Das Werbungsverhalten des Sängers (Neidhart)

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Das Sänger-Ich in den Neidhartliedern zeigt ein auffälliges Werbungsverhalten, das bislang in der Forschung oft nur vor dem Hintergrund der Heteronormativität [1] thematisiert wurde. Dieser Artikel betrachtet das Werbungsverhalten des Sängers nicht aus einer heteronormativen Perspektive. Um das Werbungsvershalten des Sängers genauer zu analysieren, wird zunächst sein Scheitern bei der Werbung um eine Frau beleuchtet. Daran anschließend wird der Frage nachgegangen, welche Rolle die Dörper für den Sänger spielen, auf welche Weise er ihnen gegenüber ein Werbungsverhalten zeigt und wie die Gewaltmataphorik und der Spott gegen die Dörper damit zusammenhängen. Abschließend wird aufgezeigt, wie der Sänger bei seinem Werbungsverhalten zwischen Liebe und Sexualität unterscheidet. In diesem Artikel werden unterschiedliche Neidhartlieder betrachtet und daraus einzelne passende Beispiele ausgewählt.

Scheitern beim Werben um eine Frau

"In der Regel wirbt der Sänger mit Gesang, und dies durchweg erfolglos." [Ruh 1984:120] Dabei zeigt sich ein immer wiederkehrendes Muster: Er hat für eine Frau gesungen, diese aber ließ sich davon nicht beeindrucken, worauf er sein Scheitern beklagt und unmittelbar darauf die Dörper thematisiert, die den ganzen Rest des Liedes einnehmen, z.B. in WL24 und WL27[2][3] (Str.2: die Frau und der gescheiterte Gesang wird kurz thematisiert, ab Str.3 widmet der Sänger sich den Dörpern). Dadurch, dass die Dörper den größten Teil der Neidhartlieder einnehmen, kommt ihnen eine große Bedeutung zu – sie scheinen dem Sänger wichtiger zu sein als die besungene Frau. Beispielsweise in WL24, Str.2 beklagt der Sänger die Nutzlosigkeit seines Gesangs. Dies aber ist dem Sänger offenbar gleichgültig und er gibt den Gesang sofort auf, anstatt sich weiter und länger um die Frau zu bemühen:

[...]
ez vervaehet niht, swaz ich ir lange hân gesungen; Es nützt nichts, was ich ihr lange vorgesungen habe;
mir ist alsô maere, daz ich mêre stille dage. so ist es mir gleichgültig, dass ich sehr stillschweige.
[...]

Auch im WL27, Str.2 erwähnt der Sänger, dass sein Gesang von der Frau kaum belohnt wird. Hier aber stellt er gleich darauf die Frage, wodurch er anderswâ dienen könne.

[...]
sît si lônet kleine Wenn sie meine neuen Klänge
mîner niuwen klenke, wenig belohnt,
wan mag ich dienen anderswâ? wodurch kann ich anderswo dienen?
[...]

Es stellt sich die Frage, was er mit anderswâ meinen könnte. Es erscheint naheliegend, dass der Sänger in WL27 das anderswâ nicht auf die einst besungene Frau bezieht, sondern andere Figuren in Betracht zieht, denen er seinen Gesang lieber widmen könnte: Die Dörper, die er unmittelbar in der folgenden Strophe thematisiert. Ruh benennt zwei Hauptgründe für das Scheitern des Sängers bei der Frau: Der Widerstand, bzw. die Gleichgültigkeit der Dame und die Dörperkonkurrenz.[Ruh 1984:119] Haufe geht einen Schritt weiter und legt den Fokus etwas mehr auf die Dörper: "Die Widerstände, die einer erfolgreichen Werbung im Wege stehen, gehen nicht allein von der Dame aus, sondern werden durch das ständige Eingreifen der Dörper verstärkt."[Haufe 2003:107] Man kann hier jedoch noch einen Schritt weitergehen: Es zeigt sich, dass es dem Sänger um etwas anderes gehen muss als um das bloße konkurrierende Eingreifen der Dörper.

Werbung um männliche Figuren - Die Dörper als Gegenspieler?

Schon allein die Tatsache, dass der Sänger gemäß des wiederkehrenden Musters die Dörper unmittelbar nach seinem Scheitern bei der Frau in der nächsten Strophe thematisiert, bzw. ihnen den Gesang widmet, zeigt, dass er die Dörper als Werbungsziel in Betracht zieht. Hier kommt ein ebenfalls immer wiederkehrendes Motiv auf: das Leidmotiv. Er nennt zwei Dinge, unter denen er leidet: Die Ablehnung durch die Frau und das Leid durch die Dörper. Dieses Leid, das er durch die Dörper erfährt, verharmlost er jedoch, bzw. stellt es als lachhaft dar:

Zuo dem ungemache, Zusätzlich zu dem Leid,
den ich von ir lîde, das ich von ihr erfahre,
sô twinget mich ein ander leit, so quält mich ein anderes Leid,
daz vor allem leide mich sô sêre nie betwanc, das mich von allem Leid nie so stark quälte,
swiech dar umbe lache weshalb ich darum lache
und gebâre blîde: und mich fröhlich verhalte:
mir hât ein dörper widerseit Ein Dörper hat mir widersprochen / (sich mir entgegengestellt)
umb anders niht wan umbe den mînen üppeclîchen sanc. um nichts anderes als um meinen überflüssigen Gesang.
[...]

(WL27, Str.3)

Interessant ist an der Stelle, dass der Sänger die Dörper, bzw. einen Dörper, direkt mit seinem Gesang in Verbindung bringt: Der Dörper widerseit konkret seinem Gesang. Das Wort widerseit kann sich entgegenstellen oder widersprechen heißen. Dies kann zwar entweder im feindlichen Sinne gemeint sein, oder aber an der Stelle im Sinne von widersprechen auch so verstanden werden: Der Dörper widerspricht dem Gesang des Sängers, was bedeutet, der Dörper lehnt den Gesang ab. Das hieße der Sänger muss seinen Gesang ebenso an den Dörper gerichtet haben, welcher diesen genauso wie die Frau, die der Sänger zuerst besungen hatte, ablehnt. Er wirbt also mittels Gesang sowohl um Frauen als auch um die Dörper. Im Gegensatz zu der Werbung um Frauen, bzw. deren Scheitern (s.o.), wird die Werbung um die Dörper hier nicht explizit erwähnt, sondern indirekt dargestellt. Auch in SL22, Str.6f gibt es noch ein weiteres Beispiel dafür, dass der Sänger seinen Gesang an die Dörper richtet:

[...]
ob si niht enwaeren, Wenn sie (die Dörper) nicht wären,
sô sunge ich für wâr fürebaz. dann würde ich fürwahr anderswo singen.

Mit diesem Ausspruch nennt der Sänger deutlich den Grund für seinen Gesang – die Dörper. Diese Aussage kann auf zwei unterschiedlichen Ebenen gedeutet werden: Entweder der Sänger produziert seinen Gesang aufgrund der Konkurrenzsituation, oder aber der Gesang stellt einen Werbungsgesang um die Dörper dar, die ebenfalls vom Sänger begehrt werden. Letzteres erscheint wahrscheinlicher, denn die Dörper sind nicht zwingend als Konkurrenz zu betrachten (wie bei Ruh und Haufe [Ruh 1984][Haufe 2003]), sondern es besteht zwischen ihnen und dem Sänger, neben der umworbenen Frau, ebenfalls eine Anziehung. Es scheint eine Art Hassliebe zwischen dem Sänger und den Dörpern zu geben, die Dörperwelt ist für den Sänger "abstoßend und faszinierend zugleich" [Peters 2000: 455]. Laut Schulze richte sich dieser Hass auf das konkurrierende Liebeswerben und an die sexuelle Annäherung an die vom Sänger umworbene Frau und auf dessen Beeinträchtigung beim Singen.[Schulze 2018: 100] Betrachtet man die Dörper jedoch ebenfalls als umworbene Figuren, so richtet sich dieser Hass nicht auf das konkurrierende Liebeswerben, sondern vielmehr auf die Ablehnung des Sängers durch die Dörper. Die Beeinträchtigung beim Singen entsteht nicht durch das Konkurrenzverhalten der Dörper, sondern dadurch, dass der Sänger sich von den Dörpern ablenken lässt. Diese Ablenkung entsteht durch die Anziehung, bzw. Faszination, die der Sänger bezüglich der Dörper empfindet. Das heißt, die Dörper sind in diesem Sinne keine Rivalen des Sängers, sondern könnten eher als Gegenspieler der Frauen verstanden werden, da die Dörper ebenfalls die Aufmerksamkeit des Sängers bekommen, bzw. sogar mehr Aufmerksamkeit als die Frauen, und ihn damit von den Frauen ablenken.

Sexualisierung der Dörper

In den Neidhartliedern verwendet der Sänger bei seiner Beschreibung der Dörper oft obszönes Vokabular und sexuelle Anspielungen. Einige sexuelle Anspielungen im Zusammenhang mit den Dörpern befinden sich im Mutter-Tochter-Dialog SL18, bzw. es wird gleich das Ergebnis des reien dargelegt. Dies zeigt, dass mit reien nicht nur der Tanz an sich gemeint ist, sondern damit auch ein Geschlechtsakt verbunden sein musste:

[...]
der wouhs von sînem reien ûf ir wempel, Ihr Bauch wuchs von seinem Tanz
und gewan ein kint, daz hiez si lempel: und sie bekam ein Kind, das sie Lempel nannte:
alsô lêrte er sî den gimpelgempel. So zeigte er ihr die (Tanzweise) / den Penis.

(SL18, Str.2)

Des Weiteren lässt sich aus diesem Kontext erschließen, dass mit gimpelgempel auch nicht nur eine Tanzweise gemeint ist, sondern das männliche Geschlechtsteil. Des Weiteren lautet in Strophe 4 die Selbstaussage eines Mädchens:

[...]
er mouz mich sîne geile sprünge lêren. er muss mir seine begierigen Sprünge zeigen.

(SL18, Str.4)

Der Kontext des Begriffs sprünge legt es nahe, dass die Bedeutung des Wortes geil eher in die Richtung begierig / lustvoll im sexuellen Sinne geht, d.h. mit geile sprünge ist ein Geschlechtsakt gemeint. Aber auch in anderen Neidhartliedern gibt es weitere sexuelle Anspielungen. Es fällt der Ausdruck gemzinc (WL24 und SL22), der als eine weitere sexuelle Anspielung verstanden werden kann. Der Sänger verwendet die Bezeichnung Gemsbock als Symbol für das Verhalten der Dörper. Ihr Sexualverhalten wird also mit dem eines wilden, ungestümen Tiers gleichgesetzt.

Zudem spiegelt sich das Sexualverhalten der Dörper zum Teil in ihren Namen. Es werden inkriminierte Verhaltensweisen aufgezeigt, beispielsweise das gumpen (Gumpe) [Braun 2007: 265]. Dieser Name spielt auf eine sexuelle Verhaltensweise an, denn gumpen kann - ähnlich wie das Wort sprünge (s.o.) - neben dem Verhalten bei Tanz auch auf das Verhalten bei einem Geschlechtsakt hindeuten. Auch in WL24, Str.3 kann der Name Willegêr auf das Sexualverhalten dieses Dörpers hinweisen:

Der ist nû der tumbist under geilen getelingen, Dieser ist nun der Dümmste unter den begierigen Burschen,
er und einer, nennet man den jungen Willegêr: ihn und <noch> einen nennt man den jungen Willeger:
[...]

In diesem Namen steckt das Wort wille, was mit Wille oder auch Verlangen übersetzt werden kann. In Anbetracht der Tatsache, dass dieser Dörper im selben Satz mit dem Adjektiv geil (was mit begierig übersetzt werden kann) beschrieben wird, kann auch der Name Willegêr auf eine diese Weise gedeutet werden: Gemeint ist mit wille das Verlagen im Sinne von sexuell willig/begierig.

Mittels der Beschreibung und Analyse des Sexual- und Werbungsverhaltens der Dörper durch das genannte Vokabular sexualisiert der Sänger die Dörper und lässt sie in folgendem Bild erscheinen: Sie sind sexuell sehr begierig, bedrängen Frauen trotz deren Ablehnung und sie zeigen oftmals ein gewaltsames Sexualverhalten. Damit reduziert der Sänger die Dörper auf ihr Sexual- und Werbungsverhalten. Interessant ist hierbei, dass das Thema Sexualität nur im Zusammenhang mit den Dörpern aufkommt - kaum im Zusammenhang mit Frauen.

Auch Haufe betont, dass homosoziale Beziehungen für die männliche Identität relevant sind.[Haufe 2003: 106] Des Weiteren heißt es: „Das konventionelle hierarchische Verhältnis, das im klassischen Minnesang zwischen dem weiblichen und männlichem Geschlecht besteht, erscheint hier verschoben und destruiert. Die männliche Geschlechtsidentität gründet sich nicht mehr allein auf einem sprachlich und gesanglich ausagierten Begehren, welches auf eine weibliche Figur ausgerichtet ist, sondern basiert auf Relationen zu anderen männlichen Figuren.“ [Haufe 2003: 110] Man kann jedoch noch weitergehen: Es sind nicht nur die homosozialen Beziehungen, sondern auch homoerotische, die sich in den Neidhartliedern durch diesen starken Fokus auf die Dörper und deren Sexualisierung äußern. Unter diesem Aspekt eröffnen sich neue, bzw. andere Perspektiven, aus denen die Gewaltmetaphorik und das Motiv des Spotts nun betrachtet werden können.

Gewalt und Körperlichkeit

Neben sexuellen Anspielungen taucht auch eine Gewaltmetaphorik in engem Zusammenhang mit den Dörpern auf. „Das Sänger-Ich wird häufig von einzelnen oder mehreren Dörpern bedroht und angegriffen, diese sind jedoch auch untereinander zerstritten sowie gewalttätig, ohne dass eine konkret greifbare Konkurrenz als Motivation erscheint.“ [Haufe 2003: 115] Die Motivation ist nämlich eine andere als die Konkurrenzsituation. Hier lässt sich ein Zusammenhang zur Sexualität des Sängers herstellen. Zuerst muss man dabei festhalten, dass das Geschehen nur aus der Perspektive des Sängers geschildert wird, d.h. man muss sich die Frage stellen, was den Sänger motiviert, der Gewalt einen derart großen Raum in den Liedern zu geben. Aggressivität ist für den Sänger ein typisches Männlichkeitssymbol. Gewalt und „Streit kennzeichnet das Verhalten der Dörper. Sie tragen ihre Aggressionen untereinander aus [...]“ [Schulze 2018: 100]. Dadurch konstruiert der Sänger ein klares Geschlechterbild der Männer. Gewalt bietet dem Sänger die Möglichkeit einer körperlichen Annäherung an die Dörper: Die „in stärkerem Maße aggressionsbereitere Gemeinschaft führt zu einer starken körperbezogenen Ausrichtung der ldentitätskonstitution ihrer männlichen Teilnehmer.“ [Haufe 2003: 117] Er favorisiert Gewalt gegen die Dörper und phantasiert diese bis in jedes grausame Detail regelrecht aus:

[...]
ich slahe in, daz er tumber ich schlage ihn, dass er
schouwet nimmer lieht. kein Licht mehr sieht.
ich hilf im des lîbes in den aschen Ich bringe seinen Körper in den Schmutz
und slah im mit willen eine vlaschen, und gebe ihm mit Absicht einen Hieb,
daz im die hunt daz hirne ab der erde müezen naschen. dass ihm die Hunde das Gehirn von der Erde lecken können.
[...]

(WL10, Str.6a)

Ob diese Gewaltvorstellungen jedoch verwirklicht werden oder ob sie nur in der Phantasie des Sängers bleiben, bleibt offen. Jedenfalls zeigt sich, dass der Sänger Gewalt im Allgemeinen nicht zu favorisieren scheint, sondern diese sogar bis auf das Schärfste verurteilt, wenn sich diese gegen weibliche Figuren richtet. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Spiegelraub, der dem Sänger die letzte Freude raubt: „dâ von al mîn vreude swant“ (SL22, Str.6d). Dieses Paradoxon löst sich nun auf, wenn man die Gewaltvorstellungen mit der Hoffnung des Sängers auf Körperlichkeit in Zusammenhang bringt. Seine Gewaltvorstellungen lassen sich somit auch als Teil seines Werbungsverhaltens gegenüber den Dörpern deuten.

Spott - Nähe und Distanz

Der Spott gegen die Dörper ist ein zentrales Element der Neidhartlieder. Vor allem, wenn man von einer sexuellen Higezogenheit des Sängers zu den Dörpern ausgeht, gilt es das Element des Spotts genauer zu betrachten und der Frage nachzugehen wie Anziehung und Spott zusammenpassen. Spott ist "durch das Zusammenspiel von Mimesis und Distanznahme geprägt. Der Spötter muss sich durch den Akt der Präsentation gleichzeitig vom verhöhnten Objekt distanzieren." [Plotke 2010: 24] In den Neidhartliedern entsteht ein Spiel aus Nähe und Distanz zu den Dörpern. Die durch den Spott entstehende Disanz verdeutlicht, dass der Sänger anders ist als die Dörper, von denen er sich abgrenzt. Hier kann man einen Zusammenhang zur Sexualität herstellen: Der Grund für die Distanznahme des Sängers ist möglicherweise, dass er erkennt, dass seine Hingezogenheit zu den Dörpern nur von ihm ausgeht und die Dörper dies nicht empfinden. Dennoch stellt die Mimesis den Sänger in die Nähe der Dörper: Dadurch, dass der Sänger die Dörper präsentiert und nachahmt steht er durch dieses Verhalten, das keineswegs ein vorbildliches, sondern ein genauso rüpelhaftes ist wie das Verhalten der Dörper, selbst auf derselben Ebene mit den Dörpern. Sein Verhalten ähnelt dem der Dörper sehr: Es ist der Sänger selbst, der sich nicht zu benehmen weiß und aus Sicht der Dörper ähnlich angeberisch und rüpelhaft wirkt. [Plotke 2010: 30-33]

Zudem baut Spott immer eine Beziehung zwischen Spötter und Spottobjekt auf [Plotke 2010: 24]. Durch seinen Spott stellt der Sänger die Dörper automatisch ins Zentrum der Lieder. Allein die Tatsache, dass die Dörper oft den größten Raum der Lieder einnehmen und zu deren eigentlichen Thema werden, zeigt wie stark diese Beziehung zwischen dem Sänger und den Dörpern sein muss. Diese Beziehung scheint dem Sänger sogar wichtiger als die zu einer Frau. Durch das Verspotten aber versucht er zugleich eine Distanz aufzubauen, um die eigentliche Nähe zu den Dörpern nicht offenzulegen. Die Beziehung zwischen dem Sänger und den Dörpern erscheint dadurch komisiert. Durch Spott nämlich "wird der Sänger selbst zum Verspotteten" [Plotke 2010: 34]. Somit richtet sich der Spott nicht nur gegen die Dörper, sondern auch gegen den Sänger selbst. Er selbst ist derjenige, der bei der besungenen Frau keine Chance hat und abgewiesen wird [Plotke 2010: 32]. Hinzu kommen aber noch weitere Aspekte, die ihn lächerlich wirken lassen: Die übertriebene Darstellung der Dörper und die Tatsache, dass er von diesen genauso abgewiesen wird wie von der Frau. Er ist derjenige, der scheinbar alleine dasteht, der von fast allen Figuren Ablehnung erfährt. Die Verzerrung des Sängers ins Lächerliche resultiert also aus seinem Versuch einer Distanznahme zu den Figuren, für die er eigentlich eine Anziehung empfindet. Für diesen Versuch der Distanznahme durch Spott kann man zwei Gründe aufführen:

1. Es kann ein Versuch sein, seine homosexuelle Neigung sowohl vor sich selbst, als auch vor anderen zu leugnen, denn er selbst fürchtet Ablehnung und Spott. Der Spott geht nämlich nicht nur vom Sänger aus, sondern auch umgekehrt von den Dörpern gegen den Sänger, sie haben Spottlust (ir spottigkeit, WL24, Str.5a). Die Dörper wissen schließlich um seine Anziehung zu ihnen, da er ihnen seinen Gesang gewidmet hatte und dieser daraufhin von ihnen abgelehnt wurde. Möglicherweise könnte dies der Grund sein, warum der Sänger sich bedroht fühlt:

zallen zîten drôt er mir zu allen Zeiten er droht mir
als einer veizten gense. wie einer dicken Gans.

(WL27, Str.3)

Der Sänger fürchtet schaden und nid durch die Dörper:

Engelwân und Uoze Engelwan und Uoze,
die zwênè sint mír geház ich hasse die beiden
(schaden unde nídes muoz ich mich von in versehen) (Mit Schaden und Hass muss ich bei ihnen rechnen)

(WL13, Str.3)

Der Sänger kehrt seine eigene Angst vor Spott und Hetze um und hetzt selbst gegen die Dörper, dass der Eindruck entsteht, dass er die Dörper (besonders Engelwan) zu tiefst hassen würde. Genau das verursacht die gewisse Komik des spöttischen Verhaltens des Sängers. Immer wieder betont er den Übermut der Dörper, den er hier mittels eines Tiervergleichs mit einer Taube besonders spöttisch darstellt:

Seht an Engelwânen, Seht Engelwan an,
wie hôhe ér sîn hóubet tréit! wie hoch er sein Haupt trägt!
swanne er mit gespannem swerte bî dem tanze gât, Immer wenn er mit gespanntem Schwert zum Tanz geht,
sô ist er niht âne so ist er nicht ohne
der vlaemìschen höveschéit, flämische Ritterlichkeit,
dâ sîn vater Batze wênic mit ze schaffen hât. da sein Vater Batze wenig damit zu tun hat.
nu ist sîn sun ein oeder gouch mit sîner rûhen hûben: Nun ist sein Sohn ein törichter Dummkopf mit seiner struppigen Mütze:
ich gelîche sîn gephnaete ze einer saten tûben, Ich setze seine Aufgeblasenheit mit einer gesättigten Taube gleich,
diu mit vollem krophe ûf einem korenkasten stât. die mit vollem Kropf auf einem Getreidespeicher steht.

(WL13, Str.5)

2. Ein weiterer Grund für die versuchte Distanznahme des Sängers kann auch eine Kränkung, bzw. Verletztheit sein, die dadurch entstand, dass die Dörper ihn und seinen Gesang abgelehnt haben. Daher macht er sich darüber lustig, dass die Dörper ebenfalls von den Frauen abgelehnt werden, fokussiert sich auf das Werbungsverhalten der Dörper und analysiert genaustens die Missstände ihres Verhaltens:

Hiwer an einem tanze Dieses Jahr bei einem Tanz
gie er umbe und umbe. ging er hin und her.
den wehsel het er al den tac: Den Wechsel hat er jeden Tag:
glanziu schapel gap er umbe niuwiu krenzelîn. Glänzende Bänder wickelte er um die neuen Kränze.
Etzel unde Lanze, Etzel und Lanze,
zwêne knappen tumbe, zwei törichte Burschen
die phlâgen ouch, des jener phlac. die auch das zu tun pflegten, was jener zu tun pflegte.
Lanze der beswæret ein vil stolzez magedîn; Lanze, der bedrängte ein sehr edles Mädchen;
eine kleine rîsen guot ein kleines Laubgeflecht
zarte er ab ir houbet, riss er ihr fest vom Kopf,
dar zou einen bluomenhuot: dazu einen Hut mit Blumen:
wer het im daz erloubet? Wer hat ihm das erlaubt?

(WL27, Str.4)

Der Sänger beschreibt das Umhergehen beim Tanz und bezeichnet dieses Tanzverhalten abwertend als wehsel, den die Dörper jeden Tag haben. Damit spielt er darauf an, dass die Dörper sehr viele, unterschiedliche Frauen begehren, bzw. mit Tanz um diese Frauen werben. Das Verhalten des namentlich genannten Lanze benennt der Sänger mit beswaeret, was hier mit bedrängen wiedergegeben werden kann. Mit diesem Ausdruck zeigt der Sänger die Ablehnung des Dörpers durch die Frau und sein gewaltsamer Versuch trotzdem an sie heranzukommen. Daraufhin stellt er das weitere gewaltsame Verhalten des Dörpers dar: Er riss ihr eine Kopfbedeckung herunter. Zum Abschluss der Strophe erlaubt sich der Sänger durch die rhetorische Frage, wer ihm das erlaubt habe, eine persönliche Wertung. Er spottet darüber, dass die Frau den Dörper nicht werben lässt und abstoßend findet:

si kumt im niht ze mâze. Sie kommt ihm nicht zugute.
zwiu sol sîn pîneclîch gebrech? Was soll sein qualvoller Lärm?
im enmac gehelfen niht sîn hovelîch gewant. Ihm kann seine höfische Kleidung nicht helfen.
er sol im eine suochen, Er soll sich eine suchen,
diu in werben lâze. die ihn werben lässt.
diu sînen rôten buosemblech Seine rote Brustplatten
diu sint ir ungenaeme gar, dar zuo sîn hiufelbant. die sind für sie ganz und gar abstoßend, dazu sein Brustband.

(WL27, Str.7)

Auch die Natureingänge bekommen im Kontext homoerotischer Relationen eine neue Dimension. Die Hoffnungslosigkeit, die der Sänger zu Beginn jedes Winterliedes erzeugt, lässt sich in so deuten, dass er keine Chance auf eine homoerotische Beziehung sieht, da die Dörper ihn ablehnen. Er hat großen Kummer und will seinen Gesang (der sich nicht nur an Frauen, sondern auch an die Dörper richtet) aufgeben:

Wi überwinde ich beide Wie bewältige ich beides,
mîn liep und die sûmerzît? meine Liebe und die Sommerzeit?
ine kan die wolgetânen schiere niht verklagen. Ich kann die Schönen nicht gleich vergessen.
von sô grôzem leide, Von so großem Kummer,
mir riuwe âne vröude gît, mir Schmerz ohne Freude bereitet,
trûre ich wol von schulden nû ze disen trüeben tagen, betrauere ich wohl mit Recht nun diese trüben Tage,
di uns den winder kündent, der uns manger vröude roubet. die uns den Winter ankündigen, der uns manche Freude raubt.
sanges habent sich diu kleinen vogelîn geloubet: Die Vöglein haben das Singen aufgegeben:
alsô möhte ich wol mit mînem sange stille dagen. So will ich gewiss mit meinem Gesang still schweigen.

(WL13, Str.1)

Der Winter kann daher in diesem Kontext auch als Symbol für das Scheitern seiner Werbung um die Dörper stehen. Der Spott ist also das Resultat des Werbungsverhaltens des Sängers. Sein Spott gegen die Dörper dient sowohl zum eigenen Schutz vor einer möglichen Bedrohung durch die Dörper als auch zur Verarbeitung seiner Kränkung, bzw. seines Kummers aufgrund der Ablehnung durch die Dörper.

Liebe vs. Sexualität

Bei der Betrachtung des Werbungsverhaltens des Sängers fällt ein Unterschied zwischen seinem Verhalten gegenüber weiblichen und gegenüber männlichen Figuren auf. Wie oben erläutert, taucht das Thema Sexualität wider Erwarten nicht im Zusammenhang mit einer Frau auf, sondern nur im Kontext der Dörper. Er beschreibt die Dörper als sexuelle, aggressive Wesen. Damit zeigt sich sein eigenes, klares Geschlechterbild: Die männlichen Figuren bringt er mit Sexualität in Verbindung, die weiblichen eher mit Liebe. Es muss also zwischen Liebe und Sexualität unterschieden werden, da der Sänger dies offensichtlich trennt. Es fällt auf, dass der Sänger Vokabular aus dem Wortfeld Liebe nur im Zusammenhang mit Frauen verwendet. Von weiblichen Figuren, bzw. einer bestimmten nicht namentlich genannten Frau erhofft sich der Sänger ihre Liebe:

Vrouwe, dîne güete Dame, deine Barmherzigkeit
di erkénne ìch sô mánicvált, die erkenne ich so vielfältig,
daz ich liebes lônes von dir noch gedingen hân. dass ich noch auf deinen Liebeslohn hoffe.

(WL13, Str.4)

Er ist völlig von der Liebe eingenommen und beschreibt sich als gefesselt von der Liebe:

Minne, lâ mich vrî! mich twingent sêre dîniu bant. Liebe, lass mich frei! Mich beherrschen deine Fesseln völlig.

(WL13, Str.6)

Der Sänger bezeichnet die angesprochene vrouwe Minne als küneginne, die ihm überlegen ist. Seine Liebe zu ihr ist so stark, dass er kaum über eine Ablehnung durch sie hinwegkommen könnte, es würde ihn vernichten:

Minne, dîne snüere Liebe, deine Schnüre
die twíngènt daz hérze mîn, die quälen mein Herz,
daz ich hân ze strîte wider dich deheine wer. dass ich mich gegen dich mit irgendeiner Hilfe gewehrt habe.

[…]

vrouwe Minne, dîn gewalt ist wider mich ze strenge; Frau Minne, deine Macht ist zu gewaltig für mich;
küneginne, dîner ungenâde niht verhenge, Königin, lass deine Unbarmherzigkeit nicht zu,
daz si mich verderbe! ja ist si über mich ein her. sodass sie mich vernichten würde! Ja sie ist mir überlegen.

(WL13, Str.7)

Dies zeigt, dass er ein emotionales, bzw. romantisches Verhältnis zu Frauen hat. Er stellt sich auf ihre Seite, hält zu ihnen und fordert ihren Beistand: „Die dritte Strophe (des WL13) endet mit einer Aufforderung an die Dame, nicht auf den Rat jener Dörper zu hören, und einer Bitte um Unterstützung: [ ... ] laz in leit an mir geschehen! (WL 13, Str.3)“ [Haufe 2003: 115]. Dies zeigt, dass die Beziehung zu Frauen auf gegenseitigem Vertrauen und Loyalität basiert. Auch in dem Spiegelraub äußert sich diese loyale Beziehung zu Frauen, bzw. speziell zu Friderun: Obwohl nicht ihm der Spiegel zerbrochen wird, sondern Friderun, empfindet der Sänger diesen Spiegelraub als persönliche Beleidigung und ist verletzt.[Schulze 2018: 103-104] Zu den Dörpern hingegen hat der Sänger keine emotionale Beziehung, sondern empfindet eine reine (homo)sexuelle Anziehung, die er aber nicht ausleben kann. Dies beweist auch der Gewaltaspekt (s.o.): Aufgrund seiner emotionalen Beziehung zu Frauen, verteidigt er sie gegen das ihnen widerfahrende Unrecht durch die Dörper, zugleich aber legitimiert er die eigene Gewaltanwendung gegen die Dörper, die er aufgrund seiner sexuellen Hingezogenheit zu ihnen favorisiert.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Sänger sowohl um Frauen, als auch um Männer mittels Gesang wirbt. Bei den Frauen scheitert er zunächst mit diesem Werbungsgesang und stößt auf Gleichgültigkeit der besungenen Frau. Nachdem er seinen Gesang um die Frau rasch aufgegeben hat, widmet er diesen den Dörpern. Seine Werbung um die Dörper zeigt sich auf eine indirekte Weise: Er sexualisiert sie und analysiert ihr Verhalten, v.a. in Bezug auf Gewalt. Die Gewalt führt zu Körperlichkeit unter den männlichen Figuren, wodurch der Sänger sich eine Möglichkeit zur körperlichen Annäherung zu den Dörpern erhofft. Jedoch erfährt er durch die Dörper ebenfalls Ablehnung. Um seine Hingezogenheit zu den Dörpern zu leugnen, wandelt er diese in Spott um. Außerdem scheint der Sänger zwischen Liebe und Sexualität zu unterscheiden. Eine sexuelle Hingezogenheit besteht gegenüber Männern, zu Frauen hat er eher ein romantisches Verhältnis. Er hat also sowohl heteroromantische, aber auch homosexuelle Neigungen in sich.

Literatur

Primärliteratur

  • [*Neidhart] Die Lieder Neidharts, hg. von Edmund Wießner, fortgeführt von Hanns Fischer, revidiert von Paul Sappler und dem Melodienanhang von Helmut Lomnitzer, 5. verbesserte Auflage, Tübingen 1999 (Altdeutsche Textbibliothek 44).

Sekundärliteratur

<HarvardReferences />

  • [*Braun 2007] Braun, Manuel: Spiel Autonomie (unveröffentl. Habil.), S. 259-280.
  • [*Haufe 2003] Haufe, Hendrikje: Minne, Lärm und Gewalt. Zur Konstitution von Männlichkeit in Winterliedern Neidharts, in: Aventiuren des Geschlechts. Modelle von Männlichkeit in der Literatur des 13. Jahrhunderts, hg. von Martin Baisch et al., Göttingen 2003 (Aventiuren 1), S. 101-122.
  • [*Peters 2000] Peters, Ursula: Neidharts Dörperwelt. Mittelalter-Philologie zwischen Gesellschaftsgeschichte und Kulturanthropologie, in: Huber, Martin / Lauber, Gerhard: Nach der Sozialgeschichte. Konzepte für eine Literaturwissenschaft zwischen Historischer Anthropologie, Kulturgeschichte und Medientheorie, Tübingen 2000: Niemeyer.
  • [*Plotke 2010] Plotke, Seraina: Neidhart als Spötter – Spott bei Neidhart, in: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 57/1 (2010), S. 23-34.
  • [*Ruh 1984] Ruh, Kurt: Neidharts Lieder. Eine Beschreibung des Typus, in: Kleine Schriften. 1. Dichtung des Hoch- und Spätmittelalters, S. 107–128.
  • [*Schulze 2018] Schulze, Ursula: Grundthemen der Lieder Neidharts, in: Neidhart und die Neidhart-Lieder. Ein Handbuch, hg. von Margarete Springeth und Franz Viktor Spechtler, Berlin/Boston 2018, S. 95–116.

Nachschlagewerke

  • [*Hennig 2014] Hennig, Beate: Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch. In Zusammenarbeit mit Christa Hepfer und unter redaktioneller Mitwirkung von Wolfgang Bachofer, 6., durchgesehene Auflage, Berlin/ Boston 2014.
  • [*Lexer]Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, <https://www.woerterbuchnetz.de/Lexer>, zuletzt aufgerufen am 10.03.21.

Kommentare

  1. Eine heteronormative Weltanschauung stellt Heterosexualität, also gegengeschlechtliches Begehren, als soziale Norm und einzige „natürliche“ sexuelle Orientierung dar (https://100mensch.de/lexikon/heteronormativitaet/, zuletzt aufgerufen am 06.03.21)
  2. WL= Winterlied, SL= Sommerlied
  3. Alle Beispiele aus dem Originaltext beziehen sich auf [Neidhart]