Der ritterliche Kampf im Parzival - ein Vergleich der Artus- und Gralswelt

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Gegenstand dieses Artikels ist die Analyse der Bedeutung des ritterlichen Zweikampfes am Artushof und in der Gralsfamilie in Wolfram von Eschenbachs Werk Parzival[1]. Im Folgenden werden beide Systeme anhand ausgewählter Textstellen verglichen[2] und ihre Stärken und Schwächen in Bezug auf den Kampf analysiert. Dabei wird untersucht, wie sich jeweils das Ideal zur realen Umsetzung verhält.

Die Bedeutung des Kampfes in der Artuswelt

Funktionsweise

Schon bei der ersten Begegnung Parzivals mit dem Fürst Karnahkarnanz wird deutlich, dass ein Ritter der Artusrunde sich über den ritterlichen Zweikampf definiert.

Mittelhochdeutsches Orginal Übersetzung
V. 124,6 - 10: ‘nu sich, swer an mich strîtes gert, "Schau her: Wenn einer mich zum Kampf fordert,
des selben wer ich mich mit slegn: dann wehre ich mich mit Schlägen.
für die sîne muoz ich an mich legn, Um mich vor den Schlägen des anderen zu bewahren, ziehe ich dieses Ding hier an,
und für den schuz und für den stich und auch zum Schutz vor Schüssen und Stichen
mouz ich alsus wâpen mich.’ muß ich die Rüstung tragen."

Ziel junger Ritter - und auch des jungen Parzivals - ist es aufgrund der eigenen ehrenvollen Taten von Artus in seinem Gefolge aufgenommen zu werden, da dies die höchste Anerkennung bedeutet. Die Tafelrunde selbst ist ein "fester Orientierungsmaßstab für ritterliche Ehre[3] " [Schu 2002: 376]. Der Erwerb der Ehre kann sowohl durch die Aufnahme durch Artus geschehen, als auch durch den Sieg über einen Artusritter[4]. Es gehört zu den allgemein anerkannten Normen, sich die Ehre durch den Sieg im Zweikampf zu erwerben [Schu 2002: 376] [Brunner 2008: 42]. Bedeutend sind dabei die Taten, von deren Nachricht der Artushof auch erfährt[5]. Bestenfalls wird die Nachricht des Sieges durch den Besiegten selbst überbracht [Brunner 2008: 42]. Auch Parzival schickt die besiegten Ritter zum Artushof und jeder einzelne von ihnen verhilft dem Protagonisten zu mehr Ruhm. Die Anerkennung durch die Gesellschaft ist in Fällen, in denen durch den Kampf unschuldige Frauen beschützt oder gerettet werden, zweifellos zu erwarten[6].

Stärken/Ideal

Die Tafelrunde folgt dem Prinzip der Gleichheit, wie auch schon der "runde" Tisch zum Ausdruck bringt. Anders ausgedrückt sind in der Theorie alle, auch der König, auf einer Ebene [Brunner 2008: 42]. Diese Vorstellung der Gleichheit ist eine sehr fortschrittliche Denkweise. Unterschieden wird nur aufgrund des bereits erwähnten Ruhmes durch Taten, sprich durch gewonnene Zweikämpfe[7]. Der Artusritter folgt dabei einer "kodifizierten Ethik" [Brunner 2008: 42]. Dem Protagonisten Parzival werden diese Handlungsregeln im Kampf vom greisen Gurnemanz von Graharz näher gebracht[8].

Mittelhochdeutsches Orginal Übersetzung
V. 171, 25-30: lât derberem bî der vrävel sîn. Laßt bei aller wilden Kühnheit auch das Mitleid zu.
sus tuot mir râtes volge schîn. Zeigt, daß Ihr meinem Rat gehorsam seid:
an wem ir strîtes sicherheit Wenn einer Euch im Kampf, um Schonen zu erkaufen,
bezalt, ern hab iu sölhiu leit sein Ehrenwort anbietet,
getân diu herzen kumber wesn, so nehmt es an und laßt ihn leben,
die nemt, und lâzet in genesn. er hätte Euch denn solche Leiden angetan, die das Herz ganz tief verwunden.

Es gehört zu dem "Ehrenkodex" eines Ritters, den Besiegen nicht zu töten, sondern in Gewahrsam zu nehmen, da Leid so vermieden werden soll. Zudem besteht stets die Gefahr, dass der Sieger in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zum Besiegten steht. Parzival hatte zuvor seinen Verwandten Ither von Gaheviez auf einer Weise getötet, die nicht einem Artusritter gebührt[9] (V.155, 4ff). Dieses Verhalten ist durch die fehlende höfische und ritterliche Erziehung der Mutter Herzeloyde verschuldet[10]. Die totale Unwissenheit über die Ritterwelt bedingt auch seine tumpheit. In seinem weiteren Werdegang hält sich Parzival an den Ehrenkodex, welchen ihn Gurnemanz lehrt.

Positiv zu beurteilen ist, dass der Hof den "Wert" eines Menschen, ungeachtet der äußeren Umstände, richtig einschätzen kann. Obwohl Parzivals tumpheit die erste Begegnung mit Rittern im Wald von Soltane dominiert, sieht Karnahkarnanz dessen außergewöhnliche Schönheit als Indiz für seine ritterliche Abstammung. Der Fürst zeigt in seinen Worten, die er zum Abschied an Parzival richtet, die Erkenntnis, dass an diesem Knaben etwas besonders ist (V.124, 17ff). Ebenso erkennt der Hof Parzivals ritterliche Art trotz seinem ersten Auftritt in Narrengewändern. Da die Tafelrunde wie gezeigt, dem Prinzip der Gleichheit und einer Trennung von Außen und Innen entspricht, ist es auch möglich, den heidnischen Freireiz als gewaltigen, ruhmvollen Ritter darzustellen: "swaz ie mit swerten wære geschehn, / 'daz ist gein diesem stritte ein niht.'" (V.755, 20f.; weiter V. 756, 10) Es zeigt sich, dass seine ritterliche Ausbildung vollkommen ist, repräsentiert durch kostbare Kleidung und Rüstung, sein vorbildliches Verhalten im Kampf mit seinem Bruder und seinem Minnediensten. (734, 29; 735, 2; 736, 25; 736, 7) Damit offenbart sich, dass das Prinzip der Tafelrunde eines der Inklusion ist, das prinzipiell alle Schranken zu sprengen vermag, sei es vermeintliche Standesschranken, wie bei Parzival oder Religiöse, wie bei seinem orientalischen Halbbruder.

Schwächen in der realen Umsetzung[11]

Es ist für einen Ritter auch möglich in moralisch fragwürdigen Kämpfen Ehre zu erlangen [Schu 2002: 377]. Parzival handelt zwar gegen die Moralvorstellungen des Artushofes, indem er Ither tötet, trotzdem lobt der Knappe Iwanet[12] den Sieger, welcher mit dieser Tat die Ehre Ithers erworben habe (V.156, 12ff). Auch von der Artusgemeinschaft selbst wird die Tat anerkannt, da es unter anderem ein Grund dafür ist, dass er in die Tafelrunde aufgenommen wird (V.280, 10ff). Kritisch wird die Handlung in dem Moment betrachtet, in welchem Trevrizient Parzivals Tötungshandlung als einer seiner zwuo grôze stünde (V.499, 20) bezeichnet.

Auch wenn der Tod im Kampf vermieden werden soll, so ist das Leid durch Ritter, die im Kampf gestorben sind, im ganzen Werk omnipräsent, insbesondere durch die Trauer der Frauen. Es verdeutlicht die grundsätzliche Gefahr, die von einem Leben als Ritter ausgeht [Schu 2002: 377]. Auch Gurnemanz musste diese leidvolle Erfahrung machen, da seine drei Kinder im Kampf gestorben sind (V.177, 23ff). Er hat ein desillusioniertes Bild des Rittertums:

Mittelhochdeutsches Orginal Übersetzung
V. 177, 25-26: sus lônt jedoch diu ritterschaft: So aber lohnt die Ritterschaft gewöhnlich ihren Mann:
ir zagel ist jâmerstrick haft. An ihrem Schwanz hat sie für ihn des Jammers Schlinge angebunden.

Der Kampf als universelle Konfliktlösung?

Die Artusgemeinschaft wird in dem Moment Teil dieser Problematik, wenn sie nicht nur keine Sanktionen erlassen, sondern auch noch eine Tat anerkennen, wie im Falle Parzivals, die nicht der Normvorstellung entspricht.[13] Ein weiteres Beispiel für die problematische Kontrolle der Gewalt und die Inkonsequenz am Artushof ist das Aufeinandertreffen von Parzival mit den Artusrittern, als diese auf der Suche nach dem roten Ritter sind. Artus hatte den Rittern zuvor das Versprechen abgenommen, dass sie erst mit seiner Zustimmung einen Zweikampf beginnen sollten. Diese Regel soll ein Ausarten von Kampf und Gewalt verhindern. Doch schon bei der ersten Gelegenheit handelt Artus inkonsequent, als einer der Ritter von ihm die Erlaubnis fordert, gegen den noch unerkannten Parzival kämpfen zu dürfen (V.283, 27ff). Ziel des Kampfes ist nicht die Verteidigung des Lagers, sondern das von Eigennutz geprägte Streben nach prîs [Pratelidis 1994: 150]. Artus reagiert zunächst abweisend und erklärt Segramors, er solle sein Temperament zügeln und verweist auf die noch bevorstehenden zahlreichen Kämpfe (V. 286, 2ff). Dennoch stimmt er letztendlich dem Zweikampf zu und lässt ihn seiner Kampfesgier nachgehen. Nach dem Scheitern Segramors stellt sich auch Artus` Seneschall Keie dem vermeintlichen Aggressor gegenüber. Er befürchtet, dass der Sieg des unbekannten Ritters den Ruf und das Ansehen des Artushofes schädigen könnte.

Mittelhochdeutsches Orginal Übersetzung
V. 290,16 - 18: ‘tavelrunder hât unêre, Die Tafelrunde ist geschändet,
ob manz im niht bezîte wert. wenn da nicht jemand einschreitet.
ûf unsern prîs sîn ellen zert. Von unserer Ehre mästet sich sein Heldentum.

Nach dem erneuten Scheitern eines Ritters der Tafelrunde, schafft erst Gawan durch den Verzicht auf den ritterlichen Zweikampf Parzival aus seiner Minneversunkenheit zu befreien (V.299, 27ff). Gawans besonnene Art steht im Kontrast zur destruktiven Aventiuresucht der zwei Artusritter. "Der ritterliche Zweikampf, das macht Wolframs Konzeption der Blutstropfenszene deutlich, ist nicht das geeignete Mittel, die vermeintliche Herausforderungssituation einer Lösung zuzuführen. Der Idee des Rittertums werden hier deutlich Grenzen gesetzt" [Pratelidis 1994: 151]. Wie schon in der ersten Szene am Artushof fällt auch hier ein kritisches Licht auf die Ritter der Tafelrunde [Schu 2002: 379].

Die Ehre als Maß aller Dinge

Parzival wird ehrenvoll in die Tafelrunde aufgenommen, doch schon kurz darauf wird sein neuer Platz in Frage gestellt. Die Gralsbotin Cundrie verflucht Parzival und betrachtet seine Angehörigkeit zur Tafelrunde als Entehrung dieser. Auch wenn Parzival nicht vom Hof ausgeschlossen wird, so bricht er auf, um seine Ehre wiederzuerlangen. Diese Abgang zeigt den hohen Stellenwert der Ehre für einen Ritter. Auch Gawan ergeht es nicht besser, da Kingrimursel ihn beschuldigt seinen Herrn heimtückisch erschlagen zu haben und aus diesem Grund ihn zum Zweikampf herausfordert (V.320, 15ff). Gawan ist nicht getrieben von Kampfeslust, wie bereits in seiner Begegnung mit Parzival deutlich wurde. Nichtsdestotrotz muss er sich der Herausforderung stellen, um, wie auch schon Parzival zuvor, seine Ehre wiederzuerlangen (V.325, 5ff).

Die Thematik der Ehre, die im Kampf erlangt und bestätigt werden muss, unabhängig vom Willen zu kämpfen, wird auf Gawans Weg nach Schanpfanzun[14] aufgegriffen [Schu 2002: 381]. Er gerät in einen Gewissenskonflikt, als er auf einen militärischen Aufmarsch trifft:

Mittelhochdeutsches Orginal Übersetzung
V. 350, 1-7: Er dâhte ‘sol ich strîten sehn, Er überlegte nämlich: "Wenn ich den anderen beim Kämpfen zusehe
und sol des niht von mir geschehn, und ich selber muß mich da heraushalten,
sost al mîn prîs verloschen gar. so ist all mein Ruhm erloschen.
kum ab ich durch strîten dar Wenn ich aber zum Kämpfen dorthin gehe
und wirde ich dâ geletzet, und werde dann aufgehalten,
mit wârheit ist entsetzet so ist ohne jeden Zweifel
al mîn werltlîcher prîs. mein Ruhm bei den Menschen niedergeworfen.

Gawan schafft es letztendlich beiden Verpflichtungen nachzugehen und sowohl durch den Kampf vor der Stadt Bearosche êre und prîs zu erlangen, als auch sich seinem Zweikampf in Schanpfanzun zu stellen. Es ist bemerkenswert, dass auch Parzival unerkannt im gegnerischen Lager Ehre und Ruhm durch siegreiche Kämpfe erwirbt. Folglich spielt es keine Rolle auf welcher Seite man Kämpf, es zählt nur der Sieg. Beide handeln nach dem Ehrenkodex, da sie ihre Gegner gefangen nehmen.

Minne und Kampf[15]

Der Kampf vor Bearosche ist aber auch ein Beispiel für die negative Seite des Kampfes. Gawan erfährt im Kampf durch die umgekehrten Schilder der Berteneisen vom Tode Ilinot (V.383, 1ff). Auch Artus Sohn musste im Kampf sterben. Diese Szene erinnert an Gahmurets Kampf in Kanvoleis, wo er auch durch umgedrehte Schilder von dem Tod seines Bruders erfährt (V.80, 6ff). Sowohl Ilinot als auch Galeos starben im Minnekampf. "Die intratextuelle Referenz dient hier dazu, an das Thema der in Minnekämpfen Getöteten zu erinnern, die aporetische Verknüpfung von Minne und Kampf wird so als Problemhorizont memoriert" [Schu 2002: 382]. Da jedoch der Kampf im Falle einer Belagerung der letzte Lösungsweg - die ultima ratio - ist, kann Gawans Kampfeinsatz als notwendiges Mittel gesehen werden.


Die Bedeutung des Kampfes in der Gralswelt

Funktionsweise

Die Gralsgemeinschaft funktioniert nach anderen Regeln als das höfische Artusrittertum. Es ist ein Art christlicher Ritterorden, der im Dienste des Grals in völliger Abgeschiedenheit in seinem Bereich Terre de Salvaesche lebt [Brunner 2008: 46]. Die Ritter der Gralsgemeinschaft sind defensive Kämpfer, da ein Kampf nur durch die Verteidigung des eigenen Territoriums legitimiert ist [Schu 2002: 387]. Falls es zum Kampf kommt, wird dieser auf eine sehr aggressive Weise geführt und endet für einen meist tödlich [Pratelidis 1994: 157].

Mittelhochdeutsches Orginal Übersetzung
V. 492, 8-10: si nement niemens sicherheit, Die geben niemals Pardon,
si wâgnt ir lebn gein jenes lebn: sie setzen ihr Leben gegen das des anderen auf die Waage:
daz ist für sünde in dâ gegebn. Das ist ihnen aufgegeben für Sünde.


Der Kampf auf Leben und Tod steht im Kontrast zum arturischen Ehrenkodex, der eine Gefangennahme vorsieht.

Stärken/Ideal

Obwohl der Kampf nur den Zweck der Verteidigung hat, ist er ein fester Bestandteil der Gralsritterschaft [Pratelidis 1994: 157]. Er dient allerdings nicht primär dem eigenen Ruhm oder der Ehre, sondern der Gemeinschaft. Aufgabe der Ritter ist es das Gralsgeheimnis zu schützen (V.473, 5ff). Die christlich-religiöse Prägung des Gralsrittertums könnte eine Erklärung für diese Haltung zum Kampf sein. Diese Vorstellung einer defensiven Streitmacht ist eine moderne Sichtweise, die auch heute noch in unserer Gesellschaft verankert ist. Diese Einschränkung auf den Verteidigungsfall verhindert sinnlose Kämpfe, wie sie oft bei der Artusgemeinschaft vorkommen.

Schwächen in der realen Umsetzung

Obwohl ein Kampf in der Gralsgesellschaft nur durch die Verteidigung des eigenen Territoriums legitimiert ist, werden trotzdem immer wieder Kämpfe aus anderen Beweggründen geführt. Auch die Gralsritter stellen sich dem Kampf, um die Liebe einer Dame für sich zu gewinnen. Die Bewährung in Minnekämpfen ist nicht nur in der Artusgesellschaft eine weit verbreitete Praxis. Auch die weiblichen Mitglieder der Gralsgemeinschaft wählen, insofern es möglich ist, unter den Männern den "besten Ritter" als Ehemann aus und wenden damit die gleichen Kriterien an wie auch die Frauen am Artushof. Ein Zweikampf ist die gängigste Form der Dame zu zeigen, dass sie einem geehrte Ritter ihre Minne schenkt [Schu 2002: 386]. "Hier zeigt sich einmal mehr, daß sich in der Hochschätzung erfolgreichen Kampfesmuts Artus- und Gralswelt nicht prinzipiell unterscheiden" [Schu 2002: 386].

Leid durch Minnekämpfe

Das Leid und die Trauer, welches aus dieser Art des Liebesbeweises erwächst, finden sich somit auch der Gralsgemeinschaft wieder. Eine zentrale Figur, die das Leider der Frauen verkörpert, ist Parzivals Cousine Sigune. Ihr Geliebter Schianatulanders starb bei einem Zweikampf gegen Orilus. Sigune fühlt sich mitverantwortlich für seinen Tod, da sie seine Bewährung im Minnekampf forderte:

Mittelhochdeutsches Orginal Übersetzung
V. 141, 17-24: in unser zweier dienste den tôt in deinem und meinem Dienst hat er den Tod
hât er bejagt, und jâmmers nôt für sich erjagt, und für mich aber hoffnungslose
mir nâch sîner minne. Sehnsucht nach seiner Liebe.
ich hete kranke sinne, Schwachsinnig war ich,
daz ich im niht minne gap: daß ich ihm nicht Liebe geben wollte!
des hât der sorgen urhap So hat denn der erste Grund allen Leids
mir Freude versehrôten: auch mein Glück zerhauen.
nu minne i`n alsô tôten. Jetzt bin ich die Geliebte dieses Toten.

Parzival kreuzt ihren Weg vier mal im Laufe der Handlung und in jeder ihrer Begegnungen ist ihre tiefe und verzweifelte Trauer allgegenwärtig. Bei ihrem ersten Treffen hält die klagende Sigune ihren toten Geliebten im Arm (V.138, 9ff), den sie auch Jahre später einbalsamiert auf einer Linde betrauert (V.249, 11ff). Die Trauer hat sie auch einige Jahre später nicht überwunden, als Parzival ihr in einer Klausel begegnet, in welcher sie Schionatulander in einem Sarg bestattet hat (V.435, 2ff). Bei ihrer letzten Begegnung findet Parzival seine Cousine tot vor dem Sarg. „Sigune ist ihrem Geliebten nachgestorben“ [Bumke 2004: 120]. Sie wird in den Sarg Schionatulanders gebettet und beigesetzt (V.804, 4ff). Sigune zeigt durch die selbst gewählte Isolation ein Leben lang Reue für ihr Verhalten und wird zu einer zentralen Leidens-Figur im Text [Schu 2002: 385]. Sie ist aber mit ihrem Leid, welches seinen Ursprung im Minnekampf hat, kein Einzelfall, sondern steht repräsentativ für die trauernden Frauen in der höfischen Gesellschaft.

Auch Anfortas, der Gralskönig, selbst bringt Leid in die Gralsgemeinschaft, indem ihm ein Heide im Minnekampf eine nicht heilende Wunde zufügte. Dieses tat er noch als einfacher Gralsritter für seine Geliebte Orgeluse. Damit verstößt Anfortas sowohl gegen das Keuschheitsgebot, welches den Rittern weltliche Liebe untersagt, als auch gegen die Regel, die einen Kampf nur im Verteidigungsfall legitimiert.

Leid durch aggressive Verteidigungskämpfe

Die äußerst aggressive Weise der Verteidigung, der Kampf auf Leben und Tod, ist auch eine Quelle für Schmerz und Leid. Es ist jedoch nicht ersichtlich, weshalb die Tötung des Gegners eingefordert wird, wenn es um die Verteidigung des Gralsterritoriums geht. Allein die Tatsache, dass die Burg nicht mit Absicht gefunden werden kann, wie auch Parzival durch seine lange Suche zeigt, wirft ein kritisches Bild auf Gralsgesellschaft. Es wird deutlich, dass die Gralswelt kein "utopisch anmutender Friedensbezirk" [Pratelidis 1994: 122] ist. Dieses Verhalten steht im Gegensatz zum Ehrenkodex der Artusritter, die die Tötung des Gegners versuchen zu vermeiden.

Bei ihrer zweiten Begegnung von Parzival und seiner Cousine berichtet Sigune ihm, dass schon viele Männer den Tod im Bereich Terre de Salvaesche gefunden haben:

Mittelhochdeutsches Orginal Übersetzung
V. 250, 3-10: si sprach 'ez [ist] widerzæme' sie sagte: "Es ist ganz ungewöhnlich,
daz iemen an sich næme daß jemand eine Reise
sîne reise in dise waste. in dieses wüste Land unternommen haben sollte.
unkundem gaste Dem Fremden, der sich nicht auskennt,
mac hie wol grôzer schade geschehn. kann hier leicht böses Unglück zustoßen.
ich hânz gehôrt und gesehn Ich habe gehört und gesehen,
daz hie vil liute ir lîp verlurn, daß viele Leute hier den Leib verloren
die werlîche`n tôt erkurn. und den Tod gefunden haben mit Waffen.

Ein Anreiz für die Ritter, den Kampf auf Leben und Tod zu führen, ist die Option, im Falle des eigenen Todes das Himmelreich zu erwerben [Schu 2002: 388]. Dieses steht jedoch im Kontrast zu dem Leid und dem Schmerz, welche durch den Tod ausgelöst werden, und der Gefahr einen Verwandten zu töten. Dass Ethos und die Regelung im Widerspruch zueinander stehen, wird durch die These der Verwandtschaft aller Menschen[16] durch Trevrizent aufgezeigt (V.465, 1ff). Unter der Annahme dieses Verwandtschaftssystems stellt sich folglich die Frage, inwiefern die Tötung eines Eindringlings gefordert werden kann, der prinzipiell ein Verwandter ist. Gerade der Kontrast zum Schonungsgebot der Artusritter fordert ein kritisches Hinterfragen dieser Vorgehensweise. "Die postuliere Idealität des Gralsreiches wird durch diesen 'Mangel an Menschlichkeit' nicht unwesentlich relativiert" [Schu 2002: 389].


Fazit

Vergleicht man Artus- und die Gralswelt hinsichtlich des ritterlichen Kampfes, so zeigen beide Modelle Stärken und Schwächen. Während die Intention zum Kampf in der Gralsgemeinschaft im Idealfall nur die Verteidigung ist, so fordert die Ritterkonzeption am Artushof keinen Kampf zu scheuen. Die Artusgesellschaft hat wiederum einen gesellschaftlich verträglicheren Umgang mit den Besiegten, da diese laut ihrem Ehrenkodex verschont werden sollen. Deutlich radikaler ist die Gralsgemeinschaft, die um Leben und Tod kämpfen und keine Gefangenen dulden. Im Hinblick auf den Ehrerwerb durch einen Kampf unterscheiden sich die Modelle nicht.

Dass das Ideal nicht unbedingt der Wirklichkeit entspricht, zeigt sich sowohl in der Artus- als auch in der Gralswelt. Am Artushof kann auch durch fragwürdige Kämpfe Ruhm und Ehre erlangt werden, was auch zu grundlosen Auseinandersetzungen führt. Es besteht die Gefahr, dass die Gewalt ausartet. Leid und Schmerz durch den Tod im Zweikampf kann auch das Schonungsgebot nicht gänzlich verhindern. Auch in der Gralsfamilie entsteht immer wieder Leid durch Kämpfe, insbesondere wenn es um die Minne einer Frau geht. Aber auch die Radikalität, mit der die Gralsritter kämpfen, hat schon viele das Leben gekostet. Das Modell der Ritterschaft und der Tod sind untrennbar miteinander verbunden.

Die Analyse beider Modelle zeigt, dass die Stärken der einen die Schwächen der anderen enthüllen und somit kein System dem anderen überlegen ist. "Die Verdopplung der gesellschaftlichen Bezugsräume dient also (...) der Relativierung und Entidealisierung: eine positive Utopie zeichnet sich nicht ab, dafür aber in Ansätzen ein positives zur Konfliktvermeidung, durch Beschränkung ritterlicher Kämpfe auf den Verteidigungsfall (...) zum einen, durch die Umsetzung des Schonungsgebots zum anderen" [Schu 2002: 390].

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

[*Parzival] Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.

Sekundärliteratur

[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach. Achte Auflage. Stuttgart/Weimar: 2004.

[*Brunner 2008] Brunner, Horst: Annäherungen. Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Berlin: Schmidt 2008.

[*Delabar 1990] Delabar, Walter: Erkantiu Sippe unt hoch Gesellschaft. Studien zur Funktion des Verwandtschaftsverbandes in Wolframs von Eschenbach Parzival, in: Ulrich Müller & Franz Hundsnurscher & Cornelius Sommer (Hrsgg.), Göppinger Arbeiten zur Germanistik, Nr, 518, Göppingen 1990.

[*Haubrichs 1996] Haubrichs, Wolfgang: Ehre und Konflikt. Zur untersubjektiven Konstitution der adeligen Persönlichkeit im frühen Mittelalter, in: Kurt Gärtner u.a. (Hrsgg.): Spannungen und Konflikte menschlichen Zusammenlebens in der deutschen Literatur des Mittelalters : Bristoler Colloquium 1993. Tübingen 1996, S. 35-58.

[*Pratelidis 1994] Pratelidis, Konstantin: Tafelrunde und Gral. Die Artuswelt und ihr Verhältnis zur Gralswelt im Parzival "Wolframs von Eschenbach". Würzburg: Königshausen und Neumann 1994.

[*Schu 2002] Schu, Cornelia: Vom erzählten Abenteuer zum Abenteuer des Erzählens. Überlegungen zur Romanhaftigkeit von Wolframs Parzival. Frankfurt am Main: Lang 2002.

Fußnoten

  1. Im Folgenden stets zitierte Ausgabe: [Parzival].
  2. Ein allgemeiner Vergleich wird im Artikel Tafelrunde und Gralsgesellschaft (Wolfram von Eschenbach, Parzival) gemacht.
  3. Warum êre so wichtig für die Feudalaristokratie ist, ergibt sich aus ihrem Standesbewusstseins. Der Adel definiert sich selbst als Kriegerkaste und damit sind Fähigkeiten und Erfolg im Kampf entscheidend für Prestige und soziale Stellung im hierarchischen Gesellschaftsgefüge. êre ist dabei ein nach außen gerichtetes öffentliches Gut, definiert als Ruf, Ansehen oder guter Name. Hauchbrichs spricht im Zusammenhang von fehlender Ehre von dem Menschen als unbelegte Puppe, dem das Eigentlich des Menschseins fehlt. Damit ist Ehre identisch mit Leben, macht dieses sogar mit aus. Dabei arbeitet er heraus, dass das Herzstück von Ehre Tapferkeit ist, die sich nur im Kampf manifestieren kann.[Haubrichs 1996:35 f.]
  4. Orilus beispielsweise rühmt sich mit dem Sieg über acht Ritter der Tafelrunde (V.135,7-12)
  5. "Der Artushof ist ein Art Katasteramt dieses Ruhmes - nur jene Tat zählt, die dort gemeldet wird (...)." [Brunner 2008: 42]
  6. Beispiele für einen Kampf, welcher der Befreiung einer in Bedrängnis geratenen Dame dient, sind Gahmurets Einsatz für Belakane und Parzivals erfolgreicher Kampf den Clamide.
  7. vgl. [Pratelidis 1994: 148]: "Die ritterliche Bewährung ist ein Kernelement arturischen Denkens, nach dem sich das Ansehen der einzelnen Ritter bemißt."
  8. Näheres zu den Lehren des Gurnemanz: Die theoretische und praktische Ausbildung Parzivals durch Gurnemanz
  9. Parzival besiegt Ither nicht in einem regulären ritterlichen Kampf mit Schild und Speer, sondern mit einem Wurfspieß (V.159,9ff)
  10. Ausführlicher hierzu: Parzivals Erziehung durch Herzeloyde und ihre Folgen
  11. Weite Indizien für einen defizitären Zustand des Artushofes und Erklärungsversuche für diese Konditionen bietet der Artikel Paradoxon der Gewalt im Parzivalbei den Unterpunkten "Das dynastische Defizit am Artushof" und "Die Normhorizonte und ihre Korrumpierung.
  12. Iwanets Verständnis des Kampfes, dessen einziges Ziel das Lob der Frauen ist, zeugt von kindlicher Naivität und versinnbildlich die unausgereifte Stufe des arturischen Rittertums [Pratelidis 1994: 148f]
  13. Bei diesem Vorfall ist allerdings zu beachten, dass Artus laut Delabar keine andere Möglichkeit bleibt, auf Ithers "Putschversuch" zu reagieren. Da Ither zu seiner eignen Sippe gehört, ist es ihm nicht erlaubt, einen Kämpfer zu schicken um diese Streitigkeit beizulegen, denn das würde gegen das sippeninterne Tötungsverbot verstoßen. Parzival, ein vermeintlicher Externer, ist demnach das einzige Mittel um seinen drohenden Ehrverlust, durch die Gefährdung Ithers zu verhindern.[Delabar 1990: 100 f.] Infolgedessen muss die Tafelrunde Parzivals Taten anerkennen. Es findet eine Hierarchisierung von Machtsicherung und Tötungsverbot statt, die zwangsläufig zugunsten des Erhalts von Artus Königswürde ablaufen muss. Trotz seiner Zwangsläufigkeit ist dieses Vorgehen im Roman negativ konnotiert, wie Ginovers Klagen darüber verdeutlichen(V.160,2 ff.). Dies beweist, dass der ritterliche Zweikampf und damit die Idee des Rittertums in Konfliktsituationen, beispielsweise innerhalb einer Sippe, an seine Grenzen stößt.
  14. Näheres hierzu: Gawans Abenteuer auf dem Weg zum Gerichtskampf gegen Kingrimursel (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
  15. Nähres hierzu:Verbindung von Tod, Kampf und Minnedienst
  16. Näheres zu den verschiedenen Verwandschaftssystemen und der These von der Verwandtschaft aller: Verwandtschaftssysteme im Parzival (Wolfram von Eschenbach)