Sprache (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Gottfried von Straßburg legt in seinem Werk großen Wert auf die Sprache. Im Literaturexkurs formuliert er Ansprüche, die er an einen guten Stil stellt und die er auch selber erfüllt. Seine Beschäftigung mit dem Zusammenhang zwischen Freud und Leid, Liebe und Tod spiegelt sich in antithetischen Stilmitteln wieder. Außerdem zeigt er sich als Meister der Wortneuschöpfungen und sein Vers- und Reimschema besticht durch seine Klarheit und Musikalität. Da eine Analyse aller von ihm verwendeter Stilmittel zu weit führen würde, wird anschließend exemplarisch eine Szene auf ihre sprachlichen Besonderheiten untersucht.


Einklang von ûzen und innen - Gottfrieds Stilansprüche

Hartmann der Ouwaere,
âhî, wie der diu maere
beide ûzen unde innen
mit worten und mit sinnen
durchverwet und durchzieret!
wie er mit rede figieret
der âventiure meine!
wie lûter und wie reine
sîniu cristallînen wortelîn
beidiu sint und iemer müezen sîn! (V. 4621-4230)[1]


In seinem Literaturexkurs preist Gottfried von Straßburg Hartmann von Aue, den wohl mit bekanntesten mittelhochdeutschen Autoren. Er lobt Hartmann wegen seiner im Sinne der Verständlichkeit kristallklaren Worte. Vorbildhaft färbt und verziert er seine Texte sprachlich.[2] Anhand dieser Textpassage lassen sich auch die drei Ansprüche erkennen, die Gottfried an eine gute Dichtung stellt. Das Wichtigste ist dabei der Einklang von ûzen und innen, also das Übereinstimmen von innerer Aussage und äußerer Darstellung. Der zweite Anspruch ist ein adäquates Verhältnis von Erzählstoff und Erzählweise. So lässt sich also schon an der künstlerischen Ausschmückung erkennen, welche Stellen besonders wichtig sind. Der dritte Anspruch an eine Dichtung ist die Luzidität des sprachlichen Ausdrucks die lûter, reine und cristallînsein sollen. [Krohn 2008: 349] Seine Ansicht ist geprägt von der lateinischen Schulrethorik, derer er kundig war, wenn man aus seiner Anrede als meister schließt, dass er der septem artes liberales kundig war.

Gleichsam mit ûzen und innen werden hier worte und sinne sowie rede und meine paarweise gegenübergestellt, also die formale, sprachliche Ebene der semantisch-sinneseindrücklichen Ebene.[Weddige 2008: 209] Vor diesem Hintergrund sollen hier die verschiedenen von Gottfried angewandten Stilmittel untersucht und ihre Bedeutung im Einklang mit dem Inhalt betrachtet werden.


Das Spiel mit Kontrasten

Laut Weser und Hoffmann ist der Prolog der Teil eines jeden Werkes, in dem die Autoren frei, da ungebunden, an ihre Vorlage ihre poetische Kraft entfalten konnten [3]. Deshalb werden hier die von Gottfried am häufigsten gebrauchten Stilmittel anhand von Beispielen aus dem Prolog dargestellt. Ein Hauptthema in Gottfrieds Werk ist der ständige Dualismus von Freud und Leid und Tod und Leben. Nach Gottfried ist das eine ohne das andere nicht möglich und diese Ansicht wird durch diverse Stilmittel unterstrichen. Durch Parallelismen wird zuerst eine Gegenüberstellung bewirkt und ein gleichmäßiges Sprachbild gegeben, zum Beispiel:

und lâze ez ime gevallen wol,
die wîle ez ime gevallen sol. (V.15,16)

Dagegen stechen dann die Stilmittel, die Gegensätze ausdrücken, noch stärker hervor. Hierfür gebraucht Gottfried vor allem Antithesen und Oxymerone. Das beste Beispiel ist hierfür wohl folgende Stelle:

ir süeze sûr, ir liebez leit,
ir herzeliep, ir senede nôt,
ir liebez leben, ir leiden tôt,
ir lieben tôt, ir leidez leben. (V.60-64)

Die Textstelle ist parallel aufgebaut, nur herzeliep fällt ein wenig aus der Reihe, ansonsten weißt die Stelle ein hohes Maß an Symmetrie auf. Die Wörter Süeze und sûr bilden eigentlich ein Gegensatzpaar, sind in diesem Oxymoron aber zu einem Ausdruck verbunden. Genauso scheint sich das Wortpaar lieb und leit zu wiedersprechen, im Laufe des Prologs und dann im Laufe des gesamten Romans wird noch deutlich werden, warum diese beiden Dinge unzertrennbar zusammen hängen. Dieses Oxymoron zieht sich als Leitmotiv durch den gesamten Roman. Das Gleiche gilt für leben und tôt, die uns in dem gesamten Roman immer wieder begegnen, sei es als der wahre Tod, im Falle von Riwalin und Blanscheflur zum Beispiel, oder der innere Tod, den Tristan und Isolde jedes Mal erleiden, wenn sie getrennt sind. Lieb und leid, tôt und leben sind nun untereinander auch noch beliebig kombinierbar, was an dieser Stelle durch chiastische Verschränkungen hervorgehoben wird. Trotz dieser Gegensätze gibt es aber einen festen Zusammenhalt, der durch Parallelismen und Chiasmen dargestellt wird, wie auch schon im obigen Beispiel. Die Dinge wiedersprechen sich zwar, bilden aber gleichzeitig eine unzertrennliche Einheit. Chiasmen dienen insgesamt dazu, die untrennbare Verwebung darzustellen. Am deutlichsten wird dies an der Stelle, an der die Namen der Protagonisten das erste Mal fallen:

ein man ein wîp, ein wîp ein man,
Tristan Isolt, Isolt Tristan. (V.129, 130)

Mann und Weib, Tristan und Isolde gehören unzertrennlich zusammen und so wie sich in der letzten Gartenszene ihre Arme verschränken, sind hier bereits ihre Namen verschränkt.


Neologismen

Eine weitere Eigenart von Gottfried ist, dass er eine große Kreativität im Gebrauch von Wörtern erweist. Das können einerseits Fremdwörter, meist aus dem Französischen sein, andererseits aber auch unzählige Neologismen. Die erste und häufigste Wortneuschöpfungsart sind denominative Derivationen, zum Beispiel "gewerldet" (V.44), "geherzet" (V.118) oder "bemaeren" (V.125). Diese denominative Derivation wendet er sogar auf Eigennamen an, so klagt Tristan am Ende er sei "g'îsôtet" (V.19006).

Verben können durch Präfixe einen neuen Sinn bekommen, so bildet Gottfried zum Beispiel "widerpflegen" (V.32) um das Gegenteil von pflegen auszudrücken. Der Verwendung dieses Wortes geht eine Erklärung voran, die die Wortbedeutung klarstellt. Andere Neologismen enstehen, indem zwei Nomen miteinander kombiniert werden. Dies kann am Rande passieren, wenn die entstehenden Wörter selbsterklärend sind, so zum Beispiel bei "seneglout"(V.112) wo die Metapher glühendes Sehnen in einem Wort zusammen gefasst worden ist. An anderer Stelle kommt das Wort "vaterwân" (V.4231) vor, das nur aus dem Zusammenhang verständlich ist. Hier handelt es sich um den Glauben, einen Vater zu haben. Auch aus Eigennamen macht Gottfried Verben, so zum Beispiel in dem huote-Exkurs im Eva- Beispiel

"sus sint ez allez Êven kint,
nâch der Êven g'êvet sint." (V.17696/17697)

Auch dieses Wort braucht die Erklärung, dass g'êvet das Erbe Evas in sich tragen heißt. Numerale verwendet Gottfried auch in kreativer Weise, zum Beispiel als Tristan und Isolde durch den Minnetrank aneinander gebunden werden: "si wurden ein und einvalt,/ die zwei und zwîvalt wâren ê," (V. 11716/11717).

Verstechnik

Für Gottfrieds Sprachstil gilt das Ideal der mâze. Die Verse des Tristan hat Gottfried größtenteils stichisch und als Paarreim (aabb) verfasst. Hebung und Senkung wechseln sich in der Regel ab, der Rhythmus ist teilweise jambisch, teilweise trochäisch. Das gleichmäßige System wird jedoch durch verschiedene Elemente immer wieder unterbrochen. So lassen sich, wie zum Beispiel in Vers 618 („jene ander tanzen schouwen“)[4], zweisilbige Auftakte finden, der trochäische Vers konvertiert zu einem jambischen.[Scharschuch 1938: 49] Insbesondere in der ersten Hälfte schiebt Gottfried außerdem vierzeilige Strophen ein,[Scharschuch 1938: 48] die den Fortgang der Handlung unterbrechen und Weisheiten und Ansichten des Autors ausdrücken.

Beispiel 1 (Vers 1751ff):

Owê der ougenweide,
dâ man nâch leidem leide
mit leiderem leide
siht leider ougenweide!

Beispiel 2 (Vers 1865ff):

Sich treit der werlde sache
vil ofte z'ungemache
und aber von ungemache
wider ze guoter sache.

Die eingeschobenen Strophen sind in der Regel jambisch (unbetont – betont) und drei- oder viermal gehoben [Scharschuch 1938: 49], weisen jedoch ebenfalls Unregelmäßigkeiten auf (siehe Beispiel 2, Vers 1867). Sie sind in umarmenden Reimen (abba) oder, besonders im Prolog, in Kreuzreimen (abab) verfasst. Die Reinheit der Reime, die für Gottfried selbstverständlich ist, wird hier noch dadurch gesteigert, dass die Worte sich nicht nur reimen sondern identisch sind. Neben Endreimen greift Gottfried auch auf Innenreime und Reimspiele zurück: „haeten si beide ir weide./si weideten beide“ (Vers 10999f) bzw. „und zwivelte si ouch beide./dem gebeidetem leide (13765f).[Scharschuch 1938:50]. An diesen Beispielen zeigt sich auch, dass Gottfried häufig auf das Stilmittel der Reimbrechung zurückgreift. Reim und Satz entsprechen einander nicht unbedingt, was syntaktisch zusammen gehört, muss kein Reimpaar bilden. Zwischen Kapitel XI und XII ist die Brechung sogar kapitelübergreifend. [Scharschuch 1938: 51]. Scharschuch beurteilt die Unregelmäßigkeiten durchaus positiv, denn sie würden einen farb- und kunstlosen Stil verhindern. [Scharschuch 1938: 49]
Die hervorgehobenen Buchstaben gehören zu einem Kryptogramm, welches den ganzen Roman durchzieht. Siehe dazu Das Kryptogramm im Tristan


Beispielanalyse

Um Gottfrieds künstlerische Ausschmückung des Textes mit sprachlichen Mitteln zu zeigen, wird hier exemplarisch die Szene analysiert, in der Tristan und Isolde die Wirkung des Minnetrankes zu spüren beginnen (V.11707-11740). Eingeleitet wird die Szene mit einem Parallelismus, der die beiden Charaktere noch nebeneinander stellt: "Nu daz diu maget unde der man,/ Îsôt und Tristan" (V.11706/7), wobei die Betonung im Wort tristan verschoben ist. Nun kommt die Minne, deren Wichtigkeit in dieser Szene durch eine Personifizierung hervorgehoben wird und die durch eine Periphrase wie eine neu auftretende Person vorgestellt wird: "Minne, aller herzen lâgaerîn" (V.11711), einige Zeilen später bekommt sie noch den Titel "diu süennaerinne Minne" (V.11721, was von einem Binnenreim unterstrichen wird. Sie nimmt die Herzen der beiden in Besitz, was in einer Metapher dargestellt wird: "dô stiez s'ir sigevanen dar/ und zôch si beide in ir gewalt." Das Bild stammt aus dem Bereich des Krieges und stellt die Finale Besitznahme eines Landes dar. Sie zeigt, dass die Minne Siegen wird, egal wie sehr die beiden dagegen ankämpfen. Die Veränderung, die die Liebe nun bewirkt, ist durch einen Parallelismus dargestellt, wobei mit den Numeralen gespielt wird: "si wurden ein und einvalt,/ die zwei und zwîvalt wâren ê," (V. 11716/11717). Ihr bisherige und ihre neue Situation werden gegenüber gestellt. Ihre Vereinigung wird mit einem Vergleich als "durchlûter alse ein spiegelglas"(V.11726) beschrieben. Ihre Herzen sind vereint worden und diese Verschränkung wird in einem Chiasmus dargestellt: "ir swaere was ir smerze, sîn smerze was ir swaere."(V.11728/9). Doch noch haben beide diese Vereinigung nicht bemerkt und leiden nebeneinander her, was wieder durch einen Parallelismus dargestellt ist: "si schamte sich, er tet alsam;/ si zwîvelte an im, er an ir." (V.11735/6). Diese beiden Stilmittel werden im ganzen Roman so verwendet: Parallelismen drücken das getrennte aber gleichzeitige tun aus, in Chiasmen wird die Vereinigung und Verschränkung ausgedrückt. Dass dies der Anfang ihres gemeinsamen Lebens ist, wird noch einmal durch einen Pleonasmus betont: "der urhap unde der begin" (V.11739).


In diesen knapp 40 Versen finden sich neun verschiedene Stilmittel, die teilweise mehrfach verwendet werden. Nicht jede Szene ist so reich geschmückt sondern, nach dem Prinzip der Einheit von innen und ûzen, nur besondere Szenen wie diese, die dadurch hervorgehoben werden. Auch wenn in diesem Abschnitt nicht alle Stilmittel vorkommen, die Gottfried zu verwenden in der Lage ist, zeigt er doch, zu welchen dichterischen Ausschmückungen er fähig ist.


Fazit

Gottfried beweist in seinem Werk, dass er ein poeta doctus[Krohn 2008: 347], ein schulgebildeter Literat ist, der in Kenntnis der zeitgemäßen Literatur ein Idealbild von gutem Stil hat, das er auch erfüllt. Angemessenheit, Klarheit und Einklang von Sprache und Inhalt beweist er mit der gezielten Verwendung von Stilmitteln, wovon Antithesen, Parallelismen und Chiasmen der Thematik von Liebe und Leid, Gemeinschaft und Getrenntheit entsprechend, die am häufigst verwendeten sind. Durch die vielen Neologismen und französischen fremdwörter bekommt man fast den Eindruck, die Sprache reiche nicht aus um alles von Gottfried intendierte auszudrücken. Durch die Gleichmäßigkeit und Musikalität, aber auch diverse Binnenraime, Anaphern und andere wohlklingende Stilmittel, muss es ein Vergnügen gewesen sein, dem Vortrag des Tristan zu lauschen. Seine sprachlichen Ausschmückungen und Bilder sind so zahlreich, dass sie nicht in einem kurzen Überblick wiedergegeben werden können, ohne sich im Detail zu verlieren. Wahrscheinlich könnte man jedem Bild, jedem Laut und jeder Metapher im Tristan einen eigenen Artikel widmen.


  1. Sämtliche in diesem Artikel zitierte Textangaben aus dem Tristan entstammen dieser Ausgabe: Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Band 1-3. Stuttgart 1980.
  2. So ist Hartmann dieser Textstelle nach ein "[..] Meister der elocutio, der seine Geschichten mit Hilfe der colores rhetorici »koloriert« (durchverwet) und »dekoriert«  (durchzieret)." Zitiert nach: Hilkert Weddige: Einführung in die germanistische Mediävistik. München 72008. S.209.
  3. Weber/Hoffmann S.15
  4. Der Auftakt wird deutlich in der Tristan-Ausgabe von Reinhold Beckstein, Vers 616: „jene ánder tanzen schouwen“


Literaturangaben

<harvardreferences />

  • Huber, Christoph: Wort-Ding-Entsprechungen. Zur Sprach- und Stiltheorie Gottfrieds von Straßburg, in: Befund und Deutung. Festschrift Hans Fromm, hg. von Klaus Grubmüller, Tübingen 1979, S.268-308.
  • [*Krohn 2008] Krohn, Rüdiger: Gottfried von Straßburg: Tristan. Band 3: Kommentar, Nachwort und Register. Stuttgart 2008, S.349.
  • [*Scharschuch 1938] Scharschuch, Heinz: Gottfried von Straßburg. Stilmittel - Stilästhetik. Berlin 1938.
  • [*Schöne 1973] Schöne, Albrecht: Zu Gottfrieds Tristan-Prolog (1955). In: Gottfried von Straßburg. Hrsg. Von Alois Wolf. Darmstadt 1973 (Wege der Forschung, 320), S. 147 -181.
  • [*Tomasek 2007] Tomasek, Thomas: Gottfried von Straßburg. Stuttgart 2007.
  • [*Weddige 2008] Weddige, Hilkert: Einführung in die germanistische Mediävistik. München 72008.