Vergleich der Beziehungen Parzival - Condwiramurs und Gawan - Orgeluse: Unterschied zwischen den Versionen

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An dieser Stelle kehrt Gawan nun das bisher übliche Verhältnis zu Orgeluse um und gibt ihr Kontra, anstatt sofort in eine neue Art von Minnebeziehung einzulenken. Er weißt Orgeluse direkt daraufhin, dass sie ihm mit ihrem Spott Unrecht getan hat (vgl. 612, 5/6). Erst jetzt ist Orgeluse bereit, Gawan soweit zu vertrauen, dass sie ihm offen von ihrem Schmerz um Cidegast erzählt (vgl. 612, 26f). Daraufhin akzeptiert Gawan Orgeluses Entschuldigungen ("frouwe, ich hân ûf iuch verkorn.", 614, 26). Schon allein die Tatsache, dass Gawan die Entschuldigungen erst einmal akzeptieren muss, bevor sich die Beziehung weiter entwickeln kann, zeugen davon, dass sich hier die Hierarchieverhältnisse verschieben und Orgeluse und Gawan aufgrund seiner Souveränität nun auf eher auf einer Augenhöhe stehen.
An dieser Stelle kehrt Gawan nun das bisher übliche Verhältnis zu Orgeluse um und gibt ihr Kontra, anstatt sofort in eine neue Art von Minnebeziehung einzulenken. Er weißt Orgeluse direkt daraufhin, dass sie ihm mit ihrem Spott Unrecht getan hat (vgl. 612, 5/6) und tadelt sie dafür. Erst jetzt ist Orgeluse bereit, Gawan soweit zu vertrauen, dass sie ihm offen von ihrem Schmerz um Cidegast erzählt (vgl. 612, 26f). Daraufhin akzeptiert Gawan Orgeluses Entschuldigungen ("frouwe, ich hân ûf iuch verkorn.", 614, 26). Schon allein die Tatsache, dass Gawan die Entschuldigungen erst einmal akzeptieren muss, bevor sich die Beziehung weiter entwickeln kann, zeugen davon, dass sich hier die Hierarchieverhältnisse verschieben und Orgeluse und Gawan aufgrund seiner Souveränität nun eher auf einer Augenhöhe stehen. Durch Gawans Selbstbehauptung in dieser Szene macht Wolfram deutlich, dass eine dauerhafte Minnebeziehung nur auf der Basis "gegenseitige[n] Geben[s] und Nehmen[s]" bestehen kann. [Emmerling 2003: 92]


- "All diese Beispiele zeigen, dass eine an Äußerlichkeiten und sinnlichen Effekten orientierte Minne-Entstehung Wolframs Konzept widerspricht, dass wahre Minne aus den inneren Kräften des Menschen erwachsen muss und als dauerhafte und tiefe Bindung zwischen zwei Menschen in die Ehe mündet." [Emmerling 2003: 192]
- "All diese Beispiele zeigen, dass eine an Äußerlichkeiten und sinnlichen Effekten orientierte Minne-Entstehung Wolframs Konzept widerspricht, dass wahre Minne aus den inneren Kräften des Menschen erwachsen muss und als dauerhafte und tiefe Bindung zwischen zwei Menschen in die Ehe mündet." [Emmerling 2003: 192]

Version vom 7. Juli 2015, 10:04 Uhr

In diesem Artikel soll es um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der bestehend bleibenden Beziehungen der beiden Protagonisten im Parzival von Wolfram von Eschenbach gehen. Hierzu sollen die jeweils ersten Begegnungen, die Beschreibungen der Damen, der Weg bis zur Hochzeit und die Länge der Beziehungen verglichen werden. [1]

Der Weg zur richtigen Frau

Parzivals Minnebegegnungen vor Condwiramurs

Parzival hat insgesamt drei Minnebegegnungen. Die letzte dieser drei Begegnungen führt zu seiner vollkommenen Beziehung mit Condwiramurs; die ersten zwei Begegnungen sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.

Nachdem Parzival im 3. Buch auszieht um Ritter zu werden, ist seine erste Begegnung mit einer Frau die mit der Dame . Hier verhält sich Parzival aus Unwissen nicht besonders höfisch: Er überrascht Jeschute beim Schlafen und stiehlt ihr Küsse sowie ihren Fingerring:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
ir munt er an den sînen twanc.

dâ nâch was dô niht ze lanc,

er druct an sich die herzogîn

und nam ir och ein vingerlîn.

Ihren Mund zwang er an seinen.

Und danach dauerte es nicht mehr lang,

so drückte er die Herzogin an seinen Leib

und er nahm ihr auch noch jenen Fingerring weg.

131, 13 – 16


Relativ kurz nach Parzivals Begegnung mit Jeschute, trifft Parzival (immernoch im 3. Buch) auf Gurnemanz, der Parzival sittliches Benehmen beibringt (vgl. 170, 3 - 173, 6). Als Parzivals Lektion beendet ist, drückt Gurnemanz den Wunsch einer Beziehung zwischen seiner Tochter Lîâze, die gleichzeitig die Cousine Condwiramurs ist, aus, indem er zu ihr sagt: "du solt di'n küssen lâzen, disen ritter, biut im êre" (175, 26/27). Vierzehn Tage lang wird Parzival nun umworben, doch:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
bî sîme herzen kumber lac

anders niht wan umbe daz:

er wolt ê gestrîten baz,

ê daz er dar an wurde warm,

daz man dâ heizet frouwen arm.

Bei seinem Herzen aber lag ein Kummer,

das war nichts anderes als dies:

Er wollte vorher richtige Kämpge bestehen,

ehe er sich - so nennt man das halt -

wärme in den Armen einer Dame.

176, 30 - 177, 4


Die Begegnung mit Lîâze ist demnach noch zu früh: Parzival ist noch kein Ritter, der sich bewährt hat. Erst als er Condwiramurs trifft, ist der Zeitpunkt richtig. Am Anfang des 4. Buches wird auch deutlich, dass Parzival Lîâze nicht in Liebe verbunden war (vgl. 179, 23 - 29).


Gawans Minnebegegnungen vor Orgeluse

Ähnlich wie Parzival hat Gawan zwei Begegnungen mit Frauen, bevor er auf Orgeluse trifft. Die erste Beschreibung zum Thema Gawan und die Minne befindet sich im Buch XII: Obilot, die junge Tochter von Lyppaut, bittet Gawan in ihren Minnedienst (vgl. 369, 22 - 30). Dieser beruft sich darauf, "wie Parzivâl wîben baz getrûwt dan gote" (wie Pârzival mehr Vertrauen in die Frauen gesetzt hatte als in Gott, 370, 18/19) und nimmt den Minnedienst an (vgl. 370, 25 - 30). Nach nicht allzulanger Zeit bricht Gawan jedoch wieder auf und lässt Obilot weinend zurück (vgl. 397, 15 - 20).

Gawans zweite Minnebegegnung ist rein körperlicher Art. Im Buch XIII wird Gawan auf der Burg Schanpfanzun von Antikonie empfangen. Beide fühlen sich körperlich zueinander hingezogen und schnell kommen sie sich näher: Gawan "greif ir undern mantel dar" (griff unter ihren Mantel, 407, 2). Diese "stürmische Vereinnahmung Antikonies erfährt [...] zwar keierlei Tadel; allerdings kann diese privat gelebte Leidenschaftlichkeit auch nicht Basis einer dauerhaften Minnebeziehung sein". [Emmerling 2003: 197] Eine wahre Minnebeziehung kann nach Wolframs Verständnis nur "aus den inneren Kräften des Menschen erwachsen" [Emmerling 2003: 192] und dementsprechend ist dieses Minneverhältnis auch nur von kurzer Dauer. Die beiden werden von einem Ritter endeckt, der befürchtet, Antikonie würde von Gawan vergewaltigt (vgl. 407, 19). "Die Konsequenz wird in Gawans Aufbruch manifest: Er zieht weiter, um schließlich in seiner Beziehung zu Orgeluse sowohl seine individuellen Wünsche nach leidenschaftlicher Liebe und Sinnlichkeit auszuleben, als auch den gesellschaftlichen Forderungen nach einer öffentlich verantworteten Minnebeziehung gerecht zu werden." [Emmerling 2003: 197]

Beschreibung der Frauen

Condwiramurs

Als Parzival und Condwiramurs sich das erste Mal sehen, ist die Beschreibung der Condwiramurs von Begriffen aus dem Wortfeld der Helligkeit, wie zum Beispiel dem Begriff "liehter glast" gekennzeichnet. Ihre Reinheit und Jungfräulichkeit wird hier somit durch die Assoziation mit hellen Farben bildlich dargestellt:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
ein minneclîch antlützes schîn, Von ihrem Antlitz blitzte ihm ein liebenswerter Schein entgegen,
dar zuo der ougen süeze sîn, und es ging Süßigkeit in seine Augen
von der küneginne gienc von der Königin:
ein liehter glast, ê sin enpfienc. ein Leuchten und Gleißen, bevor sie selber ihn begrüßte.

186, 17 – 20


Im weiteren Verlauf wird Condwiramurs mit ihrem beau corps, ihrem schönen Leib, als die Schönste unter den Schönen beschrieben (vgl. 187, 20 - 23). Sie wird außerdem mit ihrer Cousine Lîâze verglichen, die Parzival während seines Aufenthaltes bei deren Vater Gurnemanz kennengelernt hat: Neben Condiwramurs Erscheinung ist Lîâzes Schönheit nur ein wint (188, 6).


Orgeluse

Als Gawan Orgeluse das erste Mal sieht, wird sie als clâre frouwen (508, 19), sowie als "aller wîbes varwe ein bêâ flûrs" (508, 21) bezeichnet. Von dieser Beschreibung Orgeluse als "La belle fleur über aller Frauen Pracht" wird Condwiramurs jedoch ausgenommen (vgl. 508, 22), sodass ein direkter Vergleich der beiden Frauen vermieden wird. Orgeluse ist demnach äußerlich von makelloser Schönheit wie Condwiramurs. Innerlich kämpft sie jedoch innerlich mit dem Tod ihres Ehemannes, dem Ritter Cidegast, durch Gramoflanz sowie der darauffolgenden einjährigen Gefangenschaft durch denselben (vgl. 606, 6 - 13). Wie hoch Orgeluse ihren Mann schätzte und wie tief dementsprechend ihre Verletzung sein muss, zeigt sich an späterer Stelle, als Orgeluse Gawan selbst von ihrer Vergangenheit erzählt:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
ine mac nimêr verliesen Mehr Freuden kann ich nicht verlieren,
freuden, denne ich hân verlorn als ich an Cidegast verloren habe,
an Cidegast dem ûz erkorn. der Krone aller Männer.

612, 28 – 30

Die Erste Begegnung

Die jeweils ersten Begegnungen von den Paaren Parzival und Condwiramurs sowie Gawan und Orgeluse sind relativ unterschiedlich. Im Folgenden soll auf die jeweilige Ausgangssituation und die dabei bestehenden Verhältnisse zwischen den männlichen und weiblichen Partien der entstehenden Beziehungen eingegangen werden. Beim Beschreiben der Verhltnisse soll auf die unterschiedlich großen Handlungsspielräume sowie das Ausüben bzw. Besitzen von Kontrolle in Bezug auf den weiteren Verlauf der Beziehung untersucht werden.

Parzival begegnet Condwiramurs

Bei Parzival und Condwiramurs ist Condwiramurs in der ersten Begegnung die Figur, die weniger Handlungsspielraum und Kontrolle besitzt als ihr zukünftiger Partner Parzival. Dies ist so, da sich Condwiramurs und ihr gesamtes Königreich in einem Liebeskrieg mit Clâmidê befinden (vgl. 194, 27 - 195, 3) als Parzival eintrifft. Das Land befindet sich aufgrund dieses Krieges in Not (vgl. 180 und 181). Nach Parzivals Eintreffen erklärt Condwiramurs ihm deshalb, dass das Land von Hungersnot geplagt ist (vgl. 190, 7 - 8) und der neuangekommene Ritter bietet seine Hilfe an (vgl. 195, 12/13). Condwiramurs befindet sich also in einer eher passiven Situation, aus der sie sich ohne Parzivals Hilfe nicht befreien könnte ohne weiteres großes Leiden in ihrem Königreich zu verantworten. Parzival ist die aktive Partei, die Condwiramurs hilft, und deshalb im Verhältnis zu diesem Zeitpunkt hierarchisch höher einzustufen ist.

Gawan trifft Orgeluse

Gawan trifft seine zukünftige Frau Orgelûse de Lôgroys sehr viel später als Parzival die seine. Orgelûse ist die einzige Dame im gesamten Roman, die das Werben eines Ritters zunächst ablehnt bzw. durch Teste, mit denen sie sich u.a. über Gawan lustig macht, in die Länge zieht. Gawan verliebt sich sozusagen auf den ersten Blick in Orgelûse. "Beim Erwachen [dieser] Liebe [...] spielt anfangs der ovidianische Topos vom Auge als Einfallstor der Liebe eine sehr wichtige Rolle" [Emmerling 2003: 189], denn Gawan verliebt sich in Orgelûses äußere Schönheit. Orgelûse gibt ihm jedoch zunächst Kontra und stellt damit generell schnell geschlossene Minneverhältnisse sowie Gawans Liebe zu ihr in Frage:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
gert ir mîner minne, Meine Liebe wollt ihr haben.
Wie habt ir minne an mich erholt? Und was habt ihr geleistet, meine Liebe zu verdienen?
[...] [...]
ir mugt wol laster hie bejagn, Eine peinliche Abfuhr könnt Ihr allerdings hier kriegen,
muoz ich iu die wârheit sagn. wenn Ihr denn die Wahrheit von mir hören wollt.

509, 30 – 510, 24


Diese Textpassage zeigt, dass das Hierarchieverhältnis bei Gawans und Orgeluses erster Begegnung ein anderes ist, als jenes von Parzival und Condwiramurs. Bei ihrer ersten Begenung geht es thematisch sofort um ein mögliches Minneverhältnis zwischen Gawan und Orgelûse, während es bei Parzival und Condwiramurs zunächst um die Rettung ihres Königreiches geht. Daraus folgt, dass Gawans und Orgelûses erste Begegnung darauf basiert, dass er etwas von ihr möchte - nämlich ihre Liebe - während Condwiramurs Parzivals Hilfe benötigt. Dass Orgelûse sich nicht sofort auf Gawan einlässt, sondern sich zunächst über ihn lustig macht und ihn lange dafür arbeiten lässt, bis er ihre Minne erhält, zeigt, dass sie anfangs einen höheren Status in Bezug auf Handlungsspielraum und Kontrolle einnimmt. Allerdings wird im Verlauf der Handlung deutlich, dass Orgeluse vielleicht nicht so einen überlegenen Status einnimmt, wie man zunächst den Eindruck hat. Durch Gawans kontinuierliches Beharren auf seiner Liebe und dem Aushalten ihres Hohns, schafft er es schließlich letztendlich ihre ehrliche Liebe zu gewinnen und heilt sie von dem Trauma des verstorbenen Ehemannes.

Beziehungsverlauf bis zur Hochzeit

Parzival und Condwiramurs ....

Gawans überschwängliches Angebot, Orgeluses Minneritter zu werden, welches er direkt bei der ersten Begegnung unterbreitet (vgl. 509, 1 - 9) mag zunächst auf ästhetischen Motiven begründet sein, doch während "des gemeinsamen Weges lernt Gawan Orgeluse zu schätzen und lieben" [Emmerling 2003: 18] und das, obwohl sie ihm zu Beginn dieses Weges nichts als Hohn und Spott entgegenbringt. Gawan vermutet jedoch "hinter der Maske aus Angst und Verbitterung einen sensiblen und liebenswerten Menschen, und [...] erweist [...] ihr durch seinen aufopfernden Dienst unwandelbare triuwe." [Emmerling 2003: 189/190] Demzufolge verfolgt Gawan während seines Minnedienstes das Ziel, diesen Menschen hinter der Maske hervorzulocken und Orgeluse von ihrer Verbitterung in Bezug auf den Tod ihres Ehemannes durch Gramoflanz zu befreien. Orgeluse hingegen sieht in Minneverhältnissen wie dem zu Gawan zunächst nur den Sinn, einen Ritter zu finden, der Gramoflanz besiegen und so ihren Ehemann rächen kann (vgl. 606, 15/16).

Es zeigt sich, dass Gawan in Bezug auf Orgeluse ein anderes Minneverhalten verfolgt, als zu Obilot und Antikonie. Während er diese beiden jeweils ohne großes Zögern zurückließ und weiterzog, beweist er Orgeluse immer wieder seine triuwe, indem er ihre Aufgaben erledigt und ihren Spott erträgt. Selbst als Gawan im Schastel marveile gegen Clinschors Zauber ankämpfen muss, siegt er ("Der sig is iwer hiute.", 577, 1). "Gawans Erlösungstat auf Schastel Marveile zeigt in aller Deutlichkeit, dass der Dienst für die Gesellschaft und für die Partnerin im Idealfall eins sind und zusammen mit inniger gegenseitiger Liebe zum Ziel aller ritterlichen Aktivität führt: einer von gesellschaftlichen Verpflichtungen durchwirkte Liebesehe." [Emmerling 2003: 197]

Schließlich führt Gawan eine Aufgabe Orgeluses aus, durch die er auf Gramoflanz trifft. Bei dieser Begegnung erklärt Gramoflanz, Orgeluse könne aufgrund der Geschehenisse der Vergangenheit in Bezug auf Gawan und Gramoflanz nicht anders handelns, als sie es tut (vgl. 606, 5f) und beteuert Gawan: "ich muoz iu herzenlîche klagen" (Ihr tut mir von Herzen leid, 606, 15), da er davon ausgeht, dass er Gawan im Kampge besiegen und Gawan Orgeluses aufrichtige Liebe nie erhalten wird. Als sich jedoch herausstellt, dass Gramoflanz noch eine Rechnung mit Gawans Vater offen hat, entscheidet er sich dafür, den Zweikampf vor ruhmreichen Publikum auszuführen (vgl. 608, 18 - 610, 24). Mit der Abmachung, den Kampf in den kommenden Tagen zu bestreiten. trennen sich die beiden Ritter.

Bei Gawans Rückkehr wird Gawan nun von Orgeluse erwartet, die sich für ihr zuvoriges Verhalten entschuldigt:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
dô sprach si 'hêrre, solher nôt

als ich hân an iuch gegert,

der wart nie mîn wirde wert.

für wâr mir iwer arbeit

füeget sölich herzeleit,

diu enpfâhen sol getriwez wîp

umb ir lieben friundes lîp.'

Da sprach sie: >>Herr, solcher Plagen,

wie ich sie euch abverlangt habe,

bin ich mit all meiner Würde nicht wert.

Glaubt mir, Eure Not läßt mein Herz jene Leiden spüren,

die eine treue Freundin

um des Geliebten lieben Leib empfinden muß.

611, 24 - 30


An dieser Stelle kehrt Gawan nun das bisher übliche Verhältnis zu Orgeluse um und gibt ihr Kontra, anstatt sofort in eine neue Art von Minnebeziehung einzulenken. Er weißt Orgeluse direkt daraufhin, dass sie ihm mit ihrem Spott Unrecht getan hat (vgl. 612, 5/6) und tadelt sie dafür. Erst jetzt ist Orgeluse bereit, Gawan soweit zu vertrauen, dass sie ihm offen von ihrem Schmerz um Cidegast erzählt (vgl. 612, 26f). Daraufhin akzeptiert Gawan Orgeluses Entschuldigungen ("frouwe, ich hân ûf iuch verkorn.", 614, 26). Schon allein die Tatsache, dass Gawan die Entschuldigungen erst einmal akzeptieren muss, bevor sich die Beziehung weiter entwickeln kann, zeugen davon, dass sich hier die Hierarchieverhältnisse verschieben und Orgeluse und Gawan aufgrund seiner Souveränität nun eher auf einer Augenhöhe stehen. Durch Gawans Selbstbehauptung in dieser Szene macht Wolfram deutlich, dass eine dauerhafte Minnebeziehung nur auf der Basis "gegenseitige[n] Geben[s] und Nehmen[s]" bestehen kann. [Emmerling 2003: 92]

- "All diese Beispiele zeigen, dass eine an Äußerlichkeiten und sinnlichen Effekten orientierte Minne-Entstehung Wolframs Konzept widerspricht, dass wahre Minne aus den inneren Kräften des Menschen erwachsen muss und als dauerhafte und tiefe Bindung zwischen zwei Menschen in die Ehe mündet." [Emmerling 2003: 192]

- Diese Vorstellung findet sich bei Wolfram vor allem in der Beziehung zwischen Gawan und Orgeluse, wenngleich auch die Ehe zwischen Parzival und Condwiramurs ihren hohen Wert erst durch die unverbrüchliche triuwe beider Partner über Jahre der Trennung hinweg bekommt." [Emmerling 2003: 189]

Beziehungsverlauf nach der Hochzeit

- "Die Ehe ist bei Wolfram allerdings nicht als Endpunkt eines beschwerlichen Weges zu verstehen. In einer Beziehung zwischen Mann und Frau sicher die Ehe lediglich die Dauerhaftigkeit und Unauflöslichkeit, die Ausschließlichkeit und Einzigartigkeit der Verbindung, auf die das Minneverhältnis zielt. Der Prozess der zwischenmenschlichen Bewährung ist bei Wolfram mit dem Tag der Eheschließung nicht zu Ende. Für ihn sind Minne und Ehe vereinbar, was bedeutet, dass Minnedienst sowohl vor als auch nach der Gewinnung der Frau einen wesentlichen Teil der Beziehung zwischen den Liebenden ausmacht." ]Emmerling 2003: 197]

Fazit: Wird eine Beziehung höhergestellt als die andere?

Literaturnachweise

<HarvardReferences/> [*Emmerling 2003] Emmerling, Sonja. Geschlechterbeziehungen in den Gawan-Büchern des >>Parzival<<: Wolframs Arbeit an einem literarischen Modell. Tübingen, 2003.

  1. Alle folgenden Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Text und Übersetzung. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/ New York 2003.