1091: Eine Urkunde Rogers I. zur Neuordnung Siziliens: Unterschied zwischen den Versionen

Zur Navigation springen Zur Suche springen
keine Bearbeitungszusammenfassung
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 5: Zeile 5:
Die das Rechtsgeschäft veranlassenden Personen sind kurz in chronologischer Abfolge zu kontextualisieren: Graf Roger I. war seit 1060 damit beschäftigt gewesen, die normannische Eroberung der seit dem 9. Jahrhundert islamisch beherrschten Mittelmeerinsel voranzutreiben. Sein Bruder Herzog Robert Guiskard (regn. 1059-1085), der dem sizilischen Unternehmen nominell vorgestanden und sich selbst während der frühen Jahre der Eroberungen strategisch wichtiges Territorium zugeignet hatte, war mittlerweile verstorben. Sein Sohn und Nachfolger Roger Borsa (regn. 1085-1111) hielt sich überwiegend auf dem süditalienischen Festland auf, wo er mehrere Aufstände niederschlagen musste. Sein Onkel Roger I. unterstützte ihn dabei militärisch und erhielt im Jahr 1091 zum Dank das ''condominium'' (die geteilte Herrschaft) über jene der Guiskard’schen Linie zugehörigen Teile in Sizilien und Kalabrien. Für die entsprechenden Gebiete findet sich in den Urkunden Rogers I. oft ein Hinweis auf die Mitherrschaft des Neffen. In der hier zitierten Urkunde aber treten Roger I. und seine Familie unabhängig und selbstbewusst auf. Dabei nennt das Protokoll der Urkunde als Aussteller neben dem Grafen selbst auch seine dritte Ehefrau, Adelasia, sowie seine Söhne Gaufredus und Jordan, die Roger I., als er Adelasia im Jahr 1089 heiratete, zusammen mit neun Töchtern in die Ehe gebracht hatte. Unbekannt ist, wer die Mutter von Gaufredus oder Jordan war, weshalb man vermutet, dass sie beide aus illegitimen Verbindungen hervorgegangen waren.
Die das Rechtsgeschäft veranlassenden Personen sind kurz in chronologischer Abfolge zu kontextualisieren: Graf Roger I. war seit 1060 damit beschäftigt gewesen, die normannische Eroberung der seit dem 9. Jahrhundert islamisch beherrschten Mittelmeerinsel voranzutreiben. Sein Bruder Herzog Robert Guiskard (regn. 1059-1085), der dem sizilischen Unternehmen nominell vorgestanden und sich selbst während der frühen Jahre der Eroberungen strategisch wichtiges Territorium zugeignet hatte, war mittlerweile verstorben. Sein Sohn und Nachfolger Roger Borsa (regn. 1085-1111) hielt sich überwiegend auf dem süditalienischen Festland auf, wo er mehrere Aufstände niederschlagen musste. Sein Onkel Roger I. unterstützte ihn dabei militärisch und erhielt im Jahr 1091 zum Dank das ''condominium'' (die geteilte Herrschaft) über jene der Guiskard’schen Linie zugehörigen Teile in Sizilien und Kalabrien. Für die entsprechenden Gebiete findet sich in den Urkunden Rogers I. oft ein Hinweis auf die Mitherrschaft des Neffen. In der hier zitierten Urkunde aber treten Roger I. und seine Familie unabhängig und selbstbewusst auf. Dabei nennt das Protokoll der Urkunde als Aussteller neben dem Grafen selbst auch seine dritte Ehefrau, Adelasia, sowie seine Söhne Gaufredus und Jordan, die Roger I., als er Adelasia im Jahr 1089 heiratete, zusammen mit neun Töchtern in die Ehe gebracht hatte. Unbekannt ist, wer die Mutter von Gaufredus oder Jordan war, weshalb man vermutet, dass sie beide aus illegitimen Verbindungen hervorgegangen waren.


Jordan war als Nachfolger Rogers I. designiert. Er hatte den Vater seit 1076 bei seinen Eroberungen unterstützt und galt als äußerst geschickt und umtriebig. Für seine Verdienste erhielt er nach der abgeschlossenen Unterwerfung Siziliens die Herrschaft über Syrakus und Noto. Er tauchte noch in einer späteren Schenkung für Catania auf, starb aber im folgenden Jahr, was Roger I. größten Schmerz bereitet haben soll. In der wichtigsten erzählenden Quelle zu Roger I., die ein Mönch der Abtei Sant’Agata di Catania namens Gaufredus Malaterra verfasst hat, ist dieses Ereignis als Tiefpunkt im Leben des Grafen beschrieben. Selbst die mit Jordan und Roger verfeindeten Muslime hätten beim Anblick des trauernden Vaters geweint.<ref name="ftn1">Gaufredus Malaterra, ''De rebus gestis Rogerii Calabriae et Siciliae Comitis et Roberti Guiscardi Ducis fratris eius'' (Rerum Italicarum Scriptores 5,1), ed. Ernesto Pontieri, Bologna: Zanichelli, 1925-1928, lib. 4, cap. 18, S. 97; für Bücher 1-2 siehe die neue Edition: Gaufredus Malaterra, ''De rebus gesti'' ''Rogerii Calabriae et Siciliae Comitis et Roberti Guiscardi Ducis fratris eius'', lib.&nbsp;1&nbsp;&&nbsp;2, ed. Marie-Agnès Lucas-Avenal (Fontes & Paginæ), Caen: Presses universitaires de Caen, 2016.</ref> Der Verlust des Sohnes dürfte mit der Sorge verbunden gewesen sein, keinen männlichen Nachfolger zu haben. Denn Malaterra, der den Grafen persönlich gekannt hatte, weiß auch zu berichten, dass Rogers Sohn Gaufredus an Lepra erkrankt war (''morbus elephantinus'').<ref name="ftn2">Gaufredus Malaterra, ''De rebus gestis'', lib. 4, cap. 18, S. 97.</ref> Deshalb hatte er zwar die Herrschaft über Ragusa erhalten, war von der Erbschaft in Sizilien aber ausgeschlossen.  
Jordan war als Nachfolger Rogers I. designiert. Er hatte den Vater seit 1076 bei seinen Eroberungen unterstützt und galt als äußerst geschickt und umtriebig. Für seine Verdienste erhielt er nach der abgeschlossenen Unterwerfung Siziliens die Herrschaft über Syrakus und Noto. Er tauchte noch in einer späteren Schenkung für Catania auf, starb aber im folgenden Jahr, was Roger I. größten Schmerz bereitet haben soll. In der wichtigsten erzählenden Quelle zu Roger I., die ein Mönch der Abtei Sant’Agata di Catania namens Gaufredus Malaterra verfasst hat, ist dieses Ereignis als Tiefpunkt im Leben des Grafen beschrieben. Selbst die mit Jordan und Roger verfeindeten Muslime hätten beim Anblick des trauernden Vaters geweint.<ref name="ftn1">Gaufredus Malaterra, ''De rebus gestis Rogerii Calabriae et Siciliae Comitis et Roberti Guiscardi Ducis fratris eius'' (Rerum Italicarum Scriptores 5,1), ed. Ernesto Pontieri, Bologna: Zanichelli, 1925-1928, lib. 4, cap. 18, S. 97-98; für Bücher 1-2 siehe die neue Edition: Gaufredus Malaterra, ''De rebus gesti'' ''Rogerii Calabriae et Siciliae Comitis et Roberti Guiscardi Ducis fratris eius'', lib. 1 & 2, ed. Marie-Agnès Lucas-Avenal (Fontes & Paginæ), Caen: Presses universitaires de Caen, 2016.</ref> Der Verlust des Sohnes dürfte mit der Sorge verbunden gewesen sein, keinen männlichen Nachfolger zu haben. Denn Malaterra, der den Grafen persönlich gekannt hatte, weiß auch zu berichten, dass Rogers Sohn Gaufredus an Lepra erkrankt war (''morbus elephantinus'').<ref name="ftn2">Gaufredus Malaterra, ''De rebus gestis'', lib. 4, cap. 18, S. 97.</ref> Deshalb hatte er zwar die Herrschaft über Ragusa erhalten, war von der Erbschaft in Sizilien aber ausgeschlossen.  


In besonderer Weise sollte Adelasia, die aus dem savoyischen Adelsgeschlecht der Aleramici stammte, Einfluss auf die Geschicke der Hinterlassenschaft Rogers I. nehmen. Nicht nur gebar sie in den folgenden Jahren zwei Söhne, Simon (1093-1105) und Roger (1095-1154), auch übernahm sie nach dem Tod ihres Mannes die Regentschaft über sein Territorium und übte diese äußerst geschickt und entschieden bis zur Volljährigkeit Rogers II. im Jahr 1112 aus. Unter ihrer Aufsicht wurde die Verwaltung der Grafschaft überwiegend von sizilischen und kalabresischen Griechen geführt, die sowohl auf Arabisch als auch Griechisch urkundeten. Außerdem siedelten Hof und Familie zunächst von Milet nach Messina und dann in den vorwiegend arabisch-islamisch geprägten Osten der Insel über. Hier etablierten sie in Palermo das Zentrum von Verwaltung, Repräsentation und Herrschaft. Nach 1112 heiratete Adelasia Balduin von Jerusalem (regn. 1100-1118) ‒ vielleicht in der Hoffnung, die Herrschaft ihres Sohnes auf das Heilige Land erweitern zu können. Obwohl die Ehe nach kurzer Zeit gelöst wurde und Adelasia nach Sizilien zurückkehrte, nahm ihr Sohn in einer späteren Urkunde Bezug auf diese Episode, indem er sich als „königlicher Sohn“ bezeichnete.<ref name="ftn3">Zur Regentschaft der Adelasia siehe von Falkenhausen, Adelasia.</ref> </div>
In besonderer Weise sollte Adelasia, die aus dem savoyischen Adelsgeschlecht der Aleramici stammte, Einfluss auf die Geschicke der Hinterlassenschaft Rogers I. nehmen. Nicht nur gebar sie in den folgenden Jahren zwei Söhne, Simon (1093-1105) und Roger (1095-1154), auch übernahm sie nach dem Tod ihres Mannes die Regentschaft über sein Territorium und übte diese äußerst geschickt und entschieden bis zur Volljährigkeit Rogers II. im Jahr 1112 aus. Unter ihrer Aufsicht wurde die Verwaltung der Grafschaft überwiegend von sizilischen und kalabresischen Griechen geführt, die sowohl auf Arabisch als auch Griechisch urkundeten. Außerdem siedelten Hof und Familie zunächst von Milet nach Messina und dann in den vorwiegend arabisch-islamisch geprägten Osten der Insel über. Hier etablierten sie in Palermo das Zentrum von Verwaltung, Repräsentation und Herrschaft. Nach 1112 heiratete Adelasia Balduin von Jerusalem (regn. 1100-1118) ‒ vielleicht in der Hoffnung, die Herrschaft ihres Sohnes auf das Heilige Land erweitern zu können. Obwohl die Ehe nach kurzer Zeit gelöst wurde und Adelasia nach Sizilien zurückkehrte, nahm ihr Sohn in einer späteren Urkunde Bezug auf diese Episode, indem er sich als „königlicher Sohn“ bezeichnete.<ref name="ftn3">Zur Regentschaft der Adelasia siehe von Falkenhausen, Adelasia.</ref> </div>
Zeile 19: Zeile 19:


== Kontextualisierung, Analyse & Interpretation:  ==
== Kontextualisierung, Analyse & Interpretation:  ==
Nach Beendigung der Eroberung Siziliens begann Roger I. damit, sein Reich zu ordnen und Ländereien zu verteilen<ref name="ftn5">Gaufredus Malaterra, ''De rebus gestis'', ed. Pontieri, lib. 4, cap. 15-16, S. 94-95.</ref> – ein mehrjähriger Prozess, der nur durch die Auswertung urkundlicher Quellen fassbar wird. Bevor das Unternehmen nicht vollständig abgeschlossen war, hatte der Graf die Vergabe von Territorien vermieden und die Versuche einiger Aufrührer (darunter sein eigener Sohn Jordan),<ref name="ftn6">Gaufredus Malaterra, ''De rebus gestis'', ed. Pontieri, lib. 4, cap. 31, S. 70.</ref> sich Land anzueignen, unterdrückt und hart bestraft. Um die Aufspaltung in Kleinstgebiete und -herrschaften zu vermeiden, hatte Roger I. nur dort, wo sich Widerstand gegen die neue Herrschaft regte, vorzeitig Vertraute eingesetzt.<ref name="ftn7">Gaufredus Malaterra, ''De rebus gestis'', ed. Pontieri, lib. 3, cap. 20, S. 69.</ref>  
Nach Beendigung der Eroberung Siziliens begann Roger I. damit, sein Reich zu ordnen und Ländereien zu verteilen<ref name="ftn5">Gaufredus Malaterra, ''De rebus gestis'', ed. Pontieri, lib. 4, cap. 15, S. 93-94.</ref> – ein mehrjähriger Prozess, der nur durch die Auswertung urkundlicher Quellen fassbar wird. Bevor das Unternehmen nicht vollständig abgeschlossen war, hatte der Graf die Vergabe von Territorien vermieden und die Versuche einiger Aufrührer (darunter sein eigener Sohn Jordan),<ref name="ftn6">Gaufredus Malaterra, ''De rebus gestis'', ed. Pontieri, lib. 3, cap. 31, S. 76-77 (zur Revolte des Ingelmarus) und lib. 4, cap. 16, S. 94-95.</ref> sich Land anzueignen, unterdrückt und hart bestraft. Um die Aufspaltung in Kleinstgebiete und -herrschaften zu vermeiden, hatte Roger I. nur dort, wo sich Widerstand gegen die neue Herrschaft regte, vorzeitig Vertraute eingesetzt.<ref name="ftn7">Gaufredus Malaterra, ''De rebus gestis'', ed. Pontieri, lib. 3, cap. 20, S. 69.</ref>  


Die großen Schenkungen der 1090er Jahre zielten dann zum einen darauf ab, die treusten seiner Kämpfer für ihre Mühen zu belohnen. Jene Ritter wurden in Kastellen an strategisch wichtigen Punkten stationiert, wo sie Straßen oder rebellische Ortschaften kontrollieren konnten. Zum anderen galt es, Sizilien mit Bistums- und Klostergründungen zu durchdringen, um die territorialen und organisatorischen Strukturen des Landes nach den Jahren des Krieges wiederaufleben zu lassen und dabei zu christianisieren. Den neuen kirchlich-monastischen Einrichtungen wurden daher besonders großflächige Gebiete und Landflächen zugesprochen.<ref name="ftn8">Zu diesem Prozess grundlegend, Becker, Roger I., S. 77-93.</ref>  
Die großen Schenkungen der 1090er Jahre zielten dann zum einen darauf ab, die treusten seiner Kämpfer für ihre Mühen zu belohnen. Jene Ritter wurden in Kastellen an strategisch wichtigen Punkten stationiert, wo sie Straßen oder rebellische Ortschaften kontrollieren konnten. Zum anderen galt es, Sizilien mit Bistums- und Klostergründungen zu durchdringen, um die territorialen und organisatorischen Strukturen des Landes nach den Jahren des Krieges wiederaufleben zu lassen und dabei zu christianisieren. Den neuen kirchlich-monastischen Einrichtungen wurden daher besonders großflächige Gebiete und Landflächen zugesprochen.<ref name="ftn8">Zu diesem Prozess grundlegend, Becker, Roger I., S. 77-93.</ref>  
106

Bearbeitungen

Cookies helfen uns bei der Bereitstellung von Transmed Wiki. Durch die Nutzung von Transmed Wiki erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies speichern.

Navigationsmenü