Gewalt im Parzival (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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Die zahlreichen Tjosten, Schwertkämpfe und weiteren Gewalttaten, wie beispielsweise die Bestrafung von Frauen, zeigen, dass Gewalt im Parzival allgegenwärtig ist. Im folgenden Artikel wird dieses prominente Thema beleuchtet, indem zunächt eine allgemeine Annäherung an Gewalt im Mittelalter präsentiert wird, dann eine Überleitung zu Gewalt im höfischen Roman folgt, um abschließend anhand ausgewählter Textstellen die Form und Qualität der Gewalt im Parzival zu erörtern.


Gewalt im Mittelalter

Zweifelsohne war Gewalt im Mittelalter ein bedeutsamer Aspekt in der Erfahrungswelt der Menschen. Doch gleichzeitig kann nicht von einer völlig "ungebremsten Gewalttätigkeit" [Braun 2005: S. 7] die Rede sein. Vielmehr manifestierte sich Gewalt "als ein eigenständiges Medium der Vergesellschaftung, über das Macht, Recht und Prestige reguliert werden". [Friedrich 2005: S. 127] Dies ist so zu verstehen, dass beispielsweise Zweikämpfe nicht nur bloße Gewalt waren, sondern dass sie eher "der Auffassung von Recht als dem Recht des Stärkeren" [Friedrich 2005: S. 125] Genüge taten. Auf diese Weise hatten Zweikämpfe das Potential, Machtstrukturen zu definieren und die Gesellschaftsordnung zu stärken. Darüber hinaus waren Zweikämpfe nicht immer und überall möglich, sondern wurden zumeist in institutionalisierter, organisierter Form durchgeführt. Auf diese Weise gewann Gewalt im Mittelalter eine symbolische und rituelle Dimension. [Friedrich 2005: S. 127] Ferner findet sich im Mittelalter eine Gewalttätigkeit gegenüber Frauen häufig, wurde doch die "Minderwertigkeit der Frau" [Scheuble 2005: S. 49] als allgemein bewiesen angenommen.

Gewalt im höfischen Roman

Während sich in der Heldenepik Gewalttaten oft als spontane, unüberlegte und im Affekt ausgeübte Taten charakterisieren lassen, [Ridder 2004: S. 42] entwickelte sich im höfischen Roman die Tendenz zur Kontrolle von Gewalt. Der Grund für diesen Prozess ist vorrangig im Aufkommen der höfischen Ideale zu sehen. So entstand in diesem Kontext das "Ideal der höfischen Affektkontrolle", [Ridder 2004: S. 48] welches der Impulsivität der Gewalttaten in der heroischen Tradition gegenübertritt. Auch das Schonen des Gegners wurde im höfischen Kontext zu einer ritterlichen Tugend stilisiert. Das unüberlegte sowie rücksichtslose Töten des Gegners wurde dagegen verpönt. [Ridder 2004: S. 52] Ferner wurde im höfischen Roman der Krieg als Hauptschauplatz von Gewalt von dem Kampf in der Aventiure abgelöst. [Ridder 2004: S. 52]

Festzustellen ist, dass hinsichtlich Zorn und Gewalt im höfischen Roman vor allem "Selbstdisziplinierung und Affektkontrolle" [Ridder 2004: S. 52] zentrale Aspekte darstellen.

Gewalt im Parzival

Tjosten

Das Tjostieren gehört zu den am häufigsten beschriebenen Begebenheiten im Parzival und scheint auf den ersten Blick zentral für die Analyse von Gewalt in Wolframs Werk. Zweifelsohne stellen die zahllosen Tjosten eine Form der körperlichen Gewalt dar, versuchen doch die Ritter, sich gegenseitig mit Lanzen vom Pferd zu stoßen. Nichtsdestotrotz scheint der Kern des Tjostierens nicht in der Gewaltanwendung an sich zu liegen. Eine Tjost ist keine Gewaltausübung um der Gewalt willen. Vielmehr geht es bei diesen Kämpfen um das Erlangen von Ansehen und Ehre, welche der "permanenten Bestätigung" [Scheuble 2005: S. 47] bedarf. Dies verleiht der Gewalt in diesen Kontexten einen geradezu konstruktiven Charakter.

Gewalt ist bei diesen Zweikämpfen folglich nicht zentral, sondern lediglich eine Art "Begleiterscheinung", die das Tjostieren und damit das Gewinnen von Ehre seitens des Siegers mit sich bringt.

Gewalt gegen Frauen

Bedeutungsschwerer erscheinen dagegen die "vielen Spielarten" [Bumke 2004: S. 162] von Gewaltanwendungen gegenüber Frauen im Parzival. Dabei herrscht eine fehlende Problematisierung der erlittenen Gewalt vor, besonders auf der Seite der Opfer. [Scheuble 2005: S. 353] So verursacht beispielsweise Keies Züchtigung von Cunneware (151,21) [1] keinen Aufruhr, sondern wird kommentarlos geduldet. [Bumke 2004: S. 162] Auch Orilus Bestrafung seiner Frau (256,17) wird nicht verurteilt. [Bumke 2004: S. 162] Diese Verharmlosung der Gewalt muss im Kontext der Geschlechterrollen und des "patriarchalen Charakter[s] der Gesellschaft" [Scheuble 2005: S. 94] des Mittelalters gesehen werden, der oben schon angesprochen wurde. Männer wurden als den Frauen überlegen angesehen, was sie dazu bemächtigte, dem anderen Geschlecht ohne weitere Folgen Gewalt anzutun. Im Parzival ist also das Bild vorherrschend, dass Gewalt gegen Frauen in diesem Sinne der Bewahrung der männerdominierten Ordnung [Scheuble 2005: S. 323] dient.

Diesbezüglich bildet lediglich Urjans Vergehen an einer Jungfrau eine Ausnahme. Als Strafe soll er von König Artus zum Tode verurteilt werden, jedoch setzt sich Gawan für ein milderes Urteil ein. Artus beugt sich Gawans Bitten, sodass Urjan als Strafe für seine Vergewaltigung gedemütigt wird, indem er vier Wochen lang mit den Hunden aus deren Trog essen muss. [Bumke 2004: S.97] Hieran lässt sich aufzeigen, dass neben physischer Gewalt im Parzival auch die psychische Gewalt eine Rolle spielt.

Darüber hinaus kann der Erzählstil von Wolfram von Eschenbach als "diskursive Gewalt gegen Frauen" [Scheuble 2005: S. 149] angesehen werden. Immer wieder bringt sich der Erzähler mit misogynen Kommentaren ein, so zum Beispiel in 116,5-14, wenn er erläutert, dass die meisten Frauen es nicht einmal verdienen "wîp" ("Frau") genannt zu werden. Auch die Bemerkung, dass "genuoge sint gein valsche snel" ("doch ist unter ihnen eine gute Zahl von solchen, die, immer auf dem Sprung, bereit sind, sich dem Verrat in die Arme zu stürzen" (116, 8) ist als frauenfeindlich einzustufen.

Parzival: ein Gewalttäter?

Es stellt sich die Frage, inwieweit Parzival als ein Gewalttäter betrachtet werden kann. Der Protagonist ist äußerst aggressiv, so sticht er beispielsweise Ither brutal einen Speer durch das Auge (155,9). Er scheint hier impulsiv und mitleidslos, ganz im Sinne der oben erläuterten heroischen Tradition zu handeln. Auch im weiteren Handlungsverlauf ist Parzival in "permanente[r] Gewaltbereitschaft". [Ridder 2004: S. 47] Jedoch zeigt sich, dass Parzival auch Mitleid empfinden und seine Gewalt zügeln kann. Das kommt unter anderem bei der Verschonung mehrerer Männer nach Tjosten zum Ausdruck (266,7) und auch Cunneware gegenüber zeigt er sich mitleidig (215,9).

Zusammenfassend lässt sich beobachten, dass Parzival zwar stets bereit zum Kampf und zur Gewaltanwendung ist, jedoch nicht nur Brutalität, sondern auch Mitgefühl zeigt.


Fazit

Es hat sich gezeigt, dass Gewalt im Parzival in vielen Facetten auftritt. Neben den Tjosten, bei denen Gewaltzufügung auf den zweiten Blick eine untergeordnete Rolle spielt, ist Gewalt besonders im Bezug auf Frauen prominent. Hierin spiegelt sich nicht nur das mittelalterliche Verständnis von Frauen wider, es wird auch ein Einblick in die Wertvorstellungen des Autors geboten.

Quellennachweise

[*Braun 2005] Braun, Manuel und Cornelia Herberichs (Hrsg.): Gewalt im Mittelalter. Realitäten-Imaginationen, München 2005.

[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36).

[*Friedrich 2005] Friedrich, Udo: "Die ,symbolische Ordnung' des Zweikampfes im Mittelalter". in: Gewalt im Mittelalter. Realitäten-Imaginationen. Hrsg. von Manuel Braun und Cornelia Herberichs, München 2005.

[*Ridder 2004] Ridder, Klaus: Kampfzorn: Affektivität und Gewalt in mittelalterlicher Epik. In: Wahrnehmen und Handeln, hrsg. von Wolfgang Braungart (u.a.), Bielefeld 2004.

[*Scheuble 2005] Scheuble, Robert: mannes manheit, vrouwen meister. Männliche Sozialisation und Formen der Gewalt gegen Frauen im Nibelungenlied und in Wolframs von Eschenbach Prazival, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Wien [u.a.] 2005.

  1. Alle Textstellen-Angaben aus Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.

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