Courtoisie im Parzival (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
In diesem Artikel soll untersucht werden, welche Rolle Courtoisie im Parzival spielt und wie sie dargestellt wird. Courtoisie (übersetzt: Höflichkeit) wird im Parzival an vielen Stellen erwähnt. Besonders für die Ritter ist diese Lebensart sehr wichtig. Auch die Adeligen und Damen des Hofes bemühen sich um höfliches Verhalten. Im Artikel wird untersucht, wie die Courtoisie im höfischen Roman aufgenommen wurde und welche Rolle sie einnimmt. Anschließend soll gezeigt werden, was die Charaktere bzw. deren Gruppen darüber denken und wie sie Courtoisie ausführen.
Die Entstehung der Courtoisie im Roman
Courtoisie findet sich in vielen Romanen im Mittelalter. Obwohl der Begriff aus dem Französischen kommt, wird die Höflichkeit auch in den Werken aus anderen europäischen Ländern, wie z.B. Deutschland oder Italien, verwendet. In seiner Entstehungszeit hatte der Begriff noch die Form cortoisie. Im Mittelalter bildeten Literatur und Wirklichkeit keine getrennten Welten. Die Höflichkeit, wie sie in den verschiedenen Dichtungsarten vorkam, gab es somit auch im wirklichen Leben. Courtoisie war im Roman nur eine idealisierte Form, deren Annäherung man im wirklichen Leben versuchte. Es war auch geplant, dass sich die Leser und Hörer sich diesem Ideal anpassen und versuchen nach den Maximen der Ritter und Adeligen zu leben. Courtoisie war nicht nur dem Adel vorbehalten, sondern war allen Schichten zugänglich.[Stierle 1994: S. 256-258]
Die Courtoisie im deutschen höfischen Roman findet man erstmals im Erec Hartmanns von Aue. Hartmann übernahm die Ansätze der Courtoisie aus Chrétiens Erec et Enide und schuf damit den Begriff "hoevescheit".[Stierle 1994: S. 258] Schon bei Chrétien soll Courtoisie ein neues Lebensgefühl und ein neues Standesbewusstsein vermitteln. Er erfand den Begriff zwar nicht, führte ihn aber in Frankreich als erstes in den höfischen Roman ein.
- "Dame, fet il, a vos seroie,
- s'il vos pleisoit, an ceste voie;
- je ne ving ça por autre afere
- fors por vos conpaignie fere."
- (Erec et Enide 107-110)[1]
Erec bietet in dieser Textstelle der Königin an, sie zu begleiten. Er formuliert die Aussage mit einem Konditional, sodass die Königin die Möglickeit besitzt, das Angebot ablehnen zu können. Er ehrt sie zudem nicht nur als Königin, sondern auch als Frau. Er verhält sich sehr ritterlich, sodass die Königin das Angebot annimmt.[Stierle 1994: S. 262] Chrétien vermittelt im Roman viele Werte wie höfliches Zusammenleben und höfische Gespräche am Hof. Er zeigt wie sich Adelige und Ritter gegenseitig mit Courtoisie ehren und wertschätzen.
Als Hartmann Erec übersetzte, schaffte er es auch den Geist des französischen Hofs dem deutschen Publikum zu vermitteln. Allerdings legte Hartmann nicht soviel Wert auf das höfische Verhalten, wie es Chrétien einst tat. Er verwendete großteils indirekte Rede, sodass die besondere Höflichkeit in den Unterhaltungen der Figuren Chrétiens verloren ging.
Aber auch Chrétien blieb der Courtoisie nicht immer treu. Im Perceval ist die Courtoisie am Artushof nicht mehr so vertreten, wie einst in Erec et Enite. Perceval, der ohnehin das höfische Leben nicht kennt, verliert wegen der chaotischen Zustände am Hofe den Überblick und erkennt Artus nicht. Mit der Änderung des Artuskonzepts schuf Chrétien eine neue Richtung, die man bei Hartmann schließlich wiederfindet.[Stierle 1994: S.277]
Wolfram übernimmt vieles dieser Verhaltensweisen im Parzival, so auch die unhöfischen Zustände am Artushof. Auch bei Wolfram erscheint Parzival ohne jegliche Ahnung über höfisches Verhalten am Hofe und blamiert sich damit vollkommen. Erst später erlernt er wichtige Normen der Courtoisie.
Courtoisie am Hofe
Im Parzival ist Courtoisie am Hofe sehr wichtig im Umgang untereinander. Sie ermöglicht ein gutes Zusammenleben und bildet ein vorzeigbares Verhalten gegenüber Freund und Feind. Besonders für die Adeligen ist Courtoisie sehr wichtig, da sie versuchen möglichst ihr ganzes Leben danach zu richten.
Artushof
Beim ersten Treffen Parzivals mit dem Artushof herrschen kaum höfische Zustände am Hofe. Die Königin wird mit Wein besudelt, während König Artus in Gedanken verloren über den Konflikt mit Ither grübelt. Keie übernimmt das Wort am Hof und verhält sich unritterlich gegenüber Cunneware, indem er sie schlägt, da sie ihr Gelübde nicht zu lachen wegen dem in Narrenkleider gesteckten Parzival bricht. Ebenso machen sich die Anwesenden über Parzivals Auftreten lustig und stellen ihn damit bloss. Courtoisie gilt als standesübergreifend, weswegen das Verhalten gegenüber Parzival sehr unhöflisch ist.
Erst gegen Ende, genauer gesagt bei der Festversammlung von Joflanze, zeigt der Artushof seine ganze Höflichkeit. Artus richtet ein gewaltiges Fest aus, an dem Courtoisie ständig präsent war. Gramoflanz und Gawan versöhnen sich, Orgeluse küsst ihren ehemaligen Feind und Artus nimmt Gramoflanz schließlich auch Feirefiz mit allen Ehren an der Tafelrunde auf.
Gralshof
Am Gralshof wird Parival wesentlich höfischer empfangen. Er wird freudig empfangen, auch wenn diese Freude nur aus dem Grund entstand, da Parzival als Erlöser von Munsalvaesche vom
Gral prophezeit wurde. Zu Ehren Parzivals wird ein großes Fest organisiert, bei dem er mit viel Courtoisie versorgt wird. Er wird von Bediensteten eingekleidet. Am Tisch wird ihm das Essen serviert und geschitten, sodass er sich ausschließlich auf das Essen zu konzentrieren braucht. Außerdem bekommt er von den Anwesenden zwei Geschenke, einmal den Mantel der Repanse de Schoye und das Schwert von Anfortas. Geschenke gelten als Zeichen der Höflichkeit.
Der Gralshof ist Fremden gegenüber nicht sonderlich offen, sondern versucht diese zu vertreiben oder falls nötig auch zu töten.[Brunner 2008: S. 47] Höfliches Verhalten gegenüber Besuchern legen sie also nur an den Tag, wenn der Gral die Ankömmlinge prophezeit.
Courtoisie unter Ritter
Auch unter Ritter ist Courtoisie sehr verbereitet. Viele Merkmale der ritterlichen Höflichkeit ähneln denen des Hofes. Besonders wichtig bei den Rittern ist auch der Minnedienst, bei dem sie einer Frau höflich zur Seite stehen oder um sie werben. Parzival beherrscht nach seiner Ernennung zum Ritter keinerlei Kenntnisse über höfisches Verhalten und Minnedienst und muss dies erst von verschiedenen Lehrmeistern lernen.
Courtoisie laut Gurnemanz
Als Gurnemanz das erste Mal die unritterliche Verhaltensweise Parzivals sieht, ist er schockiert:
ich pin wol innen worden | Ich habe wohl gesehen, |
daz ir râtes dürftic sît: | daß Ihr Belehrung nötig habt. |
nu lât der unfuoge ir strît. | Von nun an laßt schlechtes Benehmen seiner Wege gehen. |
(Parzival 171,14-16)[2]
Da Parzivals Mutter Herzeloyde ihrem Sohn geraten hat, Gurnemanz aufzusuchen um bei ihm zu lernen, willigt der alte Ritter ein und nimmt den unerfahrenen Parzival auf und versucht ihm neben dem fairen Ritterkampf auch einige ritterliche Werte zu vermitteln. Von Gurnemanz lernt Parzival erstmals, wie man sich am Hof verhält. Er legt ihm auch wichtige christliche Werte nahe wie Barmherzigkeit, Wohltätigkeit, Güte und Demut. Er rät ihm auch zu überlegter Freigibigkeit. Ebenso erklärt er Parzival, wie man sich im Gespräch und gegenüber Damen verhält.[Bumke 2004: S. 60]] Eine der für den späteren Verlauf des Romans wichtige Aussage ist das Frageverbot:
irn sult niht vil gevrâgen: | Ihr sollt nicht viel fragen. |
ouch sol iuch niht betrâgen | ihr sollt aber nicht zögern, |
bedâhter gegenrede, diu gê | vernünftig Antwort zu geben, und zwar so, |
reht als jenes vrâgen stê, | daß sie an der Frage nicht vorbeigeht, die der andere stellt: |
der iuch wil mit worten spehen. | Der will Euch ja kennenlernen im Gespräch. |
(Parzival, 171,17-21)
In diesem Abschnitt erklärt Gurnemanz, dass ein guter Ritter keine Fragen stellt. Ein Ritter soll nur kurze, klare Antworten geben. Der unselbstständige Parzival übernimmt diese Aussage vollkommen, was ihm schließlich auf der Gralsburg zum Verhängnis wird, da er die entscheidende Frage, die Anfortas von seinem Leid erlösen könnte, nicht stellt.
Courtoisie laut Trevrizent
Auch bei Trevrizent lernt Parzival nicht nur vieles aus der Religion, sondern auch einiges, dass ihm für seine Courtoisie hilfreich sein kann. Trevrizent kritisiert Parzivals Hochmut: "hôchvart ie seic unde viel" (Parzival 472,17). Er rät seinem Neffen zur Demut: "diemüete ie hôchvart überstreit" (Parzival 473,4). Demut wurde Parzival schon von Gurnemanz ans Herz gelegt. Allerdings hat er dies ignoriert. Im Laufe seiner Abenteuer wurde Parzival durch seine Erfolge hochmütig, doch sein Versagen auf der Gralsburg hat ihn abstürzen lassen. Die Schuld sucht er aber nicht bei sich selbst, sondern bei Gott. Trevrizent überzeugt Parzival zu einem Leben in Demut, da Hochmut nicht nur von Gott, sondern auch von anderen Personen als schlecht angesehen wird.[3]
Außerdem tadelt er Parzival für die versäumte Frage und widerlegt Gurnemanz Frageverbot:
unprîs der dâ bejagte, | Ehre hat er dort nicht erbeutet, |
sît er den rehten kumber sach, | da er das Elend ansah |
daz er niht zo dem wirte sprach | und nicht zum Herrn des Hauses sprach: |
"hêrre, wie stêt iwer nôt?" | "Mein Herr, was ist's mit Eurer Not?" |
sît im sîn tumpheit daz gebôt | Seine Stumpfheit hat ihm das befohlen, |
daz er aldâ niht vrâgte, | daß er dort nicht fragte. |
grôzer sælde in dô betrâgte. | Ein großes Glück hat er da vorübergehen lassen. |
(Parzival 484,24-30)
Trevrizent sagt, dass Parzival kein Erbarmen gegenüber Anfortas gezeigt hat und ihm sein blinder Gehorsam gegenüber Gurnamanz' Frageverbot eine wichtige Chance gekostet hat. Indirekt sagt der Einsiedler damit auch, dass es edel und höflich ist, wenn man Hilfsbedürftige nach ihrer Not fragt und ihnen gegebenfalls zur Seite steht.
Courtoisie der Frauen
Die Courtoisie der Frauen hat ihre eigenen Kennzeichen. Die am häufigsten auftretende Form ist das Küssen. Die meisten Frauen, unabhängig von ihrem Stand, küssen Adelige und Ritter zur Begrüßung oder als Zeichen des Dankes. Auch Küsse zur Versöhnung sind findet man im Parzival. Allerdings sind nicht alle Küsse immer freiwillig, was dann auf eine besondere Höflichkeit schließen lässt. Orgeluse küsst ihren langjährigen Feind Gramoflanz auch nur, weil Gawan sie dazu überredet hat. Sie küsst ihn zum Zeichen der Versöhnung um den Frieden wiederherzustellen: "ir süezer Mund rôt gevar, den künec durch suone kuste" (Parzival, 729,18-19). Über das Küssen als Form der Courtoisie lässt sich natürlich streiten. Ein schöner Mann wird nämlich lieber geküsst als ein hässlicher. Im letzteren Fall kostet es einigen Frauen an Überwindung oder sie benötigen Überzeugungsarbeit eines Dritten, um ihre Höflichkeit zu wahren. Eine weitere Form der Höflichkeit ist das Versorgen der Gäste am Tisch. Dabei handelt es sich nicht immer um Dienstmädchen, sondern auch um adelige Frauen, die anderen Anwesenden ihr Essen aufschneiden, damit diese es nur mehr zu verspeisen brauchen. Dies ist besonders bei adeligen Frauen ein sehr hoher Dienst, sich herabzulassen und so eine Arbeit zu verrichten. Es zeugt von großer Courtoisie, wenn eine Herrscherin dies macht um den Mann zu ehren, der ihr zur Seite gestanden hat.
Fazit
Courtoisie spielt im Parzival eine große Rolle, auch wenn sie eher wie eine Randerscheinung wirkt. Mit ihrer Hilfe beschreibt Wolfram viele Umstände und Verhaltensweisen der Figuren in unterschiedlichen Situationen. Er zeigt damit wie höflich die auftretenden Figuren sind. Mit der Courtoisie ist ein anständiges Miteinander erst möglich. An Parzival selbst erkennt man gut die Erlernung der Courtoisie. Zu Beginn ist er vollkommen unerfahren und lernt erst nach und nach wie man sich als Ritter verhält. Dennoch erreicht er nie das höfische Ideal, das Gawan vorlegt. Im Vergleich zu Parzival ist dieser wesentlich geübter im Umgang mit Worten und Taten und wird somit zu einer der Idealfiguren der Courtoisie im Parzival.
Fußnoten
- ↑ zitiert nach Stierle 1994, S. 262.
- ↑ Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
- ↑ vgl. den Hochmut von Gramoflanz: Gramoflanz bevorzugt nur gegen mehrere Gegner gleichzeitig zu kämpfen. Diese überhebliche Art macht ihn bei den anderen Figuren sehr unbeliebt, bis er von Parzival lernen muss, dass es stärkere Ritter gibt als ihn.
Literaturnachweise
<HarvardReferences/>
[*Brunner 2008] Brunner, Horst: Artûs der wîse höfsche man, Zur immanenten Historizität der Ritterwelt im 'Parzival' Wolframs von Eschenbach (erstmals 1983), in: Brunner, Horst: Annäherungen, Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Berlin 2008, S. 38-49 (Philologische Studien und Quellen 210).
[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36).
[*Stierle 1994] Stierle, Karlheinz: Cortoisie, Die literarische ERfindung eines höfischen Ideals, in: Poetica, Zeitschrift für Spach- und Literaturwissenschaft 26 (1994), S. 256-283.