1091: Eine Urkunde Rogers I. zur Neuordnung Siziliens: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Urkunde von 1091 verdeutlicht noch in anderer Hinsicht den Wunsch, einen ''status quo'' aus der Zeit vor den Kriegswirren wiederherzustellen. Das Dokument lässt verlautbaren, dass Catania die Grenzen ihrer alten Größe zurückerhalten solle – eine Formulierung, die vielleicht auf die alten ''latifundia'' Siziliens anspielt, deren Grenzen unter islamischer Herrschaft wohl in Teilen weiter Bestand hatten.<ref name="ftn13">Metcalfe, Landscapes, S. 97-98.</ref> Außerdem sollten alle Muslime, die unter islamischer Herrschaft im Territorium Catanias gelebt, sich aber über das sizilische Land zerstreut hatten, mitsamt ihrer Nachkommenschaft wieder diesen Gebieten zugeordnet werden. Das Gründungsdokument für die Abtei Sant’Agata zeugt damit davon, dass Roger I. für die Stabilisierung der Grafschaft nicht nur neue Verwaltungsstrukturen schaffen musste, sondern auch Sorge dafür zu tragen hatte, dass verlassenes Land wieder besiedelt und bestellt würde.  
Die Urkunde von 1091 verdeutlicht noch in anderer Hinsicht den Wunsch, einen ''status quo'' aus der Zeit vor den Kriegswirren wiederherzustellen. Das Dokument lässt verlautbaren, dass Catania die Grenzen ihrer alten Größe zurückerhalten solle – eine Formulierung, die vielleicht auf die alten ''latifundia'' Siziliens anspielt, deren Grenzen unter islamischer Herrschaft wohl in Teilen weiter Bestand hatten.<ref name="ftn13">Metcalfe, Landscapes, S. 97-98.</ref> Außerdem sollten alle Muslime, die unter islamischer Herrschaft im Territorium Catanias gelebt, sich aber über das sizilische Land zerstreut hatten, mitsamt ihrer Nachkommenschaft wieder diesen Gebieten zugeordnet werden. Das Gründungsdokument für die Abtei Sant’Agata zeugt damit davon, dass Roger I. für die Stabilisierung der Grafschaft nicht nur neue Verwaltungsstrukturen schaffen musste, sondern auch Sorge dafür zu tragen hatte, dass verlassenes Land wieder besiedelt und bestellt würde.  


Nimmt man zu der hier besprochenen Urkunde die späteren Schenkungen für das Bistum Catania hinzu, so lässt sich der neue Rechtsstatus dieser ländlich-muslimischen Bevölkerung unter normannischer Herrschaft skizzieren: Bischof Ansgerius erhält von Graf Roger I. im Jahr 1095 ein auf Griechisch gefertigtes Privileg, dem eine auf Arabisch geschriebene Namensliste (''ğarīda'') folgt. Diese führt die Namen von 525 „Leuten von Catania“ auf; eine zweite nennt 390 muslimische Familien in Aci Castello, nahe Catania.<ref name="ftn14">''Documenti latini e greci'', ed. Becker, Nr. 50, S. 200-201; Johns, ''Administration, S''. 57-58; Metcalfe, ''Muslims, ''S.'' ''112-121. </ref> Durch die Listen erhält der Privilegienempfänger die muslimische Bevölkerung als Besitz, indem sie auf seinem Territorium festgeschrieben und ihm überdies zu religiös-begründeten Abgaben verpflichtet wird. Inwieweit es sich hier um eine „Feudalisierung“ Siziliens handelte, wurde von der Forschung ausführlich diskutiert.<ref name="ftn15">Peri, ''Villani''<nowiki>; Bresc, Feudalizzazione. </nowiki></ref> Übrigens scheinen die Namenslsten regelmäßig überprüft worden zu sein, wie Fälle zeigen, bei denen kirchliche Würdenträger an die gräfliche Verwaltung herantraten, wenn einer ihrer Hörigen (''servi'') abhandengekommen war<ref name="ftn16">Von Falkenhausen, Testo.</ref>  
Nimmt man zu der hier besprochenen Urkunde die späteren Schenkungen für das Bistum Catania hinzu, so lässt sich der neue Rechtsstatus dieser ländlich-muslimischen Bevölkerung unter normannischer Herrschaft skizzieren: Bischof Ansgerius erhält von Graf Roger I. im Jahr 1095 ein auf Griechisch gefertigtes Privileg, dem eine auf Arabisch geschriebene Namensliste (''ğarīda'') folgt. Diese führt die Namen von 525 „Leuten von Catania“ auf; eine zweite nennt 390 muslimische Familien in Aci Castello, nahe Catania.<ref name="ftn14">''Documenti latini e greci'', ed. Becker, Nr. 50, S. 200-201; Johns, ''Administration, S''. 57-58; Metcalfe, ''Muslims, ''S.'' ''112-121. </ref> Durch die Listen erhält der Privilegienempfänger die muslimische Bevölkerung als Besitz, indem sie auf seinem Territorium festgeschrieben und ihm überdies zu religiös-begründeten Abgaben verpflichtet wird. Inwieweit es sich hier um eine „Feudalisierung“ Siziliens handelte, wurde von der Forschung ausführlich diskutiert.<ref name="ftn15">Peri, ''Villani''<nowiki>; Bresc, Feudalizzazione. </nowiki></ref> Übrigens scheinen die Namenslisten regelmäßig überprüft worden zu sein, wie Fälle zeigen, bei denen kirchliche Würdenträger an die gräfliche Verwaltung herantraten, wenn einer ihrer Hörigen (''servi'') abhandengekommen war<ref name="ftn16">Von Falkenhausen, Testo.</ref>  


Ob es einen echten Zusammenhang zwischen den Hunderten von Hörigen in den Namenslisten von 1095 und den Geflohenen gibt, ob es sich also um die gleichen Familien oder Personenverbände handelte, die vor der Eroberung in Catania siedelten, lässt sich freilich nicht feststellen. Allerdings lassen die arabischen Listen von 1095 den Rückschluss zu, dass die Verwalter Rogers I. bei der Zusammenstellung auf Vorlagen der islamischen Administration zurückgegriffen haben. Dies würde belegen, dass zumindest einige arabisch-islamische Verwaltungsdokumente den Herrschaftswechsel überlebt hatten und die gräfliche Verwaltung (häufig arabischsprachige Griechen) unmittelbar nach der Eroberung an deren administrative Praxis anknüpfte.<ref name="ftn17">Grundlegend Johns, ''Administration'', bes. S. 39-62.</ref> Unter König Roger II. (regn. 1130-1154) wurde die für Lateineuropa einzigartig arabischsprachige Verwaltung zu repräsentativen Zwecken reformiert und nach fatimidischem Modell neu gestaltet.<ref name="ftn18">Johns, ''Administration,'' S. 115-143.</ref>
Ob es einen echten Zusammenhang zwischen den Hunderten von Hörigen in den Namenslisten von 1095 und den Geflohenen gibt, ob es sich also um die gleichen Familien oder Personenverbände handelte, die vor der Eroberung in Catania siedelten, lässt sich freilich nicht feststellen. Allerdings lassen die arabischen Listen von 1095 den Rückschluss zu, dass die Verwalter Rogers I. bei der Zusammenstellung auf Vorlagen der islamischen Administration zurückgegriffen haben. Dies würde belegen, dass zumindest einige arabisch-islamische Verwaltungsdokumente den Herrschaftswechsel überlebt hatten und die gräfliche Verwaltung (häufig arabischsprachige Griechen) unmittelbar nach der Eroberung an deren administrative Praxis anknüpfte.<ref name="ftn17">Grundlegend Johns, ''Administration'', bes. S. 39-62.</ref> Unter König Roger II. (regn. 1130-1154) wurde die für Lateineuropa einzigartig arabischsprachige Verwaltung zu repräsentativen Zwecken reformiert und nach fatimidischem Modell neu gestaltet.<ref name="ftn18">Johns, ''Administration,'' S. 115-143.</ref>
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Oldfield, Paul: The Medieval Cult of St Agatha of Catania and the Consolidation of Christian Sicily, in: ''The Journal of Ecclesiastical History'' 62 (2011), S. 439-456.
Oldfield, Paul: The Medieval Cult of St Agatha of Catania and the Consolidation of Christian Sicily, in: ''The Journal of Ecclesiastical History'' 62 (2011), S. 439-456.


Peri, Illuminato: ''Villani e cavalieri nella Sicilia medievale'' (Biblioteca di cultura moderna 1040), Roma: Laterza, 1993.
Peri, Illuminato: ''Villani e cavalieri nella Sicilia medievale'' (Biblioteca di cultura moderna 1040), Rom: Laterza, 1993.


Von Falkenhausen, Vera: Zur Regentschaft der Gräfin Adelasia del Vasto in Kalabrien und Sizilien (1101–1112), in: Ihor Ševčenko, Irmgard Hutter (Hrsg.),'' Aetos. Studies in Honour of Cyril Mango Presented to Him on April 14, 1998'', Stuttgart: Teubner, 1998, S. 87-115.
Von Falkenhausen, Vera: Zur Regentschaft der Gräfin Adelasia del Vasto in Kalabrien und Sizilien (1101–1112), in: Ihor Ševčenko, Irmgard Hutter (Hrsg.),'' Aetos. Studies in Honour of Cyril Mango Presented to Him on April 14, 1998'', Stuttgart: Teubner, 1998, S. 87-115.
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