Zeichenlesen in der Blutstropfenszene: Unterschied zwischen den Versionen

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| gevart, mit ûf gerihtem sper.|| mit aufgerichtetem Speer.
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(184,1-3).
(184,1-3).

Version vom 15. Juli 2015, 13:18 Uhr

In der Blutstropfenszene ist Parzival nicht in der Lage zu sprechen oder zu agieren, da ihm die Worte versagen und er durch den Antlitz seiner Frau Condwiramurs, den Parzival in drei Blutstropfen im Schnee erkennen zu glaubt, in eine Art Trancezustand versetzt wird. Statt Worte sprechen in dieser Szene Zeichen, die Parzival deutet und zu einer Erkenntnis gelangt.

Ernst unternimmt in seinem Aufsatz zu Wolframs Blutstropfenszene den Versuch einer magiologischen Deutung, was aufgrund der Kürze dieses Artikels leider ausgelassen werden muss [Ernst 2006]. Aus diesem Grund beschränkt sich dieser Artikel rein auf die mittelalterliche Zeichentheorie und die Analyse der Blutstropfenszene wird anhand dessen durchgeführt.

Mittelalterliche Zeichentheorie

Die mittelalterliche Zeichentheorie bezog sich stark auf Augustin. Laut ihm ist ein Zeichen „eine Sache, die außer dem Eindruck, den sie auf die Sinne macht, aus sich heraus noch an etwas anderes denken läßt“ (Augustin: De doctrina christiana II,3 (1963): 33, zitiert nach [Bumke 2001: 57]) bzw. „ein Ding, das neben dem sinnlichen Eindruck dem es den Sinnen mitteilt, aus sich etwas anderes in das Denken kommen läßt“ (Augustin: De doctrina christiana II.1 (1963): 35, zitiert nach [Meier-Oeser 1997: 21]).

Laut Meier-Oeser unterteilt Augustin die Zeichen in natürliche (signa naturalia) und gegebene (signa data) Zeichen. Ein signa naturalia kommt unabsichtlich und ohne Intention zustande und sind somit ohne „Bezeichnungsabsicht“ [Meier-Oeser 1997: 24]. Ein signa data hingegen wird zum Zweck der Kommunikation zwischen Menschen verwendet. Im Gegensatz zum signa naturalia hat das signa data also eine klare Intention. Um das signa data zu erkennen und zu verstehen, muss es vorher eingeübt worden sein, das heißt, man muss das Zeichen kennen, um zu erkennen, dass es kodiert ist und eine Bedeutung trägt. Bumke bezieht sich hierbei auf Hellegardt: "Wortzeichen werden nur verstanden, wenn beide dieselbe Sprache sprechen. Wenn einer mit den Schultern zuckt und einem anderen damit Gleichgültigkeit signalisieren will, funktioniert das nur, wenn der andere weiß, was das Zucken der Schulter sagen will. Bei allen gegebenen Zeichen ist daher mit 'Dunkelheiten' (obscuritates) und 'Zweideutigkeiten' (ambiguitates) zu rechnen" (Hellegardt 1973, zitiert nach [Bumke 2001: 58]).

Zeichenlesen auf der Handlungsebene

Blutstropfen im Schnee

Die Blutstropfen im Schnee müssen einer blutenden Wunde entstammen, was folglich bedeutet, dass ein Lebewesen verletzt worden sein muss. Dementsprechend sind die Blutstropfen ein signum naturale. Parzival liest die Blutstropfen jedoch nicht als signum naturale, sondern als signum datum, und empfängt somit ein anderes Signal, als das einer blutenden Wunde: er erkennt Condwiramurs und verfällt in eine Art [[Ansprachen an Frau Minne (Wolfram von Eschenbach, Parzival)#Der erste Exkurs (291-293) | Liebestrance].

'wer hât sînen vlîz 'Wer hat so viel Kunst in diese Farbe ge-
gewant an dise varwe clâr? legt, daß sie so sehr leuchtet? Cundwier
Cundwier âmûrs, sich mac für wâr âmûrs, diese Farbe kann sich wahrhaftig
disiu varwe dir gelîchen. dir vergleichen.
[...] [...]
Conwîr âmûrs, hie lît dîn schîn. Condwîr âmûrs, hier liegt dein Glanz
[...] [...]
Cundwîr âmûrs, Cundwîr
dem glîchet sich dîn bêâ curs [...]' âmûrs, so gleicht es deinem beau corps [...]'

(282,26-283,8)

Wie Bumke zurecht anführt, sind die Blutstropfen jedoch nicht kodiert, wie es bei einem signum datum der Fall sein muss, um das Zeichen richtig zu lesen und zu verstehen. Parzival weiß also nicht von Anfang an, was die Blutstropfen bedeuten, sondern gelangt auf eine andere Weise zu einer Erkenntnis, als es die Zeichentheorie Augustins beschreibt: „Parzival vergleicht nicht die Sinneswahrnehmung mit einem Vorwissen und zieht daraus einen Erkenntnisgewinn. Parzivals Erkenntnis ist kein rationaler Akt, sondern eine Schau, eine Erleuchtung, fast ein poetischer Akt“ [Bumke 2001: 58].

Der Schnee an sich, wird von keiner der beteiligten Figuren in der Szene als Zeichen erkannt oder gar gedeutet.

Zur allgemeinen Symbolik der Farben, s. Artikel: Farbsymbolik in Wolframs Parzival

Parzivals Lanze

In seiner Trance hält Parzival seine Lanze in aufrechter Position, was allerdings nur zufällig geschieht. Es handelt sich somit um ein signum naturale, ohne die Absicht, etwas mitteilen zu wollen. König Artus erklärte seinen Rittern vorab allerdings, dass eine aufgerichtete Lanze ein Zeichen von Gefahr darstellt:

wir müeszen rîten Wir werden auf unserer Reise
in manec lant, daz rîters tât In viele Länder kommen, die genügend
uns wol ze gegenstrîte hât: ritterliche Taten gegen uns aufzubieten haben:
Ûf gerihtiu sper wir müezen sehn. Aufgereckte Speere werden wir sehen.

(280,28-281,1).

Für die Artusritter ist die aufgerichtete Lanze also ein signum datum, und sie halten Parzival folgerichtig für einen Angreifer und eine Gefahr für den Artushof:

dâ hielt gezimiert ein degn, Da hielt im Glanz seiner Waffen ein Ritter;
als er tjostierns wolde pflegn wie wenn er tjostieren wollte,
gevart, mit ûf gerihtem sper. mit aufgerichtetem Speer.

(184,1-3).

Sie lesen das kodierte Zeichen zwar richtig, was jedoch trotzdem ein Irrtum ist, da die Positionierung der Lanze ohne Intention erfolgte. Es handelt sich hier also um ein ambiguitas, das die Artusritter täuscht. Im Laufe der Szene wird Parzivals Lanze allerdings zum „Wahrheitsbeweis“ [Bumke 2001: 54]. In Parzivals zweitem Kampf in Trance gegen Keie zerbricht seine Lanze, deren Splitter Gawan als Beweis für die Kämpfe nennt, an die sich Parzival aufgrund seine Trance nicht erinnert:

hie ligent ouch trûnzune ûf dem snê Da liegen auch Splitter im Schnee,
dîns spers, nâch dem du vrâgtest ê. die sind von deinem Speer, nach dem du vorher gefragt hast.

(304,23-24).

Zeichenlesen auf der Rezeptionsebene

Es ist nicht nur Aufgabe der Figuren, die Zeichen in der Blutstropfenszene zu lesen und zu deuten, sondern auch die Leser sind aufgefordert das zu tun: „Überall gibt es Signale und Botschaften, die von den handelnden Figuren nicht bemerkt und verstanden werden können. Sie sind an die Zuhörer gerichtet und appellieren an deren Fähigkeit, früher Erzähltes mitzubedenken und von jedem Punkt der Handlung aus zurückzuschauen und auf Kommendes gefaßt zu sein, um Zusammenhänge zu erkennen, aus denen sich der Sinn und die Bedeutung des Erzählten ergibt“ [Bumke 2001:59].

Blut

Vor allem die Zeichenhaftigkeit von Blut ist für den Leser direkt erkennbar und auffällig. Blut kommt aus einer Wunde und gilt als Zeichen der Gewalt. In Zusammenhang mit der von einem Falken getöteten Gans, impliziert das vergossene Blut Sündenhaftigkeit. Bumke stellt hierzu die interessante These auf, dass die Gans als Bruder-Vogel des Falken gesehen werden kann und setzt diese Tötung mit der Tötung Ithers durch Parzival und somit mit Brudermord gleich [Bumke 2001:60]. Blut ist in diesem Zusammenhang also als Zeichen schwerer Sünde zu sehen.

Schnee

Schnee hingegen ist ein eher ungewöhnliches Motiv im Artusroman, denn oft spielen diese im Mai, nachdem der Winter bereits vorüber ist. Trotzdem wird der Schnee von Wolfram neben der Blutstropfenszene noch mehrere Male erwähnt. So ist zum ersten Mal in Parzivals Kindheit die Rede von Schnee:

Ez waere aeber oder snê, Ganz gleich, ob Schnee lag oder ob es
dem wilde tet sîn schiezen wê. taute, immer tat dem Will sein Schießen weh.

(120,5f.)

Sowohl in der Blutstropfenszene, als auch in der Szene in Parzivals Kindheit, in der Schnee erwähnt wird, geht es also um die Tötung eines Tieres und steht somit, genauso wie Blut, für Sünden. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass einmal mehr die Rede von Schnee ist, als Parzival bei Trevrizent ankommt:

Parzivâl stuont ûffem snê Parzivâl stand im Schnee

(459,1)

Trevrizent ist derjenige, der Parzival über die Sündhaftigkeit von Menschen aufklärt, indem er ihm die Geschichte von Kain und Abel erzählt. Indem er Parzival über seine Verwandtschaft zu Ither aufklärt, zeigt er auf, dass die Tötung Ithers ein Brudermord war, was für ihn die Ursünde der Menschheit ist. Außerdem erklärt er, was es mit dem sommerlichen Schnee in der Blutstropfenszene auf sich hat. Somit wird nicht nur durch die kurze Erwähnung des Schnees den Bezug zur Blutstropfenszene hergestellt, sondern sie wird auch explizit angesprochen.

Schnee steht also in allen drei Stellen im Zusammenhang mit Tötung und ist somit ein Zeichen von Parzivals Sünden.

Lanze

Eine Lanze wird im Kampf benutzt, um jemanden zu verletzen oder sich zu verteidigen. In jedem Fall ist es ein Zeichen von Gewalt. So stammt beispielsweise Anfortas' unheilbare Wunde von einer vergiften Lanze. So ist es natürlich, dass es eine häufige Verbindung von Lanze und Blut gibt, wie in es auch der Fall in der Blutstropfenszene ist. Jedoch gibt es auch Verbindungen von Lanze Blut, die etwas ungewöhnlich sind, wie Gahmurets blutiges Hemd und die Reste seiner Lanze, die Herzeloyde geschickt an seiner Stelle beerdigt werden:

die besten über al daz lant Die höchsten Fürsten in dem Land
bestatten sper und ouch daz bluot bestatteten das Eisen und auch das Blut
ze münster, sô man tôten tuot. im Münster; sie machten alles so, wie
man sonst nur Toten tut.

(111,30-112,2)

Literaturverzeichnis

Textausgabe

Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der ‚Parzival’-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.

Sekundärliteratur

<HarvardReferences/> [*Bumke 2001] Bumke, Joachim. Die Blutstropfen Im Schnee: Über Wahrnehmung Und Erkenntnis Im "Parzival" Wolframs Von Eschenbach. N.F., 94 Vol. Tübingen: Niemeyer, 2001. <HarvardReferences/> [*Ernst 2006] Ernst, Ulrich. "Wolframs Blutstropfenszene: Versuch Einer Magiologischen Deutung." Beiträge zur Geschichte der Deutschen Sprache und Literatur 128.3 (2006): 431-66. <HarvardReferences/> [*Meier-Oeser 1997] Meier-Oeser, Stephan. "Die Spur Des Zeichens: Das Zeichen Und Seine Funktion in Der Philosophie Des Mittelalters Und Der frühen Neuzeit." de Gruyter, 1997. Berlin [u.a.].