Vater und Sohn im Parzival

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Vater-Sohn-Strukturen im Parzival

Dieser Artikel untersucht die komplexen Vater-Sohn-Beziehungen im Parzival. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Vater-Sohn-Struktur zwischen Parzival selbst und seinem Vater Gahmuret, wobei kritisiert werden muss, ob man diese Struktur überhaupt als existente Vater-Sohn-Beziehung im klassischen Sinne bezeichnen kann. Wachinger stellt das negative Vater-Sohn-Verhältnis im Parzival dem positiven Mutter-Sohn-Verhältnis gegenüber und zeigt grundlegende Gegensätze auf. [Wachinger 2000: vgl. 1081] Für die negative Vater-Sohn-Bindung nennt er Gahmuret[1] und Feirefiz (belastete Beziehung) und Artus und Gurnemanz (Söhne früh verloren) sowie Parzival, welcher ganz ohne Vater aufwächst.
Dieser Artikel betrachtet auch die Beziehung zwischen Parzvials älterem Halbbruder Feirefiz (weiterer Sohn Gahmurets) und dem gemeinsamen Vater. Von großer Relevanz sind auch die eventuellen Parallelen zwischen den beiden genannten Beziehungen. Des Weiteren soll behandelt werden, welche Auswirkungen die ungewöhnliche Beziehung zu seinem Vater auf Parzival hat.

Gahmuret und Feirefiz

Feirefiz ist Gahmurets erster Sohn, der aus der Beziehung mit Königin Belakane entstand und somit Parzivals älterer Halbbruder ist. Feirefiz findet in Wolfram von Eschenbachs Parzival am Anfang und am Ende der Geschichte Erwähnung. Er wird geboren, als Gahmuret Belakane schon verlassen hat. Diese ist über den Verlust ihrer Liebe untröstlich. Dennoch liebt sie ihren gemeinsamen Sohn, selbst seine fleckige Haut wird von ihr als ein Wunder Gottes verstanden. Im Roman heißt es dazu:

Original 57, 15-22 Übersetzung
diu frouwe an rehter zît genas

eins suns, der zweier varwe was,

an dem got wunders wart enein:

wîz und swarzer varwe er schein.

diu küngîn kust in sunder twâl

vil dicke an sîniu blanken mal.

diu muoter hiez ir kindelîn

Feirefîz Anschevîn.

Als die rechte Zeit gekommen war, da

brachte die Dame einen Sohn zur Welt,

der war von zweierlei Farbe; an ihm

wollte Gott ein Wunder wirken: Weiß

schien seine Haut und schwarz. Die

Königin küßte ihn sogleich sehr oft auf

seine weißen Male. Die Mutter nannte

ihr Kindelein Feirefîz und Anschevîn.

Gahmuret befindet sich zu diesem Zeitpunkt wie bereits erwähnt nicht mehr bei seiner Frau und ihrem gemeinsamen Sohn, sondern ist auf der Suche nach neuen Abenteuern. Feirefiz lernt seinen Vater also nicht kennen. Tatsächlich ist Gahmuret nicht nur bei Feirefiz’ Geburt abwesend, sondern dessen gesamtes Leben lang. Seinen Vater lernt Feirefiz nie kennen und lebt somit ein Leben ohne Vaterfigur und wird folglich nur von seiner Mutter Belakane erzogen. Feirefiz zieht los um nach seinem Vater zu suchen und trifft auf dieser Reise später auf seinen jüngeren Halbbruder Parzival.

Gahmuret und Parzival

Parzival wächst ebenfalls ohne seinen Vater auf. Gahmuret kann an Parzivals Leben und seiner Erziehung nicht teilnehmen, da er vor seiner Geburt im Kampf getötet wurde. Da Parzivals Mutter Herzeloyde den Verlust ihres Ehemannes kaum überwinden kann, überträgt sie diese Liebe auf ihren neugeborenen Sohn. Ihre Angst um ihn ist derart groß, dass sie alles daran setzt dass er kein Ritter wird, wie es bereits sein Vater war. Ihre Sorge ist die einer liebenden Mutter, allerdings ist ihre Angst ebenfalls von ihrem Wissen um ihren eigenen Tod im Falle der Abreise Parzivals bestimmt. Sie weiß also die ganze Zeit, dass Parzival nicht nur ein Leben ohne Vater würde führen müssen, sondern auch, im Falle ihres Versagens (Parzivals Abreise), auch eines ohne Mutter.[2] Diese Angst wird in der folgenden Textstelle im Original wie folgt beschreiben:

Original 112, 28-30 Übersetzung
er wart mit swerten sît ein smit,

vil fiwers er von helmen sluoc:

sîn herze manliîch ellen truoc.

Später sollte er Schmied mit Schwertern

werden, der viel Feuer aus den Helmen schlug.

In seinem Herzen trug er eines rechten Mannes Kraft.

Parzival wird also von seiner Mutter erzogen, die ihm vorenthält, dass er eigentlich ein Ritter werden sollte. Dieser Teil der Erziehung wäre in einer klassischen Familie Aufgabe des Vaters, eines Onkels oder eines anderen Mannes. Durch die Abwesenheit der Vaterfigur für Parzival und des Ehemannes für Herzeloyde versucht diese um jeden Preis zu vermeiden, dass Parzival dasselbe Schicksal ereilt wie schon zuvor seinen Vater. Herzeloyde möchte ihren Sohn vor dem ritterlichen und höfischen Einfluss schützen. Um ihr Vorhaben umzusetzen, ergreift sie drastische Maßnamen. Sie zwingt ihn sogar torenhafte Kleidung zu tragen, damit er verspottet würde und verbietet jegliche Rede über das Rittertum und Parzivals eigentliche Bestimmung:

Original 117, 21-28 Übersetzung
ez wære man oder wîp,

den gebôt si allen an den lîp,

daz se immer ritters wurden lût.

‘wan friesche daz mîns herzen trût,

welch ritters leben wære,

daz wurde mir vil swære.

nu habt iuch an der witze kraft,

und helt in alle rîterschaft.’


und zwar die Männer wie die Frauen.

Und sie verbot da allen bei Todesstrafe,

von Rittertum und Rittern auch nur einen

Ton zu sprechen. “Denn wenn mein lieb-

ster Schatz erführe, was es mit dem ritter-

lichen Leben auf sich hat, so wäre das ein

großes Unglück für mich. Drum seid ver-

nünftig und haltet vor ihm alles geheim,

was mit Ritterschaft zu tun hat. ”

All diese schützenden Versuche der Mutter scheitern allerdings. Das Ritter-Sein scheint für ihren Sohn vorbestimmt, denn Parzival findet auch ohne die direkte Hilfe oder den unmittelbaren Einfluss seines Vaters zu seiner Bestimmung und wird schließlich Ritter und erfährt die notwendige Erziehung.

Parallelen

Die beiden ohne Vater aufgewachsenen Brüder weisen Parallelen in ihrem Werdegang auf. Wie bereits beschrieben wird Parzival Ritter, genauso wie sein Halbbruder, der gescheckte Feirefiz. Im Gegensatz zu Feirefiz, welcher sich auf der Suche nach seinem Vater Gahmuret befindet, ist Parzival auf der Suche nach dem Heiligen Gral. Die Brüder unterscheiden sich zwar in ihrem Verhalten und auf ihrem Weg, weisen aber auch zahlreiche Parallelen auf. Dieser Abschnitt wird eine Auswahl diese Gemeinsamkeiten untersuchen.

Original Übersetzung
muoter, ich ach vier man

noch liehter danne got getân:

die sagten mir von ritterschaft.

Artûs küneclîchiu kraft

sol mich nâch rîters êren

an schildes ambet kêren.

Mutter, ich habe vier Männer getroffen,

die sahen noch lichter aus als Gott.

Die erzählten mir von Ritterschaft.

Des Artûs königliche Kraft

soll mich in ritterliche Ehren und

zum Schildamt bringen.

Parzival entschließt sich trotz der enormen Abhängigkeit von seiner Mutter dazu aufzubrechen, und Ritter zu werden. Diese Entschlossenheit hat Parzival wohl von seinem Vater geerbt, der selbst zeitlebens als Ritter auf der Suche nach großen âventiuren war.

Zwischenfazit

Stellt man die Frage nach der Existenz der Vater-Sohn-Beziehungen zwischen Parzival und Gahmuret und Feirefiz und Gahmuret, so lässt sich sagen, dass keine der beiden Beziehungen wirklich existiert. Gahmuret lernt seine Söhne nicht kennen und kann so auch nicht an ihrer Erziehung teilnehmen wie es eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre. In beiden Fällen wird so die Erziehung der Söhne den Müttern überlassen was für die damalige Zeit sehr ungewöhnlich ist. Obwohl die beiden Söhne keine wirklichen Vaterfiguren in ihrem Leben hatten, zumindest nicht in ihrer Kindheit und frühen Jugend, entschließen sich beide dazu Ritter zu werden und folgen so dem Vorbild ihres toten Vaters. Dies ist wiederum eine Entwicklung, die für das frühe 13. Jahrhundert durchaus normal ist.

Auswirkungen auf Parzival

Die Vaterlosigkeit Parzivals wirkt sich enorm auf seine Persönlichkeit, seinen Werdegang und seine Erziehung aus. Laut Bumke begeht Herzeloyde jeden möglichen Fehler in der Erziehung von Parzival. Sie versucht ihn zu beschützen, scheitert und stirbt letztendlich sogar, wie von ihr selbst in ihrem Traum vorhergesehen, als Parzival abreist. Vom Erzähler werden alle von Herzeloyde unternommenen Maßnamen als Ausdruck mütterlicher Liebe gewertet. Parzival selbst steht unter einem enormen Einfluss seiner Mutter,. Dies geht über ihren Tod hinaus und begleitet ihn auf seinem Weg. Wenn er nicht weiter weiß, denkt er zurück an seine Mutter und fragt sich, was sie ihm zu tun geraten hätte. [Bumke 2004: vgl. 55-56] Obwohl er in Gedanken seine Mutter konsultiert, ist er ein junger Mann der versucht seine Entscheidungen reflektiert und überlegt zu treffen. Seine Vaterlosigkeit hat ihm also in diesem Punkt nicht geschadet. Von seiner Mutter hat Parzival gelernt, sensibel zu sein. Dies ist eine Eigenschaft, die ihm häufig von Vorteil ist. Über die Frage, ob eine Erziehung mit Vaterfigur etwas an dieser Sensibilität und dem Willen zu reflektieren geändert hätte, kann nur spekuliert werden.[3] Als Parzival seine neue Rolle als Roter Ritter antritt, ist er sehr unerfahren. Er schafft es nicht einmal, sich alleine die Rüstung anzuziehen obwohl er so hart um diesen Moment gekämpft hatte. Hätte er einen Vater an seiner Seite gehabt um ihn in den wichtigsten Grundlagen des Rittertums zu unterrichten, wäre er nicht auf einen Knappen angewiesen gewesen. Obwohl Parzival ohne seinen leiblichen Vater aufwachsen musste gab es im Laufe seines Lebens verschiedene männliche Figuren die ihn prägen. Beispiele für diese "Ersatzväter" sind Trevrizent, der ihn über seine Schuld aufklärt, und Gurnemanz und nicht zuletzt Artus. <HarvardReferences />

Anmerkungen

  1. Dieser Artikel verwendet die neuhochdeutsche Schreibweise für Eigennamen aus dem Parzival. Dies dient der Leserlichkeit. In mittelhochdeutschen Zitaten wird die originale, mittelhochdeutsche Schreibweise angegeben.
  2. Ein weiterer Artikel beschäftigt sich mit dieser Thematik: Herzeloydes Traum
  3. Für weitere Informationen zu diesem Thema siehe auch: Parzival als Held ohne Vater

Literaturnachweise

<HarvardReferences />

Textausgabe

Alle Angaben beziehen sich auf diese Ausgabe des Primärtextes: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.

Sekundärliteratur

[*Bumke 2004] Bumke, Joachim. Wolfram Von Eschenbach. 8., Völlig Neu Bearb. Aufl. ed. Stuttgart: Metzler, 2004.
[*Schmid 1993] Schmid, Elisabeth. Parzival. In: Interpretationen: Mittelhochdeutsche Romane Und Heldenepen. Brunner, Horst, ed. Stuttgart: Reclam, 1993.
[*Wachinger 2000] Wachinger, Burghart. Deutschsprachige Literatur des Mittelalters: Studienauswahl aus dem 'Verfasserlexikon'. Berlin 2000.