955: Hrotsvit von Gandersheim über die galicische Geisel Pelagius am Hofe ʿAbd al-Raḥmāns III.: Unterschied zwischen den Versionen

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Wie oben dargelegt, hatte Hrotsvit trotz vieler Parallelen wohl keinen Zugriff auf Raguels Version, die möglicherweise sogar später niedergeschrieben wurde. Sie selbst behauptet im Nachwort zum ersten bzw. Vorwort zum zweiten Band ihrer Dichtungen, von Pelagius’ Martyrium durch einen Augenzeugen aus Córdoba erfahren zu haben, der am ottonischen Hofe zu Besuch war. Dieser soll Pelagius gekannt haben und bei seinem Tode anwesend gewesen sein.
Wie oben dargelegt, hatte Hrotsvit trotz vieler Parallelen wohl keinen Zugriff auf Raguels Version, die möglicherweise sogar später niedergeschrieben wurde. Sie selbst behauptet im Nachwort zum ersten bzw. Vorwort zum zweiten Band ihrer Dichtungen, von Pelagius’ Martyrium durch einen Augenzeugen aus Córdoba erfahren zu haben, der am ottonischen Hofe zu Besuch war. Dieser soll Pelagius gekannt haben und bei seinem Tode anwesend gewesen sein.


„Ich habe alles Material dieses und des vorangehenden kleinen Werkes aus alten Büchern genommen, die bestimmten Autoren zugeschrieben worden sind, außer die oben niedergeschriebene Passio des heiligen Pelagius, dessen Martyrium mir ein gewisser Eingeborener der Stadt, in der es sich vollzog, darlegte, der getreulich behauptete, er habe diesen schönsten aller Männer gesehen und den Ausgang dieser Geschichte bezeugt. Von daher, falls ich also in einem der beiden Werke eine Falschheit eingefügt habe, habe ich nicht selbst einen Fehler gemacht, sondern unvorsichtig diejenigen nachgeahmt, die den Fehler gemacht haben.<ref name="ftn33">Hrotsvitha, "Opera", ed. Winterfeld (MGH SS. rer. Germ. in us. schol., 34), praefatio II, S. 105: „Huius omnem materiam sicut et prioris opusculi sumis ab antiquis libris sub certis auctorum nominibus conscriptis, excepta superius scripta passione sancti Pelagii cuius seriem martirii quidam eiusdem, in qua passus est, indigena civitatis mihi exposuit, qui ipsum pulcherrimum virorum se vidisse et exitum rei attestatus est veraciter agnovisse. Unde, si quid in utroque falsitatis dictando comprehendi, non ex meo fefelli, sed fallentes incaute imitata fui." Lateinischer Text und englische Übersetzung: [https://epistolae.ctl.columbia.edu/letter/23.html https://epistolae.ctl.columbia.edu/letter/23.html]: „I took all the material of this little work as I did the first from ancient books written by named authors, except the passion of St. Pelagius [in the first book]; his martyrdom was told to me by a native of the city in which he suffered it, who bore witness that he had seen that most beautiful of men and truly knew the outcome of the affair. Wherefore, if I included anything false in either one, I did not err on my own, but uncautiously followed those who erred." Vgl. Haight, Hroswitha, S. 16.</ref>
<div style="margin-left:1cm;margin-right:1cm;">„Ich habe alles Material dieses und des vorangehenden kleinen Werkes aus alten Büchern genommen, die bestimmten Autoren zugeschrieben worden sind, außer die oben niedergeschriebene Passio des heiligen Pelagius, dessen Martyrium mir ein gewisser Eingeborener der Stadt, in der es sich vollzog, darlegte, der getreulich behauptete, er habe diesen schönsten aller Männer gesehen und den Ausgang dieser Geschichte bezeugt. Von daher, falls ich also in einem der beiden Werke eine Falschheit eingefügt habe, habe ich nicht selbst einen Fehler gemacht, sondern unvorsichtig diejenigen nachgeahmt, die den Fehler gemacht haben.<ref name="ftn33">Hrotsvitha, "Opera", ed. Winterfeld (MGH SS. rer. Germ. in us. schol., 34), praefatio II, S. 105: „Huius omnem materiam sicut et prioris opusculi sumis ab antiquis libris sub certis auctorum nominibus conscriptis, excepta superius scripta passione sancti Pelagii cuius seriem martirii quidam eiusdem, in qua passus est, indigena civitatis mihi exposuit, qui ipsum pulcherrimum virorum se vidisse et exitum rei attestatus est veraciter agnovisse. Unde, si quid in utroque falsitatis dictando comprehendi, non ex meo fefelli, sed fallentes incaute imitata fui." Lateinischer Text und englische Übersetzung: [https://epistolae.ctl.columbia.edu/letter/23.html https://epistolae.ctl.columbia.edu/letter/23.html]: „I took all the material of this little work as I did the first from ancient books written by named authors, except the passion of St. Pelagius [in the first book]; his martyrdom was told to me by a native of the city in which he suffered it, who bore witness that he had seen that most beautiful of men and truly knew the outcome of the affair. Wherefore, if I included anything false in either one, I did not err on my own, but uncautiously followed those who erred." Vgl. Haight, Hroswitha, S. 16.</ref></div>


Da ansonsten nur schwer zu erklären wäre, wie eine sächsische Nonne an Informationen über den Tod eines iberischen Christen kommen sollte, muss dieser Hinweis auf einen direkt oder indirekt vermittelten Augenzeugenbericht zumindest als plausibel erachtet werden. Hrotsvits Informant ist dabei mit großer Sicherheit am Ottonenhof zu suchen. Außerhalb des Hofmilieus verband zu dieser Zeit wahrscheinlich nur der Handel mit slawischen Sklaven die sächsischen Kernregionen des Ottonenreiches mit al-Andalus.<ref name="ftn34">Kennedy, ''Muslim Spain'', S. 85-86. Ausführlich zu den Voraussetzungen: McCormick, New Light, S. 17-54.; Henning, Gefangenenfesseln, S. 403-426.</ref> Da Hrotsvit wohl mehr mit dem Hof als mit dem Sklavenhandel zu tun gehabt haben dürfte, ist die Passio wohl als schriftlicher Niederschlag eines Informationstransfers zu sehen, der ein Produkt der ottonisch-umayyadischen politischen Beziehungen der 950er Jahre war.<ref name="ftn35">McMillin, Pelagius, S. 295: „Hrotsvit tells us that her source for the tale is a firsthand witness’s account. This would seem possible, given the presence of a diplomatic party from al-Andalus in the court of Otto I during the 950s.“ Cerulli, Le Calife, S. 70, geht allerdings davon aus, dass auch Händler als Informationsträger vorstellbar sind und zitiert hierzu die ''Acta Sanctorum (''Juni V, S. 205): „Gandershemium autem per Visurgum ac Leinam fluvios facilis ascensus est mercatoribus ex Hispania venientibus.“</ref> Anders als seine karolingischen Vorgänger<ref name="ftn36">Vgl. hierzu Sénac, ''Les Carolingiens et al-Andalus''.</ref> war der stark mittel- und südeuropäisch orientierte Ottonenhof mit den in der ''Vita Iohannis abbatis Gorziensis'' dokumentierten Gesandtschaften der 950er Jahre selbst zum ersten Mal direkt mit dem umayyadischen al-Andalus in Kontakt getreten. In diesem Rahmen erreichten mindestens vier Mal Personen aus dem muslimischen al-Andalus den Ottonenhof:  
Da ansonsten nur schwer zu erklären wäre, wie eine sächsische Nonne an Informationen über den Tod eines iberischen Christen kommen sollte, muss dieser Hinweis auf einen direkt oder indirekt vermittelten Augenzeugenbericht zumindest als plausibel erachtet werden. Hrotsvits Informant ist dabei mit großer Sicherheit am Ottonenhof zu suchen. Außerhalb des Hofmilieus verband zu dieser Zeit wahrscheinlich nur der Handel mit slawischen Sklaven die sächsischen Kernregionen des Ottonenreiches mit al-Andalus.<ref name="ftn34">Kennedy, ''Muslim Spain'', S. 85-86. Ausführlich zu den Voraussetzungen: McCormick, New Light, S. 17-54.; Henning, Gefangenenfesseln, S. 403-426.</ref> Da Hrotsvit wohl mehr mit dem Hof als mit dem Sklavenhandel zu tun gehabt haben dürfte, ist die Passio wohl als schriftlicher Niederschlag eines Informationstransfers zu sehen, der ein Produkt der ottonisch-umayyadischen politischen Beziehungen der 950er Jahre war.<ref name="ftn35">McMillin, Pelagius, S. 295: „Hrotsvit tells us that her source for the tale is a firsthand witness’s account. This would seem possible, given the presence of a diplomatic party from al-Andalus in the court of Otto I during the 950s.“ Cerulli, Le Calife, S. 70, geht allerdings davon aus, dass auch Händler als Informationsträger vorstellbar sind und zitiert hierzu die ''Acta Sanctorum (''Juni V, S. 205): „Gandershemium autem per Visurgum ac Leinam fluvios facilis ascensus est mercatoribus ex Hispania venientibus.“</ref> Anders als seine karolingischen Vorgänger<ref name="ftn36">Vgl. hierzu Sénac, ''Les Carolingiens et al-Andalus''.</ref> war der stark mittel- und südeuropäisch orientierte Ottonenhof mit den in der ''Vita Iohannis abbatis Gorziensis'' dokumentierten Gesandtschaften der 950er Jahre selbst zum ersten Mal direkt mit dem umayyadischen al-Andalus in Kontakt getreten. In diesem Rahmen erreichten mindestens vier Mal Personen aus dem muslimischen al-Andalus den Ottonenhof:  
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# Johannes von Gorze kehrte etwa 956 von seiner Gesandtschaft aus Córdoba zurück. Da seine Vita an der Stelle abbricht, an der Johannes bei ʿAbd al-Raḥmān vorstellig wird, ist über die Umstände seiner Rückkehr nichts bekannt. Ebenso wenig lässt sich eine Aussage darüber treffen, ob bzw. wann die von Johannes von Sankt Arnulf (gest. vor 984) verfasste Vita den Ottonenhof erreichte und damit potenziell in die Hände der Gandersheimer Nonne gelangte. Es ist aber davon auszugehen, dass Johannes als Gesandter Ottos I. dem Hof in irgendeiner Weise Bericht erstattete. Auch wenn die Forschung die Vermutung geäußert hat, Hrotsvit habe die Pelagius-Erzählung wahrscheinlich von Johannes von Gorze vermittelt bekommen<ref name="ftn41">Henriet, Raguel, S. 379: „Hrotsvitha did not know Raguel’s text and was presumably inspired by an oral report from Jean de Vandières (later abbot of Gorze in Lorraine) (q.v. John of St Arnoul), who went to Cordova in the years 954-56 as the ambassador of the Emperor Otto I.“</ref>, erscheint dies eher unwahrscheinlich: Die ''Vita Iohannis'' erwähnt Pelagius mit keinem Wort. Sie zeichnet zwar anfangs das muslimische al-Andalus als eine Stätte des Unglaubens, in der gottesfürchtige Mönche das Martyrium erleiden können,<ref name="ftn42">''Vita Iohannis'', ed. Jacobsen (MGH, SS rer. Germ. in us. schol. 81), cap. 116, S. 418-420.</ref> und stellt auch ʿAbd al-Raḥmān III. zunächst als blasphemischen Gewaltherrscher dar.<ref name="ftn43">''Vita Iohannis'', ed. Jacobsen (MGH, SS rer. Germ. in us. schol. 81), cap. 115, S. 416-418.</ref> Im Laufe der Vita verändert sich dieses Bild aber dahingehend, dass eine zunehmend nuancierte und schließlich sogar positive Beschreibung des umayyadischen Herrschers gegeben wird.<ref name="ftn44">Frassetto, Vita Iohannis abbatis Gorziensis; ''Vita Iohannis'', ed. Jacobsen (MGH, SS rer. Germ. in us. schol. 81), cap. 134, S. 460-462.</ref> Nach seiner Rückkehr aus Córdoba hätte Johannes also nicht unbedingt ein so schlechtes Bild des umayyadischen al-Andalus vermittelt, wie es bei Hrotsvit aufscheint.
# Johannes von Gorze kehrte etwa 956 von seiner Gesandtschaft aus Córdoba zurück. Da seine Vita an der Stelle abbricht, an der Johannes bei ʿAbd al-Raḥmān vorstellig wird, ist über die Umstände seiner Rückkehr nichts bekannt. Ebenso wenig lässt sich eine Aussage darüber treffen, ob bzw. wann die von Johannes von Sankt Arnulf (gest. vor 984) verfasste Vita den Ottonenhof erreichte und damit potenziell in die Hände der Gandersheimer Nonne gelangte. Es ist aber davon auszugehen, dass Johannes als Gesandter Ottos I. dem Hof in irgendeiner Weise Bericht erstattete. Auch wenn die Forschung die Vermutung geäußert hat, Hrotsvit habe die Pelagius-Erzählung wahrscheinlich von Johannes von Gorze vermittelt bekommen<ref name="ftn41">Henriet, Raguel, S. 379: „Hrotsvitha did not know Raguel’s text and was presumably inspired by an oral report from Jean de Vandières (later abbot of Gorze in Lorraine) (q.v. John of St Arnoul), who went to Cordova in the years 954-56 as the ambassador of the Emperor Otto I.“</ref>, erscheint dies eher unwahrscheinlich: Die ''Vita Iohannis'' erwähnt Pelagius mit keinem Wort. Sie zeichnet zwar anfangs das muslimische al-Andalus als eine Stätte des Unglaubens, in der gottesfürchtige Mönche das Martyrium erleiden können,<ref name="ftn42">''Vita Iohannis'', ed. Jacobsen (MGH, SS rer. Germ. in us. schol. 81), cap. 116, S. 418-420.</ref> und stellt auch ʿAbd al-Raḥmān III. zunächst als blasphemischen Gewaltherrscher dar.<ref name="ftn43">''Vita Iohannis'', ed. Jacobsen (MGH, SS rer. Germ. in us. schol. 81), cap. 115, S. 416-418.</ref> Im Laufe der Vita verändert sich dieses Bild aber dahingehend, dass eine zunehmend nuancierte und schließlich sogar positive Beschreibung des umayyadischen Herrschers gegeben wird.<ref name="ftn44">Frassetto, Vita Iohannis abbatis Gorziensis; ''Vita Iohannis'', ed. Jacobsen (MGH, SS rer. Germ. in us. schol. 81), cap. 134, S. 460-462.</ref> Nach seiner Rückkehr aus Córdoba hätte Johannes also nicht unbedingt ein so schlechtes Bild des umayyadischen al-Andalus vermittelt, wie es bei Hrotsvit aufscheint.
# Schließlich ist in mehreren arabisch-islamischen Werken der Ethno- und Geographie der Reisebericht des andalusischen Juden Ibrāhīm b. Yaʿqūb al-Isrāʾīlī überliefert. Seine Reise führte ihn durch das Westfrankenreich, das Ottonenreich und Böhmen nach Rom und wird von der Forschung entweder auf 965-966 oder 973 datiert. Dem Reisebericht zufolge kam es dabei zu einem Zusammentreffen Ibrāhīms mit Otto I. in Magdeburg.<ref name="ftn45">Vgl. Jacob, ''Arabische Berichte''; Miquel, L’Europe; Engels, Reisebericht, S. 413-422; König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 62, 197, 280, 309.</ref> Ibrāhīm b. Yaʿqūb al-Isrāʾīlī kommt als Informant wohl nicht in Frage: Datiert man die Niederschrift von Hrotsvits ''Passio Pelagii'' auf die 950er Jahre, fand seine üblicherweise auf die 960er oder frühen 970er datierte Reise an den Ottonenhof zu spät statt. Seine Audienz bei Otto I. in Magdeburg suggeriert ferner, dass es sich um eine höher gestellte und damit dem Umayyadenhof nahestehende Persönlichkeit handelte, deren Nähe zum Judentum wohl zusätzlich ausschließt, dass sie sich für christliche Märtyrerlegenden interessiert hätte.<ref name="ftn46">Jacob: ''Arabische Berichte; ''Miquel: L’Europe, S. 1048-1064; Engels, Reisebericht, S. 413-422.</ref>  
# Schließlich ist in mehreren arabisch-islamischen Werken der Ethno- und Geographie der Reisebericht des andalusischen Juden Ibrāhīm b. Yaʿqūb al-Isrāʾīlī überliefert. Seine Reise führte ihn durch das Westfrankenreich, das Ottonenreich und Böhmen nach Rom und wird von der Forschung entweder auf 965-966 oder 973 datiert. Dem Reisebericht zufolge kam es dabei zu einem Zusammentreffen Ibrāhīms mit Otto I. in Magdeburg.<ref name="ftn45">Vgl. Jacob, ''Arabische Berichte''; Miquel, L’Europe; Engels, Reisebericht, S. 413-422; König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 62, 197, 280, 309.</ref> Ibrāhīm b. Yaʿqūb al-Isrāʾīlī kommt als Informant wohl nicht in Frage: Datiert man die Niederschrift von Hrotsvits ''Passio Pelagii'' auf die 950er Jahre, fand seine üblicherweise auf die 960er oder frühen 970er datierte Reise an den Ottonenhof zu spät statt. Seine Audienz bei Otto I. in Magdeburg suggeriert ferner, dass es sich um eine höher gestellte und damit dem Umayyadenhof nahestehende Persönlichkeit handelte, deren Nähe zum Judentum wohl zusätzlich ausschließt, dass sie sich für christliche Märtyrerlegenden interessiert hätte.<ref name="ftn46">Jacob: ''Arabische Berichte; ''Miquel: L’Europe, S. 1048-1064; Engels, Reisebericht, S. 413-422.</ref>  


Angesichts ihrer Nähe zum Ottonenhof, die durch Hrotsvits Bekanntschaft mit der Äbtissin und Kaiserschwester Gerberga gegeben war, hatte Hrotsvit offensichtlich Möglichkeiten, an Informationen aus und zu al-Andalus zu gelangen. Aus den oben genannten Gründen lässt sich vermuten, dass Hrotsvit die Pelagiuserzählung am ehesten während der ersten Gesandtschaft ʿAbd al-Raḥmāns aus der Entourage des die Gesandtschaft anführenden mozarabischen Bischofs erhielt. Die in der Vita geschilderte Tatsache, dass der Ottonenhof eine diplomatische Avance ʿAbd al-Raḥmāns als blasphemische Beleidigung verstand<ref name="ftn47">''Vita Iohannis'', ed. Jacobsen (MGH, SS rer. Germ. in us. schol. 81), cap. 115,2, S. 416: “rex sacrilegus et profanus”, S. 418: “in litteris tamen quas miserat blasphema nonnulla in Christum evomuerat.”</ref>, zeigt, dass es dort vor Johannes’ Gegengesandtschaft Vorbehalte gegenüber Muslimen und muslimisch beherrschten Gesellschaften gab: Johannes selbst erwartete, dass er in al-Andalus das Martyrium erleiden würde.<ref name="ftn48">''Vita Iohannis'', ed. Jacobsen (MGH, SS rer. Germ. in us. schol. 81), cap. 117,2, S. 420: „virum cupidum esse martirii”.</ref> Eine Märtyrergeschichte wie die Pelagius-Erzählung wäre im ottonischen Hof der frühen 950er-Jahre also auf rezeptiven Boden gefallen.  
Angesichts ihrer Nähe zum Ottonenhof, die durch Hrotsvits Bekanntschaft mit der Äbtissin und Kaiserschwester Gerberga gegeben war, hatte Hrotsvit offensichtlich Möglichkeiten, an Informationen aus und zu al-Andalus zu gelangen. Aus den oben genannten Gründen lässt sich vermuten, dass Hrotsvit die Pelagiuserzählung am ehesten während der ersten Gesandtschaft ʿAbd al-Raḥmāns aus der Entourage des die Gesandtschaft anführenden mozarabischen Bischofs erhielt. Die in der Vita geschilderte Tatsache, dass der Ottonenhof eine diplomatische Avance ʿAbd al-Raḥmāns als blasphemische Beleidigung verstand<ref name="ftn47">''Vita Iohannis'', ed. Jacobsen (MGH, SS rer. Germ. in us. schol. 81), cap. 115,2, S. 416: “rex sacrilegus et profanus”, S. 418: “in litteris tamen quas miserat blasphema nonnulla in Christum evomuerat.”</ref>, zeigt, dass es dort vor Johannes’ Gegengesandtschaft Vorbehalte gegenüber Muslimen und muslimisch beherrschten Gesellschaften gab: Johannes selbst erwartete, dass er in al-Andalus das Martyrium erleiden würde.<ref name="ftn48">''Vita Iohannis'', ed. Jacobsen (MGH, SS rer. Germ. in us. schol. 81), cap. 117,2, S. 420: „virum cupidum esse martirii”.</ref> Eine Märtyrergeschichte wie die Pelagius-Erzählung wäre im ottonischen Hof der frühen 950er-Jahre also auf rezeptiven Boden gefallen.  
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Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie Hrotsvits negative Einstellung gegenüber dem Islam – den sie ja sogar als Götzendienst klassifiziert – zu interpretieren ist. Wusste es die im ländlichen Raum des fernen Sachsens schreibende Nonne einfach nicht besser? Nutzte sie das Pelagius-Narrativ lediglich, um eine weitere literarische Variante der christlichen Märtyrererzählung mit ihren typischen Topoi zu produzieren? Oder kann ihre Passio als eine Art antiislamisches Pamphlet verstanden werden, das die Verhältnisse unter muslimischer Herrschaft bewusst negativ darstellte, um ein Feindbild aufzubauen? Handelt es sich bei ihrer Passio vielleicht sogar um eine literarisch verbrämte Kritik an der neuen ottonischen Außenpolitik mit dem umayyadischen al-Andalus, die mit der Gesandtschaft des Johannes von Gorze ja fast in freundliche Bahnen gelenkt wurde? In ihrer Interpretation der Bedeutung von Hrotsvits Pelagiuserzählung für die Geschichte christlich-muslimischer Beziehungen hält sich Linda McMillin mehrere Optionen offen, indem sie die Erzählung zum einen als Warnung vor dem Islam und als Bestätigung der Widerstandskraft des Christentums, zumindest teilweise als politische Satire, vielleicht aber auch als Kritik an der ottonischen Außenpolitik und damit auch als Propagandawerk deutet:
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie Hrotsvits negative Einstellung gegenüber dem Islam – den sie ja sogar als Götzendienst klassifiziert – zu interpretieren ist. Wusste es die im ländlichen Raum des fernen Sachsens schreibende Nonne einfach nicht besser? Nutzte sie das Pelagius-Narrativ lediglich, um eine weitere literarische Variante der christlichen Märtyrererzählung mit ihren typischen Topoi zu produzieren? Oder kann ihre Passio als eine Art antiislamisches Pamphlet verstanden werden, das die Verhältnisse unter muslimischer Herrschaft bewusst negativ darstellte, um ein Feindbild aufzubauen? Handelt es sich bei ihrer Passio vielleicht sogar um eine literarisch verbrämte Kritik an der neuen ottonischen Außenpolitik mit dem umayyadischen al-Andalus, die mit der Gesandtschaft des Johannes von Gorze ja fast in freundliche Bahnen gelenkt wurde? In ihrer Interpretation der Bedeutung von Hrotsvits Pelagiuserzählung für die Geschichte christlich-muslimischer Beziehungen hält sich Linda McMillin mehrere Optionen offen, indem sie die Erzählung zum einen als Warnung vor dem Islam und als Bestätigung der Widerstandskraft des Christentums, zumindest teilweise als politische Satire, vielleicht aber auch als Kritik an der ottonischen Außenpolitik und damit auch als Propagandawerk deutet:


“In her account of the martyrdom of Pelagius, Hrotsvit presents her audience with an alarming view of their southern Islamic neighbors. Both in their military prowess and in their aggressive pagan otherness, Muslims are portrayed as a clear and present danger to Western Christendom. Hrotsvit’s story is not overly alarmist, however. Despite failed rebellions and unlucky border skirmishes, God continues to support and defend his community with the blood of virgin martyrs—a most powerful weapon. Pelagius is able to humiliate his royal enemy and expose him as a weak and silly buffoon. But by naming this buffoon—ʿAbd al-Raḥmān III—Hrotsvit adds an additional layer of political satire to her work. Her audience can both laugh at and take comfort in this caricature of a real contemporary Islamic figure. One can wonder if Hrotsvit might even be casting some aspersions on the wisdom of Otto’s attempts at international diplomacy. In any case, Hrotsvit’s Pelagius succeeds as the best of ‘cold war’ propaganda—a cautionary tale about a real but rather distant enemy served a humiliating defeat by a mere boy and his all-powerful Christian God.”<ref name="ftn60">''McMillin, Pelagius, S. 296.''</ref>
<div style="margin-left:1cm;margin-right:1cm;">“In her account of the martyrdom of Pelagius, Hrotsvit presents her audience with an alarming view of their southern Islamic neighbors. Both in their military prowess and in their aggressive pagan otherness, Muslims are portrayed as a clear and present danger to Western Christendom. Hrotsvit’s story is not overly alarmist, however. Despite failed rebellions and unlucky border skirmishes, God continues to support and defend his community with the blood of virgin martyrs—a most powerful weapon. Pelagius is able to humiliate his royal enemy and expose him as a weak and silly buffoon. But by naming this buffoon—ʿAbd al-Raḥmān III—Hrotsvit adds an additional layer of political satire to her work. Her audience can both laugh at and take comfort in this caricature of a real contemporary Islamic figure. One can wonder if Hrotsvit might even be casting some aspersions on the wisdom of Otto’s attempts at international diplomacy. In any case, Hrotsvit’s Pelagius succeeds as the best of ‘cold war’ propaganda—a cautionary tale about a real but rather distant enemy served a humiliating defeat by a mere boy and his all-powerful Christian God.”<ref name="ftn60">''McMillin, Pelagius, S. 296.''</ref></div>


Durchaus wahrscheinlich ist in jedem Falle, dass die nicht sehr weltbewanderte Nonne in ihrem sächsischen Damenstift einfach die Haltung des sie umgebenden, stark kirchlich geprägten sächsischen Umfeldes wiedergab, das jeglichen Formen des Nichtchristentums negativ gegenüber eingestellt war. Dass ihr nichts daran lag, das umayyadische al-Andalus und den Islam möglichst objektiv darzustellen, mag allerdings weniger mit einem polemischen Vorsatz oder einem politischen Motiv als mit der Tatsache zu tun haben, dass Hrotsvit mit der Pelagiuserzählung Zugriff auf einen literarischen Stoff erhielt, der sich ohne größere Komplikationen in das von ihr schon mehrfach genutzte Schema einer christlichen Märtyrererzählung einfügen ließ. Diesem Schema ließ sich durch den zeitgenössischen Bezug der Pelagiuserzählung eine neue Aktualität verleihen.  
Durchaus wahrscheinlich ist in jedem Falle, dass die nicht sehr weltbewanderte Nonne in ihrem sächsischen Damenstift einfach die Haltung des sie umgebenden, stark kirchlich geprägten sächsischen Umfeldes wiedergab, das jeglichen Formen des Nichtchristentums negativ gegenüber eingestellt war. Dass ihr nichts daran lag, das umayyadische al-Andalus und den Islam möglichst objektiv darzustellen, mag allerdings weniger mit einem polemischen Vorsatz oder einem politischen Motiv als mit der Tatsache zu tun haben, dass Hrotsvit mit der Pelagiuserzählung Zugriff auf einen literarischen Stoff erhielt, der sich ohne größere Komplikationen in das von ihr schon mehrfach genutzte Schema einer christlichen Märtyrererzählung einfügen ließ. Diesem Schema ließ sich durch den zeitgenössischen Bezug der Pelagiuserzählung eine neue Aktualität verleihen.  
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