Minnelist (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Die Minnelisten im Tristan dienen im Gegensatz zu den zahlreichen weiteren Listen[1] ausschließlich der Enthüllung respektive der Geheimhaltung der verbotenen Liebesbeziehung zwischen Tristan und Isolde. In diesem Zuge versucht die offensive Partei um Marke auf heimtückische Art das Liebespaar des Betruges zu überführen, worauf die defensive Partei um Tristan und Isolde jeweils mit geschickter Erwiderung reagiert. Auf diese Weise ergibt sich ein dynamischer Impetus von Aktion und Reaktion, der letztendlich in der Entdeckung der Affäre eskaliert.

Definition

Allgemeine Bedeutung

Allgemein bezeichnet List einen "geschickt ausgeklügelte[n] Plan, mit dem durch Täuschung eines anderen ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll"[Brockhaus: S. 498]. Demnach lässt sich der Begriff auch mit "Irreführung"[Brockhaus: S. 498] oder "Täuschung"[Brockhaus: S. 498] übersetzen, wobei diese Bedeutungen in ihrer harmlosen Konnotation die absichtlich böswilligen Impulse, auf denen die Listen im Tristan zumeist basieren, wohl nicht angemessen berücksichtigen. Aufgrund dessen sollte diesbezüglich differenziert von zwei Arten der List gesprochen werden, nämlich zum einen von der zwar listigen, aber nicht von Grund auf böse motivierten Täuschung einer Person, und zum anderen von hinterhältiger Arglist, welche aus niederen Beweggründen und zum intendierten Schaden Anderer ausgeführt wird und somit als moralisch verwerflich zu bewerten ist. Außerdem sei an dieser Stelle auf die Notwendigkeit der Abgrenzung von List und erst darauffolgender, lediglich reaktiver Gegenlist hingewiesen dessen regelmäßiger Wechsel für die Minnelist im Tristan charakteristisch ist.

Bedeutungswandel

Die heutige, neuhochdeutsche Bedeutung der "List" darf zudem nicht mit der mittelhochdeutschen gleichgesetzt werden, da der Begriff im Laufe der Zeit einen Bedeutungswandel durchlaufen und mittlerweile eine eher pejorative Denotation hat. Früher bezeichnete "liste" ganz allgemein gewisse menschliche Fähigkeiten, wie beispielsweise angeborene Weisheit und Klugheit, aber auch erworbene Fertigkeiten wie Geschicklichkeit, Kunstverstand und die wissenschaftliche Kenntnis über die septem artes liberales sowie das kluge, vorausschauende Handeln[Weddige: S. 115], welches je nach Kontext entweder aus niederen oder moralisch integeren Beweggründen motiviert ist. Die zunächst relativ wertfreie Bedeutung des Begriffs hat sich also gewissermaßen verschoben, sodass dieser heutzutage ausschließlich als hinterhältige Täuschung, trügerische Irreführung und trickreiche Manipulation aus bösartigem Impuls verstanden wird. Demnach werden nicht nur die dem heutigen Verständnis entsprechenden Minnelisten als ebensolche bezeichnet, sondern genauso bestimmte vorbildliche Eigenschaften, wie die liste des Musizierens, des Jagens oder der Heilkunde. Interessanterweise vollzieht sich also auch im Tristan gewissermaßen eine Entwicklung. Wird der Begriff zu Beginn noch in seiner urspünglichen, neutralen Denotation verwendet, so liegt der Fokus mit der Notwendigkeit der Geheimhaltung der Liebesbeziehung verstärkt auf dem negativ konnotierten Bedeutungsaspekt.

Übersicht der Listen

Marjodos List (V. 13537 - 13672)

Marjodo ist ein vornehmer Landbaron und der Truchseß Tristans, mit dem er ein inniges freundschaftliches Verhältnis hegt und sogar in einem gemeinsamen Zimmer nächtigt. Darüber hinaus verehrt er heimlich Isolde, wobei diese Zuneigung nicht weiter konkretisiert wird. Eines Nachts wird der vermeintlich schlafende Marjodo Zeuge, wie sich Tristan zu einem heimlichen Treffen mit seiner Geliebten davonschleicht. Gekränkt durch dieses zwischen ihnen stehende Geheimnis, will er Marke von dem Verhältnis berichten und es so publik machen.
Diese List ist durch schmerzvolle Enttäuschung und Eifersucht angetrieben. Einerseits empfindet Marjodo Gram aufgrund seiner unerwiderten freundschaftlichen Treue zu Tristan, andererseits Neid aufgrund der Tatsache, dass Tristan an seiner Stelle Isolde für sich gewinnen kann. Das Ziel der Intrige ist, König Markes Aufmerksamkeit auf die bislang geheime Affäre zwischen Tristan und Isolde zu lenken. In erster Linie nutzt Marjodo Marke als eine Art Mittel zum Zweck, da sich die List hinsichtlich des intendierten Schadens vorwiegend gegen Tristan und Isolde richtet.

in reizete haz unde leit
ûf die grôzen unhöfscheit,
daz er ir ding lûtbaerete
und ez al dâ vermaerete.
(V. 13609-13612)[2]


Tristan nimmt das veränderte Verhalten seines Freundes jedoch derart feinfühlig wahr, dass er sich gegen die drohende Entdeckung seines Geheimnisses zu wappnen weiß. Er bittet in diesem Zuge Isolde, von da an mit besonderer Vorsicht und Bedacht vorzugehen, um zu gewährleisten, dass ihre Liebe zueinander von Marke weitestgehend unentdeckt bleibt.

Markes List (V. 13673 - 13722)

Die darauffolgende List Markes an Isolde zielt auf der Enthüllung der Liebesbeziehung zwischen seiner Ehefrau und seinem Neffen Tristan ab. Von Marjodo angestiftet, versucht Marke Isolde eine Falle zu stellen, in der Hoffnung, auf diese Weise ein Indiz für ihren Ehebruch zu erhalten. Marke prätendiert, demnächst eine Wallfahrt zu unternehmen und fragt Isolde unter diesem Vorwand, in wessen Obhut sie ihrer Meinung nach während seiner Abwesenheit am besten aufgehoben sei. Isoldes vorschnelle Antwort, der tapfere und kluge Tristan sei für dieses Vorhaben am vortrefflichsten geeignet, weckt Markes Argwohn.

Isoldes Gegenlist (V. 13853 - 14021)

Nach Rücksprache mit Brangäne erkennt Isolde die Naivität ihrer unüberlegten Reaktion und bespricht mit ihr eine geeignete, alternative Antwort für den Fall, dass Marke noch einmal auf das Thema zu sprechen kommen sollte. Als König und Königin des Nachts erneut zusammenliegen und Marke sein Bedauern über seine baldige Abreise kundtut, beginnt Isolde zu weinen und klagt, sie habe seine Ankündigung beim letzten Mal nur als Spaß verstanden und erkenne nun erst den Ernst der Lage. Sie wirft ihrem Mann vor, er ließe sie alleine zurück und sie sei ihm völlig gleichgültig (V. 13925). Darüberhinaus gibt sie zu verstehen, sie hege für den heuchlerischen, falschen Tristan keinerlei Sympathie und behandele ihn lediglich deshalb so freundlich, weil er Markes Neffe sei. So betont Isolde, sie würde lieber sterben, als während der Abwesenheit Markes in Tristans Obhut zu verweilen. Ihr Anliegen trägt sie mit derart schauspielerischer Authentizität vor, dass der leichtgläubige Marke seinen Verdacht wieder fallen lässt und sich ihrer Unschuld sicher ist.

Melots List (V. 14235 - 14612)

Melot, ein heimtückischer Zwerg an Markes Hof, reitet zu diesem in den Wald und erzählt ihm von den heimlichen Treffen zwischen Isolde und Tristan an der Quelle des Baumgartens. Gemeinsam begeben sie sich in diesen Garten, verstecken sich in einem Ölbaum und beobachten von dort aus das Treffen zwischen Tristan und Isolde, welches zuvor von Melot initiiert wurde. Tristan und Isolde erkennen die Falle und inszenieren ein Gespräch, welches Isoldes angebliche Abneigung gegenüber Tristan thematisiert. Dieser bittet Isolde am Ende des Gesprächs, Marke zu berichten, dass er in einer Woche das Land verlassen werde. Marke glaubt sich aufgrund Tristans vermeintlich offensichtlicher Indifferenz eines Ehebetrugs gefeit und legt den Streit nach seiner offiziellen Rückkehr an den Hof bei. Im weiteren Verlauf kommt es zwar nicht zu einem expliziten Zwischenfall, doch können Tristan und Isolde ihre Liebe trotz allen Bemühens nicht vor ihrem Umfeld verbergen und beschwören Markes Groll erneut herauf. Endgültig mit seiner Geduld am Ende beschließt er die Verbannung der beiden aus seinem Reich, in deren Folge Tristan und Isolde Unterschlupf in der Minnegrotte finden.

Die letzte List (V. 18115-18138)

Einordnung in die Gesamthandlung

Nachdem Marke während eines Jagdausfluges zufällig in jener geheimnisvollen Grotte Tristan und Isolde einander abgewandt schlafend und mit einem Schwert zwischen sich liegend entdeckt, zweifelt er erneut an ihrer gegenseitigen Liebe(V. 17455-17535). Die Schönheit Isoldes und seine Liebe zu ihr bringen Marke schließlich dazu, Frau und Neffen zu verzeihen (V. 17536-17626). Er berät sich mit seinem Kronrat und beschließt, beide zurück an den Hof zu kommen zu lassen (V. 17659-17723). Nach einer in der Person Markes beispielhaft dargestellten Ausführung über die „Blindheit der Liebe“ (V. 17723-17816) folgt der bekannte Huote-Exkurs (V. 17817-18114). Tristan und Isolde leben fortan wieder an Markes Hof. Ihr Empfinden füreinander ist jedoch weiterhin ungetrübt und der Wunsch nach Zweisamkeit größer denn je. Der zunehmenden Bewachung der beiden durch die Huote-Instanzen zum Trotz, lässt sich Isolde in ihrem verzweifelten Begehren nach Tristan schließlich zu einer letzten List hinreißen .

Ablauf

si suohte zuo z’ir state schate,
schate, der ir zuo z‘ir state
schirm unde helfe baere,
dâ küele und eine waere.[3]
(V. 18141-18144)

Isolde lässt ein Bett an die schattige Stelle bringen und schickt mit Ausnahme von Brangäne alle Hofdamen fort (V. 18145-18158). Dann sendet sie eine verlockende Botschaft an Tristan, der daz obez [nam], daz ime sîn Êve bôt, und mit ir den tôt [az]. (V. 18163 f.) Als Tristan zu Isolde gelangt, geht Brangäne zu den anderen Damen und befiehlt den Kämmerern, niemanden in den Garten zu lassen (V. 18165-18177). Genau in dem Moment jedoch, als sich einer der Kämmerer vor die Tür begibt, stürzt Marke vil harte unmüezeclîche herein (V. 18183). Auf seine Frage, wo Isolde sei, behaupten zwar alle Damen einhellig, dass sie schlafe. Die "verdâhte" (V. 18186) Brangäne jedoch erschrac unde gesweic (V. 18187) und gibt somit Anlass zum berechtigten Zweifel an den Unschuldbekundungen der übrigen Anwesenden. Daraufhin eilt Marke in den Garten, sieht Tristan und Isolde getwungen unde geslozzen (V. 18207) beieinander liegen und hat nun den endgültigen Beweis (V. 18195-18230). Er verlässt den Garten und fordert seinen Kronrat und seine Vasallen auf, sich den Beweis selbst anzusehen (V. 18231-18244).
Während Marke von dannen eilt, bemerkt Tristan ihre die Entdeckung. Er weckt Isolde auf, beschließt, Markes Hof so schnell wie möglich und endgültig zu verlassen und verabschiedet sich von seiner Geliebten (V. 182445-182258). Als die Hofräte den Schauplatz erreichen, finden sie nur mehr Isolde vor. Sie rügen daraufhin Markes vermeintlich ungerechtfertigt eifersüchtiges Verhalten und bringen ihn von seinen Racheplänen ab (V. 18395-18404). Dies verschafft Tristan genügend Zeit, um Cornwall mitsamt seinem Gefolge zu verlassen.

Bilanz

Obschon der Erzähler selbst Isoldes Handlung als liste (V. 18137) bezeichnet unterscheidet sie sich wesentlich von den vorangegangenden. Eine List zeichnet sich normalerweise durch zugrunde liegende Findigkeit und eine raffinierte Strategie aus, diese letzte jedoch scheint vielmehr von Sehnsucht und überstürzter Lust getrieben. Vor allem in Anbetracht des ständigen Misstrauens seitens Markes und seines Gefolges, zeugt es von unvernünftiger Leichtfertigkeit, das Bett zwar im Schatten, aber dennoch so gut wie ungeschützt im Garten zu platzieren und sich einzig darauf zu verlassen, dass die Kämmerer niemandem den Zutritt gewähren. Zwar vergewissert sich Isolde noch der Mithilfe ihrer Vertrauten Brangäne, deren Gedankenversunkenheit und versehentliches Aufschrecken bei der Ankunft Markes trägt allerdings in entscheidendem Maße zu der Entdeckung in flagranti des Liebespaares bei.
Bemerkenswert ist dabei, dass Tristan und Isolde deart unter der unstillbaren Begierde nacheinander leiden, dass Isolde in ihrer Verzweiflung über die Aussichtslosigkeit ihrer Situation schlichtweg ihr früheres rationales Gespür verliert und sich in ihrem Verlangem ungeachtet aller Risiken zu dieser waghalsigen List hinreißen lässt. So scheitert diese zwangsläufig. Da Tristan aber schnell und wohlüberlegt reagiert und kurz darauf verschwindet, bevor sie gemeinsam vom Hofstaat entdeckt werden, kann Schlimmeres verhindert werden. Zwar ist Marke nun endgültig von dem Verrat überzeugt und eine Trennung der Liebenden ist unabwendbar, doch rächt sich Marke nicht und Isoldes Status am Hof bleibt unangetastet.

Unterschiede der Intrigen

Entscheidend für die Beurteilung der Intrigen als legitim respektive niederträchtig und verwerflich ist die ihr zugrunde liegende Motivation. Diese Differenzierung ist insofern bedeutsam, als dass sie eine klare Kontrastierung der jeweiligen Parteien bezüglich ihres Geschlechts erlaubt.

Motivation

Zunächst ist zwischen den Listen Markes und seiner Berater einerseits und den Listen Isoldes und Brangänes andererseits zu distinguieren, da beide Parteien auf gänzlich unterschiedliche Art agieren. Durch Neid, Boshaftigkeit und andere unehrenhafte Verhaltensweisen Marjodos und Melots wird in Marke immer wieder Misstrauen geschürt, sodass er zunehmend an der Treue seiner Frau Isolde zweifelt. An dieser Stelle ist eine Unterscheidung zwischen den Beratern Marjodo und Melot notwendig.
Marjodo ist Tristans Freund, der dessen Abwesenheit des Nachts gewahr wird und ihm aus dem gemeinsamen Schlafraum nachschleicht. Er sieht ihn mit Isolde vereint und fühlt sich so von Tristan betrogen. Inwiefern Tristan Marjodo betrügt, wird in den Versen 13590-13636 deutlich. Einerseits fühlt sich Marjodo in seinem freundschaftlichen Empfinden verletzt, weil Tristan ihm nichts von seinem Verhältnis zu Isolde erzählt und somit ein Geheimnis zwischen den Freunden steht. Andererseits empfindet er Hass und Schmerz, wo er vorher Liebe und Zuneigung empfand[Hollandt: S. 111]. Liebe und Zuneigung sind also Hass und Schmerz gewichen, was auffälligerweise durch die komplementäre Gegenüberstellung der Begriffe hervorgehoben wird. In Tristans Verhältnis zu Isolde sind Schmerz und Zuneigung hingegen gleichzeitig vorhanden, wenn sie sich im sehnsüchtigen Liebeskummer nacheinander verzehren. Diese Darstellungsweise lässt den eindeutigen Schluss zu, dass Marjodo eifersüchtig auf Isolde ist, sie "stiehlt" ihm gewissermaßen seinen besten Freund. Marjodo fühlt sich allerdings zu stark in seiner Ehre gekränkt, als diese Zurückweisung akzeptieren zu können. In seinem emotionalen Argwohn erzählt er Marke skrupellos von Gerüchten über eine Affäre zwischen den Protagonisten und weckt damit dessen legitime Zweifel. Obwohl er zwar keine konkreten Hinweise auf seine Entdeckung liefert, hilft er Marke dennoch, Fangfragen zu formulieren, um Isolde eines Ehebetrugs zu überführen. Als seine Listen allerdings erfolglos bleiben, vertraut er Melot diese Aufgabe an.
Melot, ein intriganter Zwerg, stimmt unter der Voraussetzng zu, als Lohn ewige Ehrung durch Marke zu erfahren (V. 14235-14260). Während Marjodo wegen Enttäuschung über die Illoyalität seines Freundes handelt, beabsichtigt Melot also aus purem Eigennutz, Ruhm- und Gefallsucht, dem Liebespaar zu schaden. Bereits im Artusroman führen derart unehrenhafte Motivationen zur Verfehlung des intendierten Ziel und dem umso tieferen gesellschaftlichen Abstieg, Ehre vermehrt sich hingegen nur durch die Hilfe gegenüber einem Schwächeren. Melot ist ergo das personifizierte Negativ-Beispiel vorbildlich höfischen Verhaltens. Auffälligerweise ist es also nie Marke selbst, der eine Intrige spinnt, sondern ausschließlich seine Berater, die Zwietracht zu streuen beabsichtigen, um einen eigenen Nutzen daraus zu ziehen. Ihr gewissenloses Handeln ist also hauptsächlich dem Eigennutz geschuldet, sei dieser nun eifersüchtige Rache oder rücksichtsloses Aufstiegsstreben, und nicht zugunsten Markes.
Isolde wiederum wird von ihrer Vertrauten Brangäne beraten, wobei diese nie einen eigenen Nutzen aus der Angelegenheit zu ziehen beabsichtigt. Im Gegensatz zu Markes Mentoren ist ihr Bewegundgrund rein altruistischer Natur, da das Wohlergehen Isoldes für sie höchste Priorität besitzt. Dabei geht Ihre Unterstützung sogar noch über gewöhnliche Freundschaftsdienste hinaus, so lässt sich beispielsweise von Marke entjungfern und verbaut sich hinsichtlich Heiratschancen vermutlich ihre eigene Zukunft. Diese selbstlose Aufopferungsbereitschaft zeugt von absoluter moralischer Integrität und identifiziert Brangäne als den Inbegriff einer höfisch ehrenhaften Loyalitätsfigur. Isolde selbst ist ein intelligenter Spielball, der „nur“ auf die Angriffe Markes reagiert und diesen mehr und weniger geschickt ausweicht. Ferner gelingt es ihr, Marke mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, ihm gewissermaßen die Worte im Mund umzudrehen und ihm auf diese Weise ein subtiles Schuldbewusstsein bezüglich seines Misstrauens gegenüber der Treue seiner Ehefrau zu suggerieren. Trotz dieser augenscheinlichen Passivität bleibt Isolde durchaus flexibel, sodass sie sich auf jeden neuen und für sie im Vorhinein unbekannten Hinterhalt taktisch klug einzustellen vermag. Ihre Intriganz zeichnet sich also vorwiegend durch defensives Verhalten aus, welches darauf abzielt, jeglichen Untreueverdacht im Keim zu ersticken beziehungsweise überdies womöglich zu ihren Gunsten abzuwenden.

Geschlechtsspezifische Vorgehensweise

Männliche List

Marjodos Taktik des verbalen Kreuzverhörs zeugt von gewisser Intelligenz, da dieser Strategie in ihrer Struktur vergleichsweise flexibel bleibt. Das Gespräch kann je nach Verlauf und Absicht in eine bestimmte Richtung gedrängt und folglich entsprechend kalkuliert werden. Notwendige Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit, mittels ausgeklügelter Rhetorik auswegslose Fangfragen zu formulieren, den Gesprächspartner auf diese Weise in die Enge zu treiben und ein Geständnis zu erzwingen. Marke jedoch ist derart von seinen Gefühlen zu Isolde geleitet, dass er anstelle von Scharfsinn und Raffinesse eher Gutgläubigkeit und Nachgiebigkeit walten lässt. Sein Charakter entspricht also hinsichtlich dessen nicht unbedingt dem eines unbarmherzigen Despoten, vielmehr ist er geprägt von Gutmütigkeit, Empfindsamkeit sowie "weich[r] und überfeinerte[r] Liebenswürdigkeit" [Gruenter: S. 141] und damit einhergehend auch einer gewissen Unsicherheit und Naivität. Er lässt sich von der verbal Überlegeneren beeindrucken und undbedacht in ihren Bann ziehen, sodass er sein angestrebtes Ziel nicht erreicht und das intrigante Verfahren fruchtlos bleibt.
Melot dagegen agiert mit beinahe plumper Grobheit. So lässt er Taten anstatt Worten sprechen, um mittels konstrueierter Fallen das Liebespaar wie in der Baumgartenszene entweder in flagranti zu erwischen, ihre Spuren mit Mehl sichtbar zu machen oder ihre gegenseitige Sehnsucht dermaßen auszureizen, dass sie in ihrem Verlangen nacheinander einen leichtsinnigen, aber umso schwerwiegenderen Fehler begehen, an dem ihr Betrug ersichtlich wird. Zwar hat Melot mit seiner Methode durchaus Erfolg, wird die Falle allerdings von Tristan oder Isolde bemerkt, ist es ein Leichtes sich der sprichwörtlich starren, weil in ihrer Ausrichtung nicht mehr der jeweiligen Situation adaptierbaren Fangvorrichtung kraft geschickter Ausreden zu entwinden.

Weibliche List

Dank versierter Eloquenz, geschickt eingesetzter und moralisch vertretbarer, da lediglich aus der Defensive herrührender Intriganz, schneller Auffassungsgabe und Weitsichtigkeit, in Kombination mit glücklichen Zufällen[4] und nicht zuletzt dem teilweise ungeschickten und leicht durchschaubaren Spiel der Gegenpartei, gelingt es Isolde und somit auch dem verbündeten Tristan, den Kopf zunächst immer wieder aus der Schlinge zu ziehen. Ebenfalls erwähnenswert ist, dass Isolde nie in die frevelhafte Situation kommt, lügen zu müssen. In der Gottesurteilszene kann sie bedenkenlos bei ihrer Seele und Gott schwören, dass sie nie ein anderer Mann in Armen hielt als Marke und der Pilger, der sie von einem Schiff an Land trug. Sie erschafft einen doppelten Boden der Wahrheit, indem sie die Umstände so manipuliert, dass der als Pilger verkleidete und dadurch seine wahre Identität verheimlichende Tristan zu einem Treffpunkt kommt und offensichtlich wird, wie er Isolde in Armen hält und an Land trägt. Auf diese Weise bleibt sie der Wahrheit im Grunde genommen treu und wahrt ihren höfischen Charakter.
In Anbetracht des erfolgreichen Verlaufs der Gegenlisten der Frauen, wird ersichtlich, dass Gottfried listiges Verhalten prinzipiell als Attribut des Weiblichen auffasst und als ebensolches auch explizit darstellt:

wan an den vrouwen allen
enist nimêre gallen,
alsô man ûz ir munde giht,
noch enhabent dekeiner trüge niht
noch aller valsche keinen,
wan daz si kunnen weinen
âne meine und âne muot,
als ofte sô si dunket guot.
(V. 13895-13902)

Da listige Durchtriebenheit und das Bewusstsein über diese Eigenschaft allem Anschein nach ein weiblicher Charakterzug oder besser dem weiblichen Vermögen vorbehalten ist, bleibt die männliche Seite von vornherein chancenlos, das intrigante Spiel für sich zu entscheiden. Ihr prädeterminiertes Scheitern wäre schon allein mit der Tatsache begründbar, dass sie eben nicht dem weiblichen Geschlecht angehören. Als positives Argument für diese Annahme muss gewertet werden, dass Tristan an keiner einzigen Intrige wirklich aktiv beteiligt ist. Wäre er in der Rolle eines Mannes involviert, bedeutete dies eher eine Gefährdung des Erfolgs. So gerät er lediglich als passiver Beteiligter sozusagen zwischen die Fronten.

Zäsur in der Entwicklung Tristans

Bereits im vorigen Abschnitt klingt die Passivität Tristans im gesamten Verlauf der Minnelisten an. War er es bislang, der getrieben von ambitionierter Zielstrebigkeit und Ehrgeiz ein bestimmtes Ziel erreichen und somit entweder Eindruck schinden oder seine Position behaupten wollte, so ist es bezüglich der Minnelisten vielmehr der weibliche Anteil seiner Partei, also Isolde und Brangäne, die das Zepter in der Hand halten. Seine Aktivität ist der bloßen Teilnahme[5], sein Fortschrittsstreben aus Eigeninitiative der reinen Reaktion durch fremden Antrieb, seine Arglosigkeit grundsätzlichem Argwohn gewichen. Seit dem Beginn der Liebe zu Isolde durch den verhängnisvollen Minnetrank gilt seine Aufmerksamkeit ausschließlich deren Geheimhaltung[Hollandt: S.111-112]. Immer wieder offenbart sich seine zunehmende Rat-, beinahe Hilflosigket[6], da er auf das gesamte Geschehen nur insofern Einfluss ausübt, als dass er auf die Vorlagen der gegnerischen Partei reagiert, wobei ihm auch hier seine jeweilige Rolle zugewiesen wird.[7] Im "Überlistungsspiel"[Hollandt: S. 112] beläuft sich sein gesamter Beitrag auf das "Auffangen eines Balles, den Isolde ihm zuspielt"[Hollandt: S. 112] (V. 14793ff.), seine einzige wirkliche Leistung besteht in misstrauischer Skepsis gegenüber der 'feindlichen' Instanzen.
Für diese auffällige Veränderung von aktivem zu passiven Verhalten lassen sich zweierlei Gründe herauskristallisieren[Hollandt: S. 113]. Zum einen hat Tristan in zahlreichen Kämpfen und trickreichen Einfällen seine außerordentlichen geistigen und körperlichen Fähigkeiten hinlänglich demonstriert, sodass nun mit Isolde die zweite Hauptperson zum Zuge kommt, sich ihrerseits durch Klugheit und geschickten Fertigkeiten als ebenbürtig zu beweisen. Desweiteren dient die Minnetrankszene insofern als Zäsur hinsichtlich des thematischen Fokus, als dass der Abenteurroman in einen psychologisch und emotional motivierten Minneroman umschlägt, der erfolgsverwöhnte, bislang in jeder Hinsicht als Sieger hervorgehende Tristan wird zum "von der Minne Besiegte[n]"[Hollandt: S. 113]. Lediglich während der Abwesenheit Isoldes kann Tristan kurzfristig zu früherem Heldenmut im Dienst der Minne zurückfinden[8], nach der endgültigen Trennung der beiden verkommt allerdings jegliche Ambition zu einem reinen Trachten nach Ablenkung und Verdrängung[9]. Während Tristan bislang immer vom Schicksal begünstigt und sein Handeln mit Erfolg gekrönt war, so ist das Minneschicksal von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Minnelisten, obwohl dem vorläufigen Abwenden der gegnerischen Angriffe fähig, stellen im Grunde nur ein letztes Aufbäumen gegen das tragische Fatum dar.

Narrative Struktur

Etappen

Auffällig ist, dass die Listen, sowohl Markes, als auch die Gegenlisten Isoldes und Tristans, zyklisch aufgebaut sind und sich in ein Spannungsgefüge einordnen lassen. Meiner Meinung nach lässt sich der Verlauf von List und Gegenlist in drei Etappen einteilen, die jeweils einen separat motivierten Spannungsbogen besitzen und in der totalen Täuschung Markes enden.

Etappe 1:

List 1: Marke fragt Isolde, aufgrund Marjodos Drängen hin und dem Hinweis sie habe mit Tristan eine Affäre, ob er sie in Tristans Obhut lassen könne, wenn er unterwegs sei. Isolde reagiert erfreut und bestätigt so Markes Verdacht. Durch Brangäne wird Isoldes Fehler offenbar und ein Reaktion auf mögliche folgende Listen Markes geplant (Gegenlist 1).


List 2: Marke klagt Isolde seinen Kummer über seine bevorstehende Abreise und die daraus resultierende Trennung von ihr.

Gegenlist 2: Isolde macht dreierlei Dinge. Erstens tut sie entsetzt darüber, dass die Ankündigung der Reise sein Ernst sei gewesen sei. Zweitens klagt sie ihn als schlechten Ehemann an, nimmt ihn also bei seiner Ehre, weil er sie allein lassen will und somit schutzlos. Drittens heuchelt sie Abneigung gegen Tristan, der ihr noch nie sympathisch gewesen sei und sie sich nur deshalb bemüht sich mit Tristan zu verstehen, weil dieser Marke so wichtig ist. Sie entschärft damit die Situation.


List 3: Marke kündigt Isolde an, dass er Tristan nach Parmenien schicken will, damit Isolde nicht mehr bedrängt wird von Tristan, worüber sie sich ja in Gegenlist 2 ausgelassen hat. Isolde argumentiert, dass Tristan bleiben müsse, da er sonst an Ehre verliert. Markes Argwohn wächst dadurch.

Gegenlist 3: Isolde hat ihren Fehler erkannt und sagt Marke, dass Tristan doch gehen müsse, da dieser sonst ihre Ehre befleckt.


Marke gibt seinen Argwohn auf.


Etappe 2:

List 1: Marjodo nimmt den listigen Zwerg Melot mit ins Boot, noch weiß Marke nichts. Eine Jagd wird geplant, von der sich Tristan befreien lässt, ihm ginge es nicht gut. Melot spioniert indessen und sieht Tristan und Isolde zu zweit im Garten, wovon er Marke berichtet, dessen Argwohn neu entfacht ist.

Gegenlist 1: Tristan hat Melot durchschaut und warnt seine Geliebte. Die Treffen im Baumgarten werden heimlich arrangiert.


List 2: Marke und seine Höflinge wollen Tristan und Isolde im Baumgarten belauschen. Tristan bemerkt allerdings deren Schatten und warnt Isolde rechtzeitig.

Gegenlist 2: Isolde klagt Tristan in der selben Situation noch an, er habe ihre Ehre gefährdet dadurch, dass er sie nachts in diesen zweideutigen Platz bestellt habe, um irgendetwas zu besprechen. Durch die Anklage Tristans und das Heucheln einer gemeinsamen Absicht und der Tatsache, dass Marke mithört, verringert sich sein Argwohn.


List 3: Marke fragt Isolde scheinheilig, was alles in seiner vermeintlichen Abwesenheit vorgefallen ist.

Gegenlist 3: Isolde klagt ihm vom unziemlichen Verhalten Tristans im Garten und nimmt so Marke jeden Verdacht.

Marke gibt seinen Argwohn auf.


Etappe 3:

List 1: Beim gemeinsamen Aderlass sollen Tristan und Isolde in einem Raum allein gelassen werden, aber in zwei verschiedenen Betten liegen. Der Boden wird mit Mehl bestreut, so dass man etwaige Fußspuren sieht. Wiederum haben Marjodo und Melot ihre Finger im Spiel; Marke weiß nichts. Deshalb springt Tristan von seinem Bett aus auf Isoldes, wobei seine Wunde aufplatzt und das weiße Bettzeug mit Blut befleckt wird.

Gegenlist 1: Isolde behauptet ihre Wunde sei aufgegangen, doch Markes Verdacht ist geweckt.


List 2: Isolde soll sich dem Gottesurteil stellen.

Gegenlist 2: Isolde plant, dass Tristan als Pilger verkleidet mit ihr in den Armen stürzt, während er sie vom Schiff an Land trägt, so dass sie nachher sagen kann, sie sei nur bei Marke und dem Pilger gelegen. Durch die Doppeldeutigkeit ihrer Worte und der Figur des Pilgers besteht sie das Gottesurteil.

Markes gibt seinen Argwohn auf.


Bewertung und Besonderheiten

Es gibt demzufolge drei Einheiten von List und Gegenlist, die jeweils im Argwohnverlust Markes enden und aus denen das Liebespaar am Ende immer als Sieger hervorgeht. Jeweiliger Impetus zu erneutem Argwohn und Verdacht liefern Markes Höflinge Marjodo und Melot, teils aus Zorn, teils aus Neid und reiner Bosheit, indem sie das Liebespaar absichtlich in verfängliche Situationen bringen. Der Impuls und die Idee der List stammen also nicht von Marke. Zu Beginn einer jeden Etappe findet eine verfängliche Situation statt; Markes Argwohn ist auf dem höchsten Niveau. Durch eine Reihe von Tests, bzw. Listen, die meist Isolde umkehren kann, schwindet der Verdacht aber zunehmend, bis er am Ende völlig beseitigt ist. Trotz gemildertem Argwohn wird aber die Bedrängnis mit der Zeit des Paares immer größer. Erkenntlich wird dies an der zunehmenden Komplexität und Intensität der einzelnen Listen einer Etappe. Dadurch steigt logischerweise auch der Spannungsgrad. Wo am Anfang Fangfragen stehen, werden schnell fiktive Szenarien kreiert, auf die Isolde in adäquater Weise reagieren muss, ähnlich einem Schachspiel. Jeder Zug wird komplexer, weil sich die Charaktere bzw. Figuren neu positionieren. Am Ende muss Isolde ein „reales“ Szenario inszenieren, um Marke zu täuschen und sich sprichwörtlich nicht die Finger zu verbrennen. Innerhalb einer jeden Etappe steigt der Spannungsbogen, um kurz darauf wieder abzufallen, auf die gesamte Listabfolge bezogen erreicht dieser aber mit jeder neuen Etappe ein intensiveres Niveau. Am Ende eines jeden Spannungsboden steht einerseits Markes Argwohn-Verlust, andererseits aber auch sein zunehmender Ehr-Verlust, da er im Grunde die Rolle des Betrogenen innehat. Dementgegen triumphiert das Liebespaar, was eine gegenläufige Bewegung markiert.

Das stetige Ansteigen und Abfallen von Spannungen erinnert an ein anderes narratives Element der höfischen Literatur: den doppelten âventiure-Weg in den Artusromanen. Dort vermehrt der Held durch âventiure-Fahrten seine Ehre, bis er sie durch einen fatalen Fehler schlagartig verliert. Dieses Schema wiederholt sich zweimal, wobei auch hier die Komplexität des Szenarios zunimmt und mittels der ähnlichen bzw. identischen Handlungsabfolge gewissermaßen auf dieses referiert. Überträgt man dieses Schema auf die Listen, offenbart sich eine ähnliche Redundanz, da auch hier die Spannung von Etappe zu Etappe steigt. Am Ende eines jeden Abschnitts steht der stetige Ehrverlust Markes sowie der Triumph der Opposition. Allerdings ergeben sich insgesamt drei aufeinander aufbauende Etappen. Mit dieser Einschränkung dient der Verlauf der Listen als Negativfolie und Spiegelung des âventiure-Wegs. Dabei baut sich Markes Ehre linear ab, der moralisch bedenkliche Triumph Isoldes und Tristans hingegen linear auf. Erst durch die verfängliche Situation am Beginn der nächsten Periode bricht dieser Triumph abrupt ab. Trotz aller Gegenläufigkeit lassen sich also gewisse Parallelen ziehen, wobei womöglich exakt dieses Spiel mit den normierten Formen die individuelle Gestaltungskunst Gottfrieds ausmachen.

Fazit

Das Motiv der List ist eine charakteristische Eigenschaft in höfischen Erzählungen des Mittelalters. Auf diese Weise wird ein gewisser Spannungsboden aufgebaut, da eine List in der Regel eine weitere impliziert. Jeder List liegt eine spezifische Motivation zugrunde, wie beispielsweise Eifersucht gegenüber dem Überlisteten, beziehungsweise hinsichtlich der Minnelist der Wunsch der Entdeckung respektive der Geheimhaltung der Liebesbeziehung. Darüber hinaus existieren noch zahlreiche weitere Auslöser für eine List[10], wobei es dabei unweigerlich zu Wiederholungen kommt.
Charkteristisch für das gesamte Konzept der komplizierten Liebessituation im Tristan ist die unkontrollierbare irrationale Kraft, welche die Emotion den Protagonisten zu verleihen imstande ist und welche ihrem prädestinierten Scheitern zum Trotz immer wieder zu folgenschweren Hinterhalten, Verstrickungen und Manipulationen führt.
Auffällig bei der Komposition der Abfolge der Minnelisten im Tristan ist die unverkennbare Gegenüberstellung zweier oppositioneller Parteien, die ein gegensätzliches Ziel verfolgen: auf der einen Seite die mit Marke, Marjodo und Melot männliche Fraktion, auf der anderen Seite die "weibliche" Union, der Isolde, Brangäne sowie der lediglich passiv partizipierende Tristan angehören. Angestiftet durch Marjodos Gewahrwerden der heimlichen Liebesbeziehung, entspinnt sich ein dynamischer Wettstreit, bei dem jeweils gänzlich differierende Methoden zur Erringung des intendierten Ziels angewandt werden und der schließlich in der finalen Entdeckung der Liebesbeziehung zwischen Tristan und Isolde eskaliert. Anhand des Verhaltens der einzelnen involvierten Personen lassen sich einerseits Rückschlüsse auf individuelle Veränderungen, so ist beispielsweise der bislang aktive, zielstrebige Tristan nunmehr passiver Spielball seiner beiden Verbündeten, aber auch auf die Entwicklung der Gesamthandlung ziehen. Anstelle der anfänglichen, thematisch ausgewogenen Abenteuergeschichte rückt die Liebeshandlung in den Fokus. Die einzelnen Episoden der Minnelisten demonstrieren dabei den verbitterten Kampf des Liebespaares, ihre verbotene Liebe in der Gesellschaft mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten und zu etablieren. Aufgrund all des entgegengebrachten Widerstandes wird jedoch rasch die Aussichtslosigkeit deutlich, sodass die auf die einzelnen Minnelisten reagierenden Gegenlisten im Grunde nur noch ein letztes Aufbäumen vor dem endgültigen Scheitern der Liebe darstellen.

Einzelnachweise

  1. Bspw. Überlistung Gandins, Brautwerbung, Spielmannslist.
  2. Alle Versangaben im Folgenden aus: Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Bd. 1–3. Stuttgart 1980 (RUB 4471-3).
  3. Zu beachten ist hier die Paronomasie mit "schate" und "state", ein Hinweis darauf, dass ein Handlungsumschwung bevorsteht. Vgl. das Kapitel über Paronomasien in Sprache.
  4. (Bspw. Tristans Bemerken der Schatten seiner Nachsteller)
  5. Lediglich an zwei Stellen trägt er entscheidend zu einer Verhinderung der Entdeckung bei, in dem Gewahrwerden der nächtlichen Schatten Markes und Melots im Ölbaum, sowie in der Eingebung, beim Schlafen in der Minnegrotte ein Schwert zwischen sich und Isolde zu platzieren und so Marke zu täuschen.
  6. Vgl. bspw. V. 12423ff. oder V. 14392ff.
  7. Isolde ergreift die Inititiative beim belauschten Gespräch und inszeniert die "Vorbereitung" für die wahrheitsgemäße Aussage beim Gottesurteil, Brangäne wiederum wird auf die Mehlstreufalle aufmerksam.
  8. Etwa im Kampf gegen Urgan zur Erringung des Zauberhündchens.
  9. nu gedahter, solte im disiu not iemer uf der erden so tragbaere werden, daz er ir möhte genesen, daz müese an ritterschefte wesen. (V. 18438-18442)
  10. Bspw. Selbstschutz bei Isoldes Gegenlist oder Ruhmsucht bei Melots Intrige.

Literatur

<HarvardReferences />

  • Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Stuttgart 2007-2008. (RUB 4471-4473).
  • [*Brockhaus] Brockhaus Wahrig: Deutsches Wörterbuch in sechs Bänden. Hrsg. von Gerhard Wahrig, Hildegard Krämer und Harald Zimmermann. F.A. Brockhaus Wiesbaden und Deutsche Verlags-Anstalt GmbH. Stuttgart 1982. Vierter Band K-OZ.
  • [*Hollandt] Hollandt, Gisela: Die Hauptgestalten in Gottfrieds Tristan: Wesenszüge, Handlungsfunktion, Motiv der List. Berlin 1966. (Philologische Studien und Quellen; 30).
  • [*Semmler] Semmler, Hartmut: Listmotive in der mittelhochdeutschen Epik. Zum Wandel ethischer Normen im Spiegel der Literatur. Berlin 1991. (Philologische Studien und Quellen; 122).
  • [*Tomasek] Tomasek, Tomas: Gottfried von Straßburg. Reclam Universal Bibliothek Nr. 17665. Stuttgart 2007.
  • [*Warning] Warning, Rainer: Die narrative Lust an der List. Norm und Transgression im 'Tristan'. In: Warning, Rainer/Neumann, Gerhard (Hg.): Transgressionen. Literatur als Ethnographie. Freiburg i.Br. 2003. S. 175-212.
  • [*Gruenter] Gruenter, Rainer: Der Favorit. Das Motiv der höfischen Intrige in Gotfrids Tristan und Isold. In: Rainer Gruenter: Tristan-Studien. Beihefte zum Euphorion (Heft 27). Hrsg. von Wolfgang Adam. Universitätsverlag C. Winter. Heidelberg 1993. S. 141-159.
  • [*Weddige] Weddige, Hilkert: Mittelhochdeutsch - Eine Einführung. Verlag C.H. Beck 7. überarbeitete Auflage. Nördlingen 2007.