827: Das Chronicon Salernitanum über die Eroberung Siziliens durch die Muslime: Unterschied zwischen den Versionen

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Als dies schließlich unter der Allgemeinheit bekannt und dem Euphemios mitgeteilt wurde, stieß er freilich mit folgenden Worten hervor: „Meine Frau habt ihr wahrlich geschändet. Dieses Jahr soll zugrunde gehen, wenn ich nicht die Frauen vieler schänden lasse.“ Deshalb bestieg er mit seinen Sklaven ein Schiff, eilte nach Afrika und unterbreitete dem König jenes Landes derartige Worte: „Sende mit mir zahlreiche Schiffe, so werde ich ein großes, weites Land unter eure Macht stellen“. Und als der Barbarenkönig solches hörte, freute er sich gewaltig und befahl, dass sich ohne Verzug die ganze Flotte zusammenziehen solle.  
Als dies schließlich unter der Allgemeinheit bekannt und dem Euphemios mitgeteilt wurde, stieß er freilich mit folgenden Worten hervor: „Meine Frau habt ihr wahrlich geschändet. Dieses Jahr soll zugrunde gehen, wenn ich nicht die Frauen vieler schänden lasse.“ Deshalb bestieg er mit seinen Sklaven ein Schiff, eilte nach Afrika und unterbreitete dem König jenes Landes derartige Worte: „Sende mit mir zahlreiche Schiffe, so werde ich ein großes, weites Land unter eure Macht stellen“. Und als der Barbarenkönig solches hörte, freute er sich gewaltig und befahl, dass sich ohne Verzug die ganze Flotte zusammenziehen solle.  
Als sie freilich zusammen versammelt waren, begann jener Barbarenkönig mit derartigem Worten: „Nehmt jede Anweisung von diesem meinen Mann und Freund und fürchtet seine Befehle, als wenn es meine wären.“ Und wie er dieses sagte, überließ er ihnen natürlich keine geringfügigen Gaben, sondern viel prächtigere als alles, was Euphemios gegeben hatte. Als sie aber nach Sizilien eilten, überfielen sie es offenbar sogleich und trafen, wie es scheint, auf starken Widerstand. Sie drangen vor, machten zahlreiche Völker untertan, mit Mühe konnten wenige fliehen, die unlängst in die zahlreichen Kastelle und Joche der Berge entflohen sind.
Als sie freilich zusammen versammelt waren, begann jener Barbarenkönig mit derartigem Worten: „Nehmt jede Anweisung von diesem meinen Mann und Freund und fürchtet seine Befehle, als wenn es meine wären.“ Und wie er dieses sagte, überließ er ihnen natürlich keine geringfügigen Gaben, sondern viel prächtigere als alles, was Euphemios gegeben hatte. Als sie aber nach Sizilien eilten, überfielen sie es offenbar sogleich und trafen, wie es scheint, auf starken Widerstand. Sie drangen vor, machten zahlreiche Völker untertan, mit Mühe konnten wenige fliehen, die unlängst in die zahlreichen Kastelle und Joche der Berge entflohen sind.
Aber sie verleugneten [töteten] daselbst auch das Griechlein und seine übrigen Begleiter, und von dieser Zeit an begannen sie, über Sizilien zu herrschen. Nachdem er das gehört hatte, war Fürst Sico schließlich sehr traurig, und er trug kaum mehr die Krone auf seinem Haupt, nachdem er vorausgesagt hatte, dass zukünftig das Schwert zwischen den Scharen der Langobarden sein würde. Schließlich sind wegen eines Mädchens andere und bald viele Witwen geworden. Und jene, die früher alle gemeinsam gespeist und gejauchzt haben, vergossen später zahlreiche Tränen wegen eines Griechleins.|5=== Autor/in & Werk: ==
Aber sie verleugneten [töteten] daselbst auch das Griechlein und seine übrigen Begleiter, und von dieser Zeit an begannen sie, über Sizilien zu herrschen. Nachdem er das gehört hatte, war Fürst Sico schließlich sehr traurig, und er trug kaum mehr die Krone auf seinem Haupt, nachdem er vorausgesagt hatte, dass zukünftig das Schwert zwischen den Scharen der Langobarden sein würde. Schließlich sind wegen eines Mädchens andere und bald viele Witwen geworden. Und jene, die früher alle gemeinsam gespeist und gejauchzt haben, vergossen später zahlreiche Tränen wegen eines Griechleins.|5=== Autor/in & Werk  ==


<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Das ''Chronicon Salernitanum'' behandelt die Geschichte der Langobarden vom späteren 6.&nbsp; bis ins spätere 10.&nbsp;Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung des Dukats von Benevent und des Fürstentums von Salerno. Der anonyme Verfasser stellt seinem Werk drei Herrscherlisten voraus, die es politisch und chronologisch einordnen: Erstens werden die langobardischen Könige von Albuin (regn. 560/568-72/3) bis Desiderius (regn. 757-74) genannt; zweitens die fränkischen Könige beginnend mit entweder Pippin dem Älteren oder Mittleren (regn. 615/625-640 / 697-715) über Karl den Großen (regn. 768-814) und ihm folgend die fränkisch-sächsischen Herrscher bis zu Otto&nbsp;III. (regn. 983-1002) sowie drittens die langobardischen Herrscher Benevents von Zotto (regn. 571-591) bis zu Radelchis&nbsp;II. (regn. 881-900). Die eigentliche Erzählung setzt mit dem Pontifikat Papst Zaccharias (sed. 741-752) ein. Für die frühe Berichterstattung zur fränkisch-karolingischen Politik stützt sich der Autor stark auf den ''Liber Pontificalis''. Sein vorwiegendes Interesse gilt bald aber den internen Konflikten der Langobarden und der Abspaltung der Fürstentümer, zumal Salernos (851), und deren weitere Entwicklungen im Mächtegeflecht der süditalienischen Halbinsel. Für mehrere Teile verwendet der Verfasser ausgiebig Passagen aus der ''Origo Gentis Langobardorum'', der ''Historia Langobardorum'' und der ''Chronica Sancti Benedicti Casinensis''. Der Quellenwert des ''Chronicon Salernitanum'' wurde nach seiner Erstedition daher zunächst geringgeschätzt. Mittlerweile herrscht jedoch Einigkeit darüber, dass die – wenn auch in Teilen kompilative – Chronik von größter Bedeutung für die Geschichtsforschung zu Süditalien ist.<ref name="ftn1">Delogu, ''Mito'', S. 237-277; Pohl, ''Werkstätte'', S. 55-67, weist zurecht darauf hin, dass das ''Chronicon Salernitanum'' „mehr Aufmerksamkeit“ verdienen würde.</ref> Gerade für die Zeit ab etwa der Mitte des 9.&nbsp;Jahrhunderts erhält die Komposition des Anonymus selbstständigeren Charakter, und er berichtet in eigentümlicher Breite und Anschaulichkeit. Wurde dieser Stil bisweilen in den Bereich der „Volksmärchen“<ref name="ftn2">Manitius, ''Geschichte'', S. 199.</ref> verwiesen, zeigt die genaue Analyse aber eine argumentative Logik der Erzählweise. Die Quelle ist vor allem deswegen wertvoll, weil sie eine lateinische Perspektive auf die Aktivitäten der Muslime in Süditalien und deren kurzzeitige Herrschaftsetablierung in den Emiraten von Bari und Tarent bietet. Weiter gewährt das ''Chronicon Salernitanum'' besondere Einblicke in die Beziehungen der konkurrierenden Städte Salerno, Neapel und Amalfi. In diesem Kontext schließlich bricht die Chronik unvermittelt in derjenigen Phase ab, in der die Salernitaner Prinzenbrüder Gisulf&nbsp;I. (regn. 978-981) und Pandulf (regn. 981) mit den Amalfitanern ringen, die sich schließlich unter Manso (regn. 966-1004 als Herzog von Amalfi, regn. 966-983 als Prinz von Salerno) für einige Zeit Salernos bemächtigen sollten. </div>
<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Das ''Chronicon Salernitanum'' behandelt die Geschichte der Langobarden vom späteren 6.&nbsp; bis ins spätere 10.&nbsp;Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung des Dukats von Benevent und des Fürstentums von Salerno. Der anonyme Verfasser stellt seinem Werk drei Herrscherlisten voraus, die es politisch und chronologisch einordnen: Erstens werden die langobardischen Könige von Albuin (regn. 560/568-72/3) bis Desiderius (regn. 757-74) genannt; zweitens die fränkischen Könige beginnend mit entweder Pippin dem Älteren oder Mittleren (regn. 615/625-640 / 697-715) über Karl den Großen (regn. 768-814) und ihm folgend die fränkisch-sächsischen Herrscher bis zu Otto&nbsp;III. (regn. 983-1002) sowie drittens die langobardischen Herrscher Benevents von Zotto (regn. 571-591) bis zu Radelchis&nbsp;II. (regn. 881-900). Die eigentliche Erzählung setzt mit dem Pontifikat Papst Zaccharias (sed. 741-752) ein. Für die frühe Berichterstattung zur fränkisch-karolingischen Politik stützt sich der Autor stark auf den ''Liber Pontificalis''. Sein vorwiegendes Interesse gilt bald aber den internen Konflikten der Langobarden und der Abspaltung der Fürstentümer, zumal Salernos (851), und deren weitere Entwicklungen im Mächtegeflecht der süditalienischen Halbinsel. Für mehrere Teile verwendet der Verfasser ausgiebig Passagen aus der ''Origo Gentis Langobardorum'', der ''Historia Langobardorum'' und der ''Chronica Sancti Benedicti Casinensis''. Der Quellenwert des ''Chronicon Salernitanum'' wurde nach seiner Erstedition daher zunächst geringgeschätzt. Mittlerweile herrscht jedoch Einigkeit darüber, dass die – wenn auch in Teilen kompilative – Chronik von größter Bedeutung für die Geschichtsforschung zu Süditalien ist.<ref name="ftn1">Delogu, ''Mito'', S. 237-277; Pohl, ''Werkstätte'', S. 55-67, weist zurecht darauf hin, dass das ''Chronicon Salernitanum'' „mehr Aufmerksamkeit“ verdienen würde.</ref> Gerade für die Zeit ab etwa der Mitte des 9.&nbsp;Jahrhunderts erhält die Komposition des Anonymus selbstständigeren Charakter, und er berichtet in eigentümlicher Breite und Anschaulichkeit. Wurde dieser Stil bisweilen in den Bereich der „Volksmärchen“<ref name="ftn2">Manitius, ''Geschichte'', S. 199.</ref> verwiesen, zeigt die genaue Analyse aber eine argumentative Logik der Erzählweise. Die Quelle ist vor allem deswegen wertvoll, weil sie eine lateinische Perspektive auf die Aktivitäten der Muslime in Süditalien und deren kurzzeitige Herrschaftsetablierung in den Emiraten von Bari und Tarent bietet. Weiter gewährt das ''Chronicon Salernitanum'' besondere Einblicke in die Beziehungen der konkurrierenden Städte Salerno, Neapel und Amalfi. In diesem Kontext schließlich bricht die Chronik unvermittelt in derjenigen Phase ab, in der die Salernitaner Prinzenbrüder Gisulf&nbsp;I. (regn. 978-981) und Pandulf (regn. 981) mit den Amalfitanern ringen, die sich schließlich unter Manso (regn. 966-1004 als Herzog von Amalfi, regn. 966-983 als Prinz von Salerno) für einige Zeit Salernos bemächtigen sollten. </div>


<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Über den Autor selbst erfahren wir wenig. Als Ort seines Schreibens kann auf Grund mehrerer Indizien die Stadt Salerno ausgemacht werden, deren Archive er für sein Werk nutzte und deren Inschriften er kannte.<ref name="ftn3">''Chronicon Salernitanum'', ed. Westerbergh, S. 202f. und S. 219f.</ref> Er war offenbar Geistlicher und, da er mehrfach die Abtei von Montecassino lobend erwähnt, folgerte man, dass er selbst Benediktiner war. Die Abtei San Benedetto in Salerno wurde folglich als Lebensmittelpunkt des Verfassers plausibel gemacht.<sup> </sup><ref name="ftn4">''Chronicon Salernitanum'', ed. Westerbergh, S. XIII.</ref>Spekuliert wurde weiter, ob und welche Beziehungen er zum langobardischen Hof von Salerno gehabt haben könnte.<ref name="ftn5">Kreutz, ''Normans'', S. 95.</ref> In diesem Kontext erwähnenswert ist, dass die einzige autobiographische Notiz in der Chronik daran erinnert, dass der Vorfahr des Verfassers, ein gewisser Radoald, wegen Spannungen mit Rofried, einem Getreuen des Herzogs Sicard von Benevent (regn. 832-839), von Benevent nach Neapel fliehen musste.<ref name="ftn6">''Chronicon Salernitanum'', ed. Westerbergh, cap. 68, S. 65f.</ref> Während daraus geschlossen wurde, dass der Autor adliger Abstammung war,<ref name="ftn7">Manitius, ''Geschichte'', S. 198; ''Chronicon Salernitanum'', ed. Westerbergh, S. XIII. </ref> ließe sich weiter vermuten, dass daraus auch eine gewisse Distanz gegenüber der beneventanischen Linie langobardischer Herrscher resultieren könnte. Taviani-Carozzi argumentierte für die Identifikation des unbekannten Autors mit dem Abt von San Benedetto in Salerno, der zwischen 986 und 990 nachweisbar ist und den gleichen Namen wie der genannte Vorfahr Radoald trug. Obwohl diese Deutung auch mit dem Verfassungszeitraum des ''Chronicon'' zwischen 973 (letztes erwähntes Ereignis) und 996 (Otto&nbsp;III. wird bereits als Kaiser bezeichnet) korrelieren würde, ist dieser Vorschlag in der italienischen (Lokal-)Forschung heftig zurückgewiesen worden.<ref name="ftn8">Taviani-Carozzi, ''Principauté'', S. 85-91; dagegen Palmieri, Identità, S. 225, S. 232; Delogu, Conquista, S. 213f.</ref> </div>
<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Über den Autor selbst erfahren wir wenig. Als Ort seines Schreibens kann auf Grund mehrerer Indizien die Stadt Salerno ausgemacht werden, deren Archive er für sein Werk nutzte und deren Inschriften er kannte.<ref name="ftn3">''Chronicon Salernitanum'', ed. Westerbergh, S. 202f. und S. 219f.</ref> Er war offenbar Geistlicher und, da er mehrfach die Abtei von Montecassino lobend erwähnt, folgerte man, dass er selbst Benediktiner war. Die Abtei San Benedetto in Salerno wurde folglich als Lebensmittelpunkt des Verfassers plausibel gemacht.<sup> </sup><ref name="ftn4">''Chronicon Salernitanum'', ed. Westerbergh, S. XIII.</ref>Spekuliert wurde weiter, ob und welche Beziehungen er zum langobardischen Hof von Salerno gehabt haben könnte.<ref name="ftn5">Kreutz, ''Normans'', S. 95.</ref> In diesem Kontext erwähnenswert ist, dass die einzige autobiographische Notiz in der Chronik daran erinnert, dass der Vorfahr des Verfassers, ein gewisser Radoald, wegen Spannungen mit Rofried, einem Getreuen des Herzogs Sicard von Benevent (regn. 832-839), von Benevent nach Neapel fliehen musste.<ref name="ftn6">''Chronicon Salernitanum'', ed. Westerbergh, cap. 68, S. 65f.</ref> Während daraus geschlossen wurde, dass der Autor adliger Abstammung war,<ref name="ftn7">Manitius, ''Geschichte'', S. 198; ''Chronicon Salernitanum'', ed. Westerbergh, S. XIII. </ref> ließe sich weiter vermuten, dass daraus auch eine gewisse Distanz gegenüber der beneventanischen Linie langobardischer Herrscher resultieren könnte. Taviani-Carozzi argumentierte für die Identifikation des unbekannten Autors mit dem Abt von San Benedetto in Salerno, der zwischen 986 und 990 nachweisbar ist und den gleichen Namen wie der genannte Vorfahr Radoald trug. Obwohl diese Deutung auch mit dem Verfassungszeitraum des ''Chronicon'' zwischen 973 (letztes erwähntes Ereignis) und 996 (Otto&nbsp;III. wird bereits als Kaiser bezeichnet) korrelieren würde, ist dieser Vorschlag in der italienischen (Lokal-)Forschung heftig zurückgewiesen worden.<ref name="ftn8">Taviani-Carozzi, ''Principauté'', S. 85-91; dagegen Palmieri, Identità, S. 225, S. 232; Delogu, Conquista, S. 213f.</ref> </div>
== Inhalt & Quellenkontext: ==
== Inhalt & Quellenkontext  ==


<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">In Kapitel 60 berichtet das ''Chronicon Salernitanum'' von der Eroberung Siziliens durch die Muslime. Der Autor erwähnt hier erstmals die zentrale Mittelmeerinsel ebenso wie die Griechen (i.e. die Byzantiner) und Muslime, die für die späteren Schilderungen der politischen Entwicklungen in Süditalien noch von großer Bedeutung werden. An dieser Stelle aber werden diese Gruppierungen und die politischen Entitäten, denen sie zugehören, nicht näher charakterisiert oder ihre bevorstehende Rolle innerhalb des Werkes bzw. der Geschichte vorausgedeutet, sodass das Kapitel zunächst etwas isoliert wirken mag. Die gesamte Eroberung Siziliens durch die Muslime (827-902) und deren Herrschaftsetablierung wird innerhalb eines Abschnittes abgehandelt, sodass der Autor mit wenigen Zeilen den Zeitraum von mehreren Jahrzehnten abdeckt. Sein Hauptaugenmerk richtet er dabei nicht auf militärische Erfolge dieser politischen und religiösen Expansion, sondern auf einen Vorfall, welcher der Eroberung vorausging und das Geschehen somit erklären soll. Als Hauptakteur wird ein gewisser Euphemios genannt, dessen Verlobte Homoniza von einem sogenannten „Griechlein“, das als Vorsteher von Sizilien bezeichnet wird und damit wohl den Strategen (''στρατηγός'') der byzantinischen Verwaltungseinheit Sizilien meint, gegen Geld für einen anderen Mann geraubt wurde. Daraufhin habe Euphemios Rache geschworen, den „Barbarenkönig“ in Afrika um militärische Unterstützung gebeten und ihm im Gegenzug die Herrschaft über große Ländereien versprochen. Sie gingen folgend ein Bündnis ein, zogen gemeinsam gegen Sizilien und unterwarfen die Insel.</div>
<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">In Kapitel 60 berichtet das ''Chronicon Salernitanum'' von der Eroberung Siziliens durch die Muslime. Der Autor erwähnt hier erstmals die zentrale Mittelmeerinsel ebenso wie die Griechen (i.e. die Byzantiner) und Muslime, die für die späteren Schilderungen der politischen Entwicklungen in Süditalien noch von großer Bedeutung werden. An dieser Stelle aber werden diese Gruppierungen und die politischen Entitäten, denen sie zugehören, nicht näher charakterisiert oder ihre bevorstehende Rolle innerhalb des Werkes bzw. der Geschichte vorausgedeutet, sodass das Kapitel zunächst etwas isoliert wirken mag. Die gesamte Eroberung Siziliens durch die Muslime (827-902) und deren Herrschaftsetablierung wird innerhalb eines Abschnittes abgehandelt, sodass der Autor mit wenigen Zeilen den Zeitraum von mehreren Jahrzehnten abdeckt. Sein Hauptaugenmerk richtet er dabei nicht auf militärische Erfolge dieser politischen und religiösen Expansion, sondern auf einen Vorfall, welcher der Eroberung vorausging und das Geschehen somit erklären soll. Als Hauptakteur wird ein gewisser Euphemios genannt, dessen Verlobte Homoniza von einem sogenannten „Griechlein“, das als Vorsteher von Sizilien bezeichnet wird und damit wohl den Strategen (''στρατηγός'') der byzantinischen Verwaltungseinheit Sizilien meint, gegen Geld für einen anderen Mann geraubt wurde. Daraufhin habe Euphemios Rache geschworen, den „Barbarenkönig“ in Afrika um militärische Unterstützung gebeten und ihm im Gegenzug die Herrschaft über große Ländereien versprochen. Sie gingen folgend ein Bündnis ein, zogen gemeinsam gegen Sizilien und unterwarfen die Insel.</div>
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<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Zur Unterstützung seines Vorhabens und auf Grund der Tatsache, dass Konstantinopel offenbar gegen ihn vorzugehen begann, scheint Euphemios dann die Hilfe des aġlabidischen Emirs, Ziyādat Allāh (regn. 817-838), in Ifrīqiya gesucht zu haben. In diesem Kontext wird Euphemios als Fīmī auch in arabisch-islamischen Narrativen fassbar.<ref name="ftn13">Nef, Reinterpreting; siehe außerdem 827: Al-Nuwayrī (gest. 733/1333) über den Beginn der muslimischen Eroberung Siziliens.</ref> Ein gemeinsamer Angriff wurde vereinbart, und 827 landete unter der Führung des Asad b. al-Furāt (gest. 828) die aġlabidische Flotte gemeinsam mit Euphemios in Mazara. Dieser Zeitpunkt gilt als Beginn der islamischen Eroberung Siziliens, die sich bis ins frühe 10.&nbsp;Jahrhundert hinzog.<ref name="ftn14">Metcalfe, ''Muslims'', S. 4-43.</ref></div>
<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Zur Unterstützung seines Vorhabens und auf Grund der Tatsache, dass Konstantinopel offenbar gegen ihn vorzugehen begann, scheint Euphemios dann die Hilfe des aġlabidischen Emirs, Ziyādat Allāh (regn. 817-838), in Ifrīqiya gesucht zu haben. In diesem Kontext wird Euphemios als Fīmī auch in arabisch-islamischen Narrativen fassbar.<ref name="ftn13">Nef, Reinterpreting; siehe außerdem 827: Al-Nuwayrī (gest. 733/1333) über den Beginn der muslimischen Eroberung Siziliens.</ref> Ein gemeinsamer Angriff wurde vereinbart, und 827 landete unter der Führung des Asad b. al-Furāt (gest. 828) die aġlabidische Flotte gemeinsam mit Euphemios in Mazara. Dieser Zeitpunkt gilt als Beginn der islamischen Eroberung Siziliens, die sich bis ins frühe 10.&nbsp;Jahrhundert hinzog.<ref name="ftn14">Metcalfe, ''Muslims'', S. 4-43.</ref></div>
== Kontextualisierung, Analyse & Interpretation: ==
== Kontextualisierung, Analyse & Interpretation  ==


<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Die Eroberung Siziliens durch die Muslime im ''Chronicon Salernitanum'' scheint zunächst unverbunden mit den vorigen und nachfolgenden Schilderungen des Salernitaner Anonymus. Die Erzählung von Sizilien folgt dem Bericht, wie Herzog Sico von Benevent (regn. 817-832) die Stadt Neapel belagert, die Reliquien des Heiligen Janarius nach Benevent überführt und außerdem eine Dynastie von Gastalden in Capua etabliert hat.<ref name="ftn15">''Chronicon Salernitanum'', ed. Westerbergh, cap. 57, S. 57f. und cap. 58, S. 58.</ref> Auch die auf Kapitel 60 folgenden Abschnitte beschäftigen sich wieder ganz mit Entwicklungen innerhalb der langobardischen Eliten. Die Konsequenzen und der weitere Verlauf der islamischen Herrschaftsetablierung in Sizilien werden nicht reflektiert und erst zwölf Kapitel später wird wieder von den Eroberern Siziliens berichtet, nämlich als sich diese auf das Festland ausbreiteten.<ref name="ftn16">''Chronicon Salernitanum'', ed. Westerbergh, cap. 72, S. 70f.</ref> Erwähnenswert ist nun, dass die neutral und ohne Wertung beschriebenen Muslime (''gens Agarenorum''), die in Kapitel 60 Sizilien eroberten, im Augenblick, da sie zur unmittelbaren Bedrohung auf dem süditalienischen Festland werden, bisweilen als schändlich (''astutissima Agarenorum gens'') bezeichnet werden. Doch ist der Autor auch in dieser Zuschreibung keineswegs festgefahren, was sich wieder zeigt, wenn er die Muslime, mit denen Salerno in vielseitigem Austausch stand und Handelsbeziehungen unterhielt, in anderen Zusammenhängen beschreibt.<ref name="ftn17">Kreutz, ''Normans'', S. 18-101; Cicco, Langobardi, S. 78-84. </ref> Wahrnehmungen und Beschreibungen des religiösen Anderen sind im ''Chronicon Salernitanum'' damit prinzipiell kontextabhängig und in ihren Wertungen flexibel.<ref name="ftn18">Kreutz, ''Normans'', S. 49-54.</ref> </div>
<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Die Eroberung Siziliens durch die Muslime im ''Chronicon Salernitanum'' scheint zunächst unverbunden mit den vorigen und nachfolgenden Schilderungen des Salernitaner Anonymus. Die Erzählung von Sizilien folgt dem Bericht, wie Herzog Sico von Benevent (regn. 817-832) die Stadt Neapel belagert, die Reliquien des Heiligen Janarius nach Benevent überführt und außerdem eine Dynastie von Gastalden in Capua etabliert hat.<ref name="ftn15">''Chronicon Salernitanum'', ed. Westerbergh, cap. 57, S. 57f. und cap. 58, S. 58.</ref> Auch die auf Kapitel 60 folgenden Abschnitte beschäftigen sich wieder ganz mit Entwicklungen innerhalb der langobardischen Eliten. Die Konsequenzen und der weitere Verlauf der islamischen Herrschaftsetablierung in Sizilien werden nicht reflektiert und erst zwölf Kapitel später wird wieder von den Eroberern Siziliens berichtet, nämlich als sich diese auf das Festland ausbreiteten.<ref name="ftn16">''Chronicon Salernitanum'', ed. Westerbergh, cap. 72, S. 70f.</ref> Erwähnenswert ist nun, dass die neutral und ohne Wertung beschriebenen Muslime (''gens Agarenorum''), die in Kapitel 60 Sizilien eroberten, im Augenblick, da sie zur unmittelbaren Bedrohung auf dem süditalienischen Festland werden, bisweilen als schändlich (''astutissima Agarenorum gens'') bezeichnet werden. Doch ist der Autor auch in dieser Zuschreibung keineswegs festgefahren, was sich wieder zeigt, wenn er die Muslime, mit denen Salerno in vielseitigem Austausch stand und Handelsbeziehungen unterhielt, in anderen Zusammenhängen beschreibt.<ref name="ftn17">Kreutz, ''Normans'', S. 18-101; Cicco, Langobardi, S. 78-84. </ref> Wahrnehmungen und Beschreibungen des religiösen Anderen sind im ''Chronicon Salernitanum'' damit prinzipiell kontextabhängig und in ihren Wertungen flexibel.<ref name="ftn18">Kreutz, ''Normans'', S. 49-54.</ref> </div>
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