1071-1072: Wilhelm von Apulien über die normannische Eroberung Palermos: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Einnahme Palermos durch Herzog Robert Guiskard und Graf Roger I. zum Jahresübergang von 1071/1072 ist das am ausführlichsten geschilderte Ereignis in allen drei Hauptquellen zur normannischen Eroberungen Siziliens: Neben Wilhelm von Apulien’s Werk sind dies die ''Ystoire de li Normant'' des Amatus von Montecassino und die ''De rebus gestis'' des Gaufredus Malaterra.<ref name="ftn16">Amatus Casinensis, ''Historia Normannorum'', ed. Guéret-Laferté, lib. 5, cap. 14-23, S. 397-404; Gaufredus Malaterra, ''De rebus gesti'', ed. Lucas-Avenal, lib. 2, cap. 45, S. 382-387.</ref> Durch die dichte Überlieferung, die nicht zuletzt auf die strategische und symbolische Bedeutung der Stadt verweist, erlaubt die Darstellung Wilhelms von Apulien den Umgang der normannischen Eroberer mit dem Eroberten recht detailliert und auf mehreren Ebenen nachzuvollziehen: erstens die Eroberung bzw. Unterwerfung der Bevölkerung, zweitens die unmittelbare Übernahme der urbanen Strukturen und drittens die frühe Herrschaftsetablierung durch Organisation und Verwaltung. Dieser Dreischritt wird von Wilhelm von Apulien angezeigt durch die Begnadigung der Bevölkerung, die militärische Sicherung Palermos (Kastelle, Mauern) sowie die Etablierung christlicher Einrichtungen (Marienkirche) und schließlich die Einsetzung einer lokalen Verwaltung (''amiratus'') mitsamt der Abführung einiger Geiseln aus Palermo.
Die Einnahme Palermos durch Herzog Robert Guiskard und Graf Roger I. zum Jahresübergang von 1071/1072 ist das am ausführlichsten geschilderte Ereignis in allen drei Hauptquellen zur normannischen Eroberungen Siziliens: Neben Wilhelm von Apulien’s Werk sind dies die ''Ystoire de li Normant'' des Amatus von Montecassino und die ''De rebus gestis'' des Gaufredus Malaterra.<ref name="ftn16">Amatus Casinensis, ''Historia Normannorum'', ed. Guéret-Laferté, lib. 5, cap. 14-23, S. 397-404; Gaufredus Malaterra, ''De rebus gesti'', ed. Lucas-Avenal, lib. 2, cap. 45, S. 382-387.</ref> Durch die dichte Überlieferung, die nicht zuletzt auf die strategische und symbolische Bedeutung der Stadt verweist, erlaubt die Darstellung Wilhelms von Apulien den Umgang der normannischen Eroberer mit dem Eroberten recht detailliert und auf mehreren Ebenen nachzuvollziehen: erstens die Eroberung bzw. Unterwerfung der Bevölkerung, zweitens die unmittelbare Übernahme der urbanen Strukturen und drittens die frühe Herrschaftsetablierung durch Organisation und Verwaltung. Dieser Dreischritt wird von Wilhelm von Apulien angezeigt durch die Begnadigung der Bevölkerung, die militärische Sicherung Palermos (Kastelle, Mauern) sowie die Etablierung christlicher Einrichtungen (Marienkirche) und schließlich die Einsetzung einer lokalen Verwaltung (''amiratus'') mitsamt der Abführung einiger Geiseln aus Palermo.


Hinsichtlich der Bevölkerung betont Wilhelm von Apulien zunächst, dass Robert Guiskard die Palermitaner, nachdem sie sich ergeben hatten, geschont habe. Im Falle Palermos mag diese Milde des Herzogs dadurch begründet sein, dass die Stadt nach langem und erbittertem Widerstand schließlich freiwillig aufgab und dabei einen gewissen Handlungsspielraum bei der Aushandlung der Kapitulationsbedingungen gewann. Diese betrafen neben der Sicherung des Lebens und Besitzes zumal den rechtlichen Status der muslimischen Unterworfenen.<ref name="ftn17">Johns, ''Arabic Administration''.</ref> Auch wenn Wilhelm von Apulien nicht direkt auf solche Verhandlungen eingeht, so impliziert doch die von ihm beschriebene Unterwerfung ein gewisses Mindestmaß an Kommunikation: Neben rituellen Handlungen ist von Bitten und Versprechen auf der einen sowie von Zusagen und Einhaltungen auf der anderen Seite die Rede. Bei Gaufredus Malaterra werden diese genauer ausbuchstabiert: Malaterra beschreibt ebenfalls, dass Palermo aufgab, nachdem Leute des Guiskard in eines der Stadtviertel innerhalb des äußeren Mauerrings eingedrungen waren. Dorthin hätten die Palermitaner einige städtische Führer (''primores'') geschickt, um mit den normannischen Brüdern zu verhandeln. Sie seien bereit zur Übergabe gewesen, als man ihnen versprochen habe, dass sie ihre religiösen Vorschriften einhalten dürften und man sie nicht zwinge, eine neue Religion anzunehmen. Im Gegenzug hätten sie zugesichert, die Stadt aufzugeben, ihren neuen Herren treu ergeben zu sein und Tributzahlungen zu leisten. Diese Abmachung beschworen die ''primores'' bei ihrem Gesetz (''lex'') bzw. ihrer heiligen Schrift.<ref name="ftn18">Gaufredus Malaterra, ''De rebus gestis'', ed. Lucas-Avenal,'' ''lib. 2, cap. 45, S. 382-387, hier S. 385.</ref> Diese Konzession religiöser Koexistenz bei nachgeordneter rechtlich-fiskalischer Stellung erinnert an die im islamischen Recht verankerte ḏimma, die Schutzverträge, die zwischen muslimischen Eroberern und Nichtmuslimen geschlossen wurden.<ref name="ftn19">Zur ḏimma siehe grundlegend, Cahen, <u>Dh</u>imma; ders. <u>Dj</u>izya.</ref> Im Falle Palermos ist es aber unklar, ob sich diese Tributzahlungen explizit auf die Muslime oder aber auf die Einwohner der Stadt als Ganzes bezogen.<ref name="ftn20">Zur Eingliederung der Muslime und ihrem rechtlichen Status während der Eroberung bzw. der frühen Jahre normannischer Herrschaft siehe Johns, ''Arabic Administration'', S. 34-39 sowie [[1091: Die Neuordnung Siziliens und seiner Muslime durch Roger I.]]</ref>  
Hinsichtlich der Bevölkerung betont Wilhelm von Apulien zunächst, dass Robert Guiskard die Palermitaner, nachdem sie sich ergeben hatten, geschont habe. Im Falle Palermos mag diese Milde des Herzogs dadurch begründet sein, dass die Stadt nach langem und erbittertem Widerstand schließlich freiwillig aufgab und dabei einen gewissen Handlungsspielraum bei der Aushandlung der Kapitulationsbedingungen gewann. Diese betrafen neben der Sicherung des Lebens und Besitzes zumal den rechtlichen Status der muslimischen Unterworfenen.<ref name="ftn17">Johns, ''Arabic Administration''.</ref> Auch wenn Wilhelm von Apulien nicht direkt auf solche Verhandlungen eingeht, so impliziert doch die von ihm beschriebene Unterwerfung ein gewisses Mindestmaß an Kommunikation: Neben rituellen Handlungen ist von Bitten und Versprechen auf der einen sowie von Zusagen und Einhaltungen auf der anderen Seite die Rede. Bei Gaufredus Malaterra werden diese genauer ausbuchstabiert: Malaterra beschreibt ebenfalls, dass Palermo aufgab, nachdem Leute des Guiskard in eines der Stadtviertel innerhalb des äußeren Mauerrings eingedrungen waren. Dorthin hätten die Palermitaner einige städtische Führer (''primores'') geschickt, um mit den normannischen Brüdern zu verhandeln. Sie seien bereit zur Übergabe gewesen, als man ihnen versprochen habe, dass sie ihre religiösen Vorschriften einhalten dürften und man sie nicht zwinge, eine neue Religion anzunehmen. Im Gegenzug hätten sie zugesichert, die Stadt aufzugeben, ihren neuen Herren treu ergeben zu sein und Tributzahlungen zu leisten. Diese Abmachung beschworen die ''primores'' bei ihrem Gesetz (''lex'') bzw. ihrer heiligen Schrift.<ref name="ftn18">Gaufredus Malaterra, ''De rebus gestis'', ed. Lucas-Avenal,'' ''lib. 2, cap. 45, S. 382-387, hier S. 385.</ref> Diese Konzession religiöser Koexistenz bei nachgeordneter rechtlich-fiskalischer Stellung erinnert an die im islamischen Recht verankerte ḏimma, die Schutzverträge, die zwischen muslimischen Eroberern und Nichtmuslimen geschlossen wurden.<ref name="ftn19">Zur ḏimma siehe grundlegend, Cahen, <u>Dh</u>imma; ders. <u>Dj</u>izya.</ref> Im Falle Palermos ist es aber unklar, ob sich diese Tributzahlungen explizit auf die Muslime oder aber auf die Einwohner der Stadt als Ganzes bezogen.<ref name="ftn20">Zur Eingliederung der Muslime und ihrem rechtlichen Status während der Eroberung bzw. der frühen Jahre normannischer Herrschaft siehe Johns, ''Arabic Administration'', S. 34-39 sowie [[1091: Eine Urkunde Rogers I. zur Neuordnung Siziliens]].</ref>  


Neben dem Umgang mit der Bevölkerung legen alle lateinischen Quellen ein besonderes Augenmerk auf die im Quellenexzerpt genannte Marienkirche, welche den Triumph des Christentums über die vormals islamische Hauptstadt symbolisiert. Es ist dabei nicht zufällig, dass diese Kirche dort lokalisiert wird, wo sich zuvor die Hauptmoschee der Stadt befunden haben soll. Wilhelm von Apulien zufolge soll diese Moschee von Guiskard zerstört und das Gotteshaus für die heilige Jungfrau neu errichtet worden sein. Bei Gaufredus Malaterra und Amatus von Montecassino gewinnt man hingegen den Eindruck, dass eine Transformation des Gebäudes stattfand, indem die ehemalige Moschee durch Gottesdienstfeierlichkeiten „gereinigt“ bzw. geweiht und vielleicht in Teilen umgestaltet wurde. Angesichts der Ressourcenfrage, die sich für die unmittelbare Phase nach der fünfmonatigen Belagerung stellt, scheint dies die überzeugendere Darstellung.<ref name="ftn21">Anderer Ansicht ist Longo, Norman Cathedral.</ref> Es unterstreicht außerdem das Selbstverständnis der Normannen, Wiederhersteller und nicht Begründer des christlichen Glaubens in Sizilien zu sein. So wird die Moschee in der Parallelüberlieferung denn auch als ehemalige Kirche der Stadt und sogar als erzbischöflicher Sitz identifiziert. Diese Deutung stimmt überdies mit den arabischen Quellen des 10. und 11. Jahrhunderts überein, die den Standort der Moschee, wenn nicht gar das Gebäude selbst, mit der Basilika der byzantinischen Stadt gleichsetzen.<ref name="ftn22">Amatus Casinensis, ''Historia Normannorum'', ed. Guéret-Laferté, lib. 6, cap. 19, S. 431-432; Ibn Ḥawqal, ''Kitāb ṣūrat al-arḍ'', ed. von Michael J. De Goeje, bearb. von Johannes H. Kramers (Bibliotheca geographorum Arabicorum 2a), Leipzig: Harrasowitz, 1938, S. 119; Al-Muqaddasī, ''Kitāb Aḥsan at-taqāsīm fī maʿrifat al-aqālīm'', ed. Michael J. De Goeje (Bibliotheca geographorum Arabicorum 3), Leiden: Brill, 1877, S. 225.</ref> Sowohl Malaterra und Amatus als auch die urkundliche Überlieferung zeugen davon, dass die Eroberer unmittelbar nach der Einnahme der Stadt einen Erzbischof in die Moschee-Kathedrale eingesetzt haben, um den christlichen Glauben zu „restaurieren“. Dafür nahmen sie einen lokalen Geistlichen, der eigentlich Grieche war und unter islamischer Herrschaft in einem Dorf nahe der Hauptstadt gedient hatte. Damit wurde das erste Erzbistum unter normannischer Herrschaft bzw. in der nachislamischen Zeit auf Sizilien etabliert. Vom Papst im Amt bestätigt, wurde der Grieche Nikodemos erst in den späteren 1080ern durch einen Lateiner ersetzt.<ref name="ftn23">Gaufredus Malatera, ''De rebus gestis'','' ''ed. Lucas-Avenel, lib. 2, cap. 45, S. 387; ''Documenti latini e greci del conte Ruggero I di Calabria e Sicilia'', ed. Julia Becker (Ricerche dell’Istituto Storico Germanico di Roma 9), Rom: Viella, 2013, Nr. 27, S. 125-126; Becker, ''Roger I''., S. 68-172.</ref>  
Neben dem Umgang mit der Bevölkerung legen alle lateinischen Quellen ein besonderes Augenmerk auf die im Quellenexzerpt genannte Marienkirche, welche den Triumph des Christentums über die vormals islamische Hauptstadt symbolisiert. Es ist dabei nicht zufällig, dass diese Kirche dort lokalisiert wird, wo sich zuvor die Hauptmoschee der Stadt befunden haben soll. Wilhelm von Apulien zufolge soll diese Moschee von Guiskard zerstört und das Gotteshaus für die heilige Jungfrau neu errichtet worden sein. Bei Gaufredus Malaterra und Amatus von Montecassino gewinnt man hingegen den Eindruck, dass eine Transformation des Gebäudes stattfand, indem die ehemalige Moschee durch Gottesdienstfeierlichkeiten „gereinigt“ bzw. geweiht und vielleicht in Teilen umgestaltet wurde. Angesichts der Ressourcenfrage, die sich für die unmittelbare Phase nach der fünfmonatigen Belagerung stellt, scheint dies die überzeugendere Darstellung.<ref name="ftn21">Anderer Ansicht ist Longo, Norman Cathedral.</ref> Es unterstreicht außerdem das Selbstverständnis der Normannen, Wiederhersteller und nicht Begründer des christlichen Glaubens in Sizilien zu sein. So wird die Moschee in der Parallelüberlieferung denn auch als ehemalige Kirche der Stadt und sogar als erzbischöflicher Sitz identifiziert. Diese Deutung stimmt überdies mit den arabischen Quellen des 10. und 11. Jahrhunderts überein, die den Standort der Moschee, wenn nicht gar das Gebäude selbst, mit der Basilika der byzantinischen Stadt gleichsetzen.<ref name="ftn22">Amatus Casinensis, ''Historia Normannorum'', ed. Guéret-Laferté, lib. 6, cap. 19, S. 431-432; Ibn Ḥawqal, ''Kitāb ṣūrat al-arḍ'', ed. von Michael J. De Goeje, bearb. von Johannes H. Kramers (Bibliotheca geographorum Arabicorum 2a), Leipzig: Harrasowitz, 1938, S. 119; Al-Muqaddasī, ''Kitāb Aḥsan at-taqāsīm fī maʿrifat al-aqālīm'', ed. Michael J. De Goeje (Bibliotheca geographorum Arabicorum 3), Leiden: Brill, 1877, S. 225.</ref> Sowohl Malaterra und Amatus als auch die urkundliche Überlieferung zeugen davon, dass die Eroberer unmittelbar nach der Einnahme der Stadt einen Erzbischof in die Moschee-Kathedrale eingesetzt haben, um den christlichen Glauben zu „restaurieren“. Dafür nahmen sie einen lokalen Geistlichen, der eigentlich Grieche war und unter islamischer Herrschaft in einem Dorf nahe der Hauptstadt gedient hatte. Damit wurde das erste Erzbistum unter normannischer Herrschaft bzw. in der nachislamischen Zeit auf Sizilien etabliert. Vom Papst im Amt bestätigt, wurde der Grieche Nikodemos erst in den späteren 1080ern durch einen Lateiner ersetzt.<ref name="ftn23">Gaufredus Malatera, ''De rebus gestis'','' ''ed. Lucas-Avenel, lib. 2, cap. 45, S. 387; ''Documenti latini e greci del conte Ruggero I di Calabria e Sicilia'', ed. Julia Becker (Ricerche dell’Istituto Storico Germanico di Roma 9), Rom: Viella, 2013, Nr. 27, S. 125-126; Becker, ''Roger I''., S. 68-172.</ref>  
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