Narrenkleid und Rüstung: Standesidentität im Parzival

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Hinweis: Dieser Artikel entsteht derzeit im Rahmen des Haupt- und Oberseminars zu Wolframs Parzival (Sommersemester 2015) und befindet sich noch in der Entstehung und wird deshalb noch häufig überarbeitet werden.


Der Ritterstand im Parzival[1] ist schwer zu fassen und eine übergreifende Standesidentität nicht leicht zu finden. Was macht einen Ritter zum Ritter? Besonders am Beispiel Parzival selbst steht die Erziehung als zentrales Kriterium im Raum, denn gerade durch sein gezielt antihöfisches Aufwachsen im Wald soll Gahmurets Sohn von einem ritterlichen Leben ferngehalten werden. Dies gelingt jedoch nicht, da die höfische Erziehung, wie sich an der Entwicklung Parzivals zeigt, nachgeholt werden kann.
Dem gegenüber stehen diverse Textpassagen in denen der ritterliche Prunk und die profane Zurschaustellung von Luxus als äußeres Merkmal von Ritterlichkeit und Adel festgehalten werden. Parzival vertritt, dazu passend, anfangs die Meinung, dass eine Rüstung genüge, um ihn zum Ritter zu machen. Dies führt zur gewaltsamen Auseinandersetzung mit seinem Verwandten Ithêr, die mit dessen Tod endet. Demnach spielt der Kampf ebenfalls eine Hauptrolle bei der Bildung einer Standesidentität. Hierbei ist hervorzuheben, dass es sich bei Parzival zu diesem Zeitpunkt eben noch nicht um einen Ritter handelt. Der ritterliche Kampf umfasst einerseits feste Normen und andererseits die Nutzung bestimmter Waffen, nämlich Lanze und Schwert. Indem Parzival Ithêr also mit einem Wurfspieß tötet, gibt er sich gleich doppelt als „Nichtritter“ zu erkennen. Das unausgesprochene Gebot zur Schonung von Besiegten setzt klar eine moralische Komponente in der Standesidentität voraus.
Problematisch wird dies jedoch, als Parzivâl die Rüstung des Toten an sich nimmt und dadurch trotzdem zum Ritter wird. Der Knappe Iwânet bringt ihm zwar vor seinem Aufbruch vom Artushof die Grundbegriffe des ritterlichen Kampfes bei, Parzival durchläuft aber weder eine Knappenphase noch wird er durch die Schwertleite förmlich zum Ritter gemacht.

Religionszugehörigkeit und Erziehung als Kriterium einer übergeordneten Standesidentität?

Religion scheint in Wolframs Parzival kein Teil der ritterlichen Standesidentität zu sein. Als Parzival und dessen Bruder Feirefiz aufeinandertreffen, finden sich bei dem Heiden dieselben Zuschreibungen von Ehre, Mut und Stärke wie bei christlichen Rittern. Selbst die Art zu kämpfen ist über die Religionsgrenze hinweg gleich. Zudem wird Feirefiz im Text explizit als Ritter bezeichnet:

Original Übersetzung
[…] daz nie von rîters hand geschach dass mich aber niemals eines Ritters Hand
mir groezer nôt, für wâr ichz weiz, so arg in Bedrängnis brachte wie Eure,
dan von iu,‘ sprach der von Kanvoleiz. das weiß ich ganz gewiss. So sprach der aus Kanvoleiz (V. 749,12 – 14)


Dies trifft auch auf andere heidnische Vertreter zu, wie beispielsweise auf den König von Alexandria, der für Gahmurets Tod verantwortlich ist und vom Erzähler ebenfalls als Ritter betitelt wird. Religion scheint nur dann ein Problem darzustellen, wenn es sich um die Gralsgesellschaft handelt. Als Heide ist es Feirefiz dort bis zu seiner Taufe nicht möglich den Gral zu sehen. Was die eingangs erwähnte Erziehung anbelangt, so scheint diese im Gegensatz zur Religionszugehörigkeit zwar ein durchaus wichtiges Standesmerkmal zu sein, kann aber auch nachgeholt werden. Gerade bei Parzival fällt dies auf, der von seiner Mutter in ein Narrenkleid gesteckt wird und mit schlechter Etikette als das Negativabbild eines Ritters in die Welt entlassen wird. Während diese Grundkonstellation anfangs zu einigen schweren Verfehlungen führt, erlernt Parzival Schritt für Schritt die Tugenden und Verhaltensweisen, die am Ende seiner âventiuren Voraussetzung für einen Ritter und Gralskönig sind. Egal ob es sich um die Unterweisung im ritterlichen Kampf durch den Knappen Iwanet handelt oder das Erlernen des höfischen Benehmens von Gurnemanz, die Erziehung verknüpft alle wesentlichen Eckpfeiler des Ritterstandes miteinander. Sie stellt also weniger ein Standesmerkmal im engeren Sinne dar, sondern dient zur Vermittlung der allgemeinen Standesidentität. Wann sich die Erziehung abspielt, scheint zunächst unwichtig. Im optimalen Fall jedoch findet sie in jungen Jahren statt.

Anders verhält es sich mit der Abstammung. Die engen verwandtschaftlichen Beziehungen der Figuren untereinander schaffen einen großen Sippenkomplex, der maßgeblich zur Identitäsbildung beiträgt. Gerade der umfangreiche genealogische Verweis auf Parzivals Abstammungslinie, bis zu seinem Großvater väterlicherseits, macht deutlich, wie essentiell der adelige Familienhintergrund als Grundvoraussetzung für einen ritterlichen Werdegang ist. Dies ist aus historischer Perspektive nicht verwunderlich und Wolframs Parzival bildet hierbei keine Ausnahme.


Verbindende Charaktereigenschaften und höfische Tugenden

Kampf und Gewalt als Zentrales Merkmal einer Kriegerkaste

Siehe hierzu auch:Kampf- und Todesdarstellungen im Parzival

Wie bereits eingangs betrachtet und immer wieder darauf verwiesen, gehört auch der Kampf zur ritterlichen Standesidentität. Dieser findet in Wolframs Parzival ausschließlich unter Standesgenossen statt. Konkret handelt es sich dabei um den Tjost, das Lanzenstechen in voller Rüstung zu Pferd. Vereinzelt geht der Kampf nach dem zerbrechen der Lanzen mit dem Schwert weiter oder, falls beide Kontrahenten aus dem Sattel geworfen wurden, zu Fuß. Jene Art zu Kämpfen ist sowohl bei Christen, als auch Heiden gleich. Pferd, Lanze, Schwert und Rüstung grenzen den Ritter hierbei von der, im Parzival nicht zu findenden, nichtadeligen Art zu kämpfen ab. Für den Ritterstand scheint der Kampf und die Gewalt jedoch nicht nur Notwendigkeit im kriegerischen Alltag zu sein, sondern wird auch als Teil von Machtkommunikation genutzt. Wann immer zwei Parteien aufeinandertreffen, stellt der Kampf einen Lösungsprozess von Interessenskonflikten dar. Im Sinne Luhmanns äußert sich die Macht innerhalb der adeligen Gesellschaft als ein Symbolisch Generalisiertes Kommunikationsmedium, dessen symbiotisches Symbol der Kampf bzw. die Gewalt darstellt.[Horster 1997: vgl S. 141]
Bei einem Symbolisch Generalisierten Kommunikationsmedium handelt es sich um eine allgemein anerkannte Form der Kommunikation und dient zum Austausch oder der Überbrückung von Differenzen.[Horster 1997: vgl. S. 134] Da der Kampf Ausdruck von Machtkommunikation darstellt, ist es aus der daraus resultierenden Häufigkeit nötig, eine Form der Reglementierung zu finden, damit der Ritterstand nicht Gefahr läuft sich selbst zu vernichten. Aus diesem Grund beinhaltet der ritterliche Kampf eine moralische Komponente, die sich ebenfalls abgrenzend zum „gemeinen“ Soldaten oder Mörder verhält. Obwohl nie explizit erwähnt, scheint es ein Gebot der Schonung nach Beendigung eines bewaffneten Konfliktes zu geben. Natürlich stellt der Tod auch weiterhin eine reale Gefahr dar, die der Roman an verschiedener Stelle auch aufgreift, allerdings handelt es sich bei ihm eher um Unfälle oder wird mit unritterlichem Verhalten begründet. Dieser Verweis auf unritterliches Verhalten, das als erstes in der Gahmuret-Handlung auftritt, belegt die Existenz und Wichtigkeit des genannten Gebots zur Schonung des Unterlegenen. Gahmuret stirbt zwar durch einen Standesgenossen, dieser handelt jedoch durch eine List und bösen Zauber entgegen den höfischen Erwartungen, was zu einer insgesamt negativen Konnotation führt:

Original Übersetzung
gunêrtiu heidensch witze Verfluchte heidnische List
hât uns verstoln den helt guot. hat uns den edlen Helden gestohlen.
ein ritter hete bockes bluot Ein Ritter hatte nämlich das Blut eines Bocks
genomen in ein langez glas: in ein langes Glas getan,
daz sluoger ûf deb adamas das schlug er auf dem Adamas [Gahmurets Helm] entzwei:
dô wart er weicher danne ein swamp. Da wurde er noch weicher als ein Schwamm. (V. 105,16 - 21)


Infolge dieser unritterlichen List wird der nachfolgende Todesstoß gegen Parzivals Vater erst ermöglicht.

Im Regelfall endet der Kampf jedoch wieder in einer Machtkommunikation, bei der die Macht des Siegers zusammen mit den Wahlmöglichkeiten des Unterlegenen steigt.[Luhmann 2003: vgl. S. 8] Konkret am Text zeigt sich immer wieder, dass Parzival seine besiegten Kontrahenten als Boten an den Artushof schickt, um eine Nachricht zu überbringen. Diese haben trotz des Versprechens, welches sie Parzival geben in der Theorie die Wahlmöglichkeit, ob sie dem nachkommen oder nicht. Maßgeblich an der Entscheidung beteiligt sind dabei die ritterliche êre bzw. triuwe, sodass alle ihrem Versprechen nachkommen und Parzivals Macht dadurch bestätigen.

Ähnlich wie die Darstellung des Körpers verbindet auch der Kampf verschiedene Elemente der Standesidentität miteinander. Auslöser für Kämpfe sind nicht selten Minneszenarien und der Kampf selbst wird in seinem formalen Ablauf durch das ritterliche Tugendsystem bestimmt.

Der ritterliche Körper als Ausdruck ständischer Vollkommenheit?

Der ritterliche Körper wird im Parzival sehr allgemein beschrieben und weist aus heutiger Sicht kaum Merkmale auf, die zur Identifikation für eine Figur dienen könnten. Vielmehr handelt es sich um eine Aufzählung verschiedener Körperteile und der Beschreibung ihrer Vorzüge.[Holland 2005: vgl. S. 59] Als Beispiel kann hier wieder Gahmuret herangezogen werden:


Original Übersetzung
sîn munt als ein rubîn schein Sein Mund leuchtete wie ein Rubin
von roete als ober brünne: von Röte, als ob er in Flammen stünde;
der was dicke und niht ze dünne. Volle Lippen, wahrlich keine schmalen.
sîn lîp was allenthalben clâr. Glänzend war sein Leib, wo man auch hinsah
lieht reideloht was im sîn hâr, Hell und lockig war sein Haar,
swâ manz vor dem huote sach: wo es unter dem Hut hervorsah (V. 63,16 – 21)


Meist wird explizit die Stärke sowie die außergewöhnliche Leistungsfähigkeit eines ritterlichen Körpers in den Vordergrund gerückt. Die zugeschriebenen Attribute sind dabei für den gesamten Ritterstand homogen, das heißt sie haben eine wiederkehrende Form und finden sich auch bei Gawan usw. wieder.[Holland 2005: vgl. S. 61] Parzival selbst stellt hierbei einen Sonderfall dar, der die Beschreibung der Norm übertrifft, um so ein engelhaftes Erscheinungsbild zu erzeugen. Ein Schritt der nötig ist, um ihn auf körperlicher Ebene sowohl mit der Artus-, wie auch der Gralswelt zu verbinden. Parzival stellt also als Schnittstelle zweier getrennter Systeme die Superlative seines Standes dar.[Holland 2005: vgl. S. 62] Obwohl Gralswelt und Artushof voneinander getrennt sind bildet der Ritterstand jedoch ein verbindendes Element.
Der Körper des Mittelalters und allgemein der des höfischen Romans dient zusätzlich als äußeres Zeichen der inneren, moralischen Überlegenheit bzw. Vollkommenheit. Er macht in gewisser Weise die Tugendhaftigkeit nach außen sichtbar. Als Gegensatz zum Typus des schönen, jugendlichen Ritterkörpers, dient der kranke oder versehrte Körper,[Holland 2005: vgl. S. 62] wie sich im Falle des Anfortas zeigt. Oft geht die Verschiebung zum Gegenpol dieser Dialektik mit einer größeren, charakterlichen Verfehlung einher. Anfortas, zuvor ein Ritter mit den klassischen körperlichen Zuschreibungen, macht sich als Gralskönig durch eine, von Gott nicht autorisierte, Liebe zu einer Dame schuldig. Die Strafe folgt in Form einer vergifteten Lanze, die den Gralskönig in den Hoden trifft und so nicht nur seine Zeugungsfähigkeit zerstört, sondern auch seinen ganzen ritterlichen Körper zum Leiden auf unbestimmte Zeit verdammt.

Die Körperbeschreibungen weisen des Weiteren eine starke Farbsymbolik auf. Mit Farbe ist hier der Unterschied zwischen weißer und dunkler Haut gemeint. Dieser dient einerseits dazu den christlichen Ritter des Okzidents von seinem Gegenstück im Orient zu unterscheiden, andererseits zieht er, aus historischer sicht, eine klare Trennlinie zum „einfachen Volk“.[Holland 2005: vgl S. 63] Farbe dient hier in Form der vornehmen Blässe zumindest auf christlicher Seite als abgrenzendes Standesmerkmal nach unten. Bei den heidnischen Rittern stellt dies zugegebenermaßen ein Problem dar, denn diese werden, was das höfische Verhalten usw. angeht, trotz dunkler Haut als Ritter dargestellt. Die Farbe scheint also eine eher untergeordnete Rolle innerhalb der ritterlichen Standesidentität zu spielen. Zu erklären ist dies unter anderem mit der religiösen Konnotation, die die Farbe Weiß zusätzlich noch beinhaltet. Diese ist, zusammen mit der Schönheit, Zeichen der göttlichen Gnade, Zuwendung und steht für Reinheit und Unschuld. Da Religionszugehörigkeit aber nicht die Mitgliedschaft im Ritterstand ausschließt, manifestiert sich der Unterschied auf Ebene der Hautfarbe.

Wie bei der Körperbeschreibung, handelt es sich bei den verschiedenen Merkmalen, die die ritterliche Standesidentität bilden um Einzelfaktoren die stark miteinander verknüpft sind und ein größeres Ganzes bilden. Es ist schwer sie losgelöst voneinander zu betrachten. So wie körperliche Schönheit den reinen Charakter einer Figur nach außen trägt, weist die Beschreibung von starken Gliedmaßen auf den kämpferischen Aspekt hin und der etwas befremdlich wirkende Fokus auf die, meist roten, Lippen der Ritter schlägt eine Brücke zur mînne, welche ebenfalls zentraler Aspekt der Standesidentität darstellt.

Einfluss der mînne auf die ritterliche Standesidentität

Unzweifelhaft stellt auch die minne bzw. der Frauendienst eine Hauptrolle bei der Generierung einer ritterlichen Standesidentität dar. Es gibt in Wolframs Parzival keinen einzigen Ritter, der nicht auf die ein oder andere Weise mit der minne in Berührung kommt. Dabei ist wiederum nicht ausschlaggebend ob er dem Christen- oder Heidentum angehört. Es ist zu beobachten, dass es sich bei der minne, wie zuvor schon bei den anderen Kriterien, um ein verbindendes Element handelt. Es gibt Figuren im Roman, deren einzige Motivation der Frauendienest ist. Für diese Minneritter, zu denen auch Ither von Gaheviez gezählt werden kann ist der Kampf, ebenso wie die höfischen Tugenden Mittel und Voraussetzung ihr Ziel zu erreichen.

Fazit

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Anmerkungen

  1. Im Folgenden stets zitierte Ausgabe: [Parzival].

Literaturnachweis

Textausgabe

<Harvardreferences /> [*Parzival]Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.

Sekundärliteratur

<Harvardreferences />
[*Holland 2005]

[*Luhmann 2003]

[*Horster 1997]