Frau Aventiure in Wolframs Parzival: Unterschied zwischen den Versionen
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| der werde erkande Gâwân. || <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span> || wir kennen ihn als einen Mann von Adel: es ist Gâwân. | | der werde erkande Gâwân. || <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span> || wir kennen ihn als einen Mann von Adel: es ist Gâwân. | ||
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| diu prüevet manegen âne haz || <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span> || Unsere Geschichte urteilt ''sine era et studio'', | | diu prüevet manegen âne haz || <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span> || Unsere Geschichte urteilt ''sine era et studio'', <ref> [https://de.wikipedia.org/wiki/Sine_ira_et_studio | Sine era et studio] bedeutet in etwa "ohne Zorn und Eifer". | ||
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| derneben oder für in baz || <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span> || sie läßt daneben oder sogar vor dem eigentlichen Helden, Parzivâl, | | derneben oder für in baz || <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span> || sie läßt daneben oder sogar vor dem eigentlichen Helden, Parzivâl, | ||
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=== Buch 9: Rückkehr zur Parzival-Erzählung === | === Buch 9: Rückkehr zur Parzival-Erzählung === |
Version vom 18. Juni 2015, 20:48 Uhr
Der Erzähler des Parzival beruft sich immer wieder auf Frau Aventiure als Quelle seines Wissens und als Garant für die Richtigkeit dessen, was er berichtet. An manchen Stellen, wendet er sich sogar in wörtlicher Rede an sie. Eine ausführliche Analyse der verschiedenen Quellen oder Erzählerinstanzen des Parzival findet sich auch in Wolfram, Kyot, frou âventiure — Zum Ursprung der Geschichte in Wolframs Parzival. Hier soll im Gegensatz dazu jedoch ein Überblick über die Szenen und Stellen, in denen Frau Aventiure explizit erwähnt oder angesprochen wird gegeben werden. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie und zu welchem Zweck dies geschieht.
Einleitung
Nellmann betont, dass "Beglaubigungsformeln" einen wichtigen Bestandteil der gesamten mittelhochdeutschen Dichtung darstellen und insbesondere auch gerne von den "arrivierten Autoren" der Zeit verwendet wurden, um sich von den "scophelîchen worten der 'Spielleute'" zu distanzieren. [Nellmann 1973: 50f.] Das literarische Publikum der Zeit sah zudem die Fiktion als etwas "Minderwertiges" an und verlangte, von einem Dichter die reine Wahrheit präsentiert zu bekommen. Um dieser Forderung nachkommen zu können, nutzten die Poeten daher vielfältige Mittel, immer wieder die Richtigkeit und Glaubwürdigkeit ihrer Erzählungen und deren Quellen zu beteuern. Eines dieser Mittel ist die Berufung auf die personifizierte Aventiure als Quelle der Geschichte. Dass Wolfram diese und andere Beglaubigungsinstanzen wie zum Beispiel Kyot, die wârheit oder das maere so häufig zu Hilfe zieht, liegt nach Nellmann daran, dass das mittelalterliche Publikum "für jeden auffallenden Erzählzug [...] vom Autor eine erneute Bestätigung verlangte." [Nellmann 1973: 51] Generell nutzte Wolfram, wie seine zeitgenössichen Dichterkollegen auch, die Berufung auf seine Quellen, um Zahlenangaben und Personen- oder Ländernamen zu beglaubigen und für die Handlung zentrale Motive hervor zu heben. Dem heutigen Publikum mag dies unnötig erscheinen, für den wahrheitsfordenden, mittelalterlichen Rezipienten war es jedoch von großer Bedeutung.
Es ist zudem wichtig zu beachten, dass der Erzähler Frau Aventiure nie ohne Grund erwähnt. Die Betonung von Quellen hat immer eine besondere Funktion für die darauf folgende Handlung der Erzählung. Im Folgenden wird anhand ausgewählter Textstellen gezeigt, welche verschiedenen Arten der Nennung von Frau Aventiure im Parzival zu finden sind und welche verschiedenen Funtionen diese für den Kontext der Erzählung haben.
Ausgewählte Textstellen
Buch 1: Gahmurets Seefahrt (57,29 - 58,26)
Gahmuret hat seine Frau, die Mohrenkönigin Belacane, in Zazamanc verlassen und ist verholne (55,12 in aller Heimlichkeit) auf einem Schiff über das Meer geflüchtet. Über ein Jahr lang irrt das Schiff ziellos auf dem Meer umher, ein Spielball der Winde (die snellen winde im tâten wê 58,4). Nach all der Zeit begegnet Gahmuret jedoch mitten auf dem Meer ausgerechnet dem Schiff, das Vridebrants Boten aus Schottland (siehe: Isenhart) zu Belacane bringen soll. Von ihm erhält Gahmuret Schwert und Rüstung.
Der Erzähler kommentiert den Zufall wiefolgt:
hie mugt ir grôz wunder losen, | __________ | Es ist ein großes Wunder, was ihr da hören könnt, | ||
daz im der kocke widerfuor, | __________ | ich mein: daß ihm die Kogge einfach so begegnete. | ||
als mir diu âventiure swuor. | __________ | Die Aventiure hat mir aber hoch und heilig versichert, daß es so war. | __________ | (58,14-16) |
Der Erzähler verweist hier auf Frau Aventiure als Quelle seines Wissens, um seine Glaubwürdigkeit zu verteidigen. Denn dass Gahmuret ausgerechnet mitten auf hoher See auf Vridebrats Schiff trifft, muss dem Publikum doch sehr weit hergeholt erscheinen. Wolfram nutzt die "Beglaubigung" hier also in einer Szene, in der er " den Bereich der normalen Erfahrung seiner Hörer verlässt und Fremdartiges oder Wunderbares schildert." [Nellmann 1973: 63] Nellmann argumentiert auch, dass es sich hierbei um eine "ironischen Distanzierung" des Erzählers vom Erzählten handeln könnte. [Nellmann 1973: ebenda]
Buch 2: Gahmuret in Kanvoleis (58,27 ff.)
Gleich zu Beginn des zweiten Buchs, nachdem Gahmuret in Spanien an Land gegangen ist und festgestellt hat, dass sein Cousin König Kaylet auf Ritterfahrt ist, tritt Frau Aventiure erneut in Erscheinung:
dô hiez ouch er bereiten sich | __________ | Da befahl auch unser Held - | ||
(sus wert diu âventiure mich) | __________ | die Aventiure war so freundlich, mir das mitzuteilen - | ||
mit speren wol gemâlen... | __________ | zu rüsten: schön angemalte Speere... | __________ | (59,3-6) |
Die Nennung der Aventiure dient hier vornehmlich der Gliederung der Erzählung. Der Erzählstrang des vorangegangenen Buchs (in dem Gahmuret zuletzt von Bord ging) wird wieder aufgenommen und mit der jetzigen Situation verknüpft, in der Gahmuret rüsten lässt, um Kaylet zu folgen. Durch die erneute Erwähnung der personifizierten Aventiure wird hier also ein übergreifender Bogen vom ersten zum zweiten Buch gespannt.
Eine ebenso gliedernde Funktion in Zusammenhang mit Frau Aventiure lässt sich auch an folgenden Stellen beobachten: [Nellmann 1973: Vgl.64]
12,3: | __________ | Als uns diu âventiure saget,... | __________ | Wie die Geschichte uns erzählt,... |
95,27: | __________ | als mir diu âventiure sagt,... | __________ | Die Geschichte hat mir berichtet,... |
97,11: | __________ | diz lobte si, wart mir gesagt... | __________ | Das versprach sie ihm, hat man mir berichtet |
271,24: | __________ | diu âvetiur wert mære mich. | __________ | Die Helden gingen also hier auseinander, wie mir die Geschichte versichert. |
434,11: | __________ | nu tuot uns de âventiure bekant,... | __________ | Und jetzt läßt uns die Aventiure wissen:... |
435,2: | __________ | daz Parzivâl... | __________ | Die Aventiure erzählt uns, daß Parzival,... |
Bei den letzten drei Beispielen lässt sich zudem argumentieren, dass die Erwähnung der Aventiure zusätzlich dazu dient, den Vers um einen eleganten Reim zu ergänzen. Nellmann weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass dies in den seltensten Fällen der primäre oder sogar alleinige Grund ist.[Nellmann 1973: 66f.] Und auch hier gilt es deutlich zu betonen, dass es sich bestenfalls um einen "Bonus" handelt, dass sich der Reim so passend fügt. Primär geht es, wie erwähnt, um die gliedernde Funktion.
Buch 5: Parzival auf der Gralsburg
Das fünfte Buch bildet den ersten Höhepunkt der Romanhandlung. Hier trifft Parzival zum ersten Mal auf Anfortas, der ihm den Weg nach Munsalvaesche weist. Auf der Burg wohnt Parzival dann dem wundersamen Gralsritual bei und begeht den zentralen Fehler des Frageversäumnisses.
Das Buch wird sogleich mit Frau Aventiure eingeleitet:
Swer ruochet hoeren war nu kumt | __________ | Wer Lust hat zu hören, wohin nun der kommt, | ||
den âventiur hât ûz gefrumt, | __________ | den die Aventiure hinausgeschickt hat, | ||
der mac grôzui wunder | __________ | der hat Gelegenheit, lauter große und wunderbare Dinge | ||
merken al besunder. | __________ | zu bemerken. | __________ | (224,1-4) |
Die Aventiure wird hier erwähnt, um das Publikum auf die nun folgende Erzählung aufmerksam und neugierig zu machen. So spricht der Erzähler ganz direkt von folgenden grôziu wunder (224,3: große[n] und wunderbare[n] Dinge[n]). Zudem ist die Aventiure der Motor für die folgende Handlung, da sie in ihrer personifizierten Form, den Helden in die kommenden Abenteuer entsendet.
Gleich im Anschluss daran verwendet Wolfram Frau Aventiure erneut, um Details der Erzählung hervor zu heben:
uns tuot die âventiure bekant | __________ | Die Aventiure hat uns mitgeteilt, | ||
daz er bî dem tage reit, | __________ | daß er an diesem Tag so weit ritt, | ||
ein vogel hetes arbeit | __________ | daß ein Vogel Mühe hätte, | ||
solt erz allez hân erflogen. | __________ | wenn er die ganze Strecke erfliegen sollte. | ||
mich enhab diu âventiure betrogen, | __________ | Wenn mich die Aventiure nicht belogen hat, | ||
sîn reise unnâch was sô grôz | __________ | so ist die Reise, die er machte | ||
des tages do er Ithêren schôz, | __________ | an dem Tag, als er den Ithêr totschoß | ||
unt sît dô er von Grâharz | __________ | und als er nachher von Grâharz | ||
kom in daz lant ze Brôbarz. | __________ | bis in das Land Brôbarz kam, lange nicht so weit gewesen. | __________ | (224,22-30) |
Der Erzähler beruft sich hier auf die Aventiure als Quelle seines Wissens, um damit zu unterstreichen, wie unfassbar weit die Distanz ist, die Parzival hier in nur einem Tag zurücklegt. Es ist typisch, dass der Erzähler dies tut, um Dimensionen von beschriebenen Gegenständen, Personenmerkmale oder wie hier Distanzen zu maximieren und gleichzeitig seiner Erzählung Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Indem er nämlich eine andere Quelle als sich selbst ins Spiel bringt, kann er jegliche Übertreibung seinerseits von sich weisen. Mögliche Angriffspunkte für Publikumseinwände werden sozusagen gleich im Vorfeld entkräftet. Der Erzähler selbst wird dadurch zum reinen Übermittler der Geschichte und ist für deren Inhalt und Richtigkeit insofern nicht mehr verantwortlich. Wer ihm nicht glaubt, oder die Richtigkeit seiner Angaben in Frage stellt, wird auf Frau Aventiure weiter verwiesen, die ja wiederum für eine direkte Nachfrage nicht greifbar ist. Somit muss der Rezipient der Erzählung es wohl oder übel dabei belassen, dem Erzähler zu glauben.
Des Weiteren ließe sich auch an dieser Stelle mit Nellmann argumentieren, dass der Erzähler eine ironisch distanzierte Stellung zum Erzählten einnimmt und Wolfram hier vielleicht sogar "humoristische Absichten" verfolgte. [Nellmann 1973: 63]
Buch 7 und 9: Wechsel zwischen Parzival und Gawan
Der nie gewarp nâch schanden | __________ | Der, den seine Taten nie in Schande brachten, | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
ein wîl zuo sînen handen | __________ | soll nun diese Geschichte für eine Weile | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
sol nu dise âventiure hân | __________ | in die Hand nehmen; | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
der werde erkande Gâwân. | __________ | wir kennen ihn als einen Mann von Adel: es ist Gâwân. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
diu prüevet manegen âne haz | __________ | Unsere Geschichte urteilt sine era et studio, [1]
Buch 9: Rückkehr zur Parzival-ErzählungFrau Aventiure kommt zu WortBei dieser Stelle handelt es sich wohl um die prominenteste und wichtigste in Bezug auf Frau Aventiure. Diese meldet sich hier höchst selbst in wörtlicher Rede zu Wort und spricht den Erzähler im Dialog an. Sie muss zunächst durch vehemente Aufforderung seine Aufmerksamkeit erlangen, da der Erzähler sie im ersten Moment nicht erkennt. Die Szene erinnert an eine Person, die an eine Tür klopft. Auch hier muss die Person hinter der Tür erstmal erfragen, wer denn da ist.
Nachdem sich Frau Aventiure zu erkennen gegeben hat, weckt sie dann aber die Neugier des Erzählers, der sie sogleich mit allerlei Fragen nach Parzival bedrängt:
Der ganze Dialog erstreckt sich über die Zeilen 433,1 bis 434,10. Die Fragen des Erzählers an Frau Aventiure werden hier nur in Auszügen wiedergegeben:
Frau Aventiure verbietet die Erzählung
Hier wird der Erzähler quasi indirekt zum Schweigen verpflichtet, indem Frau Aventiure Kyôt an des Erzählers Stelle die Sprache verbietet. Dieses Verbot gilt jedoch nur, bis die Aventiure selbst es aufhebt, nämlich dann, wenn es der weiteren Geschichte zugute kommt. Dies schürt einerseits die Neugierde des Publikums und soll andererseits das Geheimnisvolle und Magische des Grals hervorheben, von dem im Folgenden dann berichtet wird. [Singer 1916: 25] Gerade die doppelte Versicherung durch Quellen - Frau Aventiure einerseits und Kyot andererseits - unterstreicht, dass es hier um die Schilderung von etwas ganz Besonderem gehen muss. Und das selbst dann noch, wenn wir annehmen, dass es sich bei Kyot gleichermaßen wie bei Frau Aventiure um eine Erfindung Wolframs handelt. [Nellmann 1973: Vgl. 55f.] Buch 15: Der Kampf von Parzival gegen Feirefiz
FazitLiteraturverzeichnisTextausgabeWolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York, 2003. Sekundärliteratur<HarvardReferences/>
[*Dallapiazza 2009] Dallapiazza, Michael: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Berlin, 2009. |
- ↑ | Sine era et studio bedeutet in etwa "ohne Zorn und Eifer". |- | derneben oder für in baz || __________ || sie läßt daneben oder sogar vor dem eigentlichen Helden, Parzivâl, |- | dan des mæres hêrren Parzivâl. || __________ || noch so manchen anderen gelten. || __________ || (338,1-7) |}