Clinschor

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Clinschor ist ein Zauberer und Herrscher über das Schloss Schastel marveile, das in den Gawan-Episoden eine große Rolle spielt. Er ist eine von Wolframs rätselhaftesten Gestalten, da er nicht nur magische Kräfte besitzt, sondern zudem dem epischen Geschehen fern bleibt. Um seine Figur besser greifen zu können, soll im folgenden Artikel adressiert werden wer Clinschor ist, wie er dargestellt wird und wie diese Darstellung bei Wolfram und Chretiéns differenziert. Zudem soll er als Kontrastfigur zum Gralskönig Anfortas betrachtet und seine Funktion in Wolframs Erzählgefüge hinterfragt werden.

Wer ist Clinschor?

Bereits in Buch II von Wolframs Parzival wird Clinschor beiläufig erwähnt, als Gahmuret vom Bretonenkönig Utrepandragûn und dessen Frau, Arthus Mutter Arnive, berichtet wird: ein phaffe der wol zouber las, / mit dem diu vrouwe ist hin gewant (66,4-5). Zwar wird der Zauberer hiermit schon sehr früh in die Handlung eingebunden, aber es dauert sehr lange bis man wirkliche Informationen über ihn bekommt. Erst in Buch X nennt der Fährmann Plippalinot seinen Namen: dô sprach er 'hêrre, ez ist hie reht, /ûfem plâne unt in dem fôreht unt aldâ Clinschor hêrre ist (548,3-5) und ergänzt diese Information nur aufgrund von Gawans beharrlichem Drängen. Der Fährmann beschreibt er das Land Terre marveile (557,2 ff.) und die Gefahren im Schastel marveil, wie das Lît marveile, wobei er über Clinschor nur sagt, dass waz hier maeres ist, / mit vorhten scharpf ein strenger list (559,29-30). Erst im Laufe von Gawans âventiure häufen sich die Informationen über Clinschor. Man erfährt von seinen Beziehungen zu anderen Länder, wo er zum Beispiel lernte den besonderen Estrich herzustellen, der die Kammer des Lît marveile ziert (vgl. 566, 16ff.), und auch die Wundersäule ist ûz Feirefîzes landen (589,10).

Einen Einblick in Clinschors Lebensgeschichte und Persönlichkeit gibt es jedoch erst bei dem Gespräch zwischen Arnive und Gawan (vgl. 656,6 – 661,2). Sie berichtet, dass Clinschor aus dem Geschlecht von Virgilîus entstammt und einst ein untadeliges höfisches Leben führte. Jedoch ging er eine Liebschaft mit Iblis, der Gemahlin des sizilianischen König Iberts, ein, welcher ihn aus Rache entmannte: wâ mit er kom in zoubers site. / zeim kapûn mit eime snite / wart Clinschor gemachet (657,7-9).

Clinschor ging daraufhin in Persida, erlernte dort Magie und war durch die scham am sîme lîbe / wart er man noch wîbe / guotes willen nimmer mêr bereit (658,3-5). Er beschloss sich für seinen erlittenen Spott an der Gesellschaft zu rächen und erbaute das verzauberte Schastel marveille auf einem Berg, den er vom sich vor ihm fürchtenden König Irot bekam. Von dort aus beherrscht und schikaniert er sein Land, indem er unter anderem Damen, unter ihnen auch Arnive, Gawans Großmutter Sangîve und Gawans Schwestern Itônje und Cundrîe, raubt und in seinem Schloss gefangen hält.

er hât ouch aller der gewalt, Er hat auch Gewalt über alle,
mal unde bêâ schent, die zwischen dem Firmament und
die zwischen dem firmament den Grenzen der Erden wohnen, die von der bösen Art,
wonent unt der erden zil; doch ebenso honette, schöne Gestalten, nur über die nicht
niht wan die got beschermen wil. die Gott selber vor ihm bewahren will.

(658,26-30)

Clinschor herrscht also über alles zwischen Himmel und Erde und nur durch die Berufung auf Gott kann man sich seinem Einfluss entziehen. Arnive betont jedoch mehrmals auch Clinschors ehrenhafte Seite, indem sie etwa betont, dass er Gawan das Schastel marveile widerstandslos überlasst.

Generell ist festzuhalten, dass Wolfram Clinschor als ambivalente Figur entwirft, da der Zauberer zwar ein Bösewicht ist, der das ganze Land und seine Bevölkerung unterwirft, aber auch als hövesch unde wîs (618,1) beschrieben wird.

Clinschors Darstellung

Clinschor ist eine Figur, die nicht selbst als Akteur auftritt, sondern immer nur indirekt beschrieben wird. Informationen über ihn bekommt man nur aus Erzählungen, etwa von Plippalinot, Arnive oder auch Orgeluse, und damit nur aus zweiter Hand. Susanne Tuchel ist daher der Meinung, dass „man nur ein vermitteltes, mit den Augen anderer gesehenes Bild des Mannes wahrnehmen [kann], der als Person in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt bleibt.“[Tuchel 1994: 244] Auch wenn Clinschor im Handlungsgeschehen nicht direkt auftritt, ist er sehr präsent und beeinflusst dieses.

Die Informationen über Clinschor sind rein auditiver Natur, da der Zauberer sich dem Visuellen entzieht und seine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben auf die Rolle eines Voyeurs beschränkt . Clinschors mangelnde personale Repräsentanz wird jedoch durch das Visualisierungsvermögen der Wundersäule im Schastel marveile ersetzt.

Clinschor bei Wolfram und Chrétiens

Mit Clinschor hat Wolfram eine sehr ambivalente Figur entworfen, da der Zauberer einerseits als Bösewicht eingeführt, andererseits stets wieder auf seine Weisheit und seine höfischen Manieren verwiesen wird. Mit der Skizzierung seiner Lebensgeschichte, kann man fast von einer psychologische Motivierung für sein Verhalten und sein Rachebestreben sprechen [Krohn 1993], wobei man bei der Verwendung solcher Begrifflichkeiten in Bezug auf mittelalterlicher Literatur sehr vorsichtig sein muss.

Diese Darstellung von Clinschor differenziert stark von Chrétiens Figur. Dessen clers sages d’astrenomie [Blank 1989: 322] bleibt nicht nur namenlos, sondern man erhält auch keinerlei biographische Informationen, noch Einblick in sein Charakterbild. Krohn spricht daher von einer Humanisierung und Vertiefung, die Wolfram mit Chrétiens eher plakativ gezeichneten Figuren vorgenommen hat [Krohn 1993: 93]. Man kann argumentieren, dass der widersprüchlich scheinende Clinschor von Wolfram wesentlich glaubwürdiger ist, da er nicht nur einseitig bösartig ist, sondern als komplexerer Charakter gezeichnet ist.

Ein weiterer Unterschied besteht in der Funktion der beiden Figuren für das Erzählgefüge. Chrétiens namenloser Magier hat keinen weiteren Einfluss auf dieses, wohingegen Wolframs Clinschor als Gegenfigur zum Gralskönig Anfortas konzipiert wurde.

Clinschor und Anfortas

Clinschor stellt einen Widerpart zur höfischen Gesellschaft dar, da er neben seiner dunklen Magie weder Teil einer Gemeinschaft, noch körperlich präsent ist. Anfortas hingegen, ist als Gralskönig mit Macht über christliche Heilswelt eine positiv konnotierte Figur. Krohn bezeichnet Clinschor daher als „schwarze, höllische Gegenfigur“ [Krohn 1993:98] zu Anfortas.

Dennoch gibt es Parallelen zwischen den Figuren, da beide durch unerlaubte Liebesbeziehungen gegen den Verhaltenskodex ihres Standes verstoßen haben und mit spiegelnde Strafen bestraft wurden [Krohn 1993:95]. Anfortas wurde unerlaubterweise ein Minneritter von Orgeluse, was zu einer Verletzung führte, an welcher er leidet, aber aufgrund des Grals, nicht sterben kann. Clinschors verbotene Liebschaft mit der Frau des Königs Ibert führte zu seiner Entmannung durch diesen. Beide Figuren haben also verwerflich gehandelt und müssen für ihre Vergehen leiden. Der große Unterschied liegt jedoch in Umgang der Figuren mit der Situation.

Während Anfortas Verletzung, und die daraus resultierende Krankheit, die Gralsgesellschaft in den Untergang reißt [Retzer 2006: 185], wandelt sich Clinschors Leiden in Hass und Rachegefühle. Zwischen den beiden herrscht daher eine interreligiöse Polarität da sich der sündhafte, aber bußfertige Anfortas und der verstockte und teuflische Clinschor gegenüber stehen [Retzer 2006: 185]. Während Anfortas schlussendlich erlöst wird, verschwindet Clinschor einfach nachdem sein Zauberbann gebrochen wurde und es ist nichts Weiteres von ihm bekannt. Laut Krohn, lässt dies am deutlichsten erkennen, dass Wolframs Clinschor nicht als eigenständige Figur konzipiert ist, sondern nur als funktionaler Gegentyp zu Anfortas ist. [Krohn 1993]

Fazit

Wolfram hat den namenloser Magier aus Chrétiens Vorlage zu einer rätselhaften, ambivalenten und, aufgrund ihrer Biographie und ihrem psychologisch motiviertem Verhalten, komplexen Figur gemacht. Clinschor ist besonders als Kontrastfigur zu Anfortas bedeutsam, da die Polarität der beiden Figuren ein wichtiger Teil von Wolframs Erzählstruktur ist.

Literaturverzeichnis

Textausgabe

Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der ‚Parzival’-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.

Sekundärliteratur

[*Blank 1989]: Blank, Walter: Der Zauberer Clinschor in Wolframs Parzival. In: Gärtner, K.; Schröder, W.: Studien zu Wolfram von Eschenbach. Festschrift für Werner Schröder zum 75. Geburtstag , Niemeyer, Tübingen: 1989, S.321-332.

[*Krohn 1993]: Krohn, Rüdiger: 'ein phaffe der wol zouber las'. Gesichter und Wandlungen des Zauberers Klingsor. In: Cramer, Thomas; Dahlheim, Werner: Gegenspieler. Dichtung und Sprache: Schriftenreihe der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Bd. 12, Wien: 1993, S. 88-112.

[*Tuchel 1994]: Tuchel, Susan: Macht ohne Minne. Zu Konstruktion und Genealogie des Zauberers Clinschor im Parzival Wolframs von Eschenbach In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen Bd. 231/1994, S. 241-25.

[*Retzer 2006]: Retzer, Maike: Mythische Strukturen in Wolframs von Eschenbach Parzival, Diss. München 2006.

Anmerkungen