Landschaft (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Die Handlung im Tristan vollzieht sich an zahlreichen, ganz unterschiedlichen Orten, deren jeweilige landschaftliche Austattung auf bestimmte Weise veranschaulicht wird. Insgesamt lassen sich drei große Themenkomplexe kategorisieren. Obwohl Gottfried insgesamt einer detailierten Ausmalung von Schauplätzen wenig Platz einräumt und so im Vergleich mit anderen Autoren wie Wolfram von Eschenbach oder Hartmann von Aue durch seine Blässe und Kürze auffällt[Gruenter:S. 256], besitzt seine Darstellungsweise gerade dadurch hohen symbolischen Gehalt.

Der Wald[1]

In der gesamten Dichtung lassen sich grob gefasst zwei kontrastierende Darstellungsformen eines Waldes erkennen, zum einen als wilde Gebirgsgegend, zum anderen als fruchtbares Kultur- und Nutzland. Mittels stereotyper Formulierungen wird eine bestimmte Landschaft dem einen oder anderen Typus zugeordnet und mit wenigen, aber prägnanten und vor allem immer wiederkehrenden Attributen beschrieben.

Der wilde Gebirgswald

Beim Vergleich einzelner Szenerien wird offensichtlich, dass Gottfried immer wieder bestimmte charakteristische Leitbegriffe, wie wilde (V. 2502; V. 12769; V. 16680)[2] oder alternativ walt (V. 8996), sowie wüeste (V. 12769) und ungeverte (V. 16767), hier im Sinne von Enge und Weglosigkeit, verwendet. Variation in der Landschaftsschilderung wird dementsprechend auch nicht durch Variation in der Wortwahl, sondern lediglich durch die unterschiedlich intensive Füllung der Rahmenbeschreibung mit dem erwähnten, recht allgemein gehaltenen Vokabular erzeugt. Während sich die Darstellung der Szene um die Entführung Brangäne auf recht spärliche Bestandteile, genau genommen einen Baumstamm (V. 12866), beschränkt, wird die unheimliche Wildnis in der Kampfszene mit dem Riesen Urgan weitaus detailreicher ausgeschmückt. So ist an dieser Stelle von einem harte wilden walt (V. 15965), einem steingevelle (V. 8991) und einer steinwant (V. 9002), also insgesamt einer kargen, unkultivierten Gebirgsgegend die Rede.
Ausführlicher ist hinsichtlich der Ausschmückung, und damit analog zu ihrer zweifellos außerordentlichen Signifikanz, die Schilderung der Minnegrotte. Nicht nur, dass deren Umgebung hier durch "die Doppelformel 'wüeste unde wilde' (V. 16764) [ihren] spezifischen Wertakzent erhält [Hahn: S. 11.], sie wird auch an insgesamt vier Stellen im Rahmen der Möglichkeiten der schematischen Phrasen als von Felsen (V. 16763; V. 6772; V. 17338) und Bergen (V. 16684; V. 16761; V. 17081) beherrscht veranschaulicht. Im Gegensatz zu vorangegangenen Szenen wird besonders die Unwegsamkeit des die Minnegrotte umgebenden Gebietes akzentuiert und dieses somit auch auf symbolischer Ebene als jeglichem gesellschaftlichen Einfluss entrückt verdeutlicht. Auffällig ist außerdem, dass wohl erst Gottfried in seinem Tristan die scharfe Abgrenzung zwischen einigermaßen zivilisierten Wald- und steinigen Gebirgslandschaften vollzieht. "Die Vorstellung der steinigen, dürren, felszerklüfteten Einöde ist sehr wahrscheinlich ebenso Gottfrieds Eigentum wie die Verwendung des Wortes 'wüeste' überhaupt.[Hahn: S. 13][3]
Versucht man diesen Ort logisch einzuordnen, findet man den Hinweis, dass er zwô tageweide (V. 16682) entfernt sei und dass von disem berge und disem hol, sô was ein tageweide wol, velse âne gevilde und wüeste unde wilde. (V. 16761-16764). Als Marke einige Zeit später in einem Walde jagt, hören Tristan und Isolde von der Grotte aus die Hörner und das Hundegebell (V. 17318-17321). Die Raumlogische Gliederung ist hier also nicht gegeben, vielmehr lassen sich Wald, Felsen und Lustort als Chiffren sehen, die den seelischen Zustand der Personen widerspiegeln.[Gruenter:S. 262]


Des Weiteren besitzt die Szene um den als Knaben an der Küste Cornwalls ausgesetzten Tristan durch die vergleichsweise explizite Illustration einen außerordentlichen Stellenwert. Neben dem wilden Meer (V. 2509) und einem bedrohlichen Gebirge (V. 2509) tun gefährliche Tiere (V. 2512) und die einbrechende Dunkelheit der Nacht (V. 2514) ihr Übriges, um eine unheimliche und Furcht einflößende Atmosphäre zu evozieren. Die gesamte Darstellung der Bergbesteigung Tristans präsentiert sich markanterweise als klagendes Selbstgespräch, sodass das gesamte Landschaftsbild nur in Form seiner subjektiven Perzeption entsteht. Der Rezipient sieht und begreift mit den Augen Tristans und kann zwischen äußerem Schauplatz und innerem Gedankengang nicht mehr unterscheiden. Auf diese Weise wird "das Gelände (...) beseelt, der seelische Zustand des Verlassenen in der öden Gegend gespiegelt"[Gruenter: S. 257] und in die "Gefühlsanalyse"[Gruenter: S. 258] miteinbezogen. Derart mit den Gedanken, Empfindungen und unmittelbaren Eindrücken Tristans angereichert ergibt sich ein "Schauplatzbild von seltener Geschlossenheit"[Gruenter: S. 258], eine in sich geschlossene "Stimmungseinheit"[Kurtze: S. 131].
Interessanterweise muss Tristan erst die gänzlich unbetretende, weglose Felswand erklimmen, um daraufhin auf einen unscheinbaren Pfad und schließlich in dessen Mündung auf eine schöne Straße (V. 1571) zu gelangen, auf welcher er Hilfe von zwei Pilgern erfährt. Anhand der erkennbaren Metamorphose der umgebenden Landschaft ist auch Tristans Wiedereintritt in die kulturelle Gesellschaft als Ausgangspunkt für die weiteren Entwicklungen verbildlicht. Auch hier spiegelt die öde Wildnis den Seelenzustand des Knaben wider, der sich mit zunehmendem Selbstbewusstsein ebenfalls wieder der Zivilisation nähert.[Gruenter: S. 275]
Weiter oben wurde bereits auf die sehr konzise, beinahe triviale Darstellung der einzelnen Landschaften, seien diese nun Küstengebiet, Riesenwohnsitz oder Grottenumgebung, hingewiesen. "Eine solche Welt ist nicht irgendwo fest in der Wirklichkeit erfahrungsbedingter Anschauung angesiedelt, sondern verfügbares dichterisches Bild, das zu bestimmten darstellerischen Zwecken eingesetzt werden kann."[Hahn: S. 14]Und obwohl, oder womöglich gerade weil Gottfried nicht mit individuell gestalteten Räumen von der Handlung ablenkt, sondern sich konsequent aus dem Zeichenfundus "idealtypische[r] Grundformen"[Hahn: S. 14] bedient, "prägt sich (...) in seiner formelhaften Darstellung ein Spezifisches aus, dass den 'Tristan' als Gattung zum Beispiel vom Artusroman unterscheidet."[Hahn: S. 14] Im "Tristan" nimmt der Wald in seiner Bedeutung nur noch eine untergeordnete Rolle ein. Zwar trägt auch er unter anderem dazu bei, eine ganz bestimmte Stimmung zu vermitteln. Seinen bis dahin beträchtlichen Status als übernatürlich gewaltiger Topos hat er allerdings eingebüßt, nicht zuletzt auch aufgrund der Tatsache, dass die aventiure als ritterliche Bewährungsprobe nicht mehr im Vordergrund steht. "Wo der wilde Wald mit seinen Abenteuern im Artusroman wesentlich zum äußeren und inneren Weg des Helden dazugehört, ja zum eigentlichen Raum der Existenzentscheidungen des Helden zu werden vermag, da hat er im 'Tristan' höchstens episodische Bedeutung."[Hahn: S. 14]

Der Jagd- und Nutzwald

In deutlichem Gegensatz zu den in ihrer jeweiligen Intensität unterschiedlich ausgeprägten Darstellungen unheimlicher und nahezu weltfremder Wald- und Gebirgsgefilde steht das mehr oder minder von Menschenhand kultivierte und gewissermaßen gezähmte Land, das zwar seine ursprüngliche Natürlichkeit durchaus mit ersterem teilt, ansonsten aber nichts Ungeheures oder gar Bedrohliches aufweist. Während verlassene Gebirgslandschaften von den Menschen möglichst gemieden werden, lädt das "sanfte, liebliche Feld"[Hahn: S. 15] zum Verweilen, zu Jagdausritten und ausgelassenem Sportspiel ein. Trotz dieser polarisierenden Diskrepanz der beiden Waldtypen erfolgt in der mittelalterlichen Dichtung der Übergang von einem zum anderen nicht unmittelbar. Anstelle einer scharfen Grenze, die gemeinhin in märchenhaften Erzählungen den direkten Kontrast zwischen Gut und Böse versinnbildlicht, trennt vielmehr das kulivierte Naturland selbst als graduell abgestufter Übergang die Wildnis von bewohntem Land und höfischem Leben und nimmt so die Rolle eines Zwischenbereichs der dreiteiligen, linearen Abfolge ein.
Besonders erkennbar ist diese sukzessive landschaftliche Aufteilung, wenn Brangäne mit zwei Männern unter dem Vorwand in den nahen Wald geschickt wird, dort Kräuterpflanzen zu sammeln. In Wahrheit soll sie von ihren Begleitern getötet werden, wozu sie jedoch zunächst noch tiefer in den Wald hinein in die dafür geeignete Umgebung geführt wird. "Der Wurzel- und Kräuterwald steht noch im Ausstrahlungsbereich menschlicher Ordnungen, erst die Wildnis ist das Niemandsland, in dem das Dunkle und Asoziale geschehen kann."[Hahn: S. 15]

nu si zem walde kamen hin,
da wurze, crut unde gras
der volle nach ir willen was,
Brangæne wolte erbeizet sin.
nu vorten si si baz hin in
in die wüeste und in die wilde.
(V. 12764-12769)

Vergleichbar verhält es sich mit dem die Minnegrotte säumenden Territorium, welches als menschenfremde Einöde quasi den skalaren Extrempunkt der Gliederung markiert. Der dahin führende Weg zieht sich vom Hofe ausgehend zwei Tagereisen "über walt und über heide" (V. 16681) und geht dann anschließend in den wilden Umkreis der Minnegrotte über (V. 16762).

Das Meer

Schifffahrt und Küstenlandschaft

Ähnlich knapp wie die Beschreibungen der Waldgegenden fallen auch die Schilderungen rund um den landschaftlichen Themenkreis des Meeres aus. Dazu zählen sowohl die Darstellung der Küste, das Motiv des Seesturmes als auch die zahlreichen Schifffahrten mitsamt dem ihnen vorangehenden Aufbruchsgeschehen. Im Gegensatz zu seiner Vorlage, welche dieses detailliert und unter Verwendung fachterminologischer Begriffe ausbreitet[4], begnügt sich Gottfried beispielsweise anlässlich Riwalins Rückfahrt von Cornwall lediglich mit dem komprimierten Vermerk so wart daz schif gestozen an. alsus so vuoren si von dan. (V. 1583-1584) und führt schiffs- und seetechnische Einzelheiten nicht weiter aus. Anstelle präziser, verbaler termini technici wie etwa schiffen (V. 6440), verwendet Gottfried meist allgemeine Verben der Bewegung wie (über mer/se) varn (V. 2330; V. 8594), beziehungsweise ze lande keren (V. 471; V. 3772) oder an stozen, die allesamt eine aktive menschliche Beteiligung implizieren. "Das Meer an sich ist immer nur Übergangszone, ein Raum, der der Erreichung fremder Länder im Wege steht"[Hahn: S. 23], wogegen Gottfried dem aktiven Handeln der involvierten Personen einen höheren Stellenwert einräumt. Lediglich die Hintergründe und Umstände um die irrtümliche Verabreichung des Minnetranks werden etwas umfassender geschildert und somit diese Szenerie als für die weitere Handlung markanter Wendepunkt verdeutlicht.

Die Küste und die mit ihr verbundenen Schiffslandungen repräsentieren einen weiteren Unterpunkt des Meerkomplexes. Obwohl die einzelnen Ankunftsepisoden in bestimmten Passagen noch differenzierter ausgestaltet werden, verfügen sie meist über sehr beschränktes Vokabular[5] und laufen insgesamt nach einem beinahe identischen Muster ab. So bleibt nach Sichtung der Küste das große Schiff meist auf hoher See zurück und das Ufer wird mittels kleinerer Boote entweder gemeinsam oder aber alleine[6] erreicht. Gottfried greift damit zwar das grobe Ankunftsprinzip seiner Vorlage auf, präzisiert jedoch an vielen Stellen den Ablauf nach eigenen Vorstellungen, beziehungsweise konstruiert direkt einzelne Passagen gänzlich neu[7]. Besonders deutlich wird dies in der Szenerie um Kurvenals Heimfahrt (V. 2348), die sich zwar ebenfalls bei Thomas Erwähnung findet, aber bei Gottfried mit der Konkretisierung des unheimlichen sweben auf dem unruhigen Gewässer in ihrer Anschaulichkeit intensiviert wird. Auffällig ist dabei erneut, dass dies weniger dem Zweck einer bloßen Abbildung der real-landschaftlichen Umgebung dient, als vielmehr dem Ausdruck der menschlichen Gemütslage sowie dem Evozieren einer der Handlung entsprechenden, spannungsbeladenen Atmosphäre.
An einigen Stellen fungiert die Küstenlandschaft nicht nur als Kulisse für die Schiffslandung nach einer Seereise, sondern darüberhinaus als eigenständiger Handlungsort. In der Kampfszene mit Morold ist die cleiniu insel bi dem mer (V. 6723) Schauplatz für die Auseinandersetzung zwischen Tristan und Morolt, die zunächst nacheinander per Boot hinübersetzen, um dort anschließend den Kampf auszuführen. Auch hier bleibt der Erzähler mit seinen oberflächlichen Formulierungen (V. 6791: stade; V. 6806: werde) relativ allgemein und richtet seinen Fokus verstärkt auf die eindringliche Darbietung des Gefechts.

Der Seesturm

Gottfrieds Verzicht auf umfangreiche und naturgetreue Darstellung setzt sich auch mit dem Bericht des bei der Entführung Tristans aufkommenden Seesturms fort, sodass diese erneut eklatant von der Saga Thomas' abweicht. Während letzterer die einzelnen Aspekte des Vorgangs einer profunden und partikulären, insgesamt realistischen Betrachtung unterzieht, legt Gottfried sein Augenmerk vielmehr auf das Befinden der beteiligten Personen und bedient sich ansonsten stereotyper Phrasen/Formulierungen[8]. Wenn er anschließend die Beruhigung des Wassers nach dem Sturm thematisiert, greift er ein weiteres Motiv auf, das in engem Zusammenhang mit dem des eigentlichen Sturmes steht, und folgt damit einer weit zurückreichenden, sehr frequenten literarischen Tradition[9]. Dabei ist für deren eigentliche Bedeutung nicht hauptsächlich der tatsächliche Hergang konstitutiv, sondern vielmehr die daraus resultierende Trennung der Schiffe sowie das anschließende "Verschlagenwerden"[Hahn: S. 19] an einen schicksalhaften Ort. So ist auch Tristans Stranden an der Küste Cornwalls notwendige Voraussetzung für den augenscheinlich prädeterminierten Verlauf der Handlung. Diese Schicksalhaftigkeit zeichnet sich auch in der sprachlichen Diktion ab. Durch "das Unbestimmte des 'her' und 'hin', des 'uf' und 'nider', (...) wird [der nunmehr passive Mensch] getrieben getragen, geschlagen"[Hahn: S. 24], was insbesondere in dem oftmals verwendeten sweben, jenem ungewissen Zustand des hilflosen Ausgesetztseins gegenüber einer unbeeinflusbaren Naturgewalt, zum Ausdruck kommt. Im Gegensatz zu der kontrollierten, gerichteten Seefahrt, die sich nahe des Festlandes beim Abfahren beziehungsweise beim Anlegen ergibt, ist auf dem freien Meer die von den Elementen ausgehende Gefahr vorherrschend.

Der schöne Naturort

Als dritter großer Unterpunkt präsentiert sich ein in seiner jeweiligen Symbolik ganz unterschiedlich ausgeprägter Landschaftsentwurf, der weniger von ursprünglicher Natur als vielmehr von menschlich kultivierter respektive metaphorisch sinnbildlicher Gestaltung geprägt ist.

Der Baumgarten

Abermals wird anhand der Wiedergabe einer Person, in diesem Fall Brangänes, ein recht detailliertes Landschaftsbild des dem höfischen Anwesen zugehörigen Baumgartens vermittelt, in welchem sich neben einem Ölbaum auch eine Quelle und ein daraus entspringender Bach befindet. Der Baumgarten repräsentiert als formvollendet harmonisches Parkgefilde den Inbegriff des paradiesähnlichen locus amoenus, an welchem sich sowohl die zahlreichen Treffen zwischen Tristan und Isolde, als auch die Entdeckung ihres Verhältnisses ereignen. Ebenso wie bei der Verbannung aus dem biblischen Paradies, schwingt programmatisch auch hier die allgegenwärtige Gefahr der sündhaften Verführung mit.
"Das Motiv der Liebesbegegnung an einem anmutigen Naturort ist uralt"[Hahn: S. 27], wobei es angesichts der Tageszeit, zu welcher sie stattfinden, teilweise zu einer Überlagerung durch das Nachtmotiv kommt. Ebenso wie die Truchseßszene, in welcher Marjodo Tristan durch den Baumgarten zu dessen heimlichen Stelldichein folgt, ereignet sich auch das von Marke und Melot in der Baumgartenszene belauschte während der Nacht. Und obwohl besonders die Marjodoszene durch ein einzigartig intensives Kontrastspiel mit Licht und Schatten[10] eine sehr ausdrucksstarke Atmosphäre kreiert, figuriert die Nacht hier nicht mehr die übliche Rolle der dunklen, ungeheuren Macht, sondern gerade durch ihre spezifische Dunkelheit die verhüllende und somit das Liebespaar schützende Kraft. "Die nächtliche Finsternis entspricht dem Verborgenen und Dunklen des menschlichen Tuns"[Hahn: S. 28], das sich durch den hellen Mondschein und die Sterne ergebende Zwielicht hingegen erhellt die gemeinsamen Stunden und ist somit bestens geeignet für heimliche Machenschaften. In Anbetracht dessen ist es folglich nur konsequent, dass sich die endgültige Entdeckung der Liebesbeziehung an einem mitten tage (V. 18126) vollzieht und die sunne sêre leider ûf ir êre (V. 18127-18127) scheint. Der lichterfüllte Tag bietet jedoch trotz schate, der ir zuo ir state schirm unde helfe baere (V. 18142-18143) nicht den nötigen Schutz und verrät die verbotene Liebe.

Die Ideallandschaften

Weitaus ausführlicher als der Baumgarten sind die beiden Ideallandschaften, der Ort des Maienfestes sowie die Minnegrottenlandschaft beschrieben, deren hochgradig symbolische Bedeutung sich durch die Kombination zahlreicher Motive ergibt und die demnach hauptsächlich allegorischen Charakter besitzen. An dieser Stelle soll indes nur auf die besondere landschaftliche Darstellungsform eingegangen werden, bezüglich der Minnegrottenumgebung zudem lediglich auf die angrenzende wüeste wilde (V. 17073). Profundere Informationen enthalten die jeweiligen Hauptartikel.

Das Maienfest

Das Frühlingsfest zu Beginn der Dichtung zeichnet sich durch besonders detaillreiche Ausschmückungen aus und ist damit eine "lyrische Amplificatio"[Hahn: S. 29] verglichen mit der eher oberflächlichen Beschreibung Thomas. In insgesamt zehn Versen (V. 536-546) wird der vil süeze meie (V. 536) mit all seiner lieblichen Schönheit thematisiert und schließlich anhand zweier ausgewählter Motive, dem Lachen der liehten bluomen (V. 562) und dem Vogelgesang (V. 575-587) konkretisiert. Der Mai ist als exemplarischer Frühlingsmonat in lyrischen und epischen Werken der mit Abstand am meisten erwähnte Monat[Sauerbeck: S. 176ff.] und stellt die gesamte Landschaftskulisse in die Tradition der Frühlingstopik[Hahn: S. 29], wie sie vor allem für die Naturschilderungen des Minnesangs typisch sind. Dieser paradiesähnliche Rahmen wird von Gottfried mit Vögeln, Blumen, Bäumen, Quelle und sanften Winden reichhaltig dekoriert. Allerdings ist auch an dieser Stelle die Ausführlichkeit nicht schlichtweg der rein ästhetischen Ausmalung eines altbekannten Topos geschuldet, sondern der Verdeutlichung eines "sympathisierende[n] Wechselverhältnis von Mensch und Natur."[Hahn: S. 30] So nehmen die einzelnen Elemente menschliche Züge an, werden gewissermaßen personifiziert[11] und symbolisieren die Natur als im friedlichen Einklang mit den Menschen stehend. Nichtdestotrotz verwendet Gottfried fast ausschließlich vorgeprägte Formulierungen mittelhochdeutscher Naturbilder[12], sodass erst die Kombination mit den menschlichen Attributen den besonderen Charakter ausmacht.
Wenn in Tristans Bergbesteigung seine innere Angst zusammenhangstiftendes Element der ansonsten lediglich nebeneinanderstehenden Natureindrücke ist, so ist es hier die allgemeine höfische Festfreude, welche gewissermaßen als übergeordnetes Motto alle Einzelteile sinnstiftend zusammenfügt. "Diese Freude in Sprache verwandeln will der lyrische Naturpassus"[Hahn: S. 53], sodass sich auch hier die Einheit der Landschaftsdarstellung erst mittels der Einheit des Erlebnisses verwirklicht. Anhand "konventionelle[n] Wort- und Begriffsmaterial[s] drängt er die dingliche Welt zurück"[Fromm: S. 416] und beweist ein weiteres Mal, dass sein Interesse mehr als dem realen Raum der psychischen Wirklichkeit gilt.

Die Minnegrottenumgebung

Gemäß seiner herkömmlichen Darstellungsart schildert Gottfried auch das die Minnegrotte umgebende Territorium mit den üblichen, "raumgesättigte[n] Wörter[n]"[Gruenter: S. 259] wie wilde (V. 17078), walt(V. 16681), heide (V. 16681) und berge (V. 17081), die keinerlei individuelle Komposition oder sonstige Konnotation kennzeichnet und die demnach im Grunde als "anschauungsentleerte Formeln"[Gruenter: S. 259] den konkreten Einzelfall zu einem idealen Typus generalisieren. Die einzelnen Schauplätze "Wiese", "Wildnis" oder "Felsenregion" wirken wie obskure Bausteine, "welche die Farbigkeit des Einzelfalles gegen die Blässe der Kennzeichen, die er mit anderen teilt, eintauschen."[Gruenter: S. 259] So wird hier keine einzigartige, sondern vielmehr eine recht unspezifische Gegend präsentiert, die in ihrer Ubiquität ohne Weiteres vervielfältigt und als Kulisse jeder in der wilde spielenden Szenerie eingesetzt werden kann[Gruenter: S. 259-260].
Vor allem im Vergleich mit dem ausgeschmückten Detailreichtum in der Wildnisschilderung im "Parzival" Wolframs von Eschenbach, wird die durchgängige Vagheit und die lediglich skizzenhafte Andeutung der Landschaft deutlich. Genaue Zeit- und Ortangaben bleiben dabei unberücksichtigt[13], sodass die entsprechende Landschaft völlig losgelöst von jeglichen gegenwärtigen Bezügen scheint. Eine raumlogische Gliederung ist somit in keiner Weise gegeben, wobei "die Unsicherheit der Raumvorstellung" nicht etwa im künstlerischen Unvermögen begründet liegt, sondern von Gottfried augenscheinlich überhaupt nicht angestrebt wird. Der Fokus liegt weniger auf einem naturalistisch exakten Abbild der realen Wirklichkeit, als vielmehr auf der Akzentuierung der allegorischen Bedeutung der Minnegrotte und der umgebenden Wildnis. Die Kulisse wird gewissermaßen entdinglicht und dient ausschließlich der Einbettung des eigentlichen symbolischen Sinngehalts. Die phraseologischen Landschaftsgattungen wie wilde und walt bilden nunmehr lediglich Chiffren, die ihre jeweilige Bedeutung einzig im Zusammenspiel mit der zugrundeliegenden Symbolik erhalten[Gruenter: S. 262]. Gleichsam wie im Minnesang erhält die Natur auch hier Eingang in der poetischen Funktion einer Spiegelung des Seelenzustandes der Personen, ausschweifende epische Schilderungen werden zu diesem Zweck ersetzt durch "das lyrische Feiern und Rühmen des Grottenlustortes"[vgl. Scharschuch: S. 254ff.]. Auf diese Weise wird das konzise Gerüst der Schauplatzelemente durch die inhärente allegorische Aussagekraft aufgewertet und durch das universale Minne-Thema zusammengehalten.

Fazit

Wie offensichtlich wurde, tauchen in Gottfrieds Tristan eine gewisse Anzahl repetitiver, stilistischer und inhaltlicher Grundzüge auf. So fällt die Beschreibung der wirklichen Welt bei Gottfried überwiegend spartanisch aus, sodass von realistischen Ansätzen, nicht die Rede sein kann[Hahn: S. 37]. Nichtsdestotrotz vermitteln seine Schilderungen auch in Szenen äußerster Lakonie einen konkreten Eindruck von Landschaft, da Gottfried dank "psychologischer Schilderungskunst (...) subjektive menschliche Stimmungen erfaßt und szenisch im Raum verdichtet"[Hahn: S. 50]. Anstelle eines naturalistischen Abrisses tritt im Tristan also eine eigenartige, viel subtilere Darstellungsvariante, eine sogenannte "Stimmungslandschaft"[Hahn: S. 40][14] Hinsichtlich des groben Handlungsablaufs bleibt er seiner Vorlage dabei weitgehend treu[15], er macht sich also weniger das 'Was' als vielmehr das 'Wie' zu eigen. Anhand dieses außergewöhnlichen Charakteristikums unterscheidet sich Gottfried auch von anderen von Dichtern seiner Zeit und ist somit mehr oder minder Avantgardiste späterer literarischer Gattungen wie etwa des psychologischen Romans. Die Tendenz zur Degradierung des Materiell-Präsenten auf rein episodische Bedeutung offenbart sich durchgängig, beispielsweise in der Tilgung jeglicher seetechnischer Begriffe oder der unkonkreten, oberflächlichen Umreißung der landschaftlichen Gegebenheiten mittels sich ständig wiederholender, relativ inhaltsleerer Phrasen. Diese "spärliche[n] äußere[n] Requisiten" profitieren jedoch von der psychologisch motivierten Betrachtungsebene, da sie förmlich "von einer vibrierenden Augenblicksstimmung atmosphärisch 'aufgeladen' und zum andern lange Gegenstandsreihen in der 'Einheit des Erlebnisses' zu landschaftlicher Gesamtheit verschmolzen"[Hahn: S. 50][Kurtze: S. 131] werden. Dadurch verringert sich in bestimmten Szenen wie der Bergbesteigung Tristans die übliche epische Distanz zugunsten einer szenischen Unmittelbarkeit, die extravagante Einblicke in die mentalen Prozesse der jeweiligen Personen gewährt, eine extraordinäre Atmosphäre schafft und den Rezipienten auf ganz eigentümlich direkte Weise in das Geschehen involviert.

"Wer bei Gotfrid den Verfall des Sittlichen bedauert, muss den Gewinn ästhetischer Qualitäten bewundern."[Gruenter: S. 266]

Einzelnachweise

  1. Die inhaltliche Einteilung folgt der Gliederung Ingrid Hahns.
  2. Alle Versangaben im Folgenden aus: Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Bd. 1–3. Stuttgart 1980 (RUB 4471-3).
  3. Die Vorlage von Thomas, auf welcher Gottfrieds "Tristan" basiert, spricht an dieser Stelle nämlich von "une vaste forêt sauvage" und bezeugt, dass er nur eine wilde Waldgegend, nicht aber die völlige Abgeschiedenheit vermittels einer Gebirgslandschaft markiert.
  4. Thomas erläutert u.a. das Segelhissen, das Ankerlichten und die Art und Weise, wie vorgegangen wird.
  5. Gottfried verwendet zur Beschreibung vorwiegend die Begriffe stat (V. 2455; V. 6499), seltener lant (V. 6740) oder rivage (V. 15921) in der Urganszene.
  6. s. V. 7503
  7. Motiv des einsamen Harfners vor der Landung in Irland (V.7503-7546)
  8. V. 2417: wilden winde; V. 2426: wilde se; V. 2439: tobenden ünde
  9. Vgl. bspw. Homers "Odyssee", Heinrichs von Veldeke "Eneide" oder Wolframs von Eschenbach "Parzival".
  10. Der Weg was des nahtes besnit; ouch schein der mane zuo der zit vil liehte und vil clare (V. 13497-13499).
  11. Blumen lachen, die Wiese zieht ihr schönstes sumerkleit an (vgl. [Sauerbeck: S. 166ff.]).
  12. Bspw. grüene (V. 564), süeze (V. 576, 546, 539), wunneclich (V. 566)
  13. Lediglich zweimal wird auf das wenig präzise Zeitmaß der tageweide (V. 16682 und V. 16762) hingewiesen.
  14. Der Begriff "Stimmung" bezieht sich allerdings lediglich auf den Zustand der menschlichen Gemütslage, nicht auf die durch die Landschaft selbst evozierte, wie sie vor allem in romantischer Dichtung auftaucht. (vgl. Hahn: S. 40)
  15. Exklusive der beiden großen Ideallandschaften, verkürzt er jedoch einzelne Passagen auf das Notwendigste.

Literatur

  • Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Bd. 1–3. Stuttgart 1980 (RUB 4471-3).
  • [*Gruenter] Gruenter, Rainer: Zum Problem der Landschaftsdarstellung im höfischen Versroman. In: Euphorion, Band 56. Hrsg. von Gruenter, Rainer und Henkel, Arthur. Heidelberg 1962.
  • [*Hahn] Hahn, Ingrid: Raum und Landschaft in Gottfrieds Tristan. Reihe: Medium Aevum Philologische Studien Band 3. Hrsg. von Friedrich Ohly, Kurt Ruh und Werner Schröder. Eidos Verlag München 1963.
  • [*Kurtze] Kurtze, Wilhelmine: Die Natur in Gottfrieds von Straßburg 'Tristan und Isolde', Diss. Greifswald 1921.
  • [*Sauerbeck] Sauerbeck, Karl-Otto: Das Naturbild des Mittelalters im Spiegel spätahd. und mhd. Sprache, Diss. Tübingen 1953. S. 176ff.
  • [*Fromm] Fromm, Hans: Besprechung von: Ingrid Hahn, Raum und Landschaft in Gottfrieds Tristan. München 1963 (1967). In: Gottfried von STrassburg, Wege der Forschung. Hrsg. von Alois Wolf. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1973. S. 414-424.
  • [*vgl. Scharschuch] Scharschuch, Heinz: Gottfried von Straßburg. Stilmittel-Stilästhetik. Berlin 1938 (Germanische Studien 197).