Körperlichkeit (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst): Unterschied zwischen den Versionen

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==Indirekte Körperlichkeit im "Frauendienst"==
==Indirekte Körperlichkeit im "Frauendienst"==
"Unter dem Aspekt der Körperlichkeit besitzt Ulrichs Minnegeschichte ihren Ausgangspunkt in einer Adoleszenzerfahrung gleichzeitiger Nähe und Unberührbarkeit."[Kiening 1998:220] Kiening formuliert in diesem Absatz sehr treffend "Ulrichs" Situation: "Das Ich (dessen Name im übrigen noch nicht genannt ist) verbringt die Zeit zwischen dem 12. und 17. Lebensjahr als ''kneht der frowe''."[Kiening 1998:220] Doch "Ulrich" muss sich, aufgrund der höheren Stellung der Dame, mit Formen mittelbarer Berührung begnügen.
Unter dem Aspekt der Körperlichkeit besitzt "Ulrichs" Minnegeschichte ihren Ausgangspunkt in einer Art "Adoleszenzerfahrung gleichzeitiger Nähe und Unberührbarkeit".[Kiening 1998:220] In diesem Übergangsstadium zwischen Kindheit und Erwachsensein wird "Ulrich" durch verschiedene Situationen, die im Zusammenhang mit der ''vrowe'' stehen, geprägt. Kiening formuliert in diesem Absatz sehr treffend "Ulrichs" Situation: "Das Ich (dessen Name im übrigen noch nicht genannt ist) verbringt die Zeit zwischen dem 12. und 17. Lebensjahr als ''kneht der frowe''."[Kiening 1998:220] Doch "Ulrich" muss sich, aufgrund der höheren Stellung der Dame, mit Formen mittelbarer Berührung begnügen.


===Die Blumen===
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===Die Büchlein und der Finger===
===Die Büchlein und der Finger===
"Ulrich" verwendet nicht nur seinen Körper als Einsatz im Minnedienst, sondern auch (teils in ähnlicher Weise) Lieder, Briefe und Büchlein. Im ersten [[Genres: Büchlein (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Büchlein]], das "Ulrich" der Dame übersendet, kommt es "parallel zum Wechsel der Stimmen des Ich und des personifizierten Büchleins zu einer Überlagerung zwischen Körper und Text."[Kiening 1998:223]  
"Ulrich" verwendet nicht nur seinen Körper als Einsatz im Minnedienst, sondern auch (teils sogar in ähnlicher Weise) [[Genres: Lied (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Lieder]], [[Genres: Brief (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Briefe]]und [[Genres: Büchlein (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Büchlein]]. Im ersten Büchlein, das "Ulrich" der Dame übersendet, kommt es "parallel zum Wechsel der Stimmen des Ich und des personifizierten Büchleins zu einer Überlagerung zwischen Körper und Text."[Kiening 1998:223] Das Büchlein wird einerseits als menschlicher Körper vorgestellt, der fürchtet, auf Märtyrerart auf dem Rost verbrannt, zerschnitten und viergeteilt zu werden. (FD, 1.Büchlein, 122-131) Andererseits aber wird es als Text präsentiert, mit der Furcht davor, in einer verschlossener Schublade zu verkümmern. (FD, 1.Büchlein, 132-144) Das Büchlein fungiert als materielle "Übermittlungsinstanz von nicht materialisierbaren Begierden",[Kiening 1998:225]. Es wird mit körperlicher Präsenz aufgeladen und gleichzeitig auch mit einem auf den anderen Körper gerichteten Verlangen.[Kiening 1998:224] Einen neuen Versuch, Nähe herzustellen, unternimmt auch das zweite, von "Ulrich" versendete, Büchlein. In diesem Fall handelt es sich aber nicht nur um einen Text, der "den Körper präsent machen soll, sondern [um] einen Teil des Körpers selbst."[Kiening 1998:225] Ausgangspunkt hierfür ist die [[Die Fingerepisode (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Fingerepisode]], in der die Verletzung eines Fingers der rechten Hand während des Brixener Turniers beschrieben wird. Nachdem sich die Heilung als schwierig gestaltet, lässt "Ulrich" durch seinen [[Der Bote - höfische Freundschaft oder Macht? (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Boten]] der ''vrowe'' mitteilen, er habe in ihrem Dienst einen Finger verloren. Nachdem diese aber erfährt, dass der Finger nicht verloren, sondern nur verkümmert ist, bezichtigt sie "Ulrich" der Lüge. Daraufhin lässt sich "Ulrich" den verletzten Finger abschlagen und übersendet ihn der Dame mit einem Büchlein, beide eingekleidet in kostbaren Samt. Der Finger dient dabei als Verschluss des Büchleins. <br />
Das Büchlein wird einerseits als menschlicher Körper vorgestellt, der fürchtet, auf Märtyrerart auf dem Rost verbrannt, zerschnitten, viergeteilt zu werden.<ref>(FD, 1.Büchlein, 122-131) </ref> Anderereits aber wird es als Text präsentiert, mit der Furcht davor, in verschlossener Lade zu verkümmern.<ref>(FD, 1.Büchlein, 132-144) </ref> "Das Büchlein ist materialle Übermittlungsinstanz von nicht materialisierbaren Begierden, es wird aufgeladen mit körperlicher Präsenz und zugleich mit einem auf den Körper, den anderen Körper, gerichteten Verlangen."[Kiening 1998:224] Einen neuen Versuch, Nähe herzustellen, unternimmt auch das zweite, von "Ulrich" versendete, Büchlein. In diesem Fall handelt es sich aber nicht nur um einen Text, der "den Körper präsent machen soll, sondern [um] einen Teil des Körpers selbst."[Kiening 1998:225] Ausgangspunkt hierfür ist die [[Die Fingerepisode (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)|Fingerepisode]], die Verletzung eines Fingers der rechten Hand im Brixener Turnier. Nachdem sich die Heilung als schwierig gestaltet, lässt "Ulrich" durch einen Boten der ''vrowe'' mitteilen, er habe in ihrem Dienst einen Finger verloren. Nachdem diese aber erfährt, dass der Finger nicht verloren, sondern nur verkümmert ist, bezichtigt sie "Ulrich" der Lüge. Daraufhin lässt sich "Ulrich" den verletzten Finger abschlagen und übersendet ihn der Dame mit einem Büchlein, beide eingekleidet in kostbaren Samt. Der Finger dient dabei als Verschluss des Büchleins. <br />
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"Der Text des Büchleins verdeutlicht nun einerseits die Zeichenhaftigkeit des Körperteils [...], das also die unbedingte Ergebenheit des Minnedieners bezeugen soll. Der Text versucht andererseits, bei der Dame ein schmerzvolles Empfinden des Verlustes zu erzeugen[...]".[Kiening 1998:225f.] Diese Amputation hat somit sowohl Wiedergutmachungscharakter<ref> Kiening weist auf Renate Hausners Auffassung hin, dass das Abhacken eines Fingers der Schwurhand als Strafe für Meineid galt und Ulrichs Amputation (als Folge der Lüge gegenüber der Dame) rechtssymbolischen Charakter hat. </ref> als auch Ofercharakter, da sie "eine Sakralisierung des vom Körper (ab)getrennten Stückes"[Kiening 1998:226] ermöglicht. Der Finger wird nun zu einem "Moment ständiger Präsenz"[Kiening 1998:226], da die Dame verspricht, den Finger in einer lade als beständiges Zeichen der Erinnerung aufzubewahren.
Der Text des Büchleins verdeutlicht nun einerseits die "Zeichenhaftigkeit des Körperteils"[Kiening 1998:225f.], das die absolute Ergebenheit des Minnedieners bezeugen soll. Der Text aber versucht andererseits, bei der Dame ein schmerzvolles Empfinden des Verlustes zu erzeugen. Diese Amputation hat somit sowohl den Charakter der Wiedergutmachung<ref> Kiening weist auf Renate Hausners Auffassung hin, dass das Abhacken eines Fingers der Schwurhand als Strafe für Meineid galt und Ulrichs Amputation (als Folge der Lüge gegenüber der Dame) rechtssymbolischen Charakter hat. </ref> als auch des Opfers, da sie "eine Sakralisierung des vom Körper (ab)getrennten Stückes"[Kiening 1998:226] ermöglicht. Der Finger wird nun zu einem "Moment ständiger Präsenz"[Kiening 1998:226], da die Dame verspricht, den Finger in einer Lade als beständiges Zeichen der Erinnerung aufzubewahren.


==Die Aussatzepisode==
==Die Aussatzepisode==

Version vom 16. Juni 2013, 17:03 Uhr

Profilierungen des Körpers spielen im Frauendienst von Ulrich von Liechtenstein eine nicht geringe Rolle: "Ulrichs" Körper ist ein "immer wieder aufs neue blockierter oder deformierter"[Kiening 1998:223], und wird so zu einem "textualisierten Körper"[Kiening 1998:223], der als Zeichen eines unbedingten Minnedienstes fungiert und Botschaften und Treuebeweise übermittelt.[1] Wichtig für die Charakterisierung von Körperlichkeit im Frauendienst sind aber auch diejenigen Szenen, in denen es um nur scheinbare, indirekte Körperlichkeiten geht, wie etwa in dier Waschwasserszene oder beim Versenden des Büchleins.

Beziehung von historischem Körper und Protagonisten-Ich

Der Frauendienst von Ulrich von Liechtenstein, welcher ein steirischer Ministerialer[2], Truchsess[3] und Landrichter war, gilt in der Forschung als erste Ich-Erzählung in deutscher Sprache.[4] Sowohl autobiografische als auch fiktionale Elemente sind in diesem Werk vorhanden. Die, für autobiographisches Schreiben konstitutive, Nicht-Fiktionalität ist allerdings zweifelhaft: Das hier artikulierte Ich entspricht offensichtlich nicht dem "aus neuzeitlichen Autobiographien geläufigen."[Kiening 1998: 215] Zwar trägt das Protagonisten-Ich den Namen "Ulrich von Liechtenstein"; selbst nennt er sich allerdings nie so und zudem teilt er nur vereinzelte Elemente der historischen Konstellation mit dem steirischen Ministerialen Ulrich von Liechtenstein.[5] Das Protagonisten-Ich "Ulrich von Liechtenstein" steht offensichtlich in einer "Verweisbeziehung zu der historischen Person außerhalb des Textes". [Kiening 1998:215] Diese Beziehung dürfte, so Kiening, ihren Reiz aus der Spannung von Übereinstimmungen und Differenzen bezogen haben. Doch diese Spannung sei kaum rekonstruierbar, da literarische und außerliterarische Biographie sich nur punktuell berühren. Ob an dem historischen, also dem tatsächlich vorhandenen, Körper des Autors wirklich eine Hasenscharte wegoperiert wurde oder gar das Fehlen eines Fingers zu verzeichnen war, bleibt offen.

Sexualität und Körperlichkeit im Mittelalter

"Ulrichs" Körper

Die prägnantesten Szenen, in denen "Ulrichs" Körper Mittelpunkt der Handlung ist, sind gut bekannt: Dazu gehören zum einen die Mundoperation, die das Ich vornehmen läßt und zu deren Folgen eine geschwollene Lippe, die stinkende grüne Salbe und der Ekel vor der Nahrungsaufnahme gehörten. Das Abhacken eines Fingers, der im Turnier verletzt worden war und der der Dame als Beweis unbedingter Ergebenheit geschickt wurde, der Aufenthalt unter Aussätzigen und die Einnahme eines Krautes, das Symptome der Leprakrankheit hervorrief, diente ebenfalls dem Wunsch, der Dame nahezukommen. Die komischen und parodistischen Elemente dieser Szenen sind komplexer Bestandteil der Inszenierungen des Autor-Ich, welches, so Kiening, Präsenz erzeuge und sich gleichzeitig distanziere. Das Ich "Ulrich" betreibt eine Art "Modellierung des Leibes"[Schmid 1988:195f.] sowie eine "Differenzierung von Identität durch die Zeichnung des eigenen Leibes".[Schmid 1988:195f.] Dies ermöglicht es ihm, sich von anderen abzusetzen; die körperlichen Extravaganzen bezeichnet Kiening deshalb als Strategien: Der Körper des Ichs im Frauendienst bildet nun nicht mehr nur eine "konkrete Hülle des Abstrakten"[Kiening 1998:220], als welche die Körper im höfischen Roman begegnen. Er steht als ein "unhöfischer und exaltierter[6] in einem Spannungsverhältnis zu den höfischen, disziplinierten und verfeinerten Körpern".[Kiening 1998:220] "Ulrich" gewinnt seine spezifisch diskursive Gestalt also gerade im Kontrast und in der Negation.[Kiening 1998:220]

Indirekte Körperlichkeit im "Frauendienst"

Unter dem Aspekt der Körperlichkeit besitzt "Ulrichs" Minnegeschichte ihren Ausgangspunkt in einer Art "Adoleszenzerfahrung gleichzeitiger Nähe und Unberührbarkeit".[Kiening 1998:220] In diesem Übergangsstadium zwischen Kindheit und Erwachsensein wird "Ulrich" durch verschiedene Situationen, die im Zusammenhang mit der vrowe stehen, geprägt. Kiening formuliert in diesem Absatz sehr treffend "Ulrichs" Situation: "Das Ich (dessen Name im übrigen noch nicht genannt ist) verbringt die Zeit zwischen dem 12. und 17. Lebensjahr als kneht der frowe."[Kiening 1998:220] Doch "Ulrich" muss sich, aufgrund der höheren Stellung der Dame, mit Formen mittelbarer Berührung begnügen.

Die Blumen

Als "imaginatives Relais"[Kiening 1998:220] zwischen zwei Körpern bringt "Ulrich" seiner Damen zu Beginn seines Minnedienstes Blumen. Die Tatsache, dass seine vrowe die Blumen berührt, nachdem er sie berührt hat, empfindet "Ulrich" als Verbindung zwischen den beiden Körpern. Die Blumen erfahren also eine Art Aufladung mit Körperlichkeit.

Die Blumen-Episode wird in Vers 24 des Frauendienstes beschrieben:

Mittelhochdeutscher Text[7]

Neuhochdeutsche Übersetzung[8]

24 Eines ofte mir geschach:
swenne ich ihr schoener pluomen brach
des sumers, so daz solde sin,
die truog ich sa der vrowen min.
nam si die in ir wize hant,
so wart mir freuden vil bekant;
ich gedaht: da du si griffest an,
da han ich in alsam getan. (FD, 24)










Die Waschwasserszene

Der Keim der ambivalenten ersten Minnebeziehung, so Kiening, scheint in dieser Szene, in der Sehnsucht nach dem Körper des anderen, gelegt zu sein.[9] "Ulrich" trinkt das Handwaschwasser der vrowe und "partizipiert damit mittelbar am begehrten Körper, inkorporiert ein Substitut des anderes Körpers, das die Liebessehnsucht immerhin momenthaft stillt."[Kiening 1998:221] Diese Episode stellt Ulrich von Liechtenstein in Vers 25 dar:

Mittelhochdeutscher Text

Neuhochdeutsche Übersetzung

25 Min vreude war vil ofte groz,
swenne ich kom, da man wazer goz
der herzen lieben vrowen min
uf ir vil wizen hendelin.
daz wazer, da mit si sich twuoc,
verholn ich daz von danne truoc,
vor liebe ich ez gar uz tranc;
da von so wart min truren cranc.(FD,25)










Die Büchlein und der Finger

"Ulrich" verwendet nicht nur seinen Körper als Einsatz im Minnedienst, sondern auch (teils sogar in ähnlicher Weise) Lieder, Briefeund Büchlein. Im ersten Büchlein, das "Ulrich" der Dame übersendet, kommt es "parallel zum Wechsel der Stimmen des Ich und des personifizierten Büchleins zu einer Überlagerung zwischen Körper und Text."[Kiening 1998:223] Das Büchlein wird einerseits als menschlicher Körper vorgestellt, der fürchtet, auf Märtyrerart auf dem Rost verbrannt, zerschnitten und viergeteilt zu werden. (FD, 1.Büchlein, 122-131) Andererseits aber wird es als Text präsentiert, mit der Furcht davor, in einer verschlossener Schublade zu verkümmern. (FD, 1.Büchlein, 132-144) Das Büchlein fungiert als materielle "Übermittlungsinstanz von nicht materialisierbaren Begierden",[Kiening 1998:225]. Es wird mit körperlicher Präsenz aufgeladen und gleichzeitig auch mit einem auf den anderen Körper gerichteten Verlangen.[Kiening 1998:224] Einen neuen Versuch, Nähe herzustellen, unternimmt auch das zweite, von "Ulrich" versendete, Büchlein. In diesem Fall handelt es sich aber nicht nur um einen Text, der "den Körper präsent machen soll, sondern [um] einen Teil des Körpers selbst."[Kiening 1998:225] Ausgangspunkt hierfür ist die Fingerepisode, in der die Verletzung eines Fingers der rechten Hand während des Brixener Turniers beschrieben wird. Nachdem sich die Heilung als schwierig gestaltet, lässt "Ulrich" durch seinen Boten der vrowe mitteilen, er habe in ihrem Dienst einen Finger verloren. Nachdem diese aber erfährt, dass der Finger nicht verloren, sondern nur verkümmert ist, bezichtigt sie "Ulrich" der Lüge. Daraufhin lässt sich "Ulrich" den verletzten Finger abschlagen und übersendet ihn der Dame mit einem Büchlein, beide eingekleidet in kostbaren Samt. Der Finger dient dabei als Verschluss des Büchleins.

Mittelhochdeutscher Text

Neuhochdeutsche Übersetzung

444 "Ich volge dirs gern, sit ich ez kan."
zehant ich tihten do began
ein vil gefüege büechlin;
bi dem sant ich den vinger min
hin da diu rine, süeze was.
in einem samet als ein gras
want man daz büechel an der stat,
ein goltsmit ich mir würken bat










445 Zwei britelin von gold alda,
dar in bant man daz büechel sa;
daz diu sperre solde sin,
daz was also zwei hendelin
gemachet harte lobelich;
den vinger dar in meisterlich
machte wir sa an der stat,
der bot mich urloubes bat. (FD,444-445)

Der Text des Büchleins verdeutlicht nun einerseits die "Zeichenhaftigkeit des Körperteils"[Kiening 1998:225f.], das die absolute Ergebenheit des Minnedieners bezeugen soll. Der Text aber versucht andererseits, bei der Dame ein schmerzvolles Empfinden des Verlustes zu erzeugen. Diese Amputation hat somit sowohl den Charakter der Wiedergutmachung[10] als auch des Opfers, da sie "eine Sakralisierung des vom Körper (ab)getrennten Stückes"[Kiening 1998:226] ermöglicht. Der Finger wird nun zu einem "Moment ständiger Präsenz"[Kiening 1998:226], da die Dame verspricht, den Finger in einer Lade als beständiges Zeichen der Erinnerung aufzubewahren.

Die Aussatzepisode

Nachdem "Ulrich" das Wohlwollen seiner vrowe durch die Venusfahrt erlangt hat, ist dennoch kein ausgeglichenes Verhältnis zur Minneherrin in Sicht. Erst "mit dem elften Lied erringt Ulrich zunächst die neuerliche Zuneigung der Umworbenen, sie lädt ihn ein und stellt ein Treffen in Aussicht."[Ackermann 2009:265] Doch das Treffen steht unter keinen guten Vorzeichen und schon zu Beginn zeichnet sich ab, was die Episode hauptsächlich kennzeichnen wird: "körperliches Leid, Verlust und Furcht, ja Todesangst."[Ackermann 2009:165] Die Minneherrin fordert von "Ulrich" den Aufenthalt unter den Aussätzigen, was die "Sinnlosigkeit ihrer Dienstansprüche"[Ackermann 2009:166] nochmals unterstreicht. Die Aussatzepisode und ihre Dimensionen stehen "in radikalem Kontrast zum Anfang der Minnebeziehung. Während der kindliche Dienst Bilder des Beginns, Aufbruchs und der Verehrung für die Dame, ja für ihren Körper, aufruft (man denke an die Blumen, die Ulrich für seine Dame pflückt, und ihr Waschwasser, das er trinkt), finden sich im Gegensatz dazu am Ende des Dienstes Zeichen des Unreinen, des Verfalls, abgebildet am kranken Körper des Aussätzigen."[Ackermann 2009:266] Die Entwicklung des Minnedienstes und der Körper "Ulrichs" (und dessen Versehrung) korrespondieren also in gewisser Weise. Ohne selbst am Aussatz zu erkranken, muss "Ulrich" "von Ekel geplagt seinen Körper den Körpern der Kranken anpassen".[Ackermann 2009:266] Die körperlichen Symptome der Krankheit werden im Mittelalter generell nicht genauer beschrieben. Anders im Frauendienst: "Die körperlichen Konsequenzen der Krankheit kommen konkret zur Darstellung".[Ackermann 2009: 266] Die Urinepisode, die in direktem Zusammenhang zur Aussatzepisode steht, verstärkt den erniedrigenden Charakter. Auch hier geht es um Körperlichkeit: "Ulrich" wird von den Exkrementen eines anderen beschmutzt. Im nachfolgenden Handlungsablauf geht die Erniedrigung sogar noch weiter. "Ulrich" muss seine Verkleidung (die Bettlerkleider) ablegen, ist also nackt, was im Mittelalter mit dem Verlust von Identität gleichzustellen ist.

Fazit

Datei:Kreislauf.jpg
Kreislauf-Charakter von Blumen und Waschwasser

Die Szenen, in denen "Ulrich" seiner Dame Blumen überreicht und ihr Waschwasser trinkt, zeugen von einem Kreislauf-Charakter. "Ulrich" gibt seiner vrowe Blumen; als Gegenleistung "erhält" er ihr Waschwasser. Allerdings verschlechtert sich der Wert des Objekts, der zwischen den beiden Körpern wandert, metonymisch. Benutztes Waschwasser ist kaum eine akzeptable Gegenleistung für ein Blumengeschenk. Der ganze (erste) Minnedienst hat zum Ziel, die Nähe der Körper (wieder)herzustellen, welche durch den Kreislauf von Blumen und Waschwasser kurzzeitig vorhanden war. Doch der Versuch der Vereinigung mit dem begehrten Körper der Dame scheitert immer wieder, da der andere Körper stets nur in Substitutionen zugänglich wird.

Dennoch ist "Ulrichs" Körper, genau wie die räumlichen Bewegungen seines Ichs, "auf die Dame hin orientiert und von dieser her terminiert."[Kiening 1998:222f.] Sein Körper ist ein fast durchgängig fremdbestimmter, denn er ist hier nur ein Objekt, "das sich dem Willen und der Begierde fügen muss, das zum Zeichen wird für die Unbedingtheit und Standhaftigkeit des Ich, von denen man der Dame berichtet."[Kiening 1998:222] Das Ich wird also tatsächlich zu einer Art Leibeigenem der Dame, denn sein Körper besitzt nur eine Existenzberechtigung, insoweit er der Dame gefällt. [11]

Primärliteratur

  • Spechtler, Franz Viktor (Hg.): Ulrich von Liechtenstein. Frauendienst, Göppingen, 1987 (Mittelhochdeutscher Text)
  • Liechtenstein, Ulrich von: Frauendienst, übers. v. Franz Viktor Spechtler, Klagenfurt/Celovec, 2000

Einzelnachweise aus der Forschungsliteratur

<HarvardReferences /> [*Ackermann 2009] Ackermann, Christiane: Im Spannungsfeld von Ich und Körper. Subjektivität im Parzival Wolframs von Eschenbach und im Frauendienst Ulrichs von Liechtenstein, Köln/Weimar/Wien, 2009

[*Kiening 1998] Kiening, Christian: Der Autor als 'Leibeigener' der Dame - oder des Textes? Das Erzählsubjekt und sein Körper im 'Frauendienst' Ulrichs von Liechtenstein, in: Andersen, Elizabeth (Hg.): Autor und Autorschaft im Mittelalter, Tübingen, 1998, S.211-238

[*Schmid 1988] Schmid, Elisabeth: Verstellung und Entstellung im Frauendienst Ulrichs von Liechtenstein, in: Ebenbauer, Alfred; Knapp, Fritz Peter; Schwob, Anton (Hg.): Die mittelalterliche Literatur in der Steiermark (Jahrbuch für Internationale Germanistik), Bern u.a., 1988, S.181-198

Anmerkungen

  1. Vgl. Kiening, S.223
  2. Ulrich von Liechtenstein gehörte einem einflussreichen Ministerialengeschlecht an; Ministerialer (laut Duden): Angehöriger des Dienstadels im Mittelalter, Angehöriger eines Ministeriums.
  3. Truchsess (laut Duden): (im Mittelalter) Vorsteher der Hofverwaltung, der u. a. mit der Aufsicht über die Tafel beauftragt war
  4. Vgl. Kiening, S.214f.
  5. Im Folgenden soll das Protagonisten-Ich Ulrich von Liechtenstein im Vergleich zum historischen Autor-Ich in Anführungszeichen gesetzt werden, um eine bessere Unterscheidung zu ermöglichen.
  6. exaltiert (laut Duden): künstlich übersteigert, überspannt
  7. Zitiert wird aus der unter der Primärliteratur genannten Ausgabe. Im Folgenden werden solche Textpassagen mit der Sigle FD gekennzeichnet.
  8. Hier wird aus der unter der Primärliteratur genannten Übersetzung zitiert.
  9. Vgl. Kiening, S.221
  10. Kiening weist auf Renate Hausners Auffassung hin, dass das Abhacken eines Fingers der Schwurhand als Strafe für Meineid galt und Ulrichs Amputation (als Folge der Lüge gegenüber der Dame) rechtssymbolischen Charakter hat.
  11. Vgl.Kiening, S.222