Der Gral im Parzival (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
Dieser Artikel behandelt speziell den Gral im Parzival. Dabei wird herausgearbeitet, wie der Gral im Parzival dargestellt wird und was ihn ausmacht. Darüber hinaus wird diskutiert, wie er sich vom Gral des "Conte du Graal" von Chrétien de Troyes unterscheidet.
Der Gral bei Wolfram von Eschenbach
Erstes Auftreten
Das erste Mal kommt Parzival mit dem Gral in Buch V in Kontakt. Dieser wird von Repanse de Schoye, der Königin der Gralsburg, in einen Raum, in dem auch Parzival ist, hineingetragen. In dieser ersten Szene zeigt sich schon die Besonderheit des Grals für Parzival und die Erzählung.
daz was ein dinc, daz hiez der Grâl, |
Das war ein Ding, das hieß der Grâl, |
erden wunsches überwal. |
alles Glück, das man auf Erden wünschen kann, vermag ihn nicht zu fassen. |
235, 23-24 [1]
Im weiteren Verlauf der Szene wird beschrieben, wie der Gral seine Kraft offenbart, wie er allerdings aussieht, wird nicht gesagt. Dies erfährt der Leser zu einem späteren Zeitpunkt in Buch IX. Darüber hinaus wird Parzivals Versagen in der Gralsburg veranschaulicht. Er fragt den König, auf Weisung von Gurnemanz, der ihm rät nicht so viele Fragen zu stellen, nicht nach dessen Leiden und lädt damit Sünde auf sich. [Bumke 2004: vgl. S. 67-68.]
Erste Informationen
Bei Wolfram von Eschenbach wird der Gral als ein Stein skizziert, der vermutlich als Edelstein zu deuten ist. Er trägt in der Erzählung zwei Namen: Zum einen wird er der Grâl genannt (235, 23) und zum anderen bezeichnet ihn Trevrizent, in der Unterweisung Parzivals, als lapsit exillis (469, 7). Zum Ende der Handlung wird auf seinen Aufbewahrungsort hingewiesen. Er wird in einem Tempel in der Gralsburg aufbewahrt (816, 15). Der Leser erfährt zusätzlich, dass der Tempel außerdem noch als Taufstätte dient (816, 20). Trevrizent erklärt Parzival dabei auch die Herkunft des Grals, welcher von "neutralen Engeln", welche sich nicht am Streit zwischen Lucifer und Trinitas beteiligen wollten und daher auf die Erde verbannt wurden(471,15-21), an die Menschen übergeben wurde. Das Schicksal dieser "neutralen Engel" greift Trevrizent im XVI. Buch noch einmal auf, er erklärt, er habe sich geirrt als er vermutete die Engel könnten Gottes Gnade finden und dass sie auf ewig verdammt seien für ihren Ungehorsam (798,11-22).
Die Tatsache, dass der Gral nur zu besonderen Anlässen hervorgeholt wird (807, 16-18), verdeutlicht nochmals Parzivals Versagen, bei dem Versäumnis der Frage. Die Gralsgesellschaft hatte sich redlich bemüht, Parzival zu der Frage nach Anfortas Leiden zu bewegen. Parzival wendet hier den Ratschlag von Gurnemanz zwar an, jedoch erkennt er nicht, dass dies der falsche Moment dafür ist. Seine, durch die Mutter hervorgerufene, Weltfremdheit und tumpheit lassen ihn nicht die Wichtigkeit dieser Szenerie und des Grals erkennen.
Die Kraft des Grals
Der Gral scheint in der Erzählung wundersame Kräfte zu besitzen, welche im Roman nach und nach erläutert werden. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass er die Fähigkeit besitzt, die Menschen mit Speisen (238, 8ff) und Getränken (239, 2-5) zu versorgen. Welche Ausstrahlung und Macht der Gral besitzt zeigt sich in folgender Aussage:
diu werde geselleschaft |
Die edle Gesellschaft, |
hete wirtschaft vome grâl. | war beim Grâl zu Gast. |
239, 6-7
Er ist von solcher Kraft, dass sich die edle Gesellschaft nicht nur an ihm bedient, sondern vielmehr zu Gast bei ihm ist und somit der Respekt und ihre Ehrfurcht vor dem Gral verdeutlicht wird. Des Weiteren wird erwähnt, dass er Jugend und Unsterblichkeit verleiht. Doch nur, wenn man ihn anschaut, ist man in der ganzen Woche darauf vor Tod und Alter geschützt (469, 14-24). Bei Anfortas wirkt sich diese Kraft des Grals jedoch dahingehend aus, dass sein Leid und seine Schmerzen nur verlängert werden. Die Leben erneuernde Kraft des Grals findet ihren symbolischen Ausdruck in dem Bild des Phönix. [Ranke 1946: vgl. S. 39.] Der Phönix verbrennt durch die Kraft des Steines und erwächst aus seiner eigenen Asche neu (469, 8-10). Dabei ist festzuhalten, dass sein Anblick so schön wie vorher ist (469, 11-13). Auch ist zu erwähnen, dass er nicht von jedem einfach hochgehoben werden kann. Nur eine keusche Jungfrau, welche ein durchgehend reines Leben führt, kann den Gral emporheben. Im Parzival ist dies durch die Gralshüterin Repanse de Schoye realisiert (477, 13ff). Wenn aber "diu falschlîch menscheit" (477, 17: die sündigen Menschen) versuchen, den Gral emporzuheben, wiegt er so schwer, dass es nicht gelingen mag (477, 16-18). Eine weitere wundersame Begebenheit des Grals ist die Tatsache, dass der Gral nicht von jedem erblickt werden kann. So wird im Parzival erläutert, dass Heiden ihn nicht sehen können und sich so wundern, wie Speisen und Getränke auf so wundersame Weise auf den Tisch kommen (810, 3-5). Als Feirefiz Feirefiz sich in Buch XVI auf Munsalvaesche befindet, ist es ihm als Heiden unmöglich, den Gral zu erblicken ( 813, 9-28). Erst als Feirefiz die christliche Taufe annimmt, offenbart sich auch ihm der Gral (818, 20-23). Die letzte Wunderkraft bezieht sich direkt auf Parzival und seine Suche nach dem Stein. So wird er von Trevrizent darauf hingewiesen, dass dieser nicht gesucht werden kann, sondern man vielmehr von ihm ausgewählt werden muss. Der, der ihn sucht, diesem bleibt er verborgen (468, 12).
Für Parzival ist es notwendig zu erkennen, dass er sich den Weg zum Gral weder erzwingen noch erkämpfen kann, obwohl er durch das Auffinden des Steins seine Lebensaufgabe erfüllen würde. Die Einsicht, dass er von ihm berufen wird und er sich durch die Gnade leiten lassen muss, ist der wahre Schritt hin zum Gral. [Bumke 1995: vgl. S. 67.]
Die Hüter des Grals
Neben dem Gralkönig, der durch eine Inschrift auf dem Stein (Epitaph) ernannt wird, und der im Parzival in der Person von Anfortas und später durch Parzival selbst, seine Realisierung findet, gibt es noch weitere Hüter, deren Aufgabe es ist, den Stein zu beschützen. [Bumke 1995: S. 62-63] Es sind ausschließlich Ritter und Jungfrauen, welche schon, wie der Gralkönig selbst, vom Gral berufen werden. Aus vielen verschiedenen Ländern kommen sie herbei, um sich in die Dienste des Grals zu stellen. Die Aufgabenteilung ist hierbei ganz klar abgegrenzt. Die keuschen Jungfrauen kümmern sich um dessen Pflege, wohingegen den Rittern die Aufgabe des Beschützens zufällt (493, 19ff). Diese wiederrum werden als templeise bezeichnet (468, 28) und sind dazu bestimmt, den Stein gegen alle Unberufenen zu beschützen. (473, 5ff) Im Notfall sind sie zu jedem Kampf bereit und sorgen sich dabei nicht um ihre eigene Gesundheit. (492, 1ff) Die sogenannten templeise erinnern an die Tempelritter, die zum ersten geistlichen Ritterorden gehörten, welcher 1120 in Jerusalem gegründet wurde. [Mertens 2003: vgl. S. 71] Die oberste Priorität wird dem Gral und dessen Bewahrung zugesprochen. In Sachen Heirat und Liebe sind den Hütern besondere Grenzen gesetzt. Solange sie sich im Dienste unter ihm befinden, dürfen sie keine Liebe empfangen. Nur der Gralkönig selbst darf heiraten, doch nur die Frau, die von der Gralinschrift dazu bestimmt wird. (478, 13ff) Einige Sonderregelungen sind in diesen Normen jedoch enthalten. So dürfen die Ritter als Herrscher in herrenlose Länder entsandt werden und dort heiraten und sich der Liebe zuwenden. Ähnliches gilt für die weiblichen Hüterinnen. Ihnen ist es außerhalb des Gralbereiches gestattet, sich zu verheiraten. (494, 7ff)
Weitere Informationen über die Gralsgesellschaft und ihre Hüter: hier
Die Verbindung zwischen Gral und Himmel
Wieder ist es Trevrizent, der Parzival und dem Leser offenbart, dass der Gral seine Kraft aus dem Himmel bezieht. Einmal im Jahr und zwar genau am Karfreitag wird eine weiße Taube vom Himmel gesandt, um eine Oblate auf dem Stein niederzulegen. Genau diese ist es, die dem Gral seine Wunderkraft verleiht (469, 29 ff). Eine weitere Begebenheit des Steins ist die Inschrift oder auch das Epitaph genannt. Wie vorher erwähnt, wird der Gralkönig durch genau diese Inschrift berufen. Diese Berufung kommt direkt von Gott und die Inschrift dient als eine Art Übermittlungsträger. Sobald die Schrift gelesen worden ist, zergeht sie auf wundersame Weise wie von selbst. (486, 12ff)
Der Vergleich zum Conte du Graal
Bei einem Vergleich der beiden Darstellungen des Grals bei Chrétien de Troyes und Wolfram von Eschenbach fallen einige Unterschiede beziehungsweise Modifizierungen seitens Wolframs auf. Zunächst einmal bezieht sich dies auf das Aussehen des Grals. Bei Chrétien wird er als eine mit Edelsteinen bestückte Goldschale beschrieben, die als Hostienbehälter dient, um den Vater des Gralkönigs mit geweihten Hostien am Leben zu halten, wohingegen im Parzival, der Gral als ein Stein dargestellt wird. Darüber hinaus besitzen die Edelsteine des Grals im Conte du Graal einen solchen Glanz, dass selbst die Kerzen ihre Leuchtkraft verlieren wie die Sterne beim Aufgang von Sonne und Mond, während bei Wolfram von Eschenbach, das Licht des Saales durch die zahlreichen Kerzen und Lampen, die den Gral begleiten, und durch die Schönheit der Gralsträgerin erzeugt wird. [Ranke 1946: vgl. S. 39.] Auch die Zeremonie rund um den Gral und dessen Präsentation unterschiedet sich bei beiden Erzählungen in einigen Details. Bei Chrétien geht dem Gral eine blutende Lanze voraus, die direkt mit dem Gral in Zusammenhang steht. Anders als bei Wolfram ist sie auch Teil der erlösenden Frage Parzivals. [Bumke 2004: vgl. S. 137.] Zu nennen ist, dass sich beide Erzählungen von der Identifikation mit dem Christlichen fern halten. So zieht Wolfram, wie auch Chrétien, keine direkte Verbindung, von Lanze und Gral, zu christlichen Reliquien, wie etwa der Abendmahlschüssel. Auch die Tatsache, dass Frauen bei der Gralspräsentation dabei sind, und dazu noch eine wichtige Rolle im Geschehen einnehmen, entfernt sich von der christlichen Vorstellung. [Mertens 2003: vgl. S. 72] Der weitere feierliche Aufzug ähnelt sich in den zwei Erzählungen in vielen Belangen. Nur in einem Aspekt hat Wolfram von Eschenbach eine weitere Veränderung vorgenommen. Der Gral wird in der deutschen Überarbeitung nicht am Tisch vorbeigetragen, sondern vielmehr direkt vor Anfortas auf den Tisch gestellt. Auch die Kraft des Grals, Essen und Getränke, durch seine Kraft, herbeizuzaubern, wird im Conte du Graal nicht erwähnt. Genau in der selben Weise verhält es sich mit der Kraft der Unsterblichkeit. Beim Conte du Graal ist dies durch die geweihte Hostie gewährleistet, [Bumke 2004: vgl. S. 137.] wohingegen bei Wolfram allein der Anblick des Grals genügt, um zumindest für kurze Zeit vor Krankheit und Tod geschützt zu sein. (501, 22ff) Es ist festzuhalten, dass Wolfram den Aufwand der Gralszene deutlich gesteigert hat. Dies zeigt sich zum einen daran, dass bei Chrétien nur drei Männer und zwei Jungfrauen an der Prozession teilnehmen, wohingegen bei Wolfram gleich fünfundzwanzig Frauen Teil der Szenerie sind. [Mertens 2003: vgl. S. 68] Zum anderen wird dies in der Beschreibung der Kronleuchter deutlich. Bei Chrétien brennt lediglich ein Feuer, doch im Parzival sind es dreihundert Kronleuchter und viele andere kleine Lichter, die das Geschehen beleuchten. [Mertens 2003: vgl. S. 68]
Festzuhalten ist, dass Wolfram zwar einige wesentliche Veränderungen bezüglich der französischen Vorlage vorgenommen hat, die Bedeutung des Grals für den Text jedoch gleich bleibt. In beiden Texten geht es, vor allem in der Szene auf der Gralsburg, um die erlösende Frage. Zwar unterscheiden sich auch hier die Formulierungen, doch zielt die Frage auf das selbe Ziel ab. Im Conte du Graal geht es mehr um die Frage nach der Lanze und deren Blut und wen man mit dem Gral bedient. Bei Wolfram handelt sie von den Leiden des Anfortas' und die Frage ist somit mehr als eine Mitleidsfrage zu sehen, wohingegen Chrétiens Formulierung mehr als eine Frage aus Neugier zu interpretieren ist. Doch wie eben erwähnt, ist das Ziel beider die Erlösung des Königs. [Bumke 2004: vgl. S. 137]
Fazit
Der Gral ist ein wichtiges Element des Handlungsverlaufes. Durch ihn erhält derParzival eine Dynamik und die Erzählung schreitet durch das Suchen nach ihm voran. Parzival hat es sich zur Aufgabe gemacht ihn zu finden und es wird eine dauernde Spannung aufgebaut, ob er sein Ziel zum Ende hin, mit seinen eigenen Mitteln, erreichen kann. Festzuhalten ist, dass der Gral ein besonderer Gegenstand ist, der durch seine Kraft und Macht viele Menschen in seinen Bann zieht. Dies geht sogar soweit, dass um ihn herum eine Gesellschaft entstanden ist, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, beziehungsweise dazu berufen wurde, den Gral vor allen Unberufenen zu behüten. Der Gral und seine ganze Geschichte ist derart interessant und beliebt, dass ihn nicht nur Chrétien de Troyes und Wolfram zum Gegenstand ihrer Handlung gemacht haben. Der Gral ist in vielen anderen mittelalterlichen Dichtungen, wie auch in moderneren Schriften zu finden. Auch verschiedene Filmregisseure haben ihn zum Mittelpunkt ihres Films gemacht. Als wohl berühmtestes Beispiel ist hier Indiana Jones und der letzte Kreuzzug zu nennen.
Quellennachweise
<HarvardReferences /> [*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004.
[*Bumke 1995] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, Suttgart 1995.
[*Mertens 2003] Mertens, Volker: Der Gral. Mythos und Literatur, Stuttgart 2003
[*Ranke 1946] Ranke, Friedrich: Zur Symbolik des Grals bei Wolfram von Eschenbach, 1946, in: Wolfram von Eschenbach. Wege der Forschung, hg. von Heinz Rupp, Band LVII, Darmstadt 1966, S. 38-48.
- ↑ Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.