Parzival und Gahmuret im Vergleich
Um den Versepos Parzival zu verstehen wird in vielen Forschungstexten auf die Genealogie verwiesen. Eine Beziehung, die in diesem Werk nicht konkretisiert wird, ist jene zwischen Parzival und seinem Vater Gahmuret, der vor der Geburt von Parzival verstarb. Dennoch scheint ein Vergleich zwischen dem Vater und seinem Sohn sinnvoll, da die Bücher über Gahmuret eine Erfindung von Wolfram vom Eschenbach sind. Die Vorlage von Chrétiens 'Li Contes del Graal ou Le roman de Perceval' enthält keine elterliche Vorgeschichte. Daher sollen in diesem Artikel die Unterschiede zwischen Parzival und Gahmuret aufgezeigt werden. [1]
Zunächst werden ihre äußeren Erscheinungsbild und die Art ihrer eigenen Inszenierung thematisiert. Wie ist ihre Ausgangsposition im Epos? Wer sind ihre Verwandten? Wie wurden sie erzogen? Durch den Vergleich sollen die Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden. Kann von Gahmuret auf Parzivals Werdegang geschlossen werden? Bestimmt die Vorgeschichte Gahmurets den Handlungsrahmen?
Erscheinungsbilder
Über Gahmuret selbst wird kaum etwas gesagt, außer, dass er groß und hellhäutig ist. Es wird viel mehr das beschreiben, was er an hat: so z.B. sein Schild, dass viele Zobelbälge trägt und das Bild eines Ankers hat. Beim Einzug in Zazamanc wird das Aussehen von Gahmuret kaum beschrieben, sondern seine Gefolgschaft. Allerdings sieht Gahmuret so gut aus, dass man ihn lieben muss. In Afrika wird vor allem seine Kleidung oder seine Kampfausrüstung beschrieben.
Parzival wird bereits nach der Geburt als männlich beschrieben mit starken Gliedern (112, 27). Ebenso wie sein Vater ist er hellhäutig. Auch sein Aussehen bewirkt eine positive Reaktion der Damenwelt, wie bereits sein Vater. Allerdings wird nicht Parzivals Kleidung oder pompöse Einzüge betont, es ist viel mehr Parzival selbst, der als hübsch bezeichnet wird.
Zwischenfazit
Vom Aussehen her gibt es nicht sonderlich viele Auffälligkeiten. Beide sind hellhäutig und scheinen den Frauen zu gefallen. Wobei Gahmuret sein Auftreten und seine Kleidung und bei Parzival das Aussehen selbst im Vordergrund stehen. Allerdings gibt es keine Vergleiche zwischen Vater und Sohn. Die äußerliche Ähnlichkeit der beiden wird nicht betont.
Verwandschaft
Gahmuret ist der zweite Sohn des Königs von Anschouwe und der Bruder von Galoes. (4,28-5,5)
In einem Brief von Belacane wird der Stammbaum vom Gahmuret deutlich. Aus dem Brief geht hervor, dass Gahmuret der Sohn des Gadîn, der Urenkel des Mazadan ist. Denn Gadîn Vater ist Addanz. Addanz Bruder heißt Brickus und dessen Vater ist Mazadan. Jener Mazadan ist aber nicht nur Gahmurets Urgroßvater, sondern auch der von Artus. Der Vater von Artus 'Utepandragun' ist demnach der Großonkel von Gahmuret und Artus sein Großcousin (56,1-28). Über die Verhältnisse der mütterlichen Seite erfährt der Rezipient nichts.
Die chronologische Familienabfolge [2] besagt, dass Feirefiz Gahmurets erst geborener Sohn ist, den er mit seiner damaligen Frau Belacane bekommt, die aus dem Orient stammt. Parzival wird von Gahmurets zweiter Frau Herzeloyde geboren. [3]
Wie bereits oben deutlich wird, ist Parzival über seinen Vater mit der Artusfamilie verwandt. Artus ist demnach sein Großonkel. Parzival erfährt aber erst (140,17) von seinem Vater und somit von der Verwandtschaft. Die Verwandtschaftsbeziehungen mütterlicherseits werden zu einem späteren Zeitpunkt im Epos bekannt.
(333,29-30) | |
Von im den Herzeloyde bar. | Er, den Herzeloyde gebar, |
er was ouch generbe dar. | war ja auch der rechtmäßige Erbe dort. |
Eine genauere Auflösung von Parzivals verwandtschaftlichem Verhältnis mit der Gralsfamilie ist im Vers (455,15) zu finden. Der Gralskönig Anfortas ist der Bruder von Herzylode. Sie stammen von Frimutel ab, der den Gral an Anfortas weiterreichte. Frimutel erhielt den Gral von seinem Vater Tyturel. Parzival vereint also die beiden Familienlinien der Artus- und der Gralsfamilie miteinander.
Zwischenfazit
Beide sind die zweiten Söhne ihres Vaters. Wobei Gahmuret und sein Bruder von derselben Mutter stammen. Parzival und Feirefiz stammen von unterschiedlichen Müttern. Sowohl Gamuret, als auch Parzival stammen vom hochadeligem Geschlecht ab. Die Vermischung der arthurischen und titurelschen Geschlechtslinien prädestiniert Parzival für die Wahl zum Gralskönig und verschafft ihm einen genealogisch Vorteil gegenüber seinem Vater.
Schon bei seinem Versagen auf der Gralsburg wird durch das Überreichen des Mantels von der Gralsträgerin (228,15) und dem Geschenk des Königs der Gralsburg, ein Schwert (239,22), seine Bestimmung Gralskönig zu werden angedeutet. [Mertens 2007: S.123] Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die Gralsgesellschaft der Abstammung Parzivals bewusst ist. Deshalb vermuten sie wohl, dass Parzival wegen seiner Abstammung der Ritter aus der Prophezeiung (483,20) ist. Parzival selbst erfährt erst bei Trevrizent im IX. Buch von seiner Abstammung.
Gahmuret kennt seine Eltern und es ist ihm möglich, einen ziemlich exakten Stammbaum seiner Familie zu skizzieren. Parzival hingegangen erfährt erst im Verlauf der Geschichte Stück für Stück von seiner Abstammung und seiner Bestimmung.
Ausgangspositionen und weitere Parallelen
Gahmurets Vater wird in einem Kampf getötet, wie bereits der Vater von Gadîn zuvor, und deshalb würde er zunächst alles verlieren, da der älteste Sohn nach französischen Recht alles erbt (Primogeniturrecht) [Noltze 1993: vgl. S.217]. Doch Gahmuret bittet seinen Bruder ihn ziehen zu lassen, um nach Ruhm und Ehre streben zu können. Sein Bruder und seiner Mutter beschenken ihn reichlich, so dass er gut gerüstet auf Aventüre gehen kann. [Mertens 2007: vgl S.107] So wird der Königssohn von sich selbst aus, zum 'chevalier errant'[Hermann 2009: S.81]. Der Auszug aus Anschouwe wird später genauer analysiert, aus der Analyse wird deutlich, dass Gahmuret eine vorzügliche Erziehung genoss.
Parzival wächst zunächst abgeschottet von der Außenwelt bei seiner Mutter auf, die auch für seine Erziehung zuständig ist. Weil Herzeloyde schon einmal einen geliebten Menschen, nämlich ihren Mann Gahmuret, im Kampf verloren hat, befürchtet sie, dass ihrem Sohn das gleiche Schicksal ereilen könnte.[4] Parzival verlässt seine Mutter um Ritter zu werden und Aventüren zu bestreiten. Die Mutter die ihn nur schmerzlich gehen lassen möchte, lässt ihn als ein Narr bekleidet ziehen.
Eine weitere Parallele von Gahmuret und Parzival besteht bei ihren Müttern. Denn die Mutter von Gahmuret verstirbt, als ihr Sohn Galoes stribt und Gahmuret ihr fern ist. Auch Herzeloyde stirbt, nachdem Parzival sie verlassen hat. Das Verlassen der Mutter wird später bei Trevrizent, als eine seiner Sünden vorgeworfen.
Zwischenfazit
Gahmuret und Parzival ähneln sich objektiv in ihrer Ausgangsposition. Denn beide sind die zweitgeborenen und ihnen wird dadurch ein Erbe versagt. Bei Parzival ist die Situation jedoch etwas verschärft, da er keine höfische Erziehung hat. Er verlässt seine Mutter als Narr und nicht besonders ausgestattet, wohin gegen Gahmuret alles gestellt wird. Gahmuret lässt seine Mutter nicht alleine zurück, um nach Ruhm und Ehre sterben zu können. Sie bleibt bei seinem Bruder und König von Anschouwe.
Eine Auffälligkeit ist wohl das Sterben der Vater im ritterlichen Kampf. Es scheint wohl typisch für sie ihr Leben im Kampf zu lassen.
Gahmurets als Rahmenfigur
Wie bereits oben erwähnt wird die Auszug aus Anschouwe und die Wahl zum 'chevalier errant' näher untersucht. Denn bei Gespräch mit Galoes kann eine ganz andere Seite von Gahmuret, als die kämpferische, die ihm die Forschung meist zu weist, gesehen werden. So heißt es bei Herrmanns, in einem Zitat nach Brunner: Die vor-arthurische Ritterwelt wird vor allem an Gahmuret deutlich: Sie erscheint als weite, bunte Welt des Abendteuers, des Kampfes un der Minne. [Herrmann 2009: S.80] Zum Auszug nach Becker: Der Text von Becker fasst zunächst Meinung der Forschung auf, die Gahmuret als defizitären Typus analysieren, so dass Parzival ihm überlegen sein kann. In diesen Texten wird er als, unreflektiert, impulsiv, 'man of action', 'der Mann der von seinem Tatendrang bestimmt' wird oder gar als, 'one dimensional', der nur auf seine Ritterschaft bedacht ist, bezeichnet. Die ältere Forschung sieht ihn als Ritter vom alten Schlag, als vorhöfischen Typus. Er stamme aus der Chaonson de geste-Tradition, bei der das Leitmotto 'der Stärkste bekommt die Schönste' ist. Allerdings verweist sie auf Texte bei denen Gahmuret vom Erzähler als vorbildlicher Ritter dargestellt wird. Sie möchte das vorbildliche Verhalten Gahmurets, an der ersten Szene in der Gahmuret Erscheines, analysieren. Es ist sein Auszug aus Anschouwe. Gahmuret wird also nicht bei einem ritterlichen Kampf eingeführt, sondern bei einem Gespräch in der Öffentlichkeit des Hofes. Nach Herrmann verhält sich Gahmuret in diesem Gespräch äußerst geschickt und sehr höfisch. Es ist Gahmuret möglich mit seinem Bruder über das Erbrecht zu sprechen, die Forderungen der Fürsten zurückzuweisen und sein eigen gewähltes Ziel, fahrender Ritter zu werden, zu erlangen. Er erlangt sein Ziel, obwohl sein Bruder ihm eine andere Position anbietet. Er schafft all dies, ohne das die anwesenden Fürsten davon es mitbekommen. Er redet so gewandt, dass er die Sorgen seines Bruders, dem er die Erbschaft streitig machen könnte, nicht schadet. Denn nach dem Tod des Vaters kann ein Zwist zwischen den Erbenden für Unruhe sorgen und der Regenschaft des Nachfolgers schaden. Gahmuret umschifft all diese Probleme und es gelingt ihm sogar noch, dem höfischen Sprechen gerecht zu werden. Das bedeutet, er schweigt, wenn er nicht angesprochen wird und setzt sich dadurch nicht selbst in Szene. Wenn er dann selbst spricht setzt er sich selbst herab, um seine Position zu verdeutlichen. Wegen seiner Redegewandtheit und seinen vorzüglichen höfischen Manieren kann Gahmuret sein eigenes Ziel erreichen und dabei seinem Bruder helfen, indem er durch sein Sprechen seine Regenschaft stärkt.[Becker 2002: vgl.] Gahmuret ist also nicht nur ein Ritter, der nach Minne und Rittertum strebt, sondern er vereint diese Ziele mit höfisch vorbildlichen Verhalten und einem vorzüglichen Intellekt, der in seiner Redegewandtheit liegt. Es kann davon ausgegangen werden, dass er eine höfische Erziehung genoss.
Durch sein selbst gewähltes Wappen den Anker trägt Gahmuret weitere Aspekte in den Roman. Das Wappen wird vom Erzähler negativ gesehen, da er für das ständige Aufbrechen in neue Räume steht, für eine Ziellosigkeit und eine Bürde. Während der Anker sein Schild ziert, kämpft er für den Baruc von Baldac, also unter einem Heiden.[Herrmann 2009: S.82] Als Ritter des Baruc gelangt Gahmuret zu großen Ruhm und kann sogar die Hand eine Königin für sich gewinnen. Während eines Kampfes den er für Belacane führt, erkennt er seine Verwandten bei den Gegner und es kommt zu Verhandlungen statt zum Kampf.
Nach seiner Fahrt in den Orient, in dem er nicht heimisch wurde, kann er Herzelyode für sich erkämpfen. Doch in er handelt für seine Ehe aus, dass er noch zum ritterlich Kampf fahren kann. Was ihm zum Verhängnis wird. Denn wie sein Vater stirbt auch er im Kampf, auch wenn er durch eine List getötet wurde.
Der Höhepunkt ihrer Karrieren
Gahmuret wird der König von Anschouwe und von seiner Beziehung mit Belacane und seiner Hochzeit mit Herzeloyde wird er der Herrscher ihrer Länder. Er wird als ein großer Herrscher, der über viele Länder regiert. Er ist fast aus dem nichts gestartet und steigt sehr weit auf.
Parzival begibt sich als Narr auf den Weg in die Welt, um Ritter zu werden. Sein Weg führt in als Ritter der Tafelrunde bis hin zum König der Gralsburg.
Fazit
Die Vorgeschichte des Vater steckt bereits einen großen Rahmen ab. In den ersten zwei Büchern wird bereits auf eine Ziellosigkeit angespielt, die Parzival ebenso erfährt, als er 5 Jahre umhereist und versucht den Gral durch Kämpfen zu erlangen. Das dies nicht gelingen wird, kann schon aus der väterlichen Vorgeschichte entnommen werden, der wie seine Väter, bei einem Kampf getötet wird. Es scheint als führe der Kampf unweigerlich in den Tod. Zwar wird Gahmuret getötet, als er wieder das Wappen seines Vater führt, dennoch zieht es ihn in die Ferne.
Gahmuret stellt durch seine Orientfahrt eine Verbindung zu den Heiden dar. Auf das Verhältnis von Farben wurde im Elsterngleichnis angespielt und in der Orientfahrt wird das erstmals im Text das umgesetzt. Gahmuret begegnet dort Schwarzen.
Das wohl bemerkenswerteste an Gahmuret ist seine höfisches Verhalten. Vorallem bei dem Bruderkampf zwischen Parzival und Feirefiz wird deutlich, dass Parzival nach seiner 'Bildungsfahrt', die Regeln des höfischen Sprechens so verinnerlicht hat, wie einst sein Vater. Die Ausgangssituation des Gespräches zwischen Feirefiz und Parzival ist ähnlich der von Galoes und Gahmuret, denn theoretisch hat Feirefiz das Anrecht auf Anschouwe. In Gahmuret lässt sich zumindest der Zielpunkt Parzival höfischer Sozialisation ausmachen.
Ebenso erstaunlich ist der Werdegang der beiden. Gahmuret wird als 'chevalier errant' zum Herrescher über Zazamanc, Waleis, Norgals und Anschouwe.[Sutter 2000: S.193] Auch Parzivals Werdegang ist erstaunlich. Er wird der Herrescher von Anschouwe, Brobarz, Waleis, Norgals und Munsalvaesche. [Sutter 2000: S.194]
Es lassen sich durchaus Parallelen zwischen Parzival und Gahmuret finden. Beide legen einen gewaltigen Aufstieg zurück, wobei Parzival von seiner mütterlichen Seite her, wohl für eine größere Aufgabe bestimmt ist.
Anmerkungen
- ↑ Ein weiterer Artikel beschäftigt sich mit den [Parallelen zwischen Gahmuret und Parzival]
- ↑ Vgl. Verwandtschaftstafel im Artikel Inhaltsangabe "Parzival" (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
- ↑ Ausführlichere Informationen über die beiden Söhne von Gahmuret. Parzival und Feirefiz
- ↑ Ein weiterer Artikel beschäftigt sich im Detail mit den Vater/Sohn Strukturen im Parzival: Vater und Sohn im Parzival
Quellennachweis
Primärliteratur
▲ Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
Sekundärliteratur
<HarvardReferences />
[*Mertens 2007] Mertens, Volker (2007): Der deutsche Artusroman, Stuttgart: Reclam 2007.
[*Becker 2002] Becker, Anja (2002):Parzivals redegewandter Vater. Zur Einschätzung Gahmurets und der Auszugsszene (4,27-13,8). In: Focus on German Studies 9 (2002), S.155-174.
[*Sutter 2000] Sutter, Rolf (2000): mit saelde ich gerbet han den gral : Genealogische Strukturanalyse zu Wolfram's von Eschenbach Parzival. Universität Tübingen.
[*Noltze 1993] Holger, Noltze (1993): Gahmurtes Orientfahrt: Kommentar zum ersten Buch von Wolfram "Parzival" (4,27-58,26), Würzburg: Königshausen und Neumann.