Minnetrank (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Gemälde von John William Waterhouse (1849-1917): "Tristan and Isolde with the potion"

Der Minnetrank ist der zentrale Gegenstand in Gottfried von Straßburgs Tristan. Erst durch die Einnahme des für Marke und Isolde gedachten Trankes durch herrscht über::Tristan und Isolde kommt die Geschichte des heimlichen Liebespaares überhaupt zustande.

Der Trank

Die Zutaten für den tranc von minnen (V. 11435)[1] werden nicht genannt. Zur Herstellung wird nur erwähnt, dass er betihtete (kunstreich) (V. 11432) hergestellt und mit alsô cleinen sinnen ûf geleit und vor bedâht (mit so feinem Verstand gewählt und ausgedacht) (V. 11436f.) worden war. Die Wirkung des Trankes wird dagegen eindringlich geschildert:

mit sweme sîn ieman getranc,
den muose er âne sînen danc
vor allen dingen meinen
und er dâ wider in einen.
(V. 11439-11442)
dass jeder, der davon mit jemand anders trank,diesen, ob er selbst nun wollte oder nicht,mehr als alles anderelieben mußte und der andere wiederum ihn allein.[2]

Jeder also, der diesen Trank mit jemand anderem zu sich nahm, war gezwungen diesen zu lieben, ob er nun wollte oder nicht. Ab diesem Zeitpunkt würde es für beide nur noch ein tôt unde ein leben, ein triure, ein vröude (V. 11443-11444) geben. Eine zeitliche Begrenzung des Minnezaubers wird dabei nicht genannt, sodass davon ausgegangen werden kann, dass die Wirkung dauerhaft anhält.

Inhalt

Die heilkundige Isolde stellt vor der Abreise Tristans und Isoldes nach Cornwall einen Minnetrank her. Den in ein kleines Glasgefäß gefüllten Trank, übergibt sie Brangäne mit dem Auftrag ihn Marke und Isolde nach deren Hochzeitnacht zu trinken zu geben. Zwei Mal warnt sie Brangäne eindringlich davor, keinen anderen davon trinken zu lassen: bewar mit allem vlîze daz es ieman enbîze. (Verhindere unbedingt, dass jemand davon trinkt) (V. 11457) sowie bewar daz, daz sîn mit in zwein ieman enbîze. (Achte darauf, dass außer den beiden davon niemand trinkt.) (V. 11464-11465). Während einer Pause bei der Überfahrt lässt Brangäne den Trank jedoch unbeaufsichtigt stehen. Als der durstige Tristan nach etwas zu trinken verlangt, bekommt er von einer der Hofdamen den vermeintlichen Wein gebracht. Dies führt dazu, dass Tristan und Isolde zusammen den Minnetrank trinken und infolgedessen in Liebe zueinander verfallen.

Bedeutung des Trankes

Die Bedeutung des Minnetranks und der damit einhergehende Beginn der Liebe zwischen Tristan und Isolde wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Hierbei haben sich besonders zwei Sichtweisen herauskristallisiert: Die einen sehen den Minnetrank als Initialwirkung der Liebe an, die anderen sehen in ihm ausschließlich ein Symbol der Liebe.

Der Minnetrank: Symbol oder Zäsur?

















Minnetrank als Initialzündung

Gemälde von Dante Gabriel Rossetti (1828-1882): Tristram and Isolde Drinking the Love Potion

Für die Sichtweise des Minnetranks als Initialzündung spricht, dass Isolde vor dem gemeinsamen Trank mit Tristan wenig Zuneigung zu ihm zu empfinden scheint.

Als Isolde erkennt, dass Tristan der Mörder ihres Onkels Morold ist, möchte sie Tristan mit dem Schwert erschlagen und ihren Onkel rächen („diz swert daz muoz sîn ende wesen! / [...] / gelît er von dem swerte tôt / dâ mite er dînen oeheim sluoc, / sô ist der râche genuoc!“ (V. 10138-10142)).

Isolde bezeichnet Tristan als Schurken („î übeler man“ [...] (V. 10203).

Der Erzähler beschreibt Tristan als Feind Isoldes (si hôrte ir vînt [...] (V. 10253)) und sogar als Todfeind (sô daz der tôtvînt genas [...] (V. 10279)).

Isolde sagt selbst, dass es ihre Gefühle nicht zulassen würden, Tristan freundschaftlich gesinnt zu sein („mîn herze stât mir niht dar zuo, / daz ich sîn vriunt gewesen müge“ (V. 10482-10483)).

Als es dennoch zur Versöhnung zwischen Isoldes Mutter Isolde, Brangäne und Isolde mit Tristan kommt, ist es die junge Isolde, die den Versöhnungskuss nur mit Widerstreben gibt (doch tet ez Îsôt diu junge / mit langer widerunge. (V. 10535)).

Der Erzähler erklärt außerdem, dass Isoldes Vater Gurmun nach der Versöhnung Isolde der Hand „ihres Feindes Tristan“ (ir vînde Tristande (V. 11400) übergibt. Der Erzähler selbst behauptet, er spreche von Tristan als „Feind“, weil Isolde Tristan zu der Zeit immer noch hassen würde. (ir vînde spriche ich umbe daz: / si was im dannoch gehaz. (V. 11401-11402)).

Als Tristan Isolde auf dem Schiff, das Isoldes Heimat verlässt, trösten möchte, wehrt sie sich gegen Tristans Umarmung: „Nehmt Eure Arme von mir! / Ihr seid lästig.“ „[...] ich verabscheue Euch.“ (V. 11571-11575). Isolde behauptet außerdem gegenüber Tristan, er habe sie von ihren Eltern „betrügerisch abgelistet“ (V. 11588).

Tomasek meint, der Minnetrank werde für Isolde zu einem „einschneidenden Ereignis, mit dem sich ihr Verhalten grundlegend ändert.“[Tomasek 2007:113] Darüber hinaus spricht Tomasek im Zusammenhang mit dem Minnetrank von einer „Aktivierung“: „Isoldes zunächst latentes gefährlich-schönes Profil wird durch den Minnetrank aktiviert [...].“[Tomasek 2007:116]


Minnetrank als Symbol

Gemälde von Herbert James Draper (1863–1920): Tristan und Isolde trinken den Minnetrank

Für die Sichtweise des Minnetranks als Symbol spricht, dass einige Begebenheiten als erste Annäherung zwischen Tristan und Isolde gesehen werden könnten.

Als Isolde noch nicht weiß, dass der Spielmann Tantris der Onkelmörder Tristan ist, betrachtet Isolde ihn mit „außerordentlichem Interesse“ (nu nam Isôt sîn dicke war / und marcte in ûzer mâze / an lîbe und an gelâze. (V. 9992-9994)). Sie schaut seinen Körper ausgiebig an und „alles gefiel ihr gut an ihm“. (si bespehete in obene hin zetal. / swaz maget an manne spehen sol, / daz geviel ir allez an im wol [...] (V. 10000-10002)).

Als Tristan sich für die Verhandlung bezüglich des Drachentötens besonders schön kleidet, bewundern die drei Damen, unter ihnen auch Isolde, Tristans Aussehen und seine Männlichkeit (die drî saeldenrîche / sie gedâhten alle in einer vrist: „zewâre, dirre man der ist / ein menlîch crêatiure; / sîn wât und sîn figiure / si schepfent wol an ime den man. [...] sîn dinc ist allez wol gewant.“ (V. 10857-10859)).

Sobald Isolde durch den Schwertsplitter herausfindet, dass Tristan ihren Onkel erschlagen hat „begunde ir herze kalten“ (V. 10087). Dies deutet jedoch auch darauf hin, dass es sich ihr Herz zuvor begonnen hatte für Tristan zu erwärmen.[Ehrismann 1989:284]

Nachdem das Schiff von Wexford abgelegt hat, tröstet Tristan die weinende Königin in der Kajüte ([...] wan underwîlen Tristan. / der gie wîlent dar în / und trôste die künigin, / dâ sie weinende saz. (V. 11544-11547)).

Der Erzähler beschreibt, dass Tristan Isolde tröstet „so zärtlich er nur konnte“ (sô er suozeste kunde (V. 11555)). Allerdings fügt er hinzu, dass Tristan Isolde in der Art in seine Arme nimmt, wie ein Gefolgsmann es tut und nicht etwa wie ein Liebhaber (und niuwan in der wîse, / als ein man sîne vrouwen sol. (V. 11560-11561)).

Vergleich mit den Darstellungen in anderen Tristanversionen

In Eilhart von Oberg Version Tristrant und Isalde wird die Wirkung des Minnetrankes im Gegensatz zu Gottfries Fassung viel detaillierter beschrieben. So ist die Wirkung des Trankes innerhalb der ersten vier Jahre am mächtigsten. In dieser Zeit müssen sich die Liebenden jeden Tag und jede Nacht sehen, denn schon eine Trennung von nur einer Woche kann zu ihrem Tod führen. Danach wird die Wirkung des Trankes zwar schwächer, aber dennoch bleiben die Liebenden einander ihr Leben lang in Liebe verbunden. Im Gegensatz zu der geradezu schwammig bleibenden Version Gottfrieds trägt die mit Zahlen und genauen Auswirkungen angereicherte Beschreibung des Minnetrankes in Eilharts Version dazu bei, dass der Minnetrank hier eindeutig als magisches Elixier wahrgenommen werden kann, das Tristan und Isolde verzaubert. Ein weiterer Unterschied ist, dass bei Gottfried Liebe und Tod eng miteinander verknüpft sind, während bei Eilhart der Tod nur dann eine Rolle spielt, wenn sich die Liebenden trennen müssen, und sie ansonsten ihre Liebe ohne Leid ausleben können.

Der frühneuhochdeutsche Prosaroman Tristant und Isalde, versucht einen Kompromiss. Auch hier tritt der Trank zwar als realmagisches Elixier auf, dessen Wirkung vier Jahre lang anhält. Jedoch wächst in dieser Zeit eine natürliche Liebe zwischen den beiden, sodass ihre Liebe nachdem die Trankwirkung nach vier Jahren aufhört weiter bestehen bleibt. Der Trank nimmt hier also eine Zwischenstellung zwischen durch Trank bedingte und natürliche Liebe ein, da der Trank zwar die Voraussetzung für die Liebe schafft, sich daraus aber eine vom Trank unabhängige Liebe entwickelt.

Fazit

Der Minnetrank wird von Gottfried so komplex und ambivalent dargestellt, dass er auf verschiedenen Ebenen funktioniert. Die fehlende Eindeutigkeit des Trankes lässt es nicht zu, dass eine der beiden Sichtweisen als richtig festgelegt werden kann.

Solch eine Entscheidung muss jedoch auch gar nicht angestrebt werden. Statt sich für eine der beiden Sichtweisen zu entscheiden, kann stattdessen die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass beide Sichtweisen auf verschiedenen Ebenen funktionieren und auch funktionieren sollen. Welche der beiden dabei herausgelesen wird, kommt auf die Einstellung und Perspektive des Rezipienten an. Für die einen, die an der Normverletzung des Ehebruchs Anstoß nehmen, kann dieser durch den Minnetrank entschuldigt werden, während sich für die anderen auf einer anderen Ebene das Bild eines autonomen Liebespaares entwickelt.[Schweikle 1991:145f.]

Literatur

  1. Mit Versangabe im Folgenden zitiert aus Gottfried von Straßburg: Tristan. Hrsg. von Rüdiger Krohn. Stuttgart 1993 (RUB 4471, 4472).
  2. Die Übersetzung wird im Folgenden zitiert nach Rüdiger Krohn aus Gottfried von Straßburg: Tristan. Hrsg. von Rüdiger Krohn. Stuttgart 1993 (RUB 4471, 4472).
  • Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Bd. 1–3. Stuttgart 1980 (RUB 4471-3).
  • [*Schweikle 1991] Schweikle, Günther: Zum Minnetrank in Gottfrieds ‚Tristan‘. Ein weiterer Annäherungsversuch. In: Fritsch-Rößler, Waltraud (Hg.): Uf der mâze pfat. Festschrift für Werner Hoffmann zum 60. Geburtstag. Göppingen 1991.
  • [*Ehrismann 1989] Ehrismann, Otfried: Isolde, der Zauber, die Liebe – der Minnetrank in Gottfrieds Tristan zwischen Symbolik und Magie. In: Feldbusch, Elisabeth (Hg.): Ergebnisse und Aufgaben der Germanistik am Ende des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Ludwig Erich Schmitt zum 80. Geburtstag. Hildesheim, Zürich, New York 1989.
  • [*Tomasek 2007] Tomasek, Tomas: Gottfried von Straßburg. Stuttgart 2007 (RUB 17665)