Dreiecksbeziehungen (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Dieser Artikel beleuchtet Dreiecksbeziehungen im "Tristan"-Roman, ihre Voraussetzungen und Folgen. Im Zentrum steht das Dreieck, welches die Liebesbeziehungen zwischen den Hauptfiguren Tristan, Isolde und Marke markiert, denn dieses ist es auch, welches den Höhepunkt der Erzählung kennzeichnet.

Tristan - Marke - Isolde

Zu der Zeit, in der Isolde im "Tristan"-Roman noch kaum eine Rolle spielt, werden Tristan und Marke als sich extrem nahestehend beschrieben. An vielen Stellen könnte man glauben, es handele sich um eine einzige Person. Ihre höfischen Tugenden sind so ausgeprägt, dass sie deckungsgleich scheinen, beziehungsweise sich ergänzen. So vervollkommnet Tristan mit der Jagdtradition, die er ins Reich Markes importiert, Markes Ritterlichkeit. Mehr und mehr verschmelzen die beiden zu einem herrschaftlichen Ideal aus Ansehen und Talent. Als dann die Verwandtschaft geklärt wird, erschließt sich zusätzlich eine gemeinsame Blutslinie, welche das Band noch weiter stärkt.

Marke geht soweit, dass er allen Frauen abschwört, um Tristan (anstatt eines potentiellen ungeborenen leiblichen Sohnes) Land und Leute zu sichern. Erst auf Tristans Drängen hin, den der Neid des Hofstaats in Bedrängnis bringt, entschließt sich Marke zum Werben um Isolde. Seinen jugendlichen, starken, potenten Teil - Tristan - entsendet er, um diese Aufgabe zu lösen. Anschließend wird Isolde Teil der Handlung. Die Linearität der Figuren Marke und Tristan wird durch Isolde nun unterbrochen. Ein Dreieck beginnt sich zu bilden, dessen Schenkel vorerst noch elastisch bleiben, denn die Beziehungen sind ungeklärt und nicht eindeutig, so ist Tristan nachdem er sich in Isolde verliebt hat stets beschämt und traurig, da er sich unritterlich und illoyal Marke gegenüber verhält.

Spätestens durch den Liebestrank bricht das Verhältnis zwischen Tristan und Marke. Von nun an stehen ihre gleichen Emotionen feindlich gegeneinander, wenn auch vorerst unbewusst, zumindest was Marke betrifft. Tristan liebt Isolde. Marke liebt Isolde. Isolde liebt aber Tristan. Der Ehebund mit Marke wird trotzdem geschlossen, jedoch beginnen Isolde und Tristan ein geheimes Liebesverhältnis. Tristan hintergeht Marke, womit man die Figuren, die vorher übereinander gelegen zu haben scheinen, wieder klar in Tristan und Marke trennen muss. Das Bild des herrschaftlichen Ideals, welches Beide gemeinsam zu ergeben scheinen, zerfällt wieder in zwei Teile, die in der Folge gegeneinander agieren. Der potente Tristan erobert Isoldes Herz, sei es durch seine Jugend, seine Qualitäten als Liebhaber oder durch die Magie des Tranks. Der alternde Marke vermag es nicht, mit politischen statt leidenschaftlichen Mitteln Isolde an sich zu binden. Die Dreiecksbeziehung ist somit konstituiert, allerdings weiterhin keineswegs starr.

Man muss nun von einer inneren und einer äußeren Perspektive des Dreiecks ausgehen. Die innere, emotionale Ansicht ist nur dem im Herzen verbundenen Liebespaar und dem Leser bekannt. Die äußere wird durch deren Lügengeflecht evident, das Marke erst sehr spät zu durchschauen vermag. Je näher sich Tristan und Isolde emotional kommen, umso weiter entfernen sich beide emotional von Marke. Um seinen Argwohn aber zu beschwichtigen und seine Listen zu zerschlagen, muss das Paar seine Lügen so spinnen, dass es Marke scheint, als seien Tristan und Isolde einander eher feindlich gesinnt und nur aus Zuneigung zu Marke würden sie sich bemühen miteinander auszukommen. Tristan und Isolde verleugnen sich also mehrmals vor Marke und erwecken den Anschein, Marke sehr nahe zu stehen, sowie einander wiederum sehr fremd zu sein. Die Proportionen des äußeren Dreiecks sind also konträr zu denen des inneren.

Das innere und äußere Dreieck

Tristan und Isolde sind innerlich umso weiter von Marke distanziert, je weiter sie sich einander nähern. Diese Distanz und Nähe ist eine proportionale Größe. Stellt man sich vor, Tristan und Isolde sind jeweils exakt gleich weit entfernt von Marke, so ergibt sich ein gleichschenkliges Dreieck, dessen spitzer Winkel umso spitzer wird, je größer die Entfernung zu Marke und die gleichzeitige Annäherung der Liebenden zueinander ist. Gleichzeitig spitzt sich der Konflikt mit Marke sprichwörtlich immer weiter zu, bis zu dem Punkt, an dem Tristan und Isolde beinahe in ein und derselben Ecke des Dreiecks zu verschmelzen scheinen, zu einem Leib und einer Seele werden, ihr höchstes Liebesglück erfahren.

Kurz zuvor ist der Konflikt mit Marke aber jedes mal so akut, dass sie sich äußerlich verleugnen müssen. Mit zunehmendem Argwohn Markes, beginnt sich das äußere Dreieck also, sich dem Druck des inneren, gleichschenkligen und flexiblen Dreiecks anzupassen, weil Marke zu erkennen beginnt, dass die Proportionen nicht so sein können, wie sie ihm scheinen, nämlich auf die Weise geartet, dass Isolde ihm nahesteht und auch Tristan ihm nah steht, aber eben Tristan und Isolde sich nicht nahestehen, da sie ihn, ob des Mordes an ihrem Onkel, hasst. Durch die gegenseitige Verleugnung des Paares sind inneres und äußeres Dreieck nicht mehr deckungsgleich. Das äußere täuscht Marke und gaukelt plötzlich wieder vor, dass es einen stumpfen Winkel gäbe, während das innere Dreieck nach wie vor seinen spitzen Winkel beibehält.

Als Marke jedoch die Affäre durchschaut, wird ihm die Innenperspektive gewährt. Er erkennt Tristans Nähe zu Isolde und auch, dass beide eine Seele, eine Figur sind, ganz so wie Tristan und er es zuvor waren. (Vermutlich ist Marke bis dahin nicht klar, wie sehr entzweit er und Tristan sind.) Es ergibt sich ein Dipol zwischen Marke und der neuen Figur Trisolde, dessen Spannung so groß ist, dass er alle Bande sprengt: Trisolde verlassen den Hof, brechen mit Marke und ziehen sich in ihren Traum vom Glück, die Liebesgrotte, zurück.

Fazit

Die Einheitlichkeit der Charaktere Tristan und Marke zu Beginn des Romans, die auch durch die Blutsverwandtschaft evident wird, löst sich im Laufe des Romans auf, bis sich beide im Endeffekt konträr gegenüberstehen. Tristan verliebt sich in die Braut seines väterlichen Freundes und Herrn Marke. Durch diesen, aufgrund des Minnetranks wie zufällig entstehenden, Zusammenhang entsteht ein Dreieck aus den sich liebenden Figuren Tristan und Isolde sowie ihrem Ehemann Marke. Innerhalb dieses Dreiecks setzt sich in der Folge die emotionale Handlungsebene fort. Betrug und Glück auf der einen und Missgunst, Traurigkeit und Argwohn auf der anderen Seite sorgen für eine leicht entzündliche Mischung, die letztendlich zu einer Implosion führt. Tristan muss den Hof verlassen, der König ist bis in Mark verletzt durch den Betrug der ihm nahestehendsten Personen und Isolde bleibt einsam und ohne geliebten Partner an der Seite ihres Mannes.

Literatur

  • Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Bd. 1–3. Stuttgart 1980 (RUB 4471-3).
  • Barandun, Anina: Die Tristan-Trigonometrie des Gottfried von Straßburg. Zwei Liebende und ein Dritter. A Vrancke Verlag, Tübingen und Basel.