Das Konzept des Frauendienstes (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)

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Einleitung

Mittelhochdeutscher Text[1] Neuhochdeutsche Übersetzung[2]
„Ditz buoch sol guoter wibe sin, „Das Buch das ist für edle Frau’n,
in hat dar an diu zunge min und ihnen hat darin mein Mund
gesprochen vil manic süezez wort gesprochen manches schönes Wort.
ez sol reht sin ir lobes hort, Es soll sein ihres Preises Hort,
ir lop chan dran wol stigen ho, ihr Lobpreis ist dadurch sehr hoch,
ez sol si often machen fro, es soll sie sehr oft machen froh:
vrowen dienst ist ez genant, FRAUENDIENST ist es genannt,
da bi so sol ez sin bechant. so sei es allen jetzt bekannt." (FD 1850)

Ulrich von Liechtenstein widmete seine nach eigenen Angaben 1255 beendete Quasi-Autobiographie am Ende des Werkes ausdrücklich den Frauen und dem Frauendienst.[Kellermann 2009] Das komplexe Werk, bestehend aus 57 Liedern, einem Leich, sieben Briefen – fünf in Versen, zwei in Prosa verfasst – und drei „Büchlein“, soll in diesem Artikel auf das Konzept des Frauendienstes untersucht werden.[Kellermann 2009] Dabei sollen vor allem die in der Tradition des Minnesangs stehenden Lieder betrachtet und ihre thematische Analogie zum gängigen Minnediskurs des 12. und 13. Jahrhundert analysiert werden. Dieser Analyse wird die Vorstellung der traditionellen Modelle des Frauendienstes vorangestellt. Es gilt herauszufinden, ob der Frauendienst in seiner herkömmlichen, traditionellen Form im Werk aufzufinden ist, oder ob Ulrich von Liechtenstein neue Frauendienstkonzepte entwirft.

Minnesang und Frauendienst

Definition Minne und Minnesang

Die Minne ist ein Schlüsselbegriff der höfischen Literatur des Mittelalters und hat viele Bedeutungen.[Kasten 1988: 165] Sie bezeichnet die erotische Beziehung zwischen Mann und Frau, das Band zwischen dem Gläubigen und Gott, sowie das Verhältnis zwischen dem Lehnsmann und seinem Herren und überschneidet sich gleichzeitig mit der vielsinnigen Bedeutung des neuhochdeutschen Wortes Liebe.[Kasten 1988: 165] Minnesang ist demnach Liebeslyrik und gleichzeitig Liedkunst.[Kasten 1988: 165]

Der deutsche Minnesang und die Hohe Minne

Der Minnesang im deutschen Sprachraum hat seinen Ursprung in der volkssprachlichen Dichtung und knüpft am Brauchtum an.[Kasten 1988: 165] Ab Ende des 12. Jahrhunderts wird der deutsche Minnesang jedoch romanisiert und die okzitanischen Trobadors und französischen Trouvères entwickeln sich zu den Vorbildern der deutschen Minnelyrik.[Hübner 2008: 5] Dadurch kommt es zur Übernahme von Formen und Inhalten der romanischen höfischen Liebeslyrik und auch zur Übernahme des für die gesamte weitere Gattungsgeschichte konstitutiven Liebeskonzepts des Frauendienstes.[Hübner 2008: 5] Gert Hübner beschreibt dieses Konzept in seiner Einführung zum Minnesang im 13. Jahrhundert wie folgt: „Ein adliger Mann „dient“ einer adeligen Dame, indem er sich bedingungslos ihrem Willen unterwirft, aufrichtig und beständig allein um ihre Gegenliebe wirbt, ihre abweisende Haltung trotz des ihm dadurch zugefügten schweren Leids mit unerschütterlicher Bereitwilligkeit erträgt und als Minnesänger seine Lieder für sie singt. Der Minnesang selbst ist Frauendienst; wenn der Minnesänger vor seinem höfischen Publikum ein Lied singt, ist stets unterstellt, dass er damit als Liebender seiner Dame dient. Als „Lohn“ erhofft und fordert er die sexuelle Zuwendung der Dame; da sie nicht mit ihm verheiratet ist, erlauben ihr die gesellschaftlichen Normen jedoch nicht, ihn zu erhören.“[Hübner 2008: 5] Aus dieser Konzeption ergibt sich eine Grundspannung, die darin besteht, dass der Minnesänger für seine moralische Qualität, seine aufrichtige sowie beständige Liebe, seine Leistung als Minnesänger und die mit dem ertragenen Leid verbundene emotionale Anstrengung einen Minnelohn in Form von körperlicher Gegenliebe erwartet. Diese kann ihm jedoch aufgrund der gesellschaftlichen Normen nicht gewährt werden. Dieser Konzeption folgend befinden wir uns im Bereich der sogenannten Hohen Minne.

Die Niedere Minne als Gegenkonzept?

Erste Tendenzen zur Modifizierung des Konzeptes finden wir in Hartmanns von Aue Frauenliedern, in Wechselliedern und dann schließlich bei Walther von der Vogelweide. Das Modell des Frauendienstes veränderte sich dahingehend, dass die Liebe ihre Erfüllung finden konnte; dies ist für die Niedere Minne charakteristisch. Die Niedere Minne ist neben den schon genannten Liedern vor allem in den Tageliedern, die nach der Minnekanzone zu den populärsten Formen gehörten, vertreten. Jedoch blieb gattungsgetreu die Grundspannung von Leid und Freude bestehen, dadurch, dass die Liebenden aufgrund ihres verbotenen Zusammenkommens sich bei Tagesanbruch wieder trennen mussten. Hübner merkt in seiner Einführung an: „Die unerlaubte höfische Liebe des Minnesangs bleibt auch im Fall der Erfüllung eine anstrengende Ambition, weil sie Freude nur in der nächtlichen Heimlichkeit bereiten kann und den ebenso unbedingten wie leidbesetzten Respekt vor der Öffentlichkeit des Tages erfordert, die die Öffentlichkeit der gesellschaftlichen Normen ist.“[Hübner 2008: 34] In Ulrichs von Liechtenstein Frauendienst finden wir diese zwei konturierten Frauendienstmodelle in Prosa und Lyrik dargestellt. Im Folgenden sollen repräsentativ einzelne Lieder thematisch auf ihre Kohärenz mit dem konventionellen Minnekonzept untersucht werden.

Frauendienstmodelle bei Ulrich von Liechtenstein

Ulrichs von Liechtenstein Frauendienst lässt sich generell in zwei Frauendienstphasen einteilen. Der erste Frauendienst gilt einer namenlosen adligen Dame, die „Ulrichs“[3] Minnedienst von Beginn an ablehnt. Der zweite Frauendienst widmet sich einer weiteren, gleichfalls adligen Dame, die „Ulrich“ den Minnelohn gewährt. Folgend werden die beiden Phasen einzeln betrachtet und analysiert.

Erster Dienst

Der erste Frauendienst erstreckt sich über zwei Drittel des gesamten Werkes und dauert Ulrichs eigenen Angaben zufolge dreizehn Jahre an (FD Lied 25, 50,1). In diesem Teil des Frauendienstes beschreibt Ulrich von Liechtenstein in seinen Liedern einen idealen Minnediener, der Hübners Konzept des Frauendienstes vollends erfüllt. Aufschluss über Ulrichs Frauendienst geben nicht nur die einzelnen Lieder, sondern auch der fiktiv-biographische Teil in Prosaform, in dem die Thematik des folgenden Liedes zumeist vorweg genommen und in den Lebenslauf „Ulrichs“ eingeordnet wird. Ingrid Kasten führt diese einordnende Funktion des Prosateiles auf die Tradition der vidas und razos der Trobadors zurück.[Kasten 1988: 182] Die vidas sind ein Konglomerat aus Lebensdaten der Liederdichter und fabulösen Erfindungen von Liebesabenteuern, die razos Kommentare zu den einzelnen Liedern, die dem Vortrag vorangeschickt wurden, um deren Inhalt zu erklären, indem sie ihn auf vermeintlich zugetragene Begebenheiten bezogen und „realistisch“ ausdeuteten.[Kasten 1988: 182] Im Frauendienst wird dem Leser zudem eine genauere Beschreibung der Besungenen und des Singenden gegeben. So erfährt der Leser wichtige Details über deren ständische Zugehörigkeit. Diese lässt sich zwar aus der Minnetradition und auch aus den einzelnen Gedichten selber schließen, in denen eine Herrin- und Dienerkonstellation anzutreffen ist (FD Lied 5), jedoch wird die gesellschaftliche Stellung „Ulrichs“ und der Dame im Prosatext ausführlich thematisiert. Die Stellung der Dame ist „Ulrichs“ so überlegen, dass seine Nichte ihm von diesem Frauendienst abrät, da er wohl nie zum Glück führen könne:

Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
„si ist ze hohe dir geborn. „sie ist dir von Geburt zu hoch
wirt si sin inne, ez ist ir zorn, Erfährt sie es, so zürnt sie dir,
din dient nimmer da vervat." (FD 61, 3-5) dein Dienst verfängt bei ihr doch nicht."

Durch die höhere Stellung der Dame wird einer der Grundzüge der Hohen Minnelyrik und des Frauendienstes eingeführt: die Frau ist für den Mann unerreichbar. [Kasten 1988: 174] Es entsteht zwischen der Dame und dem Minnediener eine Art Vasallendienst: Die Dame ist die Herrin des Minnedieners und entscheidet über dessen Gunst oder Ungunst und somit über dessen Freude oder Leid. Neben dem für die Hohe Minne typisch ständischen Gegensatz werden auch die weiteren Merkmale erfüllt und die Lieder bleiben gattungskonventionell und bedienen die Motivik der Hohen Minnelyrik. „Ulrich“ unterwirft sich bedingungslos seiner Herrin. Die Unterwerfung zeigt sich schon im ersten Lied, in dem er spricht: „so ne wird ich nimmer mere vri und wone dir mit dienste bi“. (FD Lied 1 IV,6-7) Wie stark „Ulrichs“ Unterordnung ist, lässt sich jedoch besonders im Prosatext erkennen, in dem „Ulrich“ weit über den aus der Tradition der Minnelyrik bekannten Dienst hinausgeht und sich in der Urinepisode zur Demütigung oder in der Fingerepisode zur Verletzung des eigenen Körpers bringen lässt. Mit dem ersten Lied beginnt eine lange Phase des aufrichtigen und beständigen Werbens um Gegenliebe. „Ulrich“ hält an seiner zu anfangs bekundeten Treue durchgängig fest: „ez ist min muot und min gedanc, daz ich ir immer dienen will mit triwen an min endes zil.“ (FD 62, 6-8). Die Haltung der Dame ist von Beginn an abweisend und wird vom Minnediener stets beklagt. Die Abweisung verursacht bei dem Minnesänger große Schmerzen, so singt „Ulrich“ im sechsten Lied:

Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
„We daz mir diu guote „Weh, daß mir die Edle
so verret ir minne! so fern hält ihre Minne!
Des bin ich in dem muote darüber bin im Herzen ich
vil ofte unfro"(FD, Lied 6 I, 1-10) sehr oft nicht froh."

So konstant das Leid ist, so konstant bleibt auch die Hoffnung auf ein erfülltes Liebesglück bestehen. Immer wird die Hoffnung auf „genade“ (FD Lied 6 III, 5) oder deutlicher um Liebe nach dem langen Leid gebeten: "vrowe, wende so min leit, daz mir nach leide liep geschehe,“. Besonders bild- und beispielhaft kommt die Bitte des Minnedieners nach der verbotenen Vereinigung im 12. Lied zum Ausdruck. Ein nun schon nicht mehr ganz junger „Ulrich“ bittet um Gnade, bevor er „grawem hare“ bekommt (FD Lied 12 V, 2). In seinem Lied baut er einen intertextuellen Verweis ein und bezieht sich auf die Erzählung Tristan und Isolde, in der das Paar verbotenerweise zueinander findet. Würde die Herrin „Ulrich“ ihre Gnade gewähren, würde auch sie gegen die gesellschaftlichen Normen verstoßen. Es kommt im ersten Frauendienst zu keinem solchen Verstoß, da dieser plötzlich von Ulrich abgebrochen wird, nachdem die Dame eine gravierende, aber nicht weiter beschriebene Untat begeht. Auf den Dienstabbruch folgen neun Lieder, in denen er die Falschheit und Untreue seiner alten Herrin, aber auch die Herrinnenlosigkeit beklagt. „Ulrich“ betont, wie wichtig es für das Ansehen eines Ritters sei, Minnedienst zu leisten und entscheidet sich deshalb wieder den Frauendienst aufzunehmen.

Zweiter Dienst

Schematisch und auch thematisch überschneiden sich prinzipiell die Minnelieder der zwei Frauendienste. Jedoch wird das schon bekannte Konzept seiner Leidensnote beraubt, da es kein ungleichgewichtiges Verhältnis mehr gibt, da der Minnesänger seinen Minnelohn erhält. Der Ton wird dadurch fröhlich und die Sprache ist in den Liedern zunehmend von Körperlichkeit geprägt. Der „chleinvelhitzeroter munt“(FD Lied 32 IV, 7)“ oder die „süezen lip“(FD Lied 34 V, 1) der Herrin werden besungen. Im 33. Lied, das eine Art Wechsellied darstellt, verspricht die neue Herrin ihrem Diener den gewünschten Lohn und dieser sichert ihr seine Verschwiegenheit bezüglich dieses Geschenks zu. Der Leser kann somit deutlich erkennen, wie die Illegitimität in der Erfüllung Bestand hat und zum Schutze der Frau verschwiegen wird. Aus der Gefahr, die die unsittliche Beziehung mit sich bringt, ergibt sich eine neue Spannung. Es existiert nicht mehr Leid, das wie im ersten Frauendienst durch eine Nichterfüllung verursacht wurde, sondern Leid durch die Trennung von der Geliebten. Dies zeigt sich vor allem im 36. Lied, das von Ulrich von Liechtenstein als ein Tagelied betitelt wird. Tagelieder erzählen davon, wie sich die Dame gegen das Verbot außerehelichen Geschlechtsverkehrs für die Liebeserfüllung entschieden hat und spielen sich am Morgen ab, als der Abschiedsmoment der Liebenden durch das drohende Morgengrauen und den Wächterruf naht. Der Minnediener leidet unter der Abwesenheit seiner Geliebten. Wieder ist Freude und Leid von einer Instanz abhängig, diesmal jedoch nicht von der Dame selbst, sondern nun von der gesellschaftlichen Norm. Ulrich gibt seine Freude kund („min truren daz ist verre, sit ich dich umbevangen han“(FD Lied 36 I, 3-4)), ebenso wie er wieder leidet, wenn er sie erneut verlassen soll: „sus wolt der tac si scheiden: daz tet in herzenlichen we;“(FD Lied 36 VI, 1-2). Hübner weist darauf hin, dass Ulrich von Liechtenstein sein Tagelied über das übliche Handlungsschema hinaus erweitert hat.[Hübner 2008: 38] „Das Geschehen beginnt bereits am Abend, als die Dame ihren Liebenden in ihrem Schlafzimmer empfängt und die beiden sich freudig begrüßen.“[Hübner 2008: 39] Dabei bezieht er sich auf einen selten belegten Liedtyp der okzitanischen Trobadors, die Serena – das Abendlied.[Hübner 2008: 39] Im Gedicht wird wie üblich die Liebe gepriesen, es finden sich die zur höfischen Vorstellung der Liebe gehörenden Begriffe wie „triuwe“, „staete“, aber eben auch Zeichen für die körperliche Liebe. Hübner erklärt die mögliche Kombination von beiden Liebesdarstellungen damit, dass die Liebe mit ihrer ethischen Qualität so klar zum Ausdruck kommt, dass es eine Darstellung der Körperlichkeit in dezenter Weise erlaubt. Gerade durch das Tagelied kann man erkennen, dass sich Ulrich von Liechtenstein im zweiten Teil des Frauendienstes der Darstellung der Niederen Minne geöffnet hat. Interessant ist, dass der zweite Frauendienst viel weniger epische Verse umfasst, jedoch eine deutlich höhere Anzahl an Liedern beinhaltet. Gegen Ende des Frauendienstes erhält das Loblied der Frau noch eine Art ratgebende Komponente. So wird im 49. Lied über richtige und falsche Liebe und über das richtige Verhalten der Liebenden gedichtet. Die Autobiografie scheint in den Hintergrund zu rücken und die kommentierenden und erklärenden Texte werden kürzer und geringer.

Ulrich als „Minnelehrer"

Ein zentrales Ziel von „Ulrichs" Minnesang ist die Verbreitung von höfischer fröide.[Hübner 2008: 95] Diese kommt aber nur zustande, wenn alle am Minnedienst Beteiligten, also Männer und Frauen, sich auch entsprechend den Regeln verhalten. [Hübner 2008: 96] „Ulrich" greift somit nicht nur vorhandene Muster des Frauendienstes auf, sondern tritt in einigen seiner Liedern als „Minnedidaktiker" auf, der Männern und Frauen zu höfisch korrektem Minneverhalten beziehungsweise Frauendienst anleitet.[Hübner 2008: 96] Er inszeniert sich selbst als eine Art „Minneexperte" und definiert zunächst einmal in Wechselrede mit einer Dame, was er unter Minne versteht. Anhand des folgenden Liedes soll exemplarisch aufgezeigt werden, wie Ulrich als Lehrer über Minneangelegenheiten auftritt.

Strophe Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung Strophe Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
I vrowe schoene, frowe reine,
frowe selic, frowe guot,
ich waene iuch diu minne chleine
müet: des sit ir hochgemuot.
wirt iu minnen twingen chunt,
iwer chleinevelroter munt
siuften an der stunt.

Schöne Herrin, Wunderbare,
frohe Herrin, edle auch,
ich mein', euch plagt Minne wenig:
Daher seid ihr hochgemut.
Wird euch kund der Minne Kraft,
dann wird euer roter Mund
seufzen lernen alsogleich.

V Vrowe, ich wil iu von ir mere
sagen: ir lon ist wunneclich,
si git freude, si git ere,
hoher tugende ist si rich;
ougen wunne, herzen spil
gibt si swem si lonen wil,
dar zuo hoher saelden vil.

Herrin, ich will euch von ihr noch
sagen: Ihr Lohn ist wunderbar,
sie gibt Freude, sie gibt Anseh'n,
sie hat auch noch hohen Sinn;
Augenwonne, Herzensspiel
gibt sie, wen sie lohnen will,
dazu jedes große Glück.

II "Herre, saget mir, waz ist minne?
ist ez wip oder ist ez man?
des enwart ich noch nie inne.
saget an, wie ist ez getan?
daz sült ir mir chünden gar,
waz ez si und wie ez var,
daz ich mich vor im bewar"

"Herr, oh sagt mir, was ist Minne?
Eine Frau oder ein Mann?
Das hab' ich noch nie gewußt.
Sagt mir, wie wird das gemacht?
Das sollt ihr mir sagen gleich,
was es sei und wie es geht,
daß ich mich vor ihm beschütz."

VI "Herre, wie sol ich verschulden
ir lon und ouch ir habedanc?
sol ich chumber da von dulden,
da ist min lip zuo gar ze chranc,
leides mag ich niht getragen.
wie sol ich ir lon bejagen?
herre, daz sült ir mir sagen."

"Herre, wie soll ich vergelten
ihren Lohn und ihren Dank?
Soll ich Kummer davon dulden,
daß ich dazu bin zu schwach?
Leid kann ich doch nicht ertragen.
Wie soll ich den Lohn erhalten?
Herre, das sollt ihr mir sagen."

III Vrowe, minne ist so gewaltic,
daz ir dienent elliu lant:
ir gewalt ist manicvaltic.
ich tuon iu ir site bechant:
si ist übel, si ist guot,
wol und we si beidiu tuot;
seht, also ist si gemuot.

Herrin, Minne ist so stark,
daß ihr alle Lande dienen:
Ihre Kraft ist vielfältig.
Ich mach' euch ihre Art bekannt:
Sie ist übel, sie ist gut,
sie tut beides: wohl und weh.
Seht, so ist's um sie bestellt.

VII Vrowe, da söltu mich meinen
herzenlichen als ich dich,
unser zweien so vereinen,
daz wir beidiu sin ein ich.
wis du min, so bin ich din!
"herre, des mac niht gesin -
sit ir iwer, so bin ich min."

Herrin, du sollst an mich denken
liebevoll wie ich an dich,
wir soll'n beide uns vereinen,
daß wir beide sind ein Ich.
Bist du mein, so bin ich dein!
"Herre, das kann ga nicht sein -
seid ihr euer, so bin ich mein."

IV "Herre, chan diu minne swenden
truren und ouch senendiu leit,
hochgemüet in herze senden,
füegen zuht und werdecheit;
hat si allez des gewalt
(alse ich iu han vor gezalt,)
so ist ir saelde manicvalt."

"Herre kann die Minne tilgen
Trauer und auch Sehnsuchtsleid,
Herzen machen hochgemut
bringen Höfischheit und Würde?
Hat sie dazu die Gewalt
(ich hab alles das genannt),
dann ist sie ein großes Glück."

(FD, Lied 30)







Diese Definition von Minne ist deshalb erstaunlich, weil es sich bei ihrem Konzept um etwas Zeitgenössisches handelt, dass der edlen vrowe eigentlich bekannt sein sollte. Trotzdem erklärt „Ulrich" ihr auf Nachfrage, was Minne ist und wie sie damit umzugehen habe. Er erwähnt ihre gewalt, die sowohl wol und we hervorrufen könne, je nachdem ob der Dienst erwidert wird oder nicht. Trotzdem überwiegt für "Ulrich" die positive Seite, also der lon, der freude und ere bringt. Im Folgenden kommt es zur entscheidenden Belehrung der Dame. Bisher hat sich der Sänger damit begnügt, über die Minne an sich zu sprechen, nun kommt er zur angemessenen Reaktion der Dame und wie diese die Freuden der Minne vergelten könne. Dabei spricht „Ulrich" deutlich von einer Entlohnung des Minnenden auf körperlicher Ebene (unser zweien so vereinen, daz wir beidiu sin ein ich.) Damit verbreitet er ein Bild von Minnelohn, was nicht der gängigen Vorstellung der Damen entspricht, denn in den letzten beiden Versen des Liedes weist die Dame diese Forderung entschieden zurück.
Dieses „Lehrstück" über richtigen Minnelohn spiegelt „Ulrichs" Erfahrungen mit der ersten Dame wider, die ihm seiner Ansicht nach zu wenig Gegenleistung erbracht hat. Er fordert von den Damen als Dank für seinen Frauendienst nun körperliche Nähe und macht das auch in seinen Liedern publik. Somit versucht „Ulrich", mithilfe belehrender Lieder das Konzept des Dienst-Lohn-Verhältnisses in der innerliterarischen Welt zu verändern, was ihm dann im zweiten Dienst (FD ab 1390) auch gelingt und die erhoffte körperliche Erfüllung bringt.

Fazit

Ulrich von Liechtenstein hat, wie aufgeführt, in seinem inhaltlich zweigeteilten Werk auch zwei unterschiedliche Minnemodelle, die Hohe und die Niedere Minne, eingearbeitet. Dabei hält er sich an die jeweilige Tradition und entwickelt kaum neue Ideen oder Konzepte. Eine Ausnahme stellt lediglich das Tagelied dar. Dadurch, dass er die lyrische Tradition der Hohen und Niederen Minne ganze 57-mal durchspielt, scheint der Frauendienst eine Art Sammlung von Minnegedichten zu sein, die an manchen Stellen den autobiographischen Aspekt überlagern.

Anmerkungen

  1. Zitiert wird aus der unter der Primärliteratur genannten Ausgabe. Im Folgenden werden solche Textpassagen mit der Sigle FD gekennzeichnet.
  2. Hier wird aus der unter der Primärliteratur genannten Übersetzung zitiert.
  3. „Ulrich“ bezeichnet die innerliterarische Figur, wobei sich Ulrich von Liechtenstein auf den Autor bezieht.

Literaturangaben

Primärliteratur

Mittelhochdeutscher Text zitiert aus:

  • Liechtenstein, Ulrich von: Frauendienst. Hrsg. von Franz Viktor Spechtler. Göppingen: Kümmerle 1987.

Neuhochdeutsche Übersetzungen aus:

  • Liechtenstein, Ulrich von: Frauendienst. Roman, Aus dem Mittelhochdeutschen ins Neuhochdeutsche übertragen von Franz Viktor Spechtler. Hrsg. von Franz Viktor Spechtler. Klagenfurt/Celovec: Wieser 2000.


Forschungsliteratur

  • [*Hübner 2008] Hübner, Gert: Minnesang im 13. Jahrhundert. Eine Einführung. Tübingen: Narr 2008.
  • [*Kasten 1988] Kasten, Ingrid: Minnesang. In: Liebertz-Grün, Ursula (Hrsg.): Aus der Mündlichkeit in die Schriftlichkeit: Höfische und andere Literatur. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1988, S. 164-184.
  • [*Kellermann 2009] Kellermann, Karina: Ulrich von Liechtenstein: Frauendienst. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Kindlers Literatur Lexikon. Stuttgart: Metzler 2009. Zitiert nach: Kindlers Literatur Lexikon Online - Aktualisierungsdatenbank: www.kll-online.de (20.05.2013)