Morgan (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Morgan, was so viel bedeutet wie "meergeboren" [Krohn 2008:S. 40], ist in Gottfried von Straßburgs 'Tristan' die Figur eines bretonischen Herzogs, der sich mit den Regenten des Landes Parmenien (zunächst Riwalin, später Tristan) in einem beständigen Machtkampf befindet. Durch den Konflikt mit ihm wird der Ausgangspunkt für die Geschichte Tristans gelegt und anhand seiner Bedrohung kann Tristan sich positionieren.

Riwalin und Morgan

Das Verhältnis zwischen Morgan und Riwalin ist im Allgemeinen bedeutend für Tristans Schicksal und im Speziellen ausschlaggebend für Tristans Rache an Morgan.

Lehnsverhältnis

Riwalin und Morgan befinden sich in einem Abhängigkeitsverhältnis, das sich aus der Übergabe eines Landes von Morgan an Riwalin ergibt. So schildert der Erzähler, dass Riwalin aus Parmenien kommt

und haete ein sunderes lant
von eines Britûnes hant
und solte dem sîn untertân:
der selbe hiez li duc Morgân. (Verse 331-334)[1]
und ein zusätzliches Land / aus der Hand eines Bretonen erhalten hätte, / wofür er diesem Gefolgschaft schuldete. / Dieser Bretone hieß Herzog Morgan.[2]

Riwalin steht somit unter der Lehnsherrschaft von Morgan, was bedeutet, dass er ihm Treue und Gefolgschaft schuldig ist.[Weddige 2006: 162ff] Morgan hat also Einfluss auf und Macht über Riwalin, der ihm untergeben ist. Nach der geltenden Ordnung im deutschen Lehnsrecht im Mittelalter könnte Morgan, unter Berücksichtigung der Stellung von Riwalin und Rual, im dritten Heerschild eingeordnet werden.[Combridge 1964:S. 15-19] Er befindet sich somit eine Stufe über dem Heerschild, das den üblichen Herzögen zukommt. Dies verdeutlicht noch einmal seine besondere Verfügungsgewalt, die er als Herzog ausübt und die er über Riwalin hat. Ob Morgan selbst einem weiteren Lehnsherren untersteht, wie es üblicherweise sein müsste, geht aus der Erzählung Gottfrieds nicht hervor.[Combridge 1964:S. 17]
Zu dem Verhältnis zwischen Morgan und Riwalin an sich äußert sich der Erzähler nicht. Es wird für den Rezipienten nicht ersichtlich, ob Morgan seine Macht ausnutzt und wie Riwalin dem Lehnsverhältnis gegenüber steht. Somit fehlt auch eine Begründung, weshalb sich Riwalin eines Tages gegen das Lehnsverhältnis auflehnt.

Riwalins Auflehnung gegen das Lehnsverhältnis

Drei Jahre nach seiner Schwertleite zum Ritter beginnt Riwalin einen Krieg mit Morgan. Der Erzähler gibt an dieser Stelle an, nichts über die Motive Riwalins zu wissen: Es sei scheinbar unklar, ob Morgan ihn zu diesem Schritt reizt und Riwalin aus Not handelt, oder ob der Angriff aus "übermuot" (Vers 342) heraus erfolgt. Da die Beweggründe nicht genannt werden, erscheint es umso weniger nachvollziehbar, dass Riwalin Morgan "als einen schuldegen man" (Vers 346) angreift, also in der Art und Weise, als ob Morgan den Kampf durch eine Verletzung des Lehnsverhältnnisses provoziert hätte. Der Erzähler gibt sich an dieser Stelle betont neutral und stellt sich weder auf die eine, noch auf die andere Seite, sodass auch der Rezipient die Szene nicht genau zuordnen kann.
Der Verlauf des Angriffs wird dann als zunächst äußerst erfolgreich für Riwalin beschrieben. Morgans Burgen und Städte werden eingenommen, außerdem werden Güter und Geld so stark vermehrt, dass das Heer vergrößert werden kann. Jedoch setzt sich Morgan standhaft zur Wehr, bekommt ebenfalls Städte und Burgen unter seine Gewalt und beraubt sie. Das Kräfteverhältnis scheint ausgeglichen, dennoch ist Morgan Riwalin später unterlegen,[Hollandt 1966:S. 16] sodass Morgan schließlich zu Verhandlungen einlenkt. Es wird für die Zeit von einem Jahr Frieden vereinbart.

Morgan hebt den Waffenstillstand auf

Während sich Riwalin aufgrund einer Bildungsreise an Markes Hof in Tintajol befindet, fällt Morgan in sein Reich ein und der Krieg wird wieder aufgenommen. Riwalin kehrt deshalb zurück nach Parmenien und will sein Land aus Morgans Bedrängnis befreien. Für den Kampf setzen die Parmenier ihre ganze Streitmacht ein und es kommt zu einem heftigen Gefecht. Dieses Mal behält jedoch Morgan die Oberhand, sodass "der vil clagebaere erslagen" (Vers 1677) wird. Riwalins Tod ändert jedoch nichts an der Bedrohung durch Morgan, der Krieg wird weiter fortgeführt. Da Rual li Foitenant keine Chance mehr auf eine Verteidigung sieht, ergibt er sich schließlich seinem "tôtvînt" (Vers 1845). In welche Hände das Lehen nach Riwalins Tod fällt, bleibt im Text ungeklärt. Den üblichen Lehnsregelungen zufolge müsste es zurück an Morgan gehen. [Combridge 1964: 28]. Offen bleibt auch, ob Morgan die Waffenruhe frühzeitig beendet hat, oder ob die Frist bereits abgelaufen war.

Morgans Funktion

Morgan erhält in der Riwalin-Blanscheflur-Episode kaum die Beachtung des Erzählers. Er wird als Lehnsherr über Riwalin eingeführt, erhält jedoch so gut wie keine zugeschriebenen Eigenschaften und bleibt sehr typenhaft[Tomasek 2007:S. 100] und vage gezeichnet. Seine Positionierung erfolgt als ebenbürtiger Gegner Riwalins und verdeutlicht dadurch Riwalins Funktion: An Morgan zeigt sich beispielhaft Riwalins "übermuot" (V. 268, 299, 342), der ihn in einen starken Kontrast zu Tristan setzt.[Hollandt 1966: S. 18]

Morgan und Tristan

Die von Morgan ausgehende Bedrohung ist für Tristan bereits bei seiner Geburt von Bedeutung. Aus Angst vor Morgan gibt Rual den Erben von Riwalin als seinen eigenen Sohn aus.

Tristans Rache

Als Tristan im Jugendalter von seinem wahren Vater und dessen Tod erfährt, lässt ihm der Gedanke an Morgan keine Ruhe. Er kehrt nach Parmenien zurück, berät sich mit seinen Vasallen und fährt mit seinem Gefolge nach herrscht über::Britannien, wo er Morgan während einer Jagd antrifft. Morgan begrüßt den Fremden sehr höflich und Tristan bittet ihn um die Rückgabe des Lehens. Als der Herzog von der Herkunft Tristans erfährt, schlägt seine Gastfreundschaft um. Er beleidigt Tristan mit der Behauptung, er sei unehelich geboren worden und könne das Erbe deshalb nicht antreten. Als Morgan auch nach Tristans Beteuerung, die Abstammung beweisen zu können, nicht einlenkt, tötet Tristan Morgan.[3]
Im Vergleich zu den Begegnungen mit Riwalin bleibt Morgan hier nicht mehr vollständig charakter- und gestaltlos. Er begrüßt den Fremden freundlich und unvoreingenommen, verhält sich also gemäß den höfischen Normen. Seine freundliche Gesinnung schlägt jedoch um, als Tristan den Grund seines Gesuches äußert, es zeigen sich erstmals Emotionen Morgans: Er wird barsch und beleidigend und provoziert Tristans Reaktion und somit seinen Tod.

Beurteilung der Rache

Tristans Vorhaben, das Lehen von Morgan zurück zu fordern, hat einen rechtlichen Hintergrund. Da ein Lehen nicht vererbt werden kann, ist das Lehen in diesem Moment rechtmäßig in Morgans Besitz und muss von Tristan neu erbeten werden.[Krohn 2008:S. 118] Ob er es zurückbekommt oder nicht, hängt dabei entscheidend von der Frage ab, ob er der rechtliche Erbe ist, also ehelich geboren wurde.[Krohn 2008:S. 118] Genau dies ist jedoch umstritten, da Blanscheflur und Riwalin nur kirchlich heiraten und ein rechtlich unumstrittener Ehevollzug in der Öffentlichkeit durch Riwalins Tod verhindert wird. Tristans Aussage, ihm würde das Lehen zustehen und seine Rechtfertigung, er sei ehelich geboren, sind demnach rechtlich nicht belegt. Auch durch einen Zweikampf kann Tristan sein Recht nicht bekräftigen, denn als unehelicher Sohn ist er vom Zweikampf ausgeschlossen.[Krohn 2008:S. 119]
Ob Tristans Rache demnach gerechtfertig ist oder nicht, ist umstritten. Rechtlich gesehen ist die Rache nicht zulässig, da Riwalin in einem Krieg zwischen ebenbürtigen Gegnern getötet wird und nicht einer Gewalttat zum Opfer fällt.[Combridge 1964:S. 25,26] Auch hat Tristan keinen Anspruch auf das Lehen, Morgan verhält sich ihm gegenüber also rechtmäßig, wenn auch beleidigend. Moralisch bleibt zu beachten, dass Riwalin durch seinen eventuell unbegründeten Angriff gegen Morgan seinen Tod selbst herausgefordert hat, es also für Tristan keinen Grund zur Rache gäbe, denn Riwalin wurde nicht gezielt getötet, sondern fiel im Kampf. Auf einer emotionalen Ebene jedoch scheint Tristans Rache gerechtfertigt, denn er tötet die Person, die seinen Vater umgebracht hat und so sein Schicksal bestimmte. Die Art der Rache ist moralisch jedoch bedenklich, denn Morgan fällt nicht im Kampf, sondern überraschend und somit fast schon aus dem Hinterhalt.

Funktion der Rache

Unabhängig von der Motivierung der Rache lässt sich feststellen, dass es sich bei der Forderung des Lehens und der damit einhergehenden Ermordung Morgans um die erste ritterliche Tat Tristans handelt.[Hauenstein 2006:S. 40] Tristan legitimiert somit seinen Status als rechtmäßiger Lehnsherr über Parmenien und demonstriert seine Macht und Überlegenheit, die nicht in einer herausragenden Kampfhandlung, sondern in seiner List besteht.[Hauenstein 2006:S. 40]

Fazit

Morgan nimmt ab dem Zeitpunkt von Riwalins Angriff die Rolle eines beständigen Feindes ein. Im Zusammenhang mit Morgan ist immer wieder die Rede von Feindseligkeit, Kummer und Schmerz. So veranlasst die Angst vor einem Angriff Rual schließlich dazu, Tristan als seinen Sohn auszugeben. Morgan verkörpert demnach den Ausdruck von Leid, der sich in der Freude- und Leid-Debatte durch die gesamte Erzählung zieht.[4] Trotzdem bleibt Morgan für den Leser sehr lange nur die gestaltlose Verkörperung einer Gefahr, ohne konkret als Charakter aufzutreten. Seine Rolle hat weniger die Funktion, sich selbst zu positionieren, sondern setzt die anderen Figuren in ein Verhältnis zu ihrem Gegenspieler, an dem sich ihre Charakterzüge zeigen. Er dient somit insbesondere als Schablone, an dem die Qualitäten des Helden Tristans zutage treten. Denn Tristan handelt an Morgan nicht aus 'übermuot', wie sein Vater Riwalin, sondern listig und berechnend.

Anmerkungen

  1. Mit Versangabe im Folgenden zitiert aus Gottfried von Straßburg: Tristan. Hrsg. von Rüdiger Krohn. Stuttgart 1993 (Universalbibliothek 4471, 4472).
  2. Die Übersetzung wird im Folgenden zitiert nach Rüdiger Krohn aus Gottfried von Straßburg: Tristan. Hrsg. von Rüdiger Krohn. Stuttgart 1993 (Universalbibliothek 4471, 4472).
  3. Für den gesamten Abschnitt vgl. V. 5103-5176 und V. 5267-5458.
  4. Diese Debatte zeigt sich insbesondere am Begriff der edelen herzen, die sich vor allem dadurch auszeichnen, Leid zu ertragen um Freude zu erreichen.

Literatur

  • [*Combridge 1964] Combridge, Rosemary Norah: Das Recht im Tristan Gottfrieds von Strassburg. Berlin 1964².
  • [*Hauenstein 2006] Hauenstein, Hanne: Zu den Rollen der Marke-Figur in Gottfrieds 'Tristan'. Göppingen 2006.
  • [*Hollandt 1966] Hollandt, Gisela: Die Hauptgestalten in GottfriedsTristan. Berlin 1966.
  • [*Krohn 2008] Gottfried von Straßburg: Tristan.Band 3. Kommentar. Hrsg. von Rüdiger Krohn. Stuttgart 2008.
  • [*Tomasek 2007] Tomasek, Tomas: Gottfried von Straßburg. Stuttgart 2007.
  • [*Weddige 2006] Weddige, Hilkert: Einführung indie Germanistische Mediävistik. München 2006.