Orgeluse (Wolfram von Eschenbach, Parzival): Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 24. Juli 2012, 19:24 Uhr

Orgeluse, die Herzogin von Logroys, ist die Witwe des Cidegast und wird im späteren Verlauf des Parzivalromans zur Ehefrau des Gawan. Ihre Schönheit wird als außerordentlich beschrieben, die nur von Condwiramurs, der Ehefrau des Parzival, übertroffen wird. Als Witwe ist sie über lange Strecken des Romans die einzige Frau, die ihre Herrschaft selbstständig ohne Ehemann zu sichern vermag und die ihre Schönheit in Verbindung mit dem ritterlichen Minnedienst systematisch zum Erreichen ihrer Ziele einsetzt. Besonders auffällig ist ihr selbstbewusstes Auftreten und ihre spöttische Redeweise.

Orgeluses Verbindung von Ehe, Rache und Minnedienst

Orgeluse war mit dem Ritter Cidegast verheiratet, bis dieser von Gramoflanz getötet wurde. Gramoflanz entführte sie daraufhin und versuchte die Ehe zu erzwingen. Sie widersetzte sich ihm jedoch und sann fortan auf Rache. Während der Romanhandlung wird deutlich, dass sich mehrere Ritter in ihrem Dienst befinden, wie z.B. Lischoys Gweljus oder der Turkyote, die sie benutzt um einen möglichst starken Gegner für Gramoflanz zu finden. Ebenso befand sich einst der Gralskönig Anfortas in ihrem Dienst, bei dem er sich seine schwere Verletzung zuzog. Indem Wolfram von Eschenbach das Leiden des Anfortas mit der Figur Orgeluse verbindet, lässt er Orgeluse eine außerordentliche Stellung im gesamten Romangeschehen zuteilwerden. Emmerling bezeichnet Orgeluse auf Grund dieser Verflechtung als "Ur-Movens der gesamten Romanhandlung." [Emmerling 2003: S. 325] Orgeluse versucht ebenso Parzival in ihren Dienst zu bringen. Auffällig bei der Begegnung zwischen den beiden Figuren ist, dass der zukünftige Gralskönig Parzival im Gegensatz zu dem amtierenden Gralskönig Anfortas das Angebot von Orgeluse mit dem Verweis auf seine Gemahlin Condwiramurs und seine Suche nach dem Gral ablehnt. Durch seine Treue zu Condwiramurs und die daraus folgende Zurückweisung von Orgeluse zeigt Parzival, dass er als zukünftiger Gralskönig würdiger ist als Anfortas. [Emmerling 2003: Vgl. S. 156] Der schönen Orgeluse fällt es jedoch schwer diese Abweisung zu akzeptieren:

mînen lîp gesach nie man, Alle Männer, die mich sahen,
ine möhte wol sîn diens hân; konnt ich für mich dienen lassen -
wan einer, der truoc wâpen rôt nur nicht den in roter Rüstung [gemeint ist Parzival]
[...] [...]
er sprach, er hete ein schœner wîp, Er sagte, seine Frau sei schöner,
unt diu im lieber wære. außerdem sei sie ihm lieber -
diu rede was mir swære: dies zu hören, fiel mir schwer.

(Parzival. 618,19-21; 619,4-6.) [1]

Orgeluse nimmt Gawan in den Minnedienst auf (UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 339, Bd. 2, Bl. 377v.)

Zum Zweck der Rache nimmt sie aber Gawan in ihren Dienst auf, der nicht nur ihre Prüfungen besteht, sondern auch das Abenteuer auf Schastel marveile überlebt. Der Zauberer Clinschor hatte entschieden, dass derjenige, der das Abenteuer auf der Burg überlebt, Herr über dieses Gebiet und die dort Lebenden sein solle. Mit Orgeluse hatte er vertraglich ausgemacht, dass sie eben dieser Person auch ihre Liebe anbieten solle. Sie hatte dadurch gehofft, Gramoflanz anzulocken, der am Abenteuer im Schastel marveile scheitern und umkommen sollte. Durch Orgeluses Beziehungen zu Gawan und Anfortas, sowie ihrer Begegnung mit Parzival wird Orgeluse zu einer zentralen Verbindungslinie sowohl zwischen der Gawan- und der Parzival-Handlung als auch zwischen dem Gralsreich und dem Artusreich. Der spätere Zweikampf zwischen Gawan und Gramoflanz wird durch die Vermittlung von König Artus mit Rücksicht auf die Liebesbeziehung zwischen Gramoflanz und Itonje, Gawans Schwester, abgesagt. Orgeluse muss ihren Hass gegenüber Gramoflanz überwinden und ihm den Versöhnungskuss geben, was ihr sichtlich schwer fällt:

ir süezer munt rot gevar Da gab ihr schöner, roter Mund
den künec durch suone kuste, dem König einen Friedenskuß.
dar umb si weinens luste Sie war dabei den Tränen nah.
si dâhte an Cidegastes tôt: Ihr fiel der Tod des Cidegast ein:
dô twanc si wîplîchiu nôt die Leidensfähigkeit der Frau
nâch im dennoch ir riuwe erzwang auch jetzt noch Schmerz um ihn.
welt ir, des jeht für triuwe. Nennt es Treue, wenn ihr wollt.

(Parzival. 729,18-24.)

In dieser kurzen Beschreibung Orgeluses durch den Erzähler kommt auch Orgeluses "triuwe" (Treue), als ein zentrales Charaktermerkmal ihrer Person, zum Ausdruck. Orgeluses Rachegelüste gründen auf ihrer Treue zu Cidegast. Diese Treue führt nun dazu, dass Orgeluse nur unter Tränen Gramoflanz den Friedenskuss geben kann.

Orgeluses Schönheit

Orgeluses Aussehen wird beschrieben, als Gawan ihr das erste mal begegnet und ihn ihre Schönheit in den Bann schlägt. Das Blitzen Sangives, Itonjes und Cundries erschienen Gawan wie ein Nebeltag im Vergleich zu dem hellen Schein Orgeluses (591, 12-17). Allein Condwiramurs schafft es, sie an Schönheit zu übertreffen. Wolfram beschreibt Orgeluse mit seiner oft verwendeten Lichtmetaphorik: Ihre Schönheit würde ausreichen um einen dunklen Raum zu erhellen.[Dallapiazza 2009: S.71] Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass sich eine Vielzahl an Rittern in ihrem Dienst befinden.

mit clârheit süeze was daz wîp, Die Frau war hübsch, war voller Anmut
wol geschict unt kurtoys. war wohlgeformt und courtois;
si hiez Orgelûse de Lôgroys. sie hieß Orgelleuse de Logrois.
och sagt uns d'âventiur von ir, Ferner erzählt uns die histoire,
si wære ein reizel minnen gir, sie sei der Liebeslust ein Köder,
ougen süeze ân smerzen, sei eine wahre Augenweide,
unt ein spansenwe des herzen. sei Schleudersehne für das Herz.

(Parzival. 508,24-30.)

Orgeluse hat Macht über die Männer, da jeder bis auf Parzival ihrer außergewöhnlichen Schönheit erliegt. [Huber 1981] Doch Orgeluse weiß die Schönheit zu ihren Gunsten einzusetzen (511, 20) und macht jene zum Gespött, die sich ihrem Willen unterwerfen (515, 11-19 und 514, 16-18). Auch Gawan ist von ihrer Gestalt in den Bann gezogen, so sehr, dass er allen Hohn und Spott in Kauf nimmt um in ihrer Gunst zu steigen (531, 9-10). Orgeluse ist für ihn Maienzeit und Blütenpracht (531, 19-26), sodass ihr "varwe glanz" (600, 19: lichter Glanz) Gawan sogar seine Schmerzen vergessen lässt(600, 17-19). Wolfram weist darauf hin, dass er vorsätzlich eine Beschreibung ihrer Kleidung unterlasse, da die natürliche Schönheit dieser anmutigen Frau Kleidung genug sei:

waz si anderr kleider trüege? Und was sie sonst für Kleider trug, fragt ihr?
ob ich nu des gewüege, Nun, wenn es denn sein soll,
daz ich prüeven solt ir wât, daß ich ihre Garderobe vorführe -
ir liehter blic mich des erlât. geschenkt, laß gut sein: Sie trug blitzenden Glanz am Leib, das genügt.

(Parzival. 515, 8-10)

Wolfram hebt häufiger als nötig Orgeluses Schönheit hervor und erreicht es so, der besonderen Wirkung ihrer Schönheit Nachdruck zu verleihen. [Huber 1981]

Orgeluses Auftreten und Redeweise

Nach dem System der Kalokagathie könnte man meinen, dass "Orgeluse ein tugendhafter, guter Mensch sein müsse", sofern man also von äußerer auf innere Schönheit schließt.[Michailowitsch 2007: S. 67] Doch ihr Verhalten und ihre Rede widerspricht diesem Prinzip, denn sie verhält sich unhöfisch, ja regelrecht frech. Für Gawan, den höfischen und vorbildlichen Ritter, hat sie zuerst nur Spott und Hohn übrig. Seine erste Aufgabe in ihrem Dienst ist eher ein Botengang, der gegenüber dem Ritter eine Demütigung darstellen soll. Die Menschen in Orgeluses Gefolge sehen diese Demütigung mit Bekümmern:

>mîner frowen trügeheit >Unsre Herrin, sie ist falsch,
wil disen man verleiten sie will den Mann zu einer
ze grôzen arbeiten. großen Plackerei verleiten.
ôwê daz er ir volgen wil Wie schlimm, daß er ihr folgen muß -
ûf alsus riwebæriu zil.< nur leidvoll kann dies alles enden.<

(Parzival. 513,12-16.)

Ebenso traurig ist ein grauhaariger Ritter, der Gawan bittet, seiner Herrin nicht weiter zu dienen und sie folgendermaßen charakterisiert:

wan diu ist bî der süeze al sûr, Sie ist beides: süß und bitter,
reht als ein sunnenblicker schûr. wie Hagelschlag aus heiterem Himmel.

(Parzival. 514,19-20.)

Da zu Beginn Orgeluse, abgesehen von ihrer Schönheit, hauptsächlich negativ dargestellt wird, wendet sich der Erzähler an dieser Stelle an den Leser und bittet darum, die Herzogin nicht gleich zu verurteilen:

swer nu des wil volgen mir, Wer mir hier weiter folgen will,
der mîde valsche rede gein ir. der spreche nicht zu schlecht von ihr.
niemen sich verspreche, Keiner nehme den Mund zu voll,
ern wizze ê waz er reche, bevor er weiß, was er verdammt,
unz er gewinne küende bevor er in Erfahrung bringt,
wiez umb ir herze stüende. wie es um ihr Herz bestellt ist.

(Parzival. 516,3-8.)

Der Leser erfährt nämlich erst später von Orgeluses Racheplänen und erst durch dieses Wissen wird ihr Verhalten und auch die Instrumentalisierung des Minnedienstes verständlich. Ihr Verhalten verändert sich jedoch auch im Laufe des Romans, was wesentlich Gawans Bestehen der Prüfungen und dem Abenteuer auf Schastel marveile geschuldet ist. Durch ihn wird sie wieder mehr in die höfische Gesellschaft eingebunden und ordnet sich auch wieder deren Regeln unter. Außerdem gelingt es ihr, durch die Liebe zu Gawan, von ihren Racheplänen abzusehen.

Nicht nur in ihrer Herrscherposition ist Orgeluse vielen Männern des Romans gleichgestellt, auch ihr Verhalten zeugt von einer gewissen Emanzipation. Als Gawan ihr Hilfe beim Aufsteigen des Pferdes anbietet, schlägt sie diese aus und springt stattdessen "wie ein 'garzun' (Knappe) aufs Pferd".[Baisch 1999: S. 26] Außerdem bedient sie sich in den zahlreichen Dialogen mit Gawan eine "Sprache [...], die der Roman sonst männlichen Figuren vorbehält."[Baisch 1999: S. 26] Indem sie durch Spott und Hohn die Ehre verschiedener Ritter angreift, bringt sie diese dazu ihr zu dienen um die Ehre wiederherzustellen, ohne das Orgeluse irgendeine Form der Entlohnung in Aussicht stellt.

Die Liebesbeziehung zwischen Gawan und Orgeluse

Bezüglich einer genaueren Darstellung des Minneverhältnisses zwischen Gawan und Orgeluse sei auf den separaten Artikel Gawan und die Minne verwiesen.



Quellennachweise

  1. Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Dieter Kühn. Kommentiert von Eberhard Nellmann, Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main, 2006.


<HarvardReferences /> [*Baisch 1999] Baisch, Martin: Orgeluse - Aspekte ihrer Konzeption in Wolframs von Eschenbach Parzival, in: Schwierige Frauen - schwierige Männer in der Literatur des Mittelalters. hg. von Alois M. Haas und Ingrid Kasten, Bern, Berlin u.a. 1999, S. 15-33.
[*Dallapiazza 2009] Dallapiazza, Michael: Wolfram von Eschenbach: Parzival, Berlin 2009 (Klassiker-Lektüren 12).
[*Emmerling 2003] Emmerling, Sonja: Geschlechterbeziehungen in den Gawan-Büchern des Parzival. Wolframs Arbeit an einem literarischen Modell, Tübingen 2003.
[*Michailowitsch 2007] Michailowitsch, Ute: "[S]o frech dürfen schöne Frauen sonst kaum irgendwo sein". Zur Orgeluse-Episode in Wolframs von Eschenbach Parzival. In: Studia Universitatis Babeş-Bolyai, Philologia Vol. 52, Issue 1, Cluj 2007, S. 65-78.

[*Huber 1981] Huber, Hanspeter Mario: Licht und Schönheit in Wolframs "Parzival", Zürich, 1981