Metafiktion in Wolframs Parzival

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Obwohl der Erzähler in Wolframs von Eschenbach Parzival[1] [2] seine Erzählung durch den Verweis auf (fiktive) vorangehende Quellen — Kyôt, Flegetânîs, lateinische Chroniken sowie die Sternenschrift — scheinbar authentifiziert, lassen sich dennoch metafiktionale Signale, d.h. irritierende Momente, in denen der fiktionale Status der Erzählung sichtbar wird, ausmachen. Der vorliegende Artikel untersucht diese Passagen im Parzival ausgehend von einer kurzen Definition des Phänomens der Metafiktion hinsichtlich ihrer Form und Funktion.


Definition

Ähnlich wie Metanarration[3] zeichnet sich auch Metafiktion[4] durch ihren "self-reflexive or self-referential character"[Neumann/Nünning 2009: S. 204] aus; es handelt sich dabei um Signale im Text, die die Fiktionalität des Erzählten sichtbar machen[5]. Metafiktion liegt somit dann vor, wenn der Rezipient durch Signale im Text dessen 'Gemachtheit' erkennt. Diese Offenlegung der Fiktionalität kann verschiedenartig realisiert werden: Monika Fludernik, die neben Ansgar Nünning die wohl wichtigsten Arbeiten zur systematischen Erfassung von Metanarration und Metafiktion vorgelegt hat, formuliert eine Typologie metafiktionaler Signale, die metanarrative Erzählerkommentare[6], Metalepsen, die Überbetonung des Plots sowie zu viel bzw. zu wenig Handlung (action) umfasst.[Fludernik 2009: S. 63] Für die folgende Betrachtung des Parzival sollen zwei der vier Typen Fluderniks (overemphasis on plot und too much/too little action), die in der Narratologie formal weit weniger genau definiert sind als Metanarration und Metalepsen[7], vernachlässigt werden.

angedeutete Metalepsen

Der Erzähler behauptet zwar, dass ihm als Wiedererzähler[8] die Parzival-Geschichte durch frühere Erzählungen bereits vorgegeben sei, impliziert aber dennoch, aktiv in das — eigentlich bereits gegebene, weil bereits erzählte — Geschehen eingreifen zu können:

Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsche Übersetzung nach Peter Knecht
534,1-9 Swie gern ich in naeme dan,
doch mac mîn hêr Gâwân
der minn des niht entwenken,
sine welle in freude krenken.
waz hilfet dan mîn undersclac,
swaz ich dâ von gesprechen mac?
wert man sol sich niht minne wern:
wan den muoz minne helfen nern.
Gâwân durch minne arbeit emphienc.
So gern ich ihn auch von da fortnähme, mein Herr Gâwân kommt der Liebe doch nicht aus, da sie ihn nun einmal ärmer machen will an Glück. Was hilft es dann, wenn ich dazwischenhaue? Da könnte ich noch so viel reden: an adeliger Mann darf sich ja doch nicht gegen die Liebe wehren, denn nur die Liebe kann und muß ihm helfen in der Not. — Gâwân hatte viel zu leiden von der Liebe; seine Dame ritt, zu Fuß ging er.

Während Gâwân hier unter Orgelûses Zurückweisung leidet, unterlässt der Erzähler seinen Eingriff (Swie gern ich in naeme dan) nach eigener Aussage nicht aufgrund der Unmöglichkeit einer (metaleptischen) Interaktion zwischen Erzähler und Figur, sondern weil man sich niht minne wern soll. Er impliziert damit zwar die Möglichkeit einer Metalepse, die hier ein Anzeichen für die Fiktionalität der Erzählung wäre, greift aber nicht in die Diegese ein.

Eine weiterer Erzählerkommentar gestaltet sich vor dem Hintergrund der Vorgängigkeit weiterer Parzival-Erzählungen allerdings problematischer. Unmittelbar vor dem Kampf zwischen Parzival und Feirefiz zeichnet der Erzähler für die Situation des Protagonisten verantwortlich:

Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsche Übersetzung nach Peter Knecht
737,19-28 hie wellnt ein ander vâren
die mit kiusche lember wâren
und lewen an der vrechheit.
ôwê, sît d'erde was sô breit,
daz si ein ander niht vermiten,
die dâ umb unschulde striten!
ich sorge des den ich hân brâht,
wan daz ich trôstes hân gedâht,
in süle des grâles kraft ernern.
in sol ouch diu minne wern.[9]
Hier wollen zwei einander an die Kehlen, die so keusch wie Lämmer waren und doch auch wahren Löwen an Wildheit. Ach, ist die Welt nicht weit genug, daß sie aneinander vorbeireiten konnten, die da stritten, obwohl doch keiner dem andern etwas schuldig war? Fürchten müßte ich um ihn, den ich in den Ring geschickt habe, hätte ich nicht auch dafür gesorgt, daß er nicht ohne Hoffnung bleiben muß: mag sein, daß in die Kraft des Grâls errettet, und auch die Liebe wird für ihn kämpfen.

Der Erzähler übernimmt, salopp gesprochen, die Verantwortung für das Schicksal 'seiner' Figur und erklärt, dass er Parzival bis zu diesem Kampf gebracht habe und nun um seinen Protagonisten bange. Die Formulierung "den ich hân brâht" (737,25) legt nicht nur eine Emanzipation des Erzählers von früheren Erzählung des Parzival-Stoffs (wie sie innerhalb der Erzählung genannt werden) nahe, sondern muss darüber hinaus als metafiktionales Signal verstanden werden. Würde der Erzähler lediglich sein eigenes Wissen um die Parzival-Geschichte wiedergeben, d.h. diese wiedererzählen, wäre eines solche Bemerkung nicht möglich. Indem der Erzähler Verantwortung in der bereits beschriebenen Form übernimmt, löst er den Kampf[10] zwischen Parzival und Feirefiz aus einer kausal motivierten Handlungslogik heraus[11] und weist sich selbst als Ursprung der Erzählmotivation aus, wenn er behauptet, dass er Parzival — den ich hân brâht — bis zu diesem Kampf geführt habe.

Fiktionspakt zwischen Erzähler und Publikum

Auch metanarrative Passagen können, wie bereits eingangs angedeutet, metafiktionale Effekte erzeugen. Im Parzival ist dies zu beobachten, wenn der Erzähler sich an ein (implizites) Publikum wendet[12] — etwa während Parzivals erstem Besuch in Munsalvaesche. Der Erzähler beschreibt hier das Gralsritual und spricht dabei ein Publikum (ir) an:

Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsche Übersetzung nach Peter Knecht
238,2-17 man sagte mir, diz sag ouch ich
ûf iwer ieslîches eit,
daz vorem grâle waere bereit
(sol ich des iemen triegen,
sô müezt ir mit mir liegen)
swâ nâch jener bôt die hant,
daz er al bereite vant
spîse warm, spîse kalt
spîse niwe unt dar zuo alt,
daz zam unt daz wilde.
Man hat mir gesagt, und ich sage es wieder — ich nehme es auf euren Eid —, daß vor dem Grâl bereitlag — wenn einer dann etwa feststellt, daß es nicht wahr ist, was ich sage, so habt ihr zusammen mit mir gelogen —, aß also, sage ich, dort alles zu finden war, wonach einer nur die Hand ausstrecken mochte, schon war es da: warme Speisen, kalte Speisen, neue Speisen und dazu noch alte Speisen, von den Feldern, aus den Wäldern...

Indem der Erzähler hier den Wahrheitsgehalt seiner Aussage an den (impliziten bzw. imaginierten) Rezipienten koppelt (sol ich des iemen triegen,/ sô müezt ir mit mir liegen), macht er diesen, salopp gesprochen, zum potentiellen Komplizen. Dazu Beate Kellner: "Im Einverständnis einer entlasteten Wirklichkeitsreferenz der Literatur wird gewissermaßen die Bedingung der Fiktionalität des Romans zwischen Erzähler und Publikum ausgehandelt."[Kellner 2009: S. 196] Die Erzählerrede wird von der Forderung eines wahrheitsgemäßen Berichts entlastet, indem es dem (impliziten) Rezipienten überlassen wird, über den Status der Erzählung (wahr vs. unwahr) zu entscheiden.

Ziel derartiger metanarrativen Passagen im Parzival ist, so kann man im Anschluss an Kellner behaupten, die Konstitution eines Pakts zwischen Erzähler und Publikum, der an den von Umberto Eco bzw. Samuel Taylor Colerdige formulierten Fiktionsvertrag zwischen Leser und Autor erinnert: "Die Grundregel jeder Auseinandersetzung mit einem erzählenden Werk ist, daß der Leser stillschweigend einen Fiktionsvertrag mit dem Autor schließen muß, der das beinhaltet, was Colderige 'the willing suspension of disbelieve', die willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit nannte. Der Leser muss wissen, daß das, was ihm erzählt wird, eine ausgedachte Geschichte ist, ohne darum zu meinen, daß der Autor ihm Lügen erzählt."[Eco 1996: S. 103]. Ein wichtiger Unterschied besteht hierbei jedoch darin, dass es sich bei den 'Vertragsparteien' nach Eco/Colerdige um außertextuelle Instanzen (realer Autor und Leser) handelt, während der Pakt im Parzival aufgrund der "mimesis of the narrative process" im Text — zwischen Erzählerfigur und imaginiertem Publikum — geschlossen wird.

Fazit

Der vorliegende Artikel konnte zeigen, a) dass Wolframs Parzival Metafiktion aufweist, b) wie diese erzählerisch umgesetzt wird und c) welche Funktionen sie erfüllt. Mittels Metalpsen bzw. deren Implikation stört der Erzähler den Eindruck, dass es sich bei seiner Erzählung lediglich um eine erneute Wiedergabe des Parzival-Stoffs handelt, die sich an frühere Quellen hält. Für den Rezipienten ist es so möglich, den Erzähler als Erfinder und eigentliche Quelle des Geschehens zu erkennen.

Im Rahmen metanarrativer Kommentare forciert der Erzähler diesen Eindruck noch, indem er den Wahrheitsgehalt seiner Erzählung infrage stellt und es dem impliziten Publikum überlässt, über ihren Status (wahr vs. unwahr) zu urteilen. Auf diese Weise ergibt sich für Wolframs Parzival der Eindruck einer Inszenierung von Fiktionalität[13], die zwischen Erzähler und textinternem Publikum verhandelt wird. Die Rolle des Erzählers lässt sich infolge dieser Fiktionalität nicht eindeutig bestimmen. Die Erzählinstanz tritt zugleich als ein dem Erzählstoff verpflichteter Wiedererzähler ("Erzählbewältigung") und als innovativer Erfinder (Narrationskunst"[Bauschke 2014]) auf.

Anmerkungen

  1. Angaben im Folgenden nach [Parzival].
  2. Um im Folgenden besser zwischen Wolframs Parzival-Erzählung und der in dieser enthaltenen Parzival-Figur unterscheiden zu können, werden Verweise auf die Erzählung stets kursiviert.
  3. Für eine begriffliche Abgrenzung vgl. den entsprechenden Abschnitt im Artikel zur "Metanarration in Wolframs Parzival".
  4. Für einen Überblick über die Geschichte des Konzepts vgl. [Neumann/Nünning 2009: S. 205f.].
  5. Vgl. [Neumann/Nünning 2009: S. 205] "a form of discourse which draws the recipient's attention to the fictionality of the narrative."
  6. Anm.: Bereits hier wird erkennbar, in welchem Verhältnis Metanarration und Metafiktion stehen: Metanarrative Aussagen, d.h. Aussagen über den Akt des Erzählens, können eine metafiktionale Wirkung haben; dies bedeutet aber, wie Fluderniks Typologie zeigt, im Umkehrschluss nicht, dass Metafiktion nur durch Metanarration realisiert werden kann.
  7. Metalepsen bezeichnen, mit Gérard Genette gesprochen, das "Eindringen des extradiegetischen Erzählers oder narrativen Adressaten ins diegetische Universum (bzw. diegetischer Figuren in ein metadiegetisches Universum usw.)"[Genette 2010: S. 152].
  8. Vgl. hierzu das von Franz Josef Worstbrock geprägte Konzept des Wiedererzählens[Worstbrock 1999]
  9. Anm.: Herv. NK.
  10. Vgl. hierzu folgende Artikel: Kämpfe mit Verwandten im Parzival - Zerstörung dynastischer Identität ?, ‎Parzivals Kämpfe mit seiner Verwandtschaft, Vergleich allgemeiner Formen bei Kämpfen mit Freunden bzw. Verwandten in Artusromanen und im Parzival, Kampf- und Todesdarstellungen im Parzival, ‎Der ritterliche Kampf im Parzival - ein Vergleich der Artus- und Gralswelt.
  11. Vgl. zur Handlungslogik bzw. Motivation von Ereignissen [Haferland 2014].
  12. "the narrator's references to his or her communication with the narratee"[Neumann/Nünning 2009: S. 205].
  13. Vgl. hierzu die Beobachtung Burkhard Hasebrinks, der im Parzival eine "beinahe ironisch[e]" Ausstellung von Fiktionalität beobachtet.[Hasebrink 2009: S. 207]


Literaturverzeichnis

Textausgabe

[*Parzival]Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.


Sekundärliteratur

<HarvardReferences />

  • [*Bauschke 2014]Bauschke, Ricarda: Chrêtien und Wolfram. Erzählerische Selbstfindung zwischen Stoffbewältigung und Narrationskunst, in: Susanne Köbele / Eckart Conrad Lutz / Klaus Ridder (Hrsg.): Wolframs Parzival-Roman im europäischen Kontext, Berlin 2014 (Wolfram-Studien 23), S. 113-130.
  • [*Eco 1996]Eco, Umberto: Im Wald der Fiktionen. Sechs Streifzüge durch die Literatur, übers. von Burkhart Kroeber, München 1996.
  • [*Fludernik 2009] Fludernik, Monika: An Introduction to Narratology, Abingdon 2009.
  • [*Genette 2010] Genette, Gérard: Die Erzählung, 3., durchgesehene und korrigierte Aufl., übersetzt von Andreas Knop, mit einem Nachwort von Jochen Vogt, überprüft und berichtigt von Isabel Kranz, München 2012.
  • [*Haferland 2014]Haferland, Harald: 'Motivation von hinten'. Durchschaubarkeit des Erzählens und Finalität in der Geschichte des Erzählens, in: DIEGESIS 3.2 (2014), S. 66-95.
  • [*Hasebrink 2009]Hasebrink, Burkhard: Die Ambivalenz des Erneuerns. Zur Aktualisierung des Tradierten im mittelalterlichen Erzählen, in: Ursula Peters / Rainer Warning (Hrsg.): Fiktion und Fiktionalität in den Literaturen des Mittelalters. Jan-Dirk Müller zum 65. Geburtstag, München 2009, S. 205-234.
  • [*Kellner 2009]Kellner, Beate: ein maere will i'u niuwen. Spielräume der Fiktionalität in Wolframs von Eschenbach Parzival, in: Ursula Peters / Rainer Warning (Hrsg.): Fiktion und Fiktionalität in den Literaturen des Mittelalters. Jan-Dirk Müller zum 65. Geburtstag, München 2009, S. 175-203.
  • [*Neumann/Nünning 2009] Neumann, Birgit / Nünning, Angsar: Metanarration and Metafiction, in: Peter Hühn / John Pier / Wolf Schmid / Jörg Schönert (Hrsg.): Handbook of Narratology, Berlin / New York 2009 (Narratologia 19), S. 204-211.
  • [*Worstbrock 1999]Worstbrock, Franz Josef: Wiedererzählen und Übersetzen, in: Walter Haug (Hrsg.): Mittelalter und frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche und Neuansätze, Tübingen 1999, S. 128-142.