Mutter-Sohn-Beziehung (Herzeloyde-Parzival)
Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Herzeloyde und Parzival. Welche Absichten hatte Herzeloyde und aus welchen Gründen? Wie verhält sich Parzival?
Mutter-Sohn-Beziehungen im Parzival
Das positive Mutter-Tochter-Verhältnis zwischen Herzeloyde und Parzival steht in einem gegensätzlichen Verhältnis zu den vielen negativ konnotierten Vater-Sohn-Beziehungen im Roman und speziell zum inexistenten Verhältnis zwischen Gahmuret und Parzival. Wachinger erkennt im lebensbestimmenden Verhältnis zwischen Herzeloyde und Parzival einen Prototyp für eine funktionierende Mutter-Sohn-Beziehung.[Wachinger 2000: vgl. 1081] Weiter heißt es: „Auch das Vater-Tochter-Verhältnis ist meistens positiv gestaltet (Gurnemanz-iase, Lippaut-Obilot): Problematisch sind dagegen alle Geschwisterbeziehungen, besonders das Verhältnis von Brüdern (Galoes-Gahmuret, Parzival-Feirefiz), aber auch das von Schwestern (Obie-Obilot) wie das von Bruder und Schwester (Orilus-Cunneware, Vergulath-Antikonie, Gawan-Itonje)." [Wachinger 2000: 1081]
Herzeloyde
Bereits während der Schwangerschaft ist es ihr enorm wichtig, dass das Kind gedeiht, da es Gahmurets Sohn ist: "Sie umfing das Kind und ihren Bauch mit Armen und mit Händen, sie sprach: Die edle Frucht von Gahmuret soll Gott mir schenken, das ist meines Herzens Bitte." [Wolfram von Eschenbach 2003: 110,11 ff.]
Obwohl es keineswegs ihrem gesellschaftlichen Stand entspricht, möchte Herzeloyde ihren Sohn nach der Geburt selbst stillen. Dabei vergleicht sie sich mit der Gottesmutter: "Die höchste Königin selber bot Jesus ihre Brust" [Wolfram von Eschenbach 2003: 113,18 f.]
Unüblich für die damalige Zeit ist nicht nur, dass sie ihren Sohn selbst stillt, sondern auch, dass sie Parzival um seine ritterliche Erziehung bringt. Denn fern ab vom ritterlichen Leben zieht sie Parzival in der Einsamkeit von Soltane auf. Auslöser war der Schmerz, den sie erlebte, als ihr geliebter Mann – Gahmuret – bei einem Kampf ums Leben kam. Sie wollte ihn vom Ritter Dasein fernhalten, damit Parzival nicht das gleiche Schicksal zu Teil wird (117,24 - 117,28):
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
`wan friesche das mîns herzen trût, | "Denn wenn mein liebster Schatz erführe, |
welch ritters leben wære, | was es mit dem ritterlichen Leben auf sich hat, |
das wurde mir vil swære. | so wäre das ein großes Unglück für mich. |
nu habt euch an der witze kraft, | Drum seid vernünftig |
und helt in alle rîterschaft.´ | und haltet vor ihm alles geheim, was mit Ritterschaft zu tun hat." |
Sie möchte Parzival jedoch nicht nur aus Wehmut dem Ritterleben vorenthalten, sonder weil sie in einem prophetischen Traum erfahren hat, dass sie selbst im Falle von Parzivals Auszug aus Soltane sterben würde. So wäre der Junge ein Vollweise, der den Rest seines Lebens ohne elterlichen Rat und Beistand bestreiten müsste. In ihrem Sohn sieht Herzeloyde nach wie vor Gahmuret, wofür sie ihr königliches Leben ablegt und sich ganz auf das Mutter Dasein konzentriert. „Ihr mütterliches Empfinden äußert sich darin, daß sie Parzival, [...], von Anfang an mit Kosenamen bezeichnet: 113,4 >bon fîz, schwer fîz, bêâ fîz.<“[Russ 2000: S. 38] Dies sind nicht nur Kosenamen der Mutter für ihren Sohn, sondern sie beschreiben Parzival zugleich als einen schönen und guten Jungen, was in mehreren Situationen bestätigt wird. "Mütterlichkeit wird auch dadurch ausgedrückt, daß das Kind mittels gehäufter Diminutive (kindelîn, 112,6; kindel 122,22; vlänsel, 113,8) hilfsbedürftig erscheint und sich die Mutter ihm zuwendet: Sie liebkost (112,6) und küßt es unzählige Male (113,2).[Russ 2000: S. 38]
Als das Vogelgezwitscher Sehnsüchte in Parzival auslöst, lässt Herzeloyde die Vögel umbringen, weil sie ihren Sohn anscheinend unglücklich machen. Sie tut dies, obwohl sie damit gegen Gottes Gebot verstößt.
Als Parzival beschließt zum Artushof zu reiten, um dort Ritter zu werden, versucht Herzeloyde alles, damit sie ihren Sohn nicht verliert. Als letzten Ausweg wählt sie torenhafte Kleidung für Parzival und ein lahmes Pferd, in der Hoffnung, ihr Sohn würde von allein wieder zurückkommen, wenn er nur erst mal verspottet würde. Da sie aber beim Wegreiten Parzivals schon stirbt, verliert diese verzweifelte Tat jeden Sinn. Sollte eine Mutter nicht genug Vertrauen zu ihrem Kind haben und es bei allem nach bestem Wissen und Gewissen unterstützen? Hätte sie Parzival deshalb nicht die besten Kleider und das beste Pferd geben sollen, die sie hätte auftreiben können?
Sie versucht verzweifelt Parzival an sich zu binden. Er ist ihr einziges Kind und gleichzeitig die Erinnerung an Gahmuret, ihren verstorbenen Ehemann. Alle Vorkehrungen, die Herzeloyde getroffen hatte, nützen ihr nichts.
Parzival
Umsorgt und behütet [Bumke 2004: vgl. S. 55] hat Parzival in Soltane keine andere Bezugsperson, als seine Mutter. Da ist es nur natürlich, dass er eine starke Bindung zur Mutter entwickelt. Parzival nimmt die Lehren seiner Mutter sehr wörtlich und versteht den Sinn dahinter nicht. Dies fällt in verschiedenen Situationen außerhalb Soltane auf. Zum Beispiel als er den Rittern im Wald begegnet und die Gotteslehre seiner Mutter völlig falsch reflektiert. In den Situationen, in denen Parzival sich falsch verhält wir oft von Parzivals tumpheit gesprochen.
"Gemäß der Vorstellung, nach welcher der Mann der ratio, die Frau der sensualitas verpflichtet ist, werden die Erziehungsaufgaben verteilt. Die Mutter und ihre Umgebung haben das emotionale Umfeld zu schaffen, väterliche Erzieher übernehmen die körperliche und geistige Ausbildung." [Brinker-von der Heyde 1996: S. 243 f.]
Parzival kommt nicht schon als Kind in den Genuss der ritterlichen Ausbildung, bei der er normalerweise von Vater, Onkel oder eines anderen Mannes der Erziehung unterwiesen worden wäre, da seine Mutter dies stets verweigert. Als er den Rittern im Wald begegnet und mit einer anderen Welt konfrontiert wird, brennt er darauf Neues kennenzulernen. Auf seinem Weg begegnet er Gurnemanz. Durch ihn erhält er dann die längst überfällige Erziehung.
Widersprüchlich ist, dass er seine Mutter dennoch so schnell verlässt. Die Neugier und der Eindruck, den die Ritter bei ihm hinterlassen haben, sind stärker als das Bitten seiner Mutter. Er erfährt erst sehr spät von Trevrizent, dass seine Mutter nicht mehr lebt. Warum hat er sie nie besucht? Auf seiner Reise hingegen erinnert er sich immer wieder an sie und ihre Worte und versucht nach ihren Lehren zu handeln, so gut er es kann.
Erzähler
Herzeloyde entschließt ganz bewusst Parzival in der Einsamkeit von Soltane aufzuziehen. Ohne höfisch-ritterliche Erziehung. Dieser Entschluss wird „als ein religiös motiviertes Bekenntnis zur Armut“ [Bumke 2004: S. 55] gewertet. Durch den Verzicht auf Reichtum und „weltlichen Glanz“ erlangt sie „ewige Seligkeit“. [Bumke 2004: S. 55] Ihre erfolglosen Versuche Parzival nicht zu verlieren werden durch den Erzähler als Mutterliebe erachtet. [Bumke 2004: vgl. S. 55 f.] Herzeloydes scheidet aus der Dichtung durch ihren Tod, als Parzival davonreitet und ihr somit das Herz bricht. Am Ende wird Herzeloyde durch den Erzähler als "Ein wurzel der Güte und ein Stamm der diemüete." ("Eine Wurzel wahrer Güte und ein Stamm der Demut") (128,27 f.) beschrieben.
Fazit
Die Beziehung zwischen Herzeloyde und ihrem Sohn wird schon in der Schwangerschaft zu etwas Besonderem. Der Tod Gahmurets - des Kindesvaters - bringt Mutter und Kind näher zusammen. Parzival ist das Einzige was Herzeloyde übrig geblieben ist und sie versucht ihn zu beschützen wie einen Schatz. Durch die alleinige Erziehung durch Herzeloyde entsteht eine "intime Zweierbeziehung" [Brinker-von der Heyde 1996: S. 248] Parzival und ihr. Als Leser kann durchaus ein Verständnis für Herzeloyde entwickelt werden. Schließlich will sie ihren Sohn nur schützen und ihn nicht auch verlieren. Dabei vergisst sie, dass Parzival Gahmurets Sohn ist und die Sehnsucht nach aventiure ihm quasi im Blut liegt. [Brinker-von der Heyde 1996: vgl. S.248] So bringen ihr all die Versuche Parzival zu halten nichts. Denn am Ende reitet er davon und sie stirbt an einem gebrochenen Herzen.
Quellenverzeichnis
<HarvardReferences />
Primärtext
[*Wolfram von Eschenbach 2003] Wolfram von Eschenbach: Parzival. Zweite Auflage. Berlin, New York 2003.
Sekundärtexte
[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach. Achte Auflage. Stuttgart, Weimar 2004.
[*Brinker-von der Heyde 1996] Brinker-von der Heyde, Claudia: Geliebte Mütter - Mütterliche Geliebte. Rolleninszenierung in höfischen Romanen. Bonn 1996.
[*Russ 2000] Russ, Anja: Kindheit und Adoleszenz in den deutschen Parzival- und Lancelot-Romanen. Hohes und spätes Mittelalter. Stuttgart 2000.
[*Wachinger 2000] Wachinger, Burghart. Deutschsprachige Literatur des Mittelalters: Studienauswahl aus dem 'Verfasserlexikon'. Berlin 2000.