Liebeserklärungen (Gottfried von Straßburg, Tristan): Unterschied zwischen den Versionen

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''Îsôt ma drûe, Îsôt m'amie''
:''Îsôt ma drûe, Îsôt m'amie''
''en vûs ma mort, en vûs ma vie!'' (V.19213/19214)
:''en vûs ma mort, en vûs ma vie!'' (V.19213/19214)





Version vom 8. Februar 2011, 18:33 Uhr

Im Tristan gibt es drei Situationen, in denen sich ein Pärchen die gegenseitige Liebe gesteht: Blanscheflur an Riwalin, Isolde an Tristan und Tristan und Isolde Weißhand, wenn der Text hier auch mittendrin abbricht. Die Liebeserklärung sind zentrale Wendepunkte für den weiteren Handlungsverlauf und sind stets eine Mischung aus verbalen und nonverbalen Hinweisen. Im Zusammenspiel dieser Komponenten mit dem Wissen der Beteiligten liegen die Unterschiede, aber auch die Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Szenen.


Blanscheflur und Riwalin

In dieser Liebesbeziehung ist es Blanscheflur, also die Frau, in der als erstes die Liebe zu Riwalin aufkeimt und die den ersten Schritt tut, diese Liebe zu erklären (V.720-756). Angesichts der Tatsache, dass dies einen Verstoß gegen die höfische Sitte darstellt, ein überraschendes Verhalten. [Bauss 1937:S.27] Riwalin ist Blanscheflur schon als sie ihn während der Ritterspiele beobachtet "in ir herze komen"(V.726) und direkt bei ihrer ersten Begegnung erklärt sie ihm in einer Metapher ihre Liebe [Zotz 2000: 17]:


"an einem vriunde mîn,
dem besten den ich ie gewan,
dâ habet ir mich beswaeret an."(V.754-756)[1]


Die Liebeserklärung ist als eine Klage formuliert, was auf die den ganzen Roman durchziehende Freud-Leid Thematik hinweist. [Schwarz 1981:S.183] Sie ist so verschlüsselt, dass Riwalin, der Blanscheflur das erste Mal sieht, sie nicht verstehen kann. Blanscheflur meint mit dem besten Freund ihr Herzen, doch Riwalin, mangels Hintergrundwissens, fragt sich, ob er unwissentlich einen ihr lieben Gefolgsmann verwundet habe. Einerseits verbirgt Blanscheflur durch das Rätsel ihr anliegen, andererseits zielt die Äußerung darauf ab, dass Riwalin das Rätsel löst. Er soll gleichzeitig nicht sehen und sehen, er ist fremd aber doch vertraut.[Zotz 2000: 17] Erst an Blanscheflurs, unter innigem Seufzen ausgesprochenen Abschiedssegen, erkennt Riwalin, dass es "der minne wegen" (V.802) sei. Es sind ihre Gesten, nicht ihre Worte, die Riwalin versteht. Die Liebe zwischen den beiden ist zu diesem Zeitpunkt noch in der Entwicklung, was mit dem Leimrutengleichnis beschrieben wird. Die Erkenntnis der gegenseitigen Liebe erfolgt nicht durch eine konkrete Erklärung sondern durch Blicke:


"ir senelîche blicke
die sâhen in vil dicke
lange unde minneclîchen an."(V.1089-1091)
"sô gruozte ouch er mit ougen dar" (V.1101)


Diese Blicke sind für beide so eindeutig, dass sie beide um ihre gegenseitige Liebe wissen:


"nu wiste aber sî wol, daz sîn muot
hin z'ir was süeze und alse guot,
als liebes muot ze liebe sol.
daz selbe wiste er an ir wol."(V.1107-1110)


Die Hauptmerkmale dieser Liebeserklärung sind also, dass die Initiative von der Frau ausgeht, dass sie als Klage formuliert ist und gleichzeitig als Rätsel, das Riwalin bei seinem Wissensstand noch nicht lösen kann, dass die Liebe zum Zeitpunkt der Erklärung noch nicht voll entwickelt ist und dass die endgültige Bestätigung nicht in der Äußerung sondern auf der nonverbalen Ebene stattfindet.

Isolde und Tristan

Durch den Minnetrank muss sich die Liebe zwischen Isolde und Tristan nicht erst entwickeln sondern ist schlagartig bei beiden gleichzeitig und gleich stark vorhanden und beide werden sich ihrer sehr bald bewusst (V.11741, 11789). Bei ihnen erfolgen die ersten Anzeichen durch Blicke und durch wechselnde Gesichtsfarbe:


"ir herze unde ir ougen
diu schâcheten vil tougen
und lieplîchen en den man
der man der sach si wider an
suoze und inneclîchen." (V.11845-11849)
"si wurden rôt unde bleich,
als ez diu Minne in understreich."(V.11919/20)


Darauf folgt dann das verbale Liebesgeständnis durch Isolde. Wieder ist es die Frau, die die Initiative ergreift und wieder ist es in Form einer Klage und als Rätsel formuliert. An dieser Stelle kann man das damit begründen, dass Tristan der verbotenen Versuchung länger wiederstehen kann als Isolde.[Schwarz 1981:S.192] Isolde klagt Tristan:


"lameir" sprach sî "daz ist mîn nôt,
lameir daz swaeret mir den muot,
lameir ist, daz mir leide tuot."(V.11986-11988)


Diese Aussage ist dreideutig und Isolde nennt das Wort "lameir" in einer Anapher drei Mal, einmal für jede Bedeutung. [Zotz 2000: 15] Tristan scheinen alle drei Bedeutungen, minne, mer und bitter, im Kontext der Meerüberfahrt plausibel. In einem Beweis e negativo schließt Isolde mer und bitter aus, sodass, wenn auch nicht konkret ausgesprochen, es eindeutig ist, dass sie Tristan Liebeskummer klagt.[Schwarz 1981.S.189] Die Botschaft kann vom Adressaten, im Gegensatz zu Blanscheflurs Rätsel, entschlüsselt und verstanden werden und Tristan bestätigt: "entriuwen, schoene, als ist ouch mir"(V.12014) und sie besiegeln diese Erkenntnis mit Küssen.

Diese Liebeserklärung hat mit der ersten gemein, dass es die Frau ist, die in einer Klage verschlüsselt dem Ritter ihre Liebe gesteht. Der Unterschied ist, dass durch den Kontext und durch einen Beweis e negativo die Erklärung von Tristan verstanden wird. Die Abfolge ist also umgekehrt, nicht erst Erklärung, dann Bestätigung durch Gesten sondern erst Gesten und dann Bestätigung durch Erklärung. Die Verschlüsselung erfolgt hier nicht durch eine Metapher sondern durch ein Wortspiel in der Framdsprache [Französisch im Tristan (Gottfried von Straßburg, Tristan)| Französisch]. Ursache dafür ist, dass Gottfried dieses Wortspiel an die französischen Vorlage Thomas' anlehnt und es nur mit dem französischen Wort funktioniert. [Zotz 2000: 13] Das Französich unterstreicht hier die intendierte Verhüllung.


Tristan und Isolde Weißhand

Die Situation zwischen Tristan und Isolde Weishand ist in vielerlei Hinsicht sehr verschieden von den anderen beiden Liebeserklärungen. Es sind zwar die gleichen Vorzüge, die die beiden füreinander bestimmt erscheinen lassen (Tristan der erfolgreicheste Ritter im Reich und Blanscheflur die schönste und tugendhafteste Frau (V.18949-18964)), doch noch bevor von Liebe die rede ist, mischen sich Tristans schmerzvolle Erinnerungen an die blonde Isolde ein, hervorgerufen durch die Namensgleichheit (V.18965-18992). Davon kann Isolde Weißhand und der Hofstaat nichts wissen, weshalb alle leidvoll schmachtenden Blicke Tristans, die eigentlich der blonden Isolde gelten, als Zeichen für die Liebe zu Isolde Weißhand verstanden werden. Gleichzeitig behandelt Tristan Isolde Weißhand immer sehr zuvorkommend, was ein tatsächliches Indiz für seine Zuneigung ist (V.191802-19199). Hier gibt es also einen Unterschied zwischen Tristans Blicken, die eigentlich der blonden Isolde gelten, und seinen Gesten, die seine tatsächliche Zuneigung zu Isolde Weißhand ausdrücken.


Durch eine genauso zweideutige verbale Erklärung bestätigt er diese Interpretation noch. Er singt immer wieder:


Îsôt ma drûe, Îsôt m'amie
en vûs ma mort, en vûs ma vie! (V.19213/19214)


Auch hier wird wieder auf die Freud-Leid, beziehungsweise Tod-Leben Verknüpfung angespielt. Tristan ist sich selber nicht im klaren darüber, was er denken und fühlen soll, da ihn die Schönheit Isolde Weißhands und die Erinnerungen an die blonde Isolde vermischen und verwirren. Es ist ihm quasi selbst ein Rätsel und durch die Verwendung des Französischen wird gezeigt, dass die Aussage rätselhafter ist, als sie auf den ersten Blick scheint. Es ist eine Liebeserklärung, aber an welche Isolde ist unklar.

Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass sie im Geheimen stattfanden und deshalb der Verschlüsselung bedurften. Hier handelt sich um einen in der Öffentlichkeit stattfindenden Vorgang. Verschlüsselt wird wieder das Verbotene, die Liebe zur blonden Isolde. Daraus resultiert auch, dass man keinen genauen Zeitpunkt des Verliebens feststellen kann. Isolde handelt auf Geheiß ihres Bruders, der militärischen Vorteil darin sieht, wenn Tristan am Hofe bleibt (V.19088-19102). Es wird zwar betont, dass Isolde den Auftrag ihres Bruders gerne erfüllt, von Liebe ist aber nicht die Rede. Tristan ist bis zu dem Punkt, an dem der Roman abbricht, noch unentschlossen ob er etwas für Isolde empfinden darf oder nicht.


Auch hier besteht die Liebeserklärung aus einer Kombination von verbalen und nonverbalen Zeichen, die von den Beteiligten genau wie in den ersten beiden Fällen interpretiert werden. Dass die Situation eine andere ist, kann von keinem der Beobachtenden erkannt werden. Die Rätselhaftigkeit wird wie bei Tristan und Isolde durch das Französische ausgedrückt.

Fazit

Nonverbalen Äußerungen, das heißt Gesten und Blicken, wird eine genauso hohe Bedeutung für die Liebeserklärung zugemessen wie Worten. Erst sie machen die in Metaphern oder französischen Mehrdeutigkeiten verschlüsselten verbalen Liebeserklärungen, die die Liebe gleichzeitig verstecken und offenbaren, verständlich [Zotz 2000: 8]. Erst wenn sich beide Beteiligten über ihre Gefühle im klaren sind, kann es zu einem gegenseitigen Verständnis kommen. Die Frauen ergreifen dabei meistens die Initiative. In den Erklärungen schwingt jedes Mal sowohl die durch die Liebe erfahrene Freude als auch das Leid mit.


  1. Alle Zitate nach der unten angegebenen Reclam-Textausgabe [Krohn 2007]


Literaturnachweise

<HarvardReferences />

  • [*Bauss 1937]Bauss, Hermann: Studien zum Liebesdialog in der höfischen Epik. Marburg 1937.
  • [*Krohn 2007] Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn, Bd. 1 u. 2: Text, Bd. 3: Kommentar, 8./9./12. Aufl., Stuttgart 2007-2008 (RUB 4471-4473).
  • [*Schwarz 1981] Schwarz, Alexander: Die Liebeserklärung: ein Sprechakt in der deutschen Literatur des 12. Jahrhunderts. In: Love and marriage in the twelfth century, Hrsg. Willy van Hoecke u. Andries Welkenhuysen, Leuven 1982.
  • [*Zotz 2000] Zotz, Nicola: Programmatische Vieldeutigkeit und verschlüsselte Eindeutigkeit. Das Liebesbekenntnis bei Thomas und Gottfried von Straßburg (mit einer neuen Übersetzung des Carlisle-Fragments), in: Wiedemann, Conrad (Hrsg.) Germanisch-Romanische Monatsschrift 50, Tübingen 2000, S.1-19.