Parzival: Aufeinandertreffen christlicher und heidnischer Kultur: Unterschied zwischen den Versionen

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[*Chlench 2014]Chlench, Kathrin: Die Wahrnehmung göttlichen Wirkens im interreligiösen Kontakt am Beispiel des >Parzival< Wolframs von Eschenbach, in: Thomas, Honegger et al. (Hgg.): Gottes Werk und Adams Beitrag: Formen der Interaktion zwischen Menschen und Gott im Mittelalter, Berlin 2014, S. 63-76.
[*Chlench 2014]Chlench, Kathrin: Die Wahrnehmung göttlichen Wirkens im interreligiösen Kontakt am Beispiel des >Parzival< Wolframs von Eschenbach, in: Thomas, Honegger et al. (Hgg.): Gottes Werk und Adams Beitrag: Formen der Interaktion zwischen Menschen und Gott im Mittelalter, Berlin 2014, S. 63-76.



Aktuelle Version vom 6. Mai 2024, 14:13 Uhr

Wolfram von Eschenbach präsentiert in seinem Parzival die heidnische Welt des Orientalen als tugendhaft und vollkommen.[1] Er verleiht ihr moralisch hoch angesehene Akteure, wie Feirefiz oder die Gralsbotin Cundrîe. Diese Darstellung ist mit Blick auf die literarische Tradition durchaus ungewöhnlich, da Heiden sonst als moralisch verwerflicher Gegenentwurf zum Abendland präsentiert werden.[2] Insbesondere in den Gahmuret-Büchern findet jedoch keine derartige Abgrenzung zwischen Heiden und Christen statt. Vielmehr lässt sich Gahmuret als Söldner bei einem orientalen Herrscher anheuern und geht später sogar eine Liebesbeziehung ein, aus der ein Kind entsteht. Der Artikel befasst sich damit, welchen Zweck diese Vermischung heidnischer und christlicher Kultur für die Handlung und die Wirkung auf den Rezipienten besitzt. Wichtig ist dabei, den historischen Kontext zu beachten, der im Gegensatz zu Wolframs Handlung von gewaltsamen Konfrontationen heidnischer und christlicher Kultur –in Form der Kreuzzüge- geprägt war.

Historischer Hintergrund

Ist der Entstehungszeitraum des Parzival mit dem ersten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts richtig datiert, so fällt er in den Zeitraum des vierten Kreuzzuges (1202-1204). Im Zuge dieses Kreuzzuges, der von Papst Innozenz III. angestoßen wurde, eroberten die Kreuzfahrer Konstantinopel und ganz Griechenland. [LexMa 2003: Sp.5012] Die Kreuzzüge wirkten sich in Bezug auf die ritterlich-höfische Literatur in soweit aus, dass Heiden vornehmlich in kriegerischen Situationen auftauchen, wobei es sich nicht nur um interkulturelle sondern auch um intrakulturelle Auseinandersetzungen handelt. [Schotte 2009: 42]

Literarische Tradition

In mittelalterlicher Literatur existierten von Beginn an Darstellungen des Orients. Bis zu den Kreuzzügen entnahmen die Autoren ihr Wissen vor allem antiken Quellen und der christlichen Kirchenlehre. Mit Beginn der Kreuzzüge wurde vor allem darauf Wert gelegt, das Christentum als die einzig richtige Religion zu charakterisieren und heidnische Glaubensvorstellungen abzuwerten. Hierfür wurden Heiden äußerlich als hässlich und märchenhaft dargestellt. Ebenso wurde den Heiden generell eine dunkle Hautfarbe zugesprochen, die als ein Verweis auf die Hölle angesehen wurde. Walther von der Vogelweide ging sogar so weit, dass er den Teufel als hellemor bezeichnete. [Raucheisen 1997: 49ff.] Aufgrund der Kreuzzüge und des sich ausweitenden Handels zwischen Orient und Okzident, löste sich das literarische Bild der Heiden in den ritterlich-höfischen Romanen zunehmend von den kirchlichen Vorstellungen ab. Grundsätzlich wurden die Heiden aufgrund ihrer Religion weiterhin als verdammt angesehen, in der Literatur wurde aber zunehmend Wert auf die höfischen und ritterlichen Verhaltensweisen orientaler Gesellschaften gelegt. Trotz dieser zunehmenden Offenheit, blieben dennoch die typischen Motive des schlechten und hässlichen Heiden bestehen [Raucheisen 1997: 59]

Aufeinandertreffen der Kulturen im Parzival

Das Aufeinandertreffen der Kulturen findet, wie Kathrin Clench herausgearbeitet hat, auf drei verschiedenen Ebenen statt - intradiegetisch, extradiegetisch und auf der Ebene der Rezipienten. [Chlench 2014] Diese Einteilung dient im Weiteren als Orientierung. Hier wird nun die Berührung und Vermischung der Kulturen dahingehend analysiert, welche Funktion sie für ihre jeweilige Ebene besitzen. Abschließend findet eine Gesamtbewertung der Darstellung Wolframs statt, die die Ergebnisse in die historische Situation und die literarische Tradition einordnet.

Intradiegetische Ebene

Hier sollen die Berührungspunkte der Kulturen auf der intradiegetischen Ebene, also innerhalb der erzählten Welt, hinsichtlich ihrer Darstellung und Funktion analysiert werden. Da sich Christen und Heiden an vielzähligen Stellen begegnen und die kulturellen Grenzen damit einhergehend verschmelzen, werden im Folgenden nur exemplarische Stellen untersucht.

Gahmuret und der Bâruc

Bereits zu Beginn des Romans findet ein Aufeinandertreffen der heidnischen und christlichen Kultur statt und zwar durch den Orientaufenthalt Gahmurets. Hier sind besonders zwei Aspekte interessant, einerseits Gahmurets Söldnerdienst beim Bâruc (14,10) und andererseits seine Beziehung mit Belacane. Auf letzteres soll an dieser Stelle vorerst nicht eingegangen werden, da das Hauptaugenmerk hier auf dem Söldnerdienst des christlichen Ritters liegt. Gahmuret beschließt den mächtigsten Herrscher der Welt aufzusuchen – den heidnischen König Bâruc (13,20ff.). Jener wird von Wolfram allerdings nicht nur als mächtig in Bezug auf weltliche Herrschaft dargestellt, sondern auch durch die Analogie zum Papst als religiöser Herrscher (13,26ff.). Beate Kellner interpretiert die Figur des Bârucs so, dass „der bâruc, […], zum hybriden Konstrukt [wird], in dem sich Christliches und Islamischen verschränken“. [Kellner 2009: 29] Hingegen sieht Alfred Raucheisen hier weniger eine Verschränkung als eine Gegenüberstellung der Kulturen. Er argumentiert, dass der Bâruc den Typus einer vorbildlichen und weit entwickelten Herrschaft repräsentiere. Somit handle es sich nicht um eine Verschränkung, sondern um die Repräsentierung eines positiven Gegenentwurfs zu christlichen Herrschaftsstrukturen, die die Bewunderung der fortgeschrittenen Feudalstruktur im Orient durch die deutschen Ritter ausdrücke. [Raucheisen 1997: 65ff.] Eine Funktion von Gahmurets Soldrittertum könnte zudem die sein, die Realität abzubilden. Denn aufgrund des historischen Hintergrunds sind vermutlich viele Ritter, denen kein großes Erbe vorherbestimmt war, in den Orient gezogen, um dort ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Nicht nur bei Gahmurets Eintritt in die orientale Welt, sondern auch bei seinem Austritt – genauer seinem Tod – treffen die heidnische und christliche Kultur aufeinander. Der tote Ritter bekommt von Bâruc ein christliches Begräbnis. Deutlich wird dies vor allem an dem Kreuz, das auf Gahmurets Grab angebracht wird (107,10). Allerdings wird betont, dass „ir orden kan niht kriouzes phlegn“ (107,17). Die Heiden werden hier zwar als sehr gönnerhaft (diu kost dem bâruc ringe was (106,30)) dargestellt, aber gleichzeitig wird ihr Unwissen über die christliche Religion präsentiert. In der Forschung wird diese Darstellung so gedeutet, dass auf diese Weise Wolframs Bewunderung des Orients zu Tage trete. [Kellner 2009: 33] In Bezug darauf, lässt sich diese Textstelle in die von Raucheisen beschriebene Entwicklung einordnen, dass sich das Bild der Heiden durch die beginnende Ablösung höfischer Literatur von der Kirche veränderte. Die Heiden irren zwar stets in ihrem Glauben, aber es werden zunehmend ihre ritterlichen Qualitäten betont. [Raucheisen 1997: 59]

Cundrîe

Besonders deutlich wird das Aufeinandertreffen der Kulturen in Form von Cundrîe. Durch ihre wilde Erscheinung wird sie bei ihrem ersten Auftreten schon rein durch ihr Äußerliches (313-314,10) von der höfischen Welt abgegrenzt. Durch diese sehr ausdrucksstarke Beschreibung wirkt sie trotz ihrer abendländischen Bildung (314,20) fremd. Manuela Schotte sieht darin die Besonderheit in dieser Szene, in der Cundrîe von Außen an den Artushof kommt und Parzival anklagt (314,26-30). Denn aufgrund ihrer Fremdheit und der gleichzeitigen Tugendhaftigheit (triuwe 318,9) eigne sie sich besonders dafür, in die Rolle der Anklägerin zu schlüpfen. Ihre moralische Stärke legitimiere sie dabei als Heidin Kritik zu äußern, die von den Rezipienten ernst genommen geworden sei.[Schotte 2009: 82f.] Die Begegnung von Figuren aus den verschiedenen Kulturen eröffnet somit einen Raum, in dem Kritik an der höfischen Welt geübt werden kann. Die Vermischung der Kulturen in einer Person führt besonders dazu, sie dazu zu legitimieren, Kritik zu äußern. Dabei geht es nach Jörn Reichel nicht darum, die prinzipiell die tradierten höfischen Normen zu verneinen, "sondern um die Überprüfung ihrer Tragfähigkeit in einer konkreten Situation". [Reichel 1976: 392]

Im weiteren Verlauf wird Cundrîe jedoch nicht, wie zu erwarten wäre, weiterhin von der christlichen Welt abgegrenzt. Ganz im Gegenteil, sie wird ein Teil der Gralsgemeinschaft und übernimmt sogar die besonders wichtige Aufgabe der Gralsbotin (781f.). Diese Veränderung ihrer Position spiegelt sich auch in ihrer Erscheinung wieder. So trägt sie einerseits das Gralswappen (780,13) und andererseits beschreibt Wolfram ihr Äußeres zwar als wild, aber keineswegs abwertend (780,18-26). Es findet also eine zunehmende Vermischung der Kulturen statt. Hinsichtlich ihrer Rolle als moralische Bewertungsinstanz ist hier eine Einschränkung ihrer Rolle zu vermerken. Denn sie stellt fest, dass sie mit ihrer vorherigen Anklage geirrt hat und entschuldigt sich bei Artus und Parzival (799,28-780,29). Schotte folgert hieraus, dass aus der Revidierung der Aussagen Cundrîes eine große Aufwertung und Bestätigung der christlichen Charaktere folge. Allerdings sieht Schotte hierin nicht die wichtigste Funktion von Cundrîes Wirken, sondern vielmehr in der Zusammenführung der Kulturen, in dieser äußerlich klar als heidnisch gekennzeichneten Figur. Durch die Vermischung der Kulturen bereite Wolfram die völlige Verschmelzung in Gestalt von Feirefiz vor. [Schotte 2009: 85]

Feirefiz

Die Gestalt des Feirefiz nimmt mit Blick auf die Begegnung der Kulturen eine besondere Stellung ein. Die anderen heidnischen Figuren nehmen nur christliche und höfische Verhaltensweisen an oder bekommen dazugehörige Tugenden zugesprochen, bei Feirefiz hingegen findet sogar eine genealogische Verbindung statt. Dies zeigt auch an seiner äußeren Erscheinung, insbesondere seiner Hautfarbe (wiz und swarzer varwe er schein 57,18). Das Aufeinandertreffen der Kulturen spielt bei jedem Auftreten von Feirefiz eine wichtige Rolle. Besonders aber bei seiner Taufe und bei seinem Kampf gegen Parzival. Letzterer soll nun exemplarisch für viele andere Szenen, in denen Feirefiz auf das Christentum trifft, auf die Funktion der Vermischung der Kulturen hin analysiert werden.

Der Kampf der beiden Brüder wird von Wolfram so eingeführt: nune mac ich disen heiden vom getouften niht gescheiden (738,11f.). Der Autor macht dadurch kenntlich, dass das Aufeinandertreffen für ihn unvermeidlich ist. Allerdings geht es nicht nur um die zwei Figuren, sondern auch um die unterschiedlichen Kulturen. Deutlich wird dies dadurch, dass wie eben häufig von dem heiden und dem getouften die Rede ist.[3] Gleichzeitig wird anhand dessen auch der größte Unterschied zwischen den Brüdern markiert - die Religion. Mit Blick auf die literarische Tradition könnte in dem Kampf erwartet werden, dass der Heide dem Christen unterliegt, da letzterer nach mittelalterlicher Vorstellung unter dem Schutz Gottes steht und durch die ritterliche Schulung besser ausgebildet ist. Im Bruderkampf geschieht dies jedoch nicht. Denn obwohl Feirefiz im Orient aufgewachsen ist, scheint er alle ritterlichen Tugenden (triuwe 745,21f.; manheit [..] zuht 745,10) und Fähigkeiten zu besitzen. An einer Stelle schreibt Wolfram sogar, dass er höfschliche sprach (744,26). Hier wird dem Heiden Feirefiz eine höfische Verhaltensweise attestiert, was darauf hindeutet, dass er dies bereits in seiner Erziehung beigebracht bekam. Unter Einbezug der Figur Belacanes ist dies mehr als wahrscheinlich, da diese selbst alle Verhaltensweisen einer höfischen Dame kennt. Feirefiz besitzt jedoch nicht nur eine höfische Ausbildung wie es scheint, sondern er ermahnt Parzival sogar, seine zühte anzustrengen (747,20). Für die Rezipienten muss die Ermahnung eines Christen durch einen Heiden sehr paradox gewirkt haben. Der Fremde kennt sich quasi besser in der abendländischen Kultur aus als Parzival. Hierzu könnte man die These Beate Kellners heranziehen, dass Wolfram bei dem Kampf mit dem Fremden "zugleich eine Auseinandersetzung mit sich selbst inszenier[e]", das heißt mit der eigenen christlichen Kultur.[Kellner 2009: 41][4] Eine Funktion des Aufeinandertreffens der Kulturen in Form des Bruderkampfes wäre also die Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur und Identität, was jedoch viel mehr eine Funktion auf der Ebene des Rezipienten darstellt als auf der Handlungsebene. Auf der Handlungsebene besitzt diese Szene jedoch auch eine sehr wichtige Funktion. Wie bereits angesprochen, ist der größte Unterschied in dieser Szene, dass Feirefiz nicht getauft ist. Im Weiteren wird dieser jedoch noch getauft (818,13ff.). Nun kann angenommen werden, dass sich der Heide Feirefiz in dem Kampf mit seinem Bruder in christlichen Qualitäten, wie der triuwe beweisen kann, die für die Taufe notwendig sind. Daher könnte gesagt werden, dass das kriegerische Aufeinandertreffen der Kulturen an dieser Stelle dazu da ist, die spätere Taufe zu rechtfertigen.

Basierend auf diese Szene kann festgehalten werden, dass die wichtigste Funktion der Begegnung der Kulturen in Gestalt von Feirefiz die Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur, durch das Implementieren des Eigenen in eine fremde Figur, ist. So ist wohl auch Beate Kellners These zu verstehen: "Es geht um die Verknüpfung des Heterogenen und Widersprüchlichen, nicht um die Auflösung, nicht um deren Verschwinden."[Kellner 2009: 37f.]

Extradiegetische Ebene

Nicht nur in der erzählten Welt selbst, sondern auch in Bezug auf das Wissen über diese, spielt das Aufeinandertreffen der heidnischen und christlichen Kultur eine entscheidende Rolle und zwar in Bezug auf die Frage nach der Herkunft des Wissens über den Gral. Wolfram gibt an, dass die erste Person, die das Wissen um den Gral niederschrieb der Heide Flegetânîs gewesen sei (453, 25-30). Interessant ist an dieser Stelle, dass Flegetânîs, der ein kalp bette als ob ez waer sîn got (454,2f.), gleichzeitig als wiser (454,5) bezeichnet wird. Seine Weisheit bzw. Bildung wird weiter anhand seiner Kenntnis der Gestirne, in denen er die Geschichte über den Gral las (454, 21ff.), veranschaulicht. Hervorzuheben ist nun, dass Flegetânîs zwar als erster das Wissen über den Gral niederschrieb, dieses allerdings nicht verstand. Erst durch den getauften Kyot, der aus Toledo stammt, wurde die wahre Bedeutung erkannt (453,11-24). Die Frage, die sich nun stellt, ist die, warum Wolfram das Wissen über das christliche Symbol des Grals zunächst von einem Heiden aufschreiben lässt, um es erst dann von einem Christen durchschauen zu lassen? Kathrin Chlench stellt dafür die These auf, dass Wolfram die Überlegenheit des Christentums -insbesondere die Fähigkeit der inneren Erkenntnis nach Augustinus- darstellen und gleichzeitig seine Wertschätzung der heidnischen Bildung, vor allem der Astrologie, zum Ausdruck bringen wollte. [Chlench 2014: 73] Um diese Bewunderung der heidnischen Kultur herauszustellen, betont der Autor die Fähigkeiten des Individuums Flegetânîs und wertet gleichzeitig die Religion ab. In Bezug auf die von Alfred Raucheisen beschriebene Entwicklung der Heidendarstellung im Laufe der Kreuzzüge, könnte diese Stelle exemplarisch für die Offenheit gegenüber der anderen Kultur und den gleichzeitig fortexistierenden Vorbehalten und abwertenden Motiven gegenüber dem Heidentum stehen.

Ebene der Rezipienten

Bei der Ebene des Rezipienten geht es um die Auseinandersetzung zwischen den realen Hörern mit den von ihnen gehörten Inhalten. Genauer geht es hier um die Konfrontation der christlichen Rezipienten von Wolframs Parzival mit den Situationen, in denen Heiden vorkommen. Sowohl auf intradiegetischer Ebene als auch auf der extradiegetischen Ebene hat sich gezeigt, dass die Heiden positiv dargestellt werden und ihr einziger Makel meist der vermeintlich "falsche" Glaube ist. Insbesondere die beschriebene moralische Vortrefflichkeit der Nicht-Christen fällt dabei auf. Doch hier ergibt sich nun ein Problem, denn durch ihr gutes Verhalten erfüllen die Heiden im Parzival nicht die ihnen sonst zugeschriebene Rolle des Verwerflichen. Für die Protagonisten selbst scheint dies kein Problem darzustellen, beispielsweise bei Feirefiz, der sich ohne zu zögern taufen lässt. Kathrin Chlench setzt nun an diesem Punkt an und behauptet, dass die Diskrepanz zwischen Verhalten und Rollenidentität der Heiden zu einer Beschäftigung mit der islamischen Religion selbst in Form von Feirefiz führe. Durch die fehlende Bewertung dieses Unterschiedes würde der Rezipient dazu aufgefordert werden, sich mit der Hybriden Identität auseinanderzusetzen. [Chlench 2014: 74].

Fazit

Es wurde nun an vielen Stellen das Aufeinandertreffen der heidnischen und christlichen Kultur analysiert. Wie sich gezeigt hat, ist die Frage, welchen Zweck diese Vermischung heidnischer und christlicher Kultur für die Handlung und die Wirkung auf den Rezipienten besitzt, nicht eindeutig zu beantworten. Beispielsweise kann Gahmurets Begegnung mit dem Bâruc so bewertet werden, dass durch den heidnischen Herrscher ein alternatives Herrschaftskonzept präsentiert wird. Die Funktion wäre also so etwas wie das Erzeugen einer Alteritätserfahrung. Gleichzeitig ist die vermeintliche Überlegenheit des Christentums gegenüber dem Heidentum stets präsent, wie sich bei dem Kyot-Exkurs an der Fähigkeit zur Erkenntnis zeigt. Hier scheinen die Heiden in einer lediglich dienenden Funktion aufzutreten. Bei der ambivalenten Figur der Cundrîe kann dagegen davon ausgegangen werden, dass sie die völlige Verschmelzung der Kulturen in Form von Feirefiz vorbereitet. Die Vermischung der Kulturen in ihrer Person dient jedoch auch dazu, sie als kritisierende Instanz am Artushof zu legitimieren. Insgesamt ist jedoch die wichtigste Funktion des Aufeinandertreffens der Figuren in der Auseinandersetzung der Rezipienten mit sich selbst und ihrer Kultur auszumachen. Dies wird erst möglich, in dem Wolfram den heidnischen Charakteren christliche und höfische Attribute verleiht. Was weniger die intendierte Funktion des Autors betrifft, sondern viel mehr den mentalitätsgeschichtlichen Wert des Parzivals ist, dass deutlich das sich wandelnde Bild des Orients zu Tage kommt.

Anmerkungen

  1. Im Folgenden immer zitiert aus: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
  2. Die hier angewendete Definition des Orients ist die von Paul Kunitzsch, der den "zeitgenössischen mittelalterlichen Orient, d.h. die islamische Welt, die ja immer die fremde, feindliche, exotische Gegenwelt zu der bekannten heimischen Umwelt der Dichter darstellt[e]."
  3. Weitere Beispiele hierfür: 740,13f.; 742,16; 745,13 uvm.
  4. Kellner bezieht sich bei ihren Aussagen auf die Arbeiten von Alfred Schütz, s. Schütz, Alfred: Grundzüge einer Theorie des Selbstverstehens, in: Ders.: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, Frankfurt a.M. 1974, S. 137-197.

Literaturverzeichnis

[*Chlench 2014]Chlench, Kathrin: Die Wahrnehmung göttlichen Wirkens im interreligiösen Kontakt am Beispiel des >Parzival< Wolframs von Eschenbach, in: Thomas, Honegger et al. (Hgg.): Gottes Werk und Adams Beitrag: Formen der Interaktion zwischen Menschen und Gott im Mittelalter, Berlin 2014, S. 63-76.

[*Kellner 2009]Kellner, Beate: Wahrnehmung und Deutung des Heidnischen in Wolframs von Eschenbach ‚Parzival’, in: Ludger Grenzmann et al. (Hgg.): Wechselseitige Wahrnehmung der Religionen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. Bd. 1: Konzeptionelle Grundfragen und Fallstudien (Heiden, Barbaren, Juden), Berlin/NewYork 2009 S. 23-50.

[*LexMa 2003] Kreuzzüge, IV. Der 4. Kreuzzug, in: LexMA Bd.4, München 2003, Sp. 1512.

[*Raucheisen 1997]Raucheisen, Alfred: Orient und Abendland. Ethisch-moralische Aspekte in Wolframs Epen Parzival und Willehalm, Frankfurt a.M./New York 1997.

[*Reichel 1976]Reichel, Jörn: Willehalm und die höfische Welt, in: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte Bd. 70 (1976), S. 399-409.

[*Schotte 2009]Schotte, Manuela: Christen, Heiden und der Gral. Die Heidendarstellung als Instrument der Rezeptionslenkung in den mittelhochdeutschen Gralromanen des 13. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 2009.