Geschlechterrollen (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
Dieser Artikel behandelt die Geschlechterrollen in Wolframs von Eschenbach Roman Parzival. Die Konzeption von Frauen-, Männer- und Beziehungsbild soll unter Berücksichtigung der Rolle der Minne in einer überblicksartigen Darstellung analysiert und anhand von Beispielen interpretiert werden.
Das Konzeption des Frauenbildes
Das Konzeption des Frauenbildes bei Wolfram wird in der Wissenschaft immer wieder als besonders bemerkenswert eingestuft. Das liegt vor allen Dingen darin begründet, dass er sich deutlich von dem typischen Frauenbild des Minnesanges gelöst hat. Im Minnesang trugen Frauengestalten oftmals keine, oder nur kaum merkliche individuelle charakterliche oder äußerliche Züge. Vielmehr als Individuen stellten sie "letztlich nichts anderes als poetische Abstraktionen erwünschter Verhaltensweisen" dar [Schweikle 1995: S. 182]. Von diesem Bild distanziert sich Wolfram, wenn er betont:
ine hân des niht vergezzen, |
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Und es ist ja auch nicht so, |
ine künne wol gemezzen, |
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dass ich etwas das Maß verlegt hätte, |
beide ir bærde unt ir site. |
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Sitten und Betragen einer Frau recht zu beurteilen. |
Mit diesem Satz beansprucht er als Erzähler einen Einblick in das Wesen der Frau [Emmerling 2003: vgl. S. 158]. Gemau diese Individualität des Wesens ist programmatisch und neu in Wolframs Roman. Er gesteht weiblichen Figuren durchaus handlungstragende Rollen zu, wie sie bereits etwa bei Hartman Aue zu finden sind [Emmerling 2003: vgl. S. 167f.], geht aber sogar noch einen Schritt weiter. Er gibt seinen Frauenfiguren "den Raum, ihre eigenen Lebensvorstellungen, vor allem im Bereich der Minne, zu entfalten." [Emmerling 2003: S. 168] Ein Beispiel hierfür kann der Charakter der Orgeluse sein. Diese äußerst selbstbewusst und stark auftretende Frauenfigur vermag es, nachdem ihr Mann Cidegast von Gramoflanz ermordet worden ist ohne Ehemann ihre Herrschaft zu behaupten (siehe hier auch den Artikel Orgeluse). So hat Orgeluse keinerlei Hemmungen zur Erreichung ihrer Ziele alle Mittel anzuwenden, die ihr als richtig erscheinen. Dazu zählt vor allem auch der Minnedienst verschiedener Ritter, unter anderem auch der Gawans, ihres späteren Ehemanns. Gerade in der Episode mit Gawan wird deutlich wie selbstbewusst und unhöfisch, geradezu frech sich Orgeluse gegenüber dem großen Ritter verhält. Der Erzähler fasst es so:
Orgelûs diu rîche, |
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Es war nicht lieb von der reichen Orgeluse, |
fuor ungeselleclîche:, |
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wie sie mit ihm umsprang: |
zuo Gâwân si kom geriten |
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Sie ritt nun zu Gawan hin, |
mit alsô zornlîchen siten, |
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aber sie war so hässlich zu ihm, |
daz ich michs wênec trôste |
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dass ich an seiner Stelle mir wenig Hoffnungen gemacht hätte, |
daz si mich von sorgen lôste. |
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sie könnte mich erlösen von meinen Leiden. |
516,15-20
Nichtsdestotrotz spielen auch bei Wolfram Werte wie die triuwe gerade auch für Frauenfiguren eine wichtige Rolle. Diese kann jedoch sehr unterschiedliche Ausprägungen annehmen. So besteht die Treue Orgeluses darin, dass ihr Hass gegenüber Gramoflanz seine Wurzel in dem Mord an ihrem Gatten Cidegast hat. Noch lange nach dessen Tod strebt Orgeluse danach ihn zu rächen und geht auch vorerst keine neue Ehe ein. Ganz anders geartet ist die Treue von Condwiramurs, die mit scheinbar endloser Geduld auf ihre Ehemann Parzival wartet. Weitere Beispiele für unterschiedliche Ausgestaltungen der triuwe bei Wolfram können die Charaktere Sigune und Antikonie sein [Emmerling 2003: vgl. S. 168f.]. Auch Figuren wie die Gralsbotin Cundrie, die komisch-absurd wirkend, in ihrem Aussehen als tierisch beschrieben wird, Parzival gegenüber anklagend auftritt (vgl. 316ff.), stärken das Modell einer individuelleren und selbstbewussteren Frauenkonzeption im Gegensatz zu anderen, mit Wolfram vergleichbaren Autoren. Im Bezug auf die Minne generell haben die Frauenfiguren im Parzival eine vergleichsweise große Selbstbestimmung [Bumke 2004: vgl. S. 163]. Ein Exempel ist hier etwa die Figur der Herzeloyde, die - einmal in Parzivals Vater Gahmuret verliebt - nicht mehr locker lässt und ihn gar mithilft eines Richterspruches in die Ehe zwingt. Ähnlich manifestiert sich die Minnestärke der Frauen etwa im "Nachsterben" einiger weiblicher Figuren (z.B. Belacane) nach dem Tod oder dem Fortgehen ihrer Männer. "Was der Erzähler an diesen Frauen herausstellt, ist die Intensität ihrer Liebesbindungen in die Konsequenz ihrer Handlungsweise." [Bumke 2004: S. 163]] Dies alles darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Frauen im Vergleich zu Männern in der höfischen Literatur allgemein und in dem Romans Wolframs im speziellen eher geringgeschätzt werden. Der Erzähler macht dies an verschiedenen Stellen durch Kommentare deutlich (vgl. etwa 450,5 oder 116,8-9). Trevrizent lehrt Parzival, dass durch Eva das Böse in die Welt gekommen sei (vgl. 463,19ff.). Die untergeordnete Stellung der Frauen wird auch dadurch ersichtlich, dass sie oftmals das Opfer männlicher Gewalt sind, wie beispielhaft bei Orgeluse und Gramoflanz zu erkennen ist (vgl. hier auch den Artikel Gramoflanz). Einige Wissenschaftler, wie etwa Scheuble erkennen so "[...] dass Wolframs Erzählstil in weiten Zügen als disukursive Gewalt gegen Frauen bezeichnet werden kann, da in der Art Weise seines literarischen Sprecchens über die Frauen die dem mittelalterlichen Frauenbild immanente misogyne Grundhaltung auf den verschiedenen Sprachebenen mit Nachdruck reproduziert wird." [Scheuble 2005: S. 149]
Die Konzeption des Männerbildes
Allgemein
Den männlichen Figuren wird im Parzival der weitaus größere Handlungs- und Bedeutungsspielraum eingeräumt. Die Hauptfiguren sind allesamt männlich. Wichtige Attribute der Männlichkeit, die in vielen Fällen wieder auftauchen, entsprechen höfischen Idealen. Dies betrifft folgerichtig hauptsächlich die adeligen Charaktere. Diese werden fast durchweg als edle Ritter voller Tugenden und Kampfeskraft beschrieben. Doch werden diese typischen Ideale von Wolfam an verschiedenen Stellen immer wieder aufgebrochen. Ein Beispiel ist hier das oft gewalttätige Verhalten der Männer (wehrlosen) Frauen gegenüber (siehe auch den Artikel Gewalt in "Parzival". Nochmals kann dies besonders gut an der Beziehung zwischen Orgeluse und Gramoflanz veranschaulicht werden (vgl. 606,8-16). Ein anderes bekanntes Beispiel sind die Schläge mit denen Keie Cunneware bestraft, als sie Parzival zulächelt (vgl. 151,17-30). Keie versteht ihr Lächeln, dass sie eigentlich nur dann lähelte, "bis zu dem Tag, da ihr der vor die Augen käme, der höchsten Ruhm auf Erden hätte oder gewinnen sollte." (vgl. 151,13-16). Keie versteht sich hier als "Wahrer einer von Männern geschaffenen und patriarchal strukturierten Ordnung auf, zu deren Aufrechterhaltung und Durchsetzung auch vom Züchtigungsrecht Gebrauch gemacht werden darf." [Scheuble 2005: S. 315], was der Erzähler allerdings in Frage stellt:
in zorne wunders vil geschiht. |
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Im Zorn geschehen viele wunderliche Dinge. |
sîns slages wær im erteilet niht |
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Kein Urteil von den Großen des Reiches hätte ihm je erlaubt, |
vorem rîche ûf dise magt, |
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das Mädchen zu prügeln. |
diu vil von friwenden wart geklagt. |
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Ihre Verwandten waren sehr empört darüber. |
op si halt schilt solde tragn, |
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Ja, wenn sie sich hätte wehren können mit dem Schild in der Hand! |
diu unfuoge ist dâ geslagn: | __________ |
Ein Unrecht war es und eine Schande, als er sie da schlug, |
wan si was von arde ein fürstîn.. |
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denn sie war eine Fürstin von Geburt. |
152,13-19
Auffällig ist insgeamt "die Häufigkeit,mit derm im Parzival on Frauenraub, Vergewaltigung und anderen Formen manifester Gewalt gegen Frauen erzählt wird." [Scheuble 2005: S. 149] Männer sind also die Hauptträger der Gewalt in dem Roman Wolframs. Generell wird für das Mittelalter davon gesprochen, dass die Sozialisation adlig-ritterlicher Männer in erster Linie durch den patriarchalischen Charakter der Gesellschaft bestimmt worden sei [Scheuble 2005: vgl. S. 202]. Das zeigt sich etwa in den großen Herrscherfiguren des Romans, wie König Artus, Anfortas oder Parzival als Gralskönig selbst, die neben den Hauptfiguren ebenfalls allesamt männlich sind. Dennoch finden sich auch in der Konzeption der männlichen Figuren bei Wolfram einige wichtige Abweichungen von der sonstigen höfischen Literatur. Die bereits bei den Frauenfiguren erkannte individuelle Gestaltung der einzelnen Charaktere findet ihre Fortsetzung auch in den männlichen Figuren. Das wohl auffälligste Beispiel ist Parzival selbst. Die Eigenschaft, die ihn von einem "normalen" Helden am deutlichsten unterscheidet ist seine tumpheit (siehe auch den Artikel Parzivals tumpheit, die ihm immer wieder vom Erzähler zugeschrieben wird (vgl. beispielsweise 124,16) und bedeutenden Einfluss auf den Handlungsverlauf des Romans hat.
Abweichung von der typischen Protagonistenkonzeption
Im "Parzival" bricht Wolfram das typisch höfische Protagonistenbild auf. Statt wie vermutet einen einzigen, klassischen Helden durch seine gesamte Geschichte hindurch zu verfolgen, teilt Wolfram die Handlung auf verschiedene Protagonisten auf, wechselt immer wieder die Perspektive. Die größte Rolle spielt dabei Gawan, der allerdings wiederum selten -abgesehen von seinem Kampf auf Schastel marveile - allein im Mittelpunkt der Handlung stehe [Emmerling 2003: vgl. S. 177]. "Das Interesse Wolframs gilt in der gesamten Gawan-Handlung immer auch verstärkt den Figuren, die den Helden umgeben [...]" [Emmerling 2003: S. 177]. Gawans Rolle und damit die, einer der Protagonisten sei "häufig reaktiv." [Emmerling 2003: vgl. S. 177]. Zusammenfassend lässt sich zu diesem Punkt sagen, dass Wolframs Interesse nicht darin liegt, einen typischen, von vorneherein perfekten Helden zu entwickeln, sondern vielmehr ein Handlungskonzept mehrerer individuell geformter und durchaus auch fehlerhafter Charaktere, die oft erst durch gemeinsamens Handeln erfolgreich sein können.
Die Konzeption der Beziehungen und die Rolle der minne
Literaturnachweise
<HarvardReferences /> [*Schweikle 1995] Schweickle, Günther: Minnesang (= SM 244), Stuttgart 1995. <HarvardReferences /> [*Emmerling 2003] Emmerling, Sonja: Geschlechterbeziehungen in den Gawan-Büchern des Parzival. Wolframs Arbeit an einem literarischen Modell, Tübingen 2003. <HarvardReferences /> [*Bunke 2004] Bunke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, Stuttgart/Weimar, 2004. <HarvardReferences /> [*Scheuble 2005] Scheuble, Robert: mannes manheit, vrouwen meister. Männliche Sozialisation und Formen der Gewalt gegen Frauen im Nibelungenlied und in Wolframs von Eschenbach Prazival. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Wien [u.a.]: Lang, 2005.