Schönheit und Hässlichkeit (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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Der folgende Artikel beschäftigt sich mit den Personenbeschreibungen in Wolframs von Eschenbach Parzival. Dabei werden die Ansichten über Schönheit und Hässlichkeit im Mittelalter mit den schönen und hässlichen Figuren in Wolframs Roman verglichen. Im Vordergrund steht der Zusammenhang zwischen dem Aussehen und dem Charakter. Auf diesem Gebiet entsprechen viele Figurendarstellungen den Ansichten der Zeit, einige beinhalten aber auch Überraschungen.

Einstellungen zum Aussehen im Mittelalter

Schönheit

Innere und Äußere Schönheit

Ist alles, was schön ist, gleichzeitig auch gut? Eine Frage, die im Mittelalter hochaktuell ist. Liest man mittelalterliche Romane, stößt man immer wieder auf diese Gleichsetzung. Tapfere Helden sind stets auch so schön, dass sie alle Blicke auf sich ziehen, und deren böse Gegner sind schon aufgrund ihrer Hässlichkeit schnell als solche zu erkennen. Diese Vorstellung hat ihren Usprung schon bei Platon. Das antike Ideal der "Kalokagathia" vereint innere und äußere Schönheit. [Michel 1976: vgl.: S. 89.] [1]Auch die Theorie der Physiognomik, die versucht einen Zusammenhang zwischen "Gesichtszügen (wie auch der Form anderer Körperteile) einerseits und Charakter und geistig-seelischen Anlagen andererseits" herzustellen, trug ihren Teil zu den Schönheitsidealen bei.[Eco 2007: S. 257.]
Obwohl im christlich geprägten Denken des Mittelalters eine gewisse Vorsicht erwartet werden dürfte angesichts dieses hohen Stellenwerts, den so die äußerliche Schönheit einnimmt, verwundert stattdessen, wie die antike Vorstellung wieder auflebt. Das von Gott geschaffene Äußere wird als Spiegel des Inneren eines Menschen gesehen; Schönheit verweist ebenfalls auf innere Vollkommenheit. [Wuthe 2008: vgl.: S.11.]
Diese Vorstellung des Mittelalters wird auch von dem Verhalten der Herrscher beeinflusst. Diese versuchen in ihrer Selbstdarstellung durch ihr höfisches Verhalten gleichzeitig ihre Machtstellung, ihre kostbare Ausstattung, ihre äußere Schönheit und ihre innere Größe zu beweisen. Höfische Repräsentation zeigt die Vereinbarkeit von einem schönen Körper als Ausweis von Herkunft und Stand und einem hohen Charakter. Dies schlägt sich immer wieder in den Romanen dieser Zeit nieder. [Pappas 2001: vgl.: S. 160.] "Die Idealvorstellung einer verläßlichen Korrespondenz von innerer Qualität und äußerer Erscheinungsform ist Vorraussetzung und Ziel der höfischen Erziehung." [Wenzel 1994: S. 214.] So wird äußere Schönheit zum Zeichen von Standeszugehörigkeit; dem Adel und hohen Rittertum bleiben sämtliche Attribute für gutes Aussehen vorbehalten. Aus diesem Grund wird auch davon ausgegangen, dass sich die Schönheit weitervererbt, was zu der "Schönheit der Sippe" [Wuthe 2008: S. 29.] führt.

Obwohl sich die bisher dargestellte Einstellung zu Schönheit in vielen Werken des Mittelalters wiederfinden lässt und "die Autonomie des Schönen wahrhaft erst im 18. oder 19. Jahrhundert erschüttert wird" [Dallapiazza 1985: S.400.] , gibt es durchaus in der Forschung Gegenmeinungen. Durch die Kreuzigung Jesu Christi ist im Christentum fest verankert, dass in äußerlich Hässlichem Wertvolles und höchste seelische Schönheit versteckt sein kann. [Dallapiazza 1985: vgl.: S. 410.] Die äußere Entstellung von Jesus Christus widerspricht dem antiken Schönheitsideal [Eco 2007: vgl.: S. 49-55.], doch sie bleibt dennoch an die Idealität der Schönheit gebunden. "Die deformitas [...] Christi ist nur ein zeitweiler Zustand, kein substantieller Verlust und deshalb wieder Zeichen der pulchritudo zukünftiger Seligkeit." [Jauß 1968: S. 157.]

Außerdem wird in mittelalterlicher Literatur auch die Diskrepanz zwischen Schein und Sein verarbeitet und die Gefahr einer Täuschung. Es bleibt das Risiko, aufgrund von Mängeln in der äußeren Erscheinung über die wahren Qualitäten einer Person hinweggetäuscht zu werden und dass die "vermeintliche Korrespondenz von Innen und Außen [...] zu Lasten aller eher unscheinbaren Schönheit" [Wenzel 1994: S. 213.] geht.

Das Lichtmotiv

Eines der Hauptmotive äußerer Schönheit soll hier noch erwähnt werden. Schönheit ist im höfischen Roman stets mit Licht und Leuchten in Verbindung gebracht. Die Vorstellung, dass Gott erst durch das Licht seine Schöpfung zu ganzer Schönheit geführt hat, wird auf die Menschen übertragen. [Wuthe 2008: vgl.: S. 15.] Es wird darauf hingewiesen, dass diese Idee schon auf Platon zurückgeht.[2] "Sicher assoziiert Licht unterschwellig immer die Idee des Guten" [Brinker- von der Heyde 2008: S. 103.] und die Autoren gehen so weit, die schönen Figuren selbst mit endogener Lichtkraft auszustatten, die mit der Sonne als Lichtquelle zu vergleichen ist. So wird die Schönheit des Protagonisten im Parzival häufig als heller Glanz beschrieben:

anderhalb ir saz Parzivâl: Auf der anderen Seite neben ihr saß Parzivâl.
der was ouch sô lieht gemâl, Der hatte auch sehr viel hellen Glanz am Leib
nie ouge ersach sô schoenen man. und war der schönste Mann, den je ein Auge sah.

(727, 19-21)[3]


Auch die Farbe spielte im Mittelalter eine große Rolle und "es kam ihr auf Grund der substantiellen Gebundenheit an das Licht" [Perpeet 1977: S. 67.] ein hoher Schönheitswert zu.

Hässlichkeit

Die Einstellung zu Hässlichkeit im Mittelalter lässt sich auf den ersten Blick ebensosehr pauschalisieren wie die Einstellung zur Schönheit: hässlich entspricht böse. Es können zwei verschiedene Arten der Hässlichkeit unterschieden werden. Die meisten der entstellten Figuren mittelalterlicher Romane sind von genuiner Hässlichkeit, einer "a-priori-Häßlichkeit". [Seitz 1967: S. 54.] Vor allem in den chansons de geste zeichnen sich diese Personen häufig durch tierische Attribute aus. [4] Es gibt ein konventionelles Formelgut an Beschreibungen, die für den französischen Roman üblich waren und als typisch bezeichnet werden können. [Dallapiazza 1985: vgl.: S. 408.] Die Entstellten sind häufig "Vertreter eines östlichen Exotenvolkes", [Wisbey 1975: S. 17.] die nicht selten darauf verweisen, dass ihre Landsleute dasselbe Aussehen haben. Das hässliche Aussehen steht für ihre Fremdheit und Andersartigkeit. Auch der Zusammenhang von Hässlichkeit und heidnischem Glauben ist erkennbar. Für Wisbey hängt diese Verbindung mit der "Tatsache zusammen, daß solche Gestalten östlicher Herkunft von Kain abstammen". [Wisbey 1975: S. 23.] Kain soll mit Tieren und Dämonen Missgestalten gezeugt haben, wodurch sich das tierische Aussehen der hässlichen Figuren erklärt.[5] Das Aussehen dieser Gestalten löst für den Betrachter "Angst, Ekel und Abscheu" aus.[Zimmermann 2007: S. 203.] Die Hässlichen werden "sowohl im Hinblick auf [ihr] äußeres Erscheinungsbild als auch auf [ihre] inneren Werte als undære(unansehnlich, böse, unfreundlich) oder als ungevüege (unschön, unpassend, unartig)" bezeichnet.[Zimmermann 2007: S. 203.]

Die zweite Form der Hässlichkeit ist die der entstellten Schönheit. Diese ist eine Hässlichkeit des Alters oder von Menschen, die ihre Schönheit aufgrund von äußeren Umständen oder Entbehrung verloren haben. Für den Verlust der Schönheit werden Gründe wie das Leben als Einsiedler, Krankheit und Trauer genannt. Diese Hässlichkeit ist nicht mit der ersten Art zu vergleichen, findet in der Literatur aber häufig Ausprägung.

Schönheit und Hässlichkeit im Parzival

Im Folgenden soll das Vorkommen der Motive Schönheit und Hässlichkeit im Parzival im Vergleich zur Einstellung im Mittelalter untersucht werden.

Schönheit

Parzival

Mit der Schönheit der Hauptfigur Parzival beschäftigt sich dieser Artikel. Als wichtigste Punkte für diesen Artikel sei nur kurz auf zwei Dinge hingewiesen: Die Beschreibung Parzivals, der in Narrenkleidern am Artushof auftaucht, widerspricht der Konvention von höfischer Schönheit. Obwohl er weder mit prachtvoller Kleidung ausgestattet ist, noch mit höfischem Verhalten glänzen kann, ist die Gesellschaft am Artushof gebannt von seinem Aussehen.[6] Trotz der fehlenden Erziehung ist sein Körper Zeichen seiner Herkunft und edlen Gesinnung.

Die schönen Männer

Wolfram von Eschenbach stattet auch seine anderen Helden mit großer Pracht aus. In der Beschreibung der Ritter spart er nicht an Lob und Begeisterung. Als ein typisches Beispiel kann die Beschreibung von Parzivals Vater Gahmuret gelten:

sîn munt als ein rubîn schein Sein Mund leuchtete wie ein Rubin von Röte,
von rœte als ober brünne: als ob er in Flammen stünde;
der was dicke und niht ze dünne. volle Lippen, wahrlich keine schmalen.
sîn lîp was allenthalben clâr. Glänzend war sein Leib, wo man auch hinsah.
lieht reideloht was im sîn hâr, Hell und lockig war sein Haar,
swâ manz vor dem huote sach: wo es hervorsah unter seinem Hut,
der was ein tiwer huobetdach und der war eine teure Kopfbedeckung.
grüene samit was der mandel sîn: Sein Mantel war ein grüner Samt,
einzobel dâ vor gap swarzen schîn vorne drauf der Zobel gab schwarzen Schein;
ob einem hemde daz was planc das Hemd, das er trug, war weiß.

(63, 16-25)


An dieser Stelle könnte auf die einzelnen Schönheitsbeschreibungen der Männer im Parzival eingegangen werden. Bis auf Weiteres wird hier auf Wuthe verwiesen, die eine sehr überzeugende und ausführliche Betrachtung der schönen Männer im Parzival liefert. [Wuthe 2008: vgl.: S. 78- 133.] Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Wolfram das Aussehen der Helden nicht realistisch darstellt, sondern der Schönheitsvorstellung des Mittelalters anpasst.

Die schönen Frauen

Die Schönheitsbeschreibungen der Frauen überschneiden sich ebenfalls häufig mit den Schönheitsidealen des Mittelalters. Es gibt eine idealtypische Schönheitsbeschreibung, die für alle Frauen im Parzival gilt und sich nur in der Intensität ihrer Leuchtkraft unterscheidet.[7] [Wuthe 2008: vgl.: S. 36.] Am strahlendsten erscheint Herzeloyde. Vor allem die schönen Lippen der Frauen werden besonders herausgehoben, weil häufig ein Kuss mit einem Ritter beschrieben wird. Wenn von den Augen der Damen gesprochen wird, beschreibt Wolfram ihren Glanz, oft auch unter Tränen. [Wuthe 2008: vgl.: S. 38.] In dieser kurzen Zusammenfassung darf die schwarze Königin Belacane nicht vergessen werden. Sie ist von wunderschönem Aussehen, was in Anbetracht ihres Glaubens und ihrer Andersartigkeit eine Besonderheit ist. Ihre Hautfarbe bleibt nicht unerwähnt ("nâch swarzer varwe was ir schîn" [24, 11]), sie ist ihrem Gegenüber dennoch alles andere als befremdlich; Gahmuret ist begeistert von ihrem Glanz und ihrer Schönheit. [8]
Wuthe weist auch noch daraufhin, dass die Schönheit von Frauen Auswirkungen auf die Wirkung des Helden hat. "Der Wert des Mannes wird durch die Schönheit der Frau noch erhöht." [Wuthe 2008: S. 31.] Diese Tatsache deckt sich mit dem Frauenbild im Mittelalter. Die Eigenständigkeit der Frauen ist gering; sie müssen häufig geschützt und verteidigt werden. [9] Auf der einen Seite bewirkt das die große Abhängigkeit der Frauen von ihren Männer (beispielhaft sind Belacane und Herzeloyde), auf der anderen Seite sind die schönen Frauen Bereicherung für die Männer.[10]

Auch Orgeluse zeichnet sich durch äußere Schönheit aus und zieht die Männer in ihren Bann, jedoch erweist sie sich in ihrem Verhalten als unhöfisch und vorlaut, schmiedet Rachpläne gegen Gramoflanz und wird auch von ihren Gefolgsleuten als falsch wahrgenommen. Allerdings charakterisiert sie ein grauhaariger Ritter bei der Begegnung mit Gawan als "bitter und süß" [514, 19] und auch Wolfram bittet darum, nicht zu vorschnell über Orgeluse zu urteilen [Vgl.: 516, 3-8].

Hässlichkeit

Cundrie

Zur hässlichen Gralsbotin Cundrie findet sich schon eine sehr ausführliche Beschreibung. Festzuhalten bleibt für diesen Artikel der große Gegensatz zwischen Cundries abschreckendem Äußeren und ihrer inneren Größe. Die Beschreibung Cundries terimorpher Züge lassen Cundries Hässlichkeit grotesk und abstoßend wirken. Ebenso rückt ihr unhöfliches Verhalten gegenüber der Artusgesellschaft sie in negatives Licht. Daneben ist Cundrie in schönste Gewänder gekleidet, welche von Reichtum zeugen, und hat eine hohe Bildung genossen. Besonders bezeichnend ist allerdings, dass in dieser hässlichen Person "eine Seele wohnt, die von christlichem Mitleid und wahrer "triuwe" geprägt ist." [Bumke 2004: S. 76.] Sie zeigt Mitleid gegenüber der Gralsgesellschaft, welche aufgrund Parzivals Versäumnis nicht vom Leid erlöst wurde. Das Bild der Cundrie wird durch den Kontrast zwischen ihrer äußeren Hässlichkeit und ihrem anmutigen Wesen, ihrer inneren Schönheit sehr ambivalent. Die Bewertung der Hässlichkeit Cundries ist in einem anderen Artikel vorgenommen worden.

Im Zusammenhang mit Cundrie muss noch ihr Bruder Malcreatiure genannt werden, der ihr in seiner Hässlichkeit in nichts nachsteht (Vgl.: [517, 15-28]).

Sigune

Während Cundrie eine Vertreterin der oben beschriebenen genuinen Hässlichkeit ist, hat Sigune ihre Schönheit infolge von Entbehrungen verloren. Sie trauert so sehr um ihren verstorbenen Geliebten, dass ihr alle Freude und Schönheit verloren geht. Sigune wird, wie Cundrie, vom Erzähler mit keinem Schönheitsepithton versehen. [Dallapiazza 1985: Vgl.: S. 410] Ihr roter, voller Mund ist erbleicht; die ganze Frau ist erblasst ("diu juncfrouwe bleich gevar" [437, 20]). Die Treue zu ihrem Geliebten hat ihre Schönheit vergehen lassen, ähnlich wie bei Herzeloyde, "die ihre Größe auch erst erreicht, als sie nach jâmer nu gevar geworden (Pz 104,22), also ebenfalls jenseits von Schönheit angelangt ist." [Dallapiazza 1985: S. 410]

Die hässlichen Männer

Außer Malcreatiure, der Bruder der Cundrie, gibt es keine als hässlich beschriebenen Männer im Parzival. Allein das Alter macht die Schönheit der Männer vergänglich. Grauhaarige Männer werden nicht mehr mit Schönheitsattributen versehen, hinterlassen aber dennoch ein positives Bild. [Wuthe 2008: vgl.:S. 50.] Die alten Männer der Gralsgesellschaft, und auch der Gralskönig, werden zwar mit grauen Haaren beschrieben, aber ihre Schönheit bleibt ihnen dennoch wegen des Grals erhalten.

Auswertungen

Nachdem die Einstellung zu Aussehen im Mittelalter generell untersucht wurde und die Darstellung Wolframs ebenfalls an einigen Figuren festgemacht werden konnte, lassen sich einige interessante Schlüsse ziehen. Wolfram von Eschenbach ist ein Kind seiner Zeit, weshalb er die Descriptio der Personen und die Darstellung ihrer Körper als Unterstützung von Inhalt und Bedeutung verwendet.[Ackermann 2007: vgl.: S. 431.] Seine Ritter sind der Tradition des höfischen Romans entsprechend schön und gut, ihr Charakter spiegelt sich in ihrem Äußeren. Auch viele Frauen entsprechen in ihrem wunderschönen Aussehen und ihrem keuschen und höfischen Verhalten dem Idealbild der Zeit. Deren äußere Schönheit ruft Bewunderung hervor und sie erweisen sich auch als treue und gute Menschen und beweisen innere Schönheit. In diesen Fällen kann man nach dem System der „Kalokagathie“ von äußerer auf innere Schönheit schließen. [Michel 1976: vgl.: S. 89] Die hässlichen Personen lassen sich auf den ersten Blick ebenfalls den im ersten Teil beschriebenen Konventionen zuordnen. Cundrie und ihr Bruder sind hässlich, ihr Aussehen gleicht eher dem von Tieren als dem von Menschen, und sie verbreiten dementsprechend Angst und Schrecken bei den Gesellschaften am Hof. Ihre Hässlichkeit erklärt sich aus ihrer Herkunft; sie entstammen einem östlichen Exotenvolk.
An diesem Punkt angelangt, fallen nun die ersten Unterschiede auf, die Wolfram kreiert. Auch Belakane entstammt einem Volk aus dem Orient und ist keine Christin. Trotz dieser Tatsache ist sie sehr hübsch. Heidnischer Glaube wird in diesem Roman nicht konsequent mit hässlichem Äußeren verbunden, stattdessen zeigt sich Belakanes gutes Inneres, trotz der aus mittelalterlicher Sicht ungünstigen Umstände, in ihrem Auftreten und ihrem Aussehen.
Doch auch der umgekehrte Fall kommt vor: Parzival, dessen Äußeres von allen bewundert wird, macht große Fehler. Inwiefern Parzival tatsächlich an seinem Versagen Schuld ist, bleibt an anderer Stelle zu klären. Ihm wird zumindest zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte mangelnde Mitleidsfähigkeit und die Schlechtigkeit seines Charakters vorgeworfen, die mit seinem Aussehen in direktem Widerspruch stehe. Auch die Übereinstimmung von gutem Aussehen mit Höfischheit und guter Erziehung, wie sie beschrieben wurde, bewahrheitet sich zu Beginn von Parzivals Entwicklung nicht.
Betrachtet man nun erneut die hässlichen Figuren, trifft man ebenfalls auf Unstimmigkeiten. Sigune, die zwar nicht von Geburt an hässlich ist, aber trotzdem alle Schönheit verloren hat, wird dem Leser als eine der besten Frauen des Romans präsentiert. Ihre Treue zu ihrem Geliebten und das große Opfer, das sie mit ihrer Trauer bringt, sind Zeugen für ihre absolut reine und keusche Seele und keineswegs für ihre Schlechtigkeit.
Als letztes und deutlichstes Beispiel ist Cundrie zu nennen. Wie schon im Roman selbst erwähnt, ist die Hässliche doch von innerer Größe. Dass sie schöne Kleider trägt und, wie sie bei der zweiten Begegnung mit Parzival beweist, höfisches Benehmen und Anstand hat, ist eher Spiegel ihres Inneren als ihr Aussehen. Obwohl man beim ersten Zusammentreffen zwischen Cundrie und Parzival beeindruckt ist, wie Parzival die Hässlichkeit als erzählerisches Mittel verwendet und mit dem Widerspruch zwischen Cundries Innerem und Äußerem dem Leser einen ähnlichen Widerspruch bei Parzival illustriert, bleibt die hässliche Gralsbotin letzten Endes im Unrecht. Sie muss Parzival um Verzeihung für die falschen Anschuldigungen bitten. Dass dabei sämtliche Hässlichkeitsattribute unerwähnt bleiben, spiegelt einerseits die nun wesentlich positiveren Nachrichten, deren Überbringerin Cundrie ist, und scheint andererseits anzudeuten, dass die weniger hässliche Cundrie nun auch weniger im Unrecht ist. Eine letzte Variante lässt Wolfram von Eschenbach unverwendet. Es gibt keine wunderschöne Person im Parzival, die von niederträchtigem und bösartigen Charakter ist. Parzival selbst wird dies vorgeworfen, doch der Vorwurf bewahrheitet sich. Auch bei Keie könnte sich schlechtes Verhalten mit schönem Äußeren paaren, doch die Autorin des Keie Artikels ist nicht von der Schlechtigkeit Keies überzeugt, sondern betont die positiven Bewertungen an einigen Stellen im Roman. So ist das Risko einer Täuschung durch Schönheit nicht repräsentiert.

Wolfram von Eschenbach verbleibt, wie an viele anderen Stellen im Roman auch, nicht einfach in einem Schwarz-Weiß-Denken. Wie im Prolog angekündigt, setzt Wolfram sein Elsterngleichnis in die Tat um. Er verschmischt die Ebenen und weicht damit nicht nur die Konventionen und Vorurteile der Zeit auf, sondern überrascht die Leser und bereichert die Handlung mit neuen Varianten.

Quellennachweise

  1. Im griechischen Original findet sich die Verbindung von καλός καί ἀγαθός (schön und gut) in Plantons Philebos. [Plato 2005: vgl.: I, 59b-64b.]
  2. Zu Platons Philosophie vgl. [Kahn 2005].
  3. Alle folgenden Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: [Wolfram von Eschenbach 2003].
  4. Zur genauen Analyse der Attribute hässlicher Menschen [Seitz 1967: vgl.: S. 29-42.]
  5. Quellen und Nachweise für diese These finden sich bei [Wisbey 1975: S. 23f.]
  6. Eine interessante Analyse zu dieser Szene findet sich hier: [Ackermann 2007: S. 441- 445.]
  7. Bei den Fraunen wird besonders oft auf den Zusammenhang mit Licht, Glanz und Schein hingewiesen. Zu einer genauen Analyse des Vorkommens dieser Wörter im Roman siehe [Brinker- von der Heyde 2008: S. 91-103.]
  8. Es gibt unter den zahlreichen Figuren des Parzival noch so viele schöne Frauen, dass mit Antikonie, Condwiramurs, Repanse de Schoye, Jeschute und Orgeluse nur die wenigsten genannt sind.
  9. Ein gutes Beispiel hierfür ist die schöne Frau Cunnewâre.
  10. Zum Erlangen von Ritterehre gehört nicht nur das erfolgreiche Kämpfen, sondern auch das Gewinnen von "hand und land"; Ziel ist das Erreichen von Aventiure und Ehe.



Forschungsliteratur

Primärtexte

[*Plato 2005] Plato: Timaios. Kritias. Philebos, hg. von Klaus Widdra und Hieronymus Müller, Darmstadt 2005.

[*Wolfram von Eschenbach 2003] Wolfram von Eschenbach: Parzival, nach der Ausgabe Karl Lachmanns, revidiert und kommentiert von Eberhard Nellmann, übertragen von Dieter Kühn, Frankfurt a.M. 2006.

Sekundärliteratur:

[*Ackermann 2007] Ackermann, Christiane: dirre trüebe lîhte schîn. Körperinszenierung, Ich-Präsentation und Subjektgestaltung im Parzival Wolframs von Eschenbach, in: Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Körperkonzepte im arthurischen Roman, Tübingen 2007, S. 431-454.

[*Brinker- von der Heyde 2008] Brinker-von der Heyde, Claudia: Lieht, schîn, glast und glanz in Wolframs von Eschenbach „Parzival“, in: Lechtermann, Christian/Wandhoff, HaikoLicht(Hrsg.): Glanz, Blendung. Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Leuchtenden, Bern 2008, S. 91-103.

[*Dallapiazza 1985] Dallapiazza, Michael: Häßlichkeit und Individualität- Ansätze zur Überwindung der Idealität des Schönen in Wolframs von Eschenbach Parzival, in: DVJG 59 (1985), S. 400-421.

[*Eco 2007] Eco, Umberto (Hrsg): Die Geschichte der Hässlichkeit, München 2007.

[*Jauß 1968] Jauß, Hans Robert: Die klassische und die christliche Rechtfetigung des hässlichen in mittelalterlicher Literatur, in: Jauß, Hans Robert(Hg): Die nicht mehr schönen Künste, Grenzphänomene des Ästhetischen, Reihe: Poetik und Hermeneutik, München 1968.

[*Kahn 2005] Kahn, Charles H.: Plato, in: Borchert, Donald M. (Hrsg.): Encyclopedia of Philosophy, 2nd Edition, Detroit 2006.

[*Michel 1976] Michel, Paul: Formosa deformitas. Bewältigungsformen des Häßlichen in mittelalterlicher Literatur, Bonn 1976.

[*Pappas 2001] Pappas, Katharine: Die häßliche Gralsbotin Cundry. Über Verhüllung und Enthüllung im Parzival Wolframs von Eschenbach, in: Müller, Ulrich/Wunderlich, Werner(Hrsg.): Verführer, Schurken, Magier, Bd. 3, St. Gallen 2001, S. 157-172.

[*Perpeet 1977] Perpeet, Wilhelm: Ästhetik im Mittelalter, Freiburg/München 1977.

[*Seitz 1967] Seitz, Barbara: Die Darstellung häßlicher Menschen in mittelhochdeutscher erzählender Literatur von der Wiener Genesis bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts, Diss., Tübingen 1967.

[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Auflg. Stuttgart/Weimar, 2004

[*Wenzel 1994] Wenzel, Horst: Hören und Sehen. Zur Lesbarkeit von Körperzeichen in der höfischen Literatur, in: Brall, Helmut(Hrsg.) u.a.: Personenbeziehungen in der mittelalterlichen Literatur, Düsseldorf 1994.

[*Wisbey 1975] Wisbey, Roy A.: Die Darstellung des Hässlichen im Hoch- und Spätmittelalter, in: Harms, Wolfgang/Johnson, L. Peter (Hrsg.): Deutsche Literatur des späten Mittelalters, Berlin 1975, S. 9-34.

[*Wuthe 2008] Wuthe, E. Hermine: Die schönen Männer im Parzival, Wien 2008.

[*Zimmermann 2007] Zimmermann, Julia: Hässlichkeit als Konstitutionsbedingung des Fremden und Heidnischen? Zur Figur der Cundrie in Wolframs von Eschenbach Parzival und in Albrechts Jüngerem Titurel, in: Mitteilungen des deutschen Germanisten Verbandes 54 (2007), S. 202-222.