Würfelspielmetaphorik
Eines der auffallendsten Merkmale der Sprache in Wolframs von Eschenbach Parzivalroman, ist ihre Bildlichkeit, nicht nur in ihrer Fülle, sondern vor allem ihrer Qualität wegen.[Hüning 2000: 13] Eines dieser bildlichen Motive ist da des Würfels aufgegriffen, welches mit Begriffen wie Unberechenbarkeit und der Zufälligkeit eines Geschehens assoziiert wird. Jedoch sind im Parzival gerade Bestimmung und göttliche Vorhersehung zentrale Themen. Somit zeigt sich mit der Würfelspielmetaphorik eine gewisse Spannung zwischen der scheinbaren Zufälligkeit von Ereignissen und prädestinierten Schicksalen. Ziel dieses Artikels ist es, einige Schlüsselszenen des Parzival, wie Parzivals Geburt und Parzivals Verfehlung in der Gralsburg hinsichtlich ihrer Würfelspielmetaphorik zu betrachten und zu analysieren. Weiterhin wird auch die Repräsentation dieser Würfelspielmetaphorik auch in Bezug auf die mînne und die Erzählebene genauer betrachtet werden.
Parzivals Geburt
Das Motiv der Würfelspielmetaphorik ist an vielen Stellen im Parzival präsent, wie auch bei der Geburt des Helden (112,9-12), wo es heißt:
hiest der âventiure wurf gespilt | Hier hat nun die Aventiure ihren ersten Wurf getan, |
und ir begin ist gezilt: | ihr Ziel ist aufgesteckt: |
wand er ist alêrst geborn, | Denn erst jetzt ist der geboren, |
dem diz mære wart erkorn. | dem diese Geschichte bestimmt war. |
Parzivals Geburt wird als erster Wurf der âventiure beschrieben, die also somit erst mit diesem Ereignis ihren Anfang findet – erst mit Parzivals Geburt kann das Spiel beginnen. Jedoch wirft diese Stelle die Frage auf, inwiefern dieser erste Spielwurf ein zufälliges Ereignis ist, da Parzival von Anfang an als Held der Geschichte bestimmt war. Handelt es sich hierbei nun um das Ergebnis eines zufälligen Würfelwurfs oder das einer Kalkulation? Bereits im Prolog (4,23-26) sagt der Erzähler Parzivals Geburt voraus:
den ich hie zuo hân erkorn, | Den ich hier im Auge habe, |
er ist mæreshalp noch ungeborn, | der ist von der Geschichte her noch ungeboren, |
dem man dirre âventiure giht | von dem man diese Abenteuer sagt |
und wunders vil des dran geschiht. | und die vielen Wunder, die da geschehen werden. |
Mit seiner Geburt wird Parzival zu diss mæres sachewalte (112, 17), also zu der Person, die die Geschichte verwaltet . Die Leitung übernimmt jedoch, ab der Geburt des Helden, die würfelnde âventiure, wobei dem Erzähler nur die Rolle des Beobachters zukommt, der das Ereignis beschreibt. Schneyder argumentiert, dass Parzivals Geburt durch die Verwendung der Würfelspielmetaphorik, als ein kontingentes Ereignis einer komplexen Würflerei gezeigt wird, die schließlich zur Verbindung von Parzivals Eltern führt. [Schnyder 2002: 311]. Die Metaphorik des Würfels stört die Zielgerichtetheit der Erzählung, zumindest auf der Bildebene, da neben dem Element der Vorbestimmung auch das der Zufälligkeit präsentiert wird. Schneyder fasst die Überlegungen wie folgt zusammen:„Der mæreshalp noch nicht geborene, aber zur Erzählung auserwählter Held, wird erst durch das realisierte Erzählen in Zeit und Raum eingegliedert und erhält im Moment seiner Geburt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Konsequenz der Ereignisse aber wird bestimmt durch das Würfelglück der âventiure.“ [Schnyder 2002: 312]
Verfehlungen in der Gralsburg
248,10-14
umbe den wurf der sorgen | Es war ein Unglückswurf, |
wart getoppelt, do er den grâl vant, | der da im Spiel geschah, als er den Grâl erblickte: |
mit sînen ougen, âne hant | Zwei Augen hatte er, auf keinem Würfel |
und âne würfels ecke. | und von keiner Hand geworfen. |
Die Minne als Würflerin
292,9-12
ir habt mir mangel vor gezilt | Ihr habt mir nichts als Mangel vorgegeben, |
und mîner ougen ecke alsô verspilt | meine Augen habt Ihr über die scharfe Kante des Würfels springen lassen und verspielt |
daz ich iu niht getrûwen mac. | - ich kann Eurer Treue nicht mehr trauen: |
mîn nôt iuch ie vil ringe wac. | Meine Not hat Euch immer herzlich wenig gekündigt. |
Das Würfelspiel des Erzählens
2,9-16
dar an sie nimmer des verzagent, | Was das betrifft, ist sie ganz unbekümmert: |
beidiu si vliehent unde jagent, | mal flieht sie, mal stürmt sie nach vorn, |
sie entwîchent unde kêrent, | sie zieht sich zurück, sie kehrt sich um; |
sie lasternt unde êrent. | die einen stürzt sie in Schande, die anderen hebt sie empor. |
swer mit disen schanzen[1] allen kan, | Wer da noch mithalten kann bei sämtlichen Kandenzen, |
an dem hât witze wol getân, | den hat die Weisheit lieb - |
der sich niht versitzet noch vergêt | das ist der, der sich nicht verhockt und nicht verrennt, |
und sich anders wol verstêht. | er macht was andres: Er versteht sich drauf. |
Fazit
Literaturverzeichnis
Textausgabe
Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der ‚Parzival’-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
Sekundärliteratur
<HarvardReferences /> [*Hüning 2000]: Hüning, Heinrich: Würfelwörter und Rätselbilder im Parzivalprolog Wolframs von Eschenbach. Europäische Hochschulschriften, Bd. 1767. Frankfurt am Main: Peter Lang, 2000. <HarvardReferences /> [*Nellmann 1994]: Nellmann, Eberhard : Dichtung ein Würfelspiel? Zu 'Parzival' 2,13 und 'Tristan' 4639. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur Bd. 123/ 1994, Heft 4, S. 458-466. <HarvardReferences /> [*Schnyder 2002]: Schnyder, Mireille: Glücksspiel und Vorsehung. Die Würfelspielmetaphorik im 'Parzival' Wolframs von Eschenbach. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur Bd. 131/ 2002, Heft 3, S. 308-325.
Anmerkungen
- ↑ schanze kommt aus dem Altfranzösischen und es bedeutet so viel wie 'Fall der Würfel' oder auch Zufall. Wolfram scheint es in die deutsche Literatur eingeführt zu haben und verwendet es häufig. Vgl.[Nellmann 1994: 460]