, welcher als verletzlicher und zu verteidigender Eigenraum gekennzeichnet ist.[Stock 2005: 70] Die Schande für die Ritter im Zeltlager liegt darin, dass ein scheinbar kampfbereiter Eindringling unbemerkt in diesen durch die Zeltschnüre abgegrenzten rinc ungehindert eingedrungen ist.[Stock 2005: 70] Dass das Eindringen schwer wiegt, zeigen auch die in der Szene anschließenden Kämpfe, die trotz eines vorher abgelegten Gelübtes an Artus von demselben zugelassen wurden:
280,20 | beide arme und rîche, | Sowohl Arme als auch Reiche |
280,21 | die schildes ambet ane want, | die im Schilddienst waren, |
280,22 | lobten Artûses hant, | schworen Artus einen Eid, |
280,23 | swâ sie saehen rîterschaft, | wann auch immer sie ritterliche Kämpfe sehen sollten, |
280,24 | daz si durch ir gelübde kraft | dass sie Kraft ihres Gelübtes |
280,25 | decheine tjost entaeten, | keine Tjost annehmen sollten, |
280,26 | ez enwaere op si in baeten | ehe sie ihn nicht(Artus) baten |
280,27 | daz er se lieze strîten. | dass er sie kämpfen ließe. |
Das Zelt oder ein Zeltlager sind - mehr als eine Burg - ein verletzlicher höfischer Eigenraum im Sinne eines Herrschaftsbereichs, den es zu verteidigen gilt.[Stock 2005:70] Ein Eingriff in diesen Herrschaftsbereich, der durch die Art der Beschaffenheit weniger Schutz als eine Burg bietet, muss besonders verteidigt werden.
Das Zelt als Symbol für Macht
So wie Zelte im historischen Mittelalter zur "Repräsentation und Selbstdarstellung dienstbar gemacht wurden"[Balzer 1992: 225], so haben auch die Zelte im Parzival die Funktion Macht zu repräsentieren. Sie können folglich als ein Symbol von Macht bezeichnet werden. Die Macht wird dabei durch die äußerliche Verarbeitung und durch die Größe des Zelts dargestellt. So zum Beispiel bei dem Zelt des Orilus:
129, 20 | [...] grôz rîcheit dran gekêret. | Großer Reichtum wurde darauf angewendet. |
131,26 | von drîer varwe samît | Von dreilerei farbigen Samt |
131,26 | ez was hôh unde wit: | war es und hoch und weit: |
131,26 | ûf den aneten lâgen borten guot. | auf den Nähten lagen gute Bänder. |
Ein weiteres Beispiel wäre das Zelt des Isenhart, welches bei der Belagerung der Stadt Pâtelamunt vor selbiger aufgebaut war:
27,16 | [...] daz als ein palas | das als eine Burg |
27,17 | dort stêt (daz ist ein hôch gezelt:) | dort steht, das ist ein großes Zelt |
Der Vergleich mit der Größe einer Burg verdeutlich nicht nur die tatsächliche Größe, sondern auch die Macht, ein solches Zelt transportieren zu können beziehungsweise zu besitzen. Es gehört auch zur typischen Zeltbeschreibung der höfischen Epik, dass man erfährt, welche Kraft für das Bewegen des Zelts notwendig ist.[Stock 2005: 78] Dies wird auch bei Isenharts Zelt deutlich, als Gahmuret das Zelt bei dem Turnier in Kanvoleis aufstellt:
61,13 | mit arbeit wart ûf geslagn | Mit Mühe wurde aufgestellt |
61,14 | daz drîzec soumaer muosen tragn, | das dreißig Lasttiere tragen mussten, |
61,15 | ein gezelt: das zeigte rîcheit. | ein Zelt, welches Reichtum und Macht darstellt. |
Der Aufwand ein solches Zelt zu bewegen ist ansich schon eine Repräsentation von Macht. Der dazu gehörige Reichtum verstärkt die Macht, wie ein Edelknabe im Gespräch mit Herzeloyde deutlich macht:
62,18 | "âvoy welch ein poulûn! | "Ah welch ein Pavillion! |
62,19 | iwer krône und iwer lant | Eure Krone und euer Land |
62,20 | waern derfür niht hallbez phant." | würden nicht mal als Hälfte eines Pfands dafür genügen." |
Das Zelt nimmt zusätzlich noch mit seinen snüeren die ganze Fläche des Feldes ein(61,16f.) und repräsentiert damit einen Anspruch auf Dominanz im Turnier durch Gahmuret.[Stock 2005: 80]. Eine weitere Machtdemonstration sind die Zeltlager, die bei einer Belagerung den Verteidigern die Anzahl und Stärke der Gegner präsentieren. So auch bei Gawans Abenteuer in der Stadt Bearosche. Dort bot sich ihm ein Anblick auf eine Menge Zelte, welche sich einander mit Pracht und Reichtum überboten(350,24ff). Weiterhin standen die Zelte so dicht aneinander, dass die Zeltschnüre an de andern dranc(351,3f.) und trotzdem ein langes Feld abdeckten(351,4ff.). Die kostbare Verarbeitung und der Platz, den die Zelte verbrauchen, symbolisieren also Stärke und Macht. Weiterhin sind Zelte ein Indiz für Macht, da sie als höfischer Eigenraum zu verteidigen sind.[Stock 2005: 74] Das heißt, dass meist ein gewaltfähiger Ritter oder mehrere gewaltfähige Ritter in der Nähe sind.[Stock 2005: 73] So auch bei Orilus und dem Artushof, die beide dazu bereit waren, ihren verletzten Herrschaftsbereich zu verteidigen. Zelte haben also die repräsentative Funktion, durch ihre Größe und Verarbeitung die Macht ihrer Besitzer zu demonstrieren. Außerdem demonstrieren sie in einem Gebiet aufgeschlagen einen Machtanspruch über den Bereich, auf dem sie aufgestellt sind.
Fazit
Das Zelt im Parzival ist wie oben nachgewiesen mehr als nur eine schlichte Behausung für Reisende. Es ist ein Ort, der durch seine Mobilität die Charaktere und der Handlung folgen kann und an dem spezielle Handlungen wie die Minne stattfinden. Weiterhin dient das Zelt gerade auf der Ebene der Symbolik als ein repräsentatives Mittel. Es zeigt wie im Falle von Isenharts Zelt die Macht des Besitzers nach außen für alle sichtbar. Andererseits bietet das Zelt weniger Schutz als eine Burg und muss deswegen eine konstante Gewaltfähigkeit deren Bewohner fordern, wie das Beispiel von Parzival in der Blutstropfenszene verdeutlicht hat. Abschließend kann man sagen, dass das Zelt im Parzival eine weitreichende symbolische Bedeutung hat und auch narrativ eine wichtige Funktion für die Orte der Handlung darstellt.
Literaturverzeichnis
[*Balzer 1992] Manfred Balzer:"Vom Wohnen im Zelt im Mittelalter", in: Frühmittealterliche Studien 1992(=Band 26), hg. von Hagen Keller und Joachim Wollasch, Berlin 1992, S. 208-229.
[*Kaiser 1983] Gert Kaiser:"Liebe außerhalb der Gesellschaft", in: Liebe als Literatur. Aufsätze zur erotischen Dichtung in Deutschland, hg. von Rüdiger Krohn, München 1983,S. 79-97.
[*Schulz 2012] Armin Schulz: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, hg. u.a. von Manuel Braun, Berlin 2012.
[*Stock 2005] Markus Stock:" Das Zelt als Zeichen und Handlungsraum in der hochhöfischen deutschen Epik. Mit einer Studie zu Isenharts Zelt in Wolframs Parzival, in: Innenräume in der Literatur des deutschen Mittelalters, hg. u.a. von Burkhard Hasenbrink, Tübingen 2008, S. 67-85.