Ansprachen an Frau Minne (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
Dieser Artikel beschäftigt sich nicht mit der Darstellung der Minne im Parzival generell, da diese Frage bereits an anderer Stelle beantwortet wird. [1] Stattdessen werden drei Minne-Exkurse im Vordergrund stehen. Zwar wird Frau Minne nur im ersten und dritten Exkurs direkt angesprochen, da aber durch die Aussagen des Erzählers auch die zweite Stelle zu diesen Exkursen zu zählen ist, soll sie ebenfalls hinzugezogen werden. Die Ansprachen an Frau Minne werden auf ihren Inhalt und ihren Bezug zueinander untersucht.
Der erste Exkurs [291-293][2]
Um die erste Ansprache an Frau Minne in die Handlung einzubetten, muss die Blutstropfenszene einbezogen werden. Die Minnetrance, in die Parzival aus Sehnsucht nach Condwiramurs verfällt, beeinflusst den Erzähler frou Minne und frou Witze als allegorische Figuren für Parzivals Handeln anzuführen. Die Liebe lässt Parzival in einen Traumzustand verfallen und sobald der Verstand wieder die Gewalt über Parzival hat, gewinnt er die Tjosten gegen die Ritter.[3]
Die nun folgende erste Ansprache an Frau Minne stellt der Erzähler unter das Motto: "ich hân geredet unser aller wort" ("Ich habe jetzt einmal für uns alle, die hier sind, geredet" oder in einer anderen Übersetzung "ich habe gesagt, was alle denken".[4])[293, 17] Die folgenden Aussagen sieht er als für alle Anwesenden interessant, wenn nicht sogar als allgemeingültig an. Umso interessanter die Vorwürfe, die der Erzähler erhebt und die Art, wie die Liebe dargestellt wird:
Frau Minne beschert nur kurzweilige Freuden, denen dann aber lange Demütigungen folgen, weil sie alles nieder schlägt, was sich ihr entgegenstellt, wie edel und gutmütig es auch ist. Frau Minne ist der Grund für Schande und viele Sünden, die die Menschen begehen. Ihr wird vorgeworfen "sie gefährde die gesellschaftliche Ordnung, stifte die Menschen zu verwerflichen Handlungen an und sei eine Gefahr für das Seelenheil (291, 5ff)". [Bumke 2004: S. 75.] [5]Hinterlistig und voll "mörderischer Tücke" [292, 4] begeht die Liebe Verrat an den Menschen. Die Macht der Liebe ist übermäßig; mit Gewalt herrscht sie über die Menschen und verlangt sogar den Tod. [6]
Der Erzähler selbst hat das Vertrauen an die Liebe verloren, weil er stets nur Kummer von ihr empfangen hat. Sie hat sich seiner Not nie erbarmt, weshalb er nie mit den Freuden der Liebe in Verbindung gekommen ist. Interessant ist, dass der Erzähler sich deshalb allein für fähig hält über Frau Minne urteilen und ihr wahres Wesen zu erkennen, weil er nur Enttäuschung durch sie erfahren hat.
Frau Minne wird mit Irrationalität verbunden; sie ist der Riegel, der den Verstand im Dunkeln einsperrt. Diese Aussage findet in der Blutstropfenszene Bestätigung, wie bereits erwähnt wurde.
Als einzige positive Eigenschaft wird Frau Minne die Verbindung mit "frou Liebe" (unterschiedlich übersetzt mit "Frau Zärtlichkeit" [7] und "Liebesglück" [8]).
Besonders interessant für den ersten Minneexkurs ist die Erwähnung von Heinrich von Veldeke.
hêr Heinrich von Veldeke sînen buom | Herr Heinrich von Veldeke hat bekanntlich einmal, |
mit kunst gein iwerm arde maz: | überaus kunstvoll, euer Wesen mit einem Baum verglichen. |
het er uns dô bescheiden baz | Wenn er uns nur deutlicher auseinandergelegt hätte, |
wie man iuch süle behalten! | wie man euch halten kann! |
er hât hr dan gespalten | Er hat davon nur die Frage abgespalten, |
wie man iuch sol erwerben. | wie man euch erwirbt. |
[292, 18-23]
In der Forschung ist die Frage noch immer ungeklärt, auf welche Stelle bei Heinrich von Veldeke diese Verse anspielen. Eine bekannte Stelle ist die Liebesvereinigung zwischen Dido und Eneas im Eneasroman, die unter einem Baum vonstatten geht. [Heinrich von Veldeke 1992: vgl.: 62,34- 63,28.] Hier kann der ausladende Baum, der den Liebenden Unterschlupf gewährt, als Symbol für die körperliche Liebe und je nach Interpretation auch für die Minne gesehen werden, doch zu einem direkten Vergleich zwischen der Minne und dem Baum kommt es nicht. Eine weitere Möglichkeit wäre der Bezug auf einen verlorenen Text Veldekes, vielleicht auch auf ein bekanntes Lied. [Kern 1998: vgl.: S. 271.] Martin weist darauf hin, dass auch ein Gedicht den Vergleich verwendet haben könnte, das verloren ist, "wie ja Veldekes Liebesgeschichte des König Salomo, von welcher in Moru von Craon 1160ff. die Rede ist, nicht auf uns gelangte. [Martin 1903: S. 255.] Sollte Wolfram tatsächlich auf die Szene im Eneasroman anspielen, wäre im Hinblick auf den zweiten Minneexkurs interessant zu erwähnen, dass Venus bei Heinrich von Veldeke eine Erwähnung findet, die in einem folgenden Abschnitt gedeutet wird.
minnecliche er sie bat, | Voller Liebe bat er sie, |
daz siv in gewerte, | sie möge ihm das gewähren- |
des siv selbe gerte. | wonach sie doch selber verlangte. |
idoch sprach siv da wider, | Trotzdem sprach sie dagegen, |
und er legite sie da nider, | aber er legte sie auf den Boden, |
als ez Venvs geriet. | von Venus beraten |
[Heinrich von Veldeke 1992: 63, 18-23.]
Für den ersten Minneexkurs bleibt noch festzuhalten, dass er zwar einerseits durch die Handlung motiviert ist, andererseits die erhobenen Vorwürfe eher im Widerspruch zur Handlung stehen. "[D]enn in der Blutstropden-Episode wird Parzival von der Minne nicht zu sündhaften Begierden verführt, sondern er erlebt die Liebe als eine beseligende Kraft, die ihn zu tiefen Einsichten befähigt".[Bumke 2004: S. 75.]
Der zweite Exkurs [532-534]
Auch zu Beginn des zweiten Exkurses nennt Wolfram von Eschenbach "manec mînen meister" [532, 1], auf die er die folgenden Aussagen zurückführt. In diesem Zusammenhang ist wohl wieder an Heinrich von Veldeke zu denken, worauf Aussagen aus dem ersten Minnexkurs hinweisen. Ein weiteres Indiz für diese Annahme ist die Tatsache, dass die Vorstellung von den Liebesgöttern Cupido und Amor als Brüder, die nicht dem Vorbild der römischen Götterwelt entspricht, bereits bei Veldeke auftaucht. [Heinrich von Veldeke 1992: 10156f.] Im zweiten Exkurs steht die Gegenüberstellung zwei verschiedener Arten der Minne im Vordergrund. Die erste Art wird als „ungehiure“ bezeichnet, als „gewalttätiges und unheimliches Ding“ [532, 6]. Amor, Cupido und Venus bringen diese Liebe mit Pfeilen, Wurfgeschossen und heißen Fackeln zu den Menschen und verursachen viel Leid. Die „allzu leidenschaftliche Minne“ lehnt der Erzähler ab. [Nellmann 2006: S. 712.] Erneut weist der Erzähler daraufhin, dass er von dieser Art der Liebe stets verschont geblieben ist.
Dieser verwerflichen und schlechten Liebe stellt der Erzähler „wâriu triuwe“ [532, 10] gegenüber. Die einzig richtige und wahre Liebe ist für ihn die Liebe, die aus der Treue kommt. Diese Liebe gründet in der „Aufrichtigkeit der inneren Bindung“. [Bumke 2004: S. 96.] Sie kommt aus dem Inneren des Menschen, statt wie die andere Art von außen über ihn herzufallen. [Bumke 2004: S. 97.] Wolframs Beispiel für diese „lûter minne“ [533, 21] ist die treue Sigune.[Schumacher 1967: S. 128f.]
Der dritte Exkurs [585-587]
Der dritte Exkurs, nun wieder eine persönliche Ansprache an Frau Minne, ist ebenfalls in der Gawanhandlung zu finden und die Figur Gawan steht auch in ihrem Zentrum. Gawan liegt verletzt auf Schastel marveile und wird von den nächtlichen Liebesgedanken an Orgeluse gequält. [Vgl.: 584, 14-17] Der folgende Exkurs stellt die Minne als zusätzliche Belastung zu seinem körperlichen Leiden dar. Es kommt zu einer praktischen Anwendung der zuvor beschriebenen Eigenschaften der Liebe. An Gawan Verwandten wird gezeigt, wie die Macht der Liebe in seiner Familie gewirkt hat. Niemand, der mit Gawan verwandt ist, soll der Minne je untreu gewesen sein und doch haben sie viel Leid von ihr erfahren. Nachdem die Liebe in der Vergangenheit viele Opfer in Gawans gesamter Familie gefordert hat, verlangt der Erzähler nun stattdessen Gawan zu verschonen. Als ein Beispiel der von der Liebe gequälten verwandten wird auch Parzival in der Blutstropfenszene genannt. Interessant für die weitere Handlung ist auch die Erwähnung der treuen und bedingungslosen Liebe der Itonje zu Gramoflanz, dem Todfeind ihres Bruders. Außerdem kommt es, wie schon zuvor, erneut zu einer Erwähnung der Unerfahrenheit des Erzählers selbst. Er, der die Minne nur aus Liedern kenne, sollte eigentlich still schweigen und diejenigen vom Leid Gawans berichten lassen, die selbst lieben.
Auswertungen
Quellennachweise
- ↑ Auch dieser Artikel behandelt die Minne; in Zusammenhang mit der Figur Gawan. Will man einen Überblick über die Darstellung der Minne in der höfischen Literatur gewinnen, kann es auch hilfreich sein sich mit der Minne in anderen höfischen Romanen zu befassen. In diesem Artikel findet man Anregungen und Literaturempfehlungen zur Minne im Tristan.
- ↑ Alle folgenden Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
- ↑ Bumke weist auf einen Gegensatz "zwischen der erzählerischen Inszenierung und der erzählten Handlung [hin]: Parzival wacht gar nicht aus seiner Minne-Trance auf, während er angegriffen wird. Als Gawan ihn wieder zu Bewußtsein bringt, weiß er nicht, daß er gegen zwei Ritter gekämpft hat (302, 21f.)". [Bumke 2004: S. 75.]
- ↑ Wolfram von Eschenbach: Parzival, Nach der Ausgabe Karl Lachmanns, revidiert und kommentiert von Eberhard Nellmann, Übertragen von Dieter Kühn, Frankfurt a.M. 2006.
- ↑ Bei der genauen Betrachtung einzelner Verse fallen viele intertextuelle Verweise auf. Ein Beispiel ist der Vorwurf an die Minne, sie lassen den "man an sîme hêrren" [291, 27] sündigen. Hiermit könnte einerseits die Liebesbeziehung zwischen Tristan und Isolde oder auch die Beziehung zwischen Lanzelot und der Frau von König Artus gemeint sein. [Martin 1903: vgl.: S. 254.]
- ↑ Als Beispiel wird Condwiramurs Bruder Kardeiz angeführt, nach dem einer der Söhne von Condwiramurs und Parzival benannt ist.
- ↑ Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
- ↑ Wolfram von Eschenbach: Parzival, Nach der Ausgabe Karl Lachmanns, revidiert und kommentiert von Eberhard Nellmann, Übertragen von Dieter Kühn, Frankfurt a.M. 2006.
<HarvardReferences />
Forschungsliteratur
[*Heinrich von Veldeke 1992] Heinrich von Veldeke: Eneasroman, hg von Hans Fromm, mit den Miniaturen der Handschrift und einem Aufsatz von Dorothea und Peter Diemer, Frankfurt a.M. 1992.
[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36).
[*Kern 1998] Kern, Manfred: Edle Tropfen vom Helikon. Zur Anspielungsrezeption der antiken Mythologie in der deutschen höfischen Lyrik und Epik, Amsterdam 1998.
[*Martin 1903] Martin, Ernst: Wolframs von Eschenbach Parzival und Titurel. Zweiter Teil: Kommentar. Halle a.S. 1903.
[*Nellmann 2006] Wolfram von Eschenbach: Parzival. Nach der Ausgabe Karl Lachmanns, revidiert und kommentiert von Eberhard Nellmann, übertragen von Dieter Kühn. Frankfurt a. M. 2006.
[*Schumacher 1967] Schumacher, Marlis: Die Auffassung der Ehe in den Dichtungen Wolframs von Eschenbach. Heidelberg 1967.